Aktenzeichen 1 K 382/20
Leitsatz
Tenor
1. Unter Abänderung des Körperschaftsteuerbescheid 2018 und des Bescheids über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 KStG, § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG und § 38 Abs. 1 KStG zum 31.12.2018 jeweils vom 24.02.2020 wird die Körperschaftsteuer 2018 auf 0 EUR festgesetzt und der Endbetrag i.S. des § 36 Abs. 7 KStG aus dem Teilbetrag i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG (EK 02) zum 31.12.2018 auf 7.435.538 EUR festgestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
3. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Die Rückzahlung von Kapital aus der Herabsetzung der Genossenschaftsanteile führt nicht zu einer Körperschaftsteuererhöhung.
1. Die Sprungklage ist zulässig, da sie fristgerecht erhoben wurde und der Beklagte zugestimmt hat.
2. § 38 KStG ist in der am 27.12.2007 geltenden Fassung anzuwenden.
Nach § 34 Abs. 14 Satz 1 KStG sind die §§ 38 bis 40 KStG in der am 27.12.2007 geltenden Fassung auf Antrag weiter anzuwenden, wenn die Antragstellerin eine Erwerbs- oder Wirtschaftsgenossenschaft ist, die von der Körperschaftsteuer befreit ist. Der Antrag ist nach Satz 2 unwiderruflich bis zum 30.09.2008 beim für die Besteuerung zuständigen Finanzamt zu stellen. Nach § 34 Abs. 14 Satz 5 KStG richtet sich die Festsetzung und Erhebung des Körperschaftsteuererhöhungsbetrags nach § 38 Abs. 4 bis 9 KStG in der am 29.12.2007 geltenden Fassung mit der Maßgabe, dass als Zahlungszeitraum im Sinne des § 38 Abs. 6 Satz 1 KStG die verbleibenden Wirtschaftsjahre des Zeitraums im Sinne des § 38 Abs. 2 Satz 3 KStG gelten.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine nach § 5 Abs. 1 Nr. 14c KStG steuerbefreite Genossenschaft. Sie hat am 29.07.2008 fristgerecht einen entsprechenden Antrag auf Weiteranwendung des § 38 KStG in der am 27.12.2007 geltenden Fassung (im Folgenden: idF 2007) gestellt.
3. Nach § 38 Abs. 1 KStG idF 2007 ist ein positiver Endbetrag im Sinne des § 36 Abs. 7 aus dem Teilbetrag im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 2 in der Fassung des Artikels 4 des Gesetzes vom 14. Juli 2000 (BGBl. I S. 1034) auch zum Schluss der folgenden Wirtschaftsjahre fortzuschreiben und gesondert festzustellen. 2§ 27 Abs. 2 gilt entsprechend. 3Der Betrag verringert sich jeweils, soweit er als für Leistungen verwendet gilt. 4Er gilt als für Leistungen verwendet, soweit die Summe der Leistungen, die die Gesellschaft im Wirtschaftsjahr erbracht hat, den um den Bestand des Satzes 1 verminderten ausschüttbaren Gewinn (§ 27) übersteigt. 5Maßgeblich sind die Bestände zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs. 6Die Rückzahlung von Geschäftsguthaben an ausscheidende Mitglieder von Genossenschaften stellt, soweit es sich dabei nicht um Nennkapital im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 handelt, keine Leistung im Sinne der Sätze 3 und 4 dar.
Gemäß § 38 Abs. 2 KStG idF 2007 erhöht sich die Körperschaftsteuer des Veranlagungszeitraums, in dem das Wirtschaftsjahr endet, in dem die Leistungen erfolgen, um 3/7 des Betrags der Leistungen, für die ein Teilbetrag aus dem Endbetrag im Sinne des Absatzes 1 als verwendet gilt. 2Die