Europarecht

Anforderungen an die Hinweispflicht gemäß § 33 Abs. 4 AsylG

Aktenzeichen  M 30 K 17.39895

Datum:
16.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27216
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 10 Abs. 2, § 25, § 33
VwGO § 113 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es fehlt nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Anfechtungsklage, auch wenn der Kläger beim Bundesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann und dieses das Verfahren in dem Verfahrensabschnitt wieder aufnehmen muss, in dem die Prüfung eingestellt wurde. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Regelung in § 33 Abs. 4 AsylG verlangt ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen hinzuweisen ist und lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Zustellfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt die für die Belehrung tatsächlich erforderliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Klägers über die Belehrung nicht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4 § 33 Abs. 4 AsylG ist dahingehend auszulegen, dass sich die Hinweispflicht auch auf die Nichtbetreibensvermutung des § 33 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG bezieht sowie auf die Obliegenheit bzw. Möglichkeit des Antragstellers gemäß § 33 Abs. 2 S. 2 AsylG, diese Vermutung zu entkräften. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2017 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klagepartei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die mit Schriftsatz vom 13. Februar 2018 auf das Anfechtungsbegehren i.S.v. § 173 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässig beschränkte Anfechtungsklage ist zulässig. Sie ist insbesondere als Anfechtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 14-20; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 21; VG Augsburg, U.v. 17.3.2017 – Au 3 K 16.32041 – juris Rn. 18). Obwohl der Kläger beim Bundesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann und dieses das Verfahren in dem Verfahrensabschnitt wieder aufnehmen muss, in dem die Prüfung eingestellt wurde (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 2, 4 – 6 AsylG), fehlt es vorliegend nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis für den erhobenen Antrag (vgl. BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8).
Die Anfechtungsklage ist zudem begründet, da der streitgegenständliche Bescheid vom 27. April 2017 mit der Einstellung des Asylverfahrens des Klägers rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 1 VwGO.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt ein Asylantrag dann als zurückgenommen, mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt wird (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG), wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Damit die Rücknahmefiktion jedoch greifen kann, bedarf es zuvor einer ordnungsgemäßen Belehrung i.S.v. § 33 Abs. 4 AsylG. Im Falle einer fehlerhaften Belehrung kann die Rücknahmefiktion nicht eintreten (vgl. GK-AsylG, Stand November 2016, § 33 AsylG Rn. 82). Dies ist vorliegend der Fall.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Die Regelung in § 33 Abs. 4 AsylG verlangt somit ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist und lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu (u.a. VG München, B.v. 19.9.2017 – M 21 S 17.46631 – juris Rn 27). An einer solchen Empfangsbestätigung fehlt es vorliegend. Die Zustellungen der Ladungen zu den Terminen am 19. September 2016, 7. November 2016, 29. März 2017 und 18. April 2017 mit den darin enthaltenen Belehrungen erfolgten entweder per Einschreiben, einfachem Brief oder Postzustellungsurkunde an den Kläger selber oder seine Zustellbevollmächtigten, jedoch allesamt nicht gegen eine entsprechende Empfangsbestätigung des Klägers. Dass der Kläger die Ladungen verbunden mit den Hinweisen tatsächlich erhalten hat, ist zudem nicht bestätigt. Die Zustellfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt die für die Belehrung tatsächlich erforderliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Klägers über die Belehrung gerade nicht.
Auch die vorangegangenen Hinweise und Belehrungen am 14. August 2015 reichten nicht aus, um den Anwendungsbereich der gesetzlichen Fiktion zu eröffnen. Soll der Hinweis auf die Rechtsfolgen gemäß § 33 Abs. 4 AsylG seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung ist daher deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht, unentbehrlich, zumindest wenn er anwaltlich nicht vertreten ist (vgl. VG München, B.v. 19.9.2017 – M 21 S 17.46631 – juris Rn 26; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 33 Rn. 23 m.w.N.). Der Antragsteller hat die allgemeinen Hinweise zwar auch in englischer Sprache enthalten, allerdings nicht ausreichenden Inhalts. Zwar ist der Hinweis auf die Verpflichtung zur Wahrnehmung des Anhörungstermins und „nachteilige Folgen bei Nichterscheinen“ enthalten, letzteres aber gerade mit dem Klammerzusatz „Entscheidung ohne persönliche Anhörung“. Ein Hinweis auf eine Verfahrenseinstellung bei Nichterscheinen bzw. die gesetzliche Rücknahmefiktion bei Nichtbetreiben und die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrages fehlen. Zudem ist der Hinweis insoweit sogar fehlerhaft und damit die Belehrung insgesamt (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 13.12.1978 – 6 C 77.78 -, juris, Rn. 23), als er die Möglichkeit der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht erwähnt und vielmehr gefordert wird, dass der Ausländer vor dem Anhörungstermin schriftlich seine Verhinderung anzeigt (vgl. VG München, B.v. 19.9.2017 – M 21 S 17.46631 – juris Rn 28).
Nach dem Wortlaut der Vorschrift beschränkt sich die Hinweispflicht zwar auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen. Sie ist jedoch dahingehend auszulegen, dass sich die Hinweispflicht auch auf die – hier einschlägige – Nichtbetreibensvermutung des § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 bezieht sowie auf die Obliegenheit bzw. Möglichkeit des Antragstellers gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG, diese Vermutung zu entkräften, da die Regelung ansonsten weitgehend sinnentleert wäre. So ist es für den Asylantragsteller zur effektiven Wahrnehmung seiner Rechte gerade erforderlich zu wissen, in welchen Fällen ein Nichtbetreiben des Verfahrens vermutet wird und wie er diese Vermutung entkräften kann, so dass die Rechtsfolge des § 33 Abs. 2 AsylG und damit auch die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG nicht eintritt (vgl. in diesem Sinne z.B. auch VG Augsburg, U.v. 13.3.2017 – Au 3 K 16.32293 – juris Rn. 19; VG Dresden, B.v. 23.2.2017 – 2 L 1153/ 16.A – juris Rn. 31 f., VG Köln, Gerichtsbescheid v. 11.11.2016 – 3 K 7366/16.A – juris Rn. 43; a.A. VG Oldenburg, B.v. 6.3.2017 – 15 B 961/17 – juris Rn. 14, allein auf den Gesetzeswortlaut abstellend). Auch die herrschende Meinung in der Kommentarliteratur stellt über den Wortlaut hinausgehende Anforderungen an die erforderliche Belehrung. Einerseits müssen in der Belehrung die geforderten Mitwirkungspflichten nach § 33 Abs. 2 AsylG präzise konkretisiert werden, andererseits muss der Antragsteller darauf hingewiesen werden, dass bei Nichterfüllung der aufgezeigten Pflicht der Antrag als zurückgenommen gilt und eine Entscheidung in der Sache nicht ergeht (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 33 Rn. 23 m.w.N.). Die Regelung des § 33 Abs. 4 AsylG, darf daher nicht zu eng verstanden werden. Der Hinweis darf sich nicht nur auf die Wiedergabe des Wortlauts der in § 33 Abs. 4 AsylG geregelten Rücknahmefiktion beschränken, sondern muss sich auch auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen beziehen (vgl. Hailbronner, AuslR, a.a.O. Rn. 62 m.w.N.). Da in § 33 Abs. 2 AsylG nur vier gesetzliche Vermutungsfälle in Bezug auf § 33 Abs. 1 AsylG geregelt sind, betrifft die Belehrungspflicht auch und gerade die Fälle des § 33 Abs. 2 AsylG (GK-AsylG, Stand November 2016, § 33 AsylG Rn. 76). Zugleich ist vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Belehrungspflicht, nämlich den typischerweise unerfahrenen Antragstellern eine effektive Wahrnehmung ihrer Rechte zu ermöglichen, auch darüber zu belehren, dass binnen neun Monaten nach der Einstellung des Verfahrens form- und voraussetzungslos eine Wiedereröffnung beantragt werden kann (GK-AsylG, a.a.O. Rn. 80). Die Problematik beim novellierten § 33 AsylG rühre auch daher, dass nunmehr grundsätzlich schon bei Antragstellung über alle Mitwirkungspflichten und Rechtsfolgen belehrt werde (vgl. § 33 Abs. 4 AsylG), vielen Asylbewerbern aber die komplexen Strukturen der mitteleuropäischen Behördenpraxis kulturell fremd seien und fraglich sei, inwieweit diese Belehrungen tatsächlich begriffen würden. Grundsätzlich seien deshalb ähnlich strenge Anforderungen zu stellen wie bei § 81 AsylG, da es sich ggf. um eine einschneidende Ausnahme von den allgemeinen Verfahrensregeln handele und die verfahrensmäßige Durchsetzung von Asylgrundrechten und zwingendem Refoulement-Verbot betroffen sein könne (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Nachtrag zur 11. Auflage 2016, § 33 AsylG Rn. N 2).
Diesen – strengen – Anforderungen genügen die Hinweise und Belehrung vom 14. August 2015 nicht.
Mangels hinreichender Belehrung konnte vorliegend trotz mehrfach unentschuldigtem Fernbleibens des Klägers von der Anhörung nach § 25 AsylG die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG nicht greifen, so dass die entsprechende Einstellung des Asylverfahrens rechtswidrig und der Bescheid aufzuheben ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 86b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.

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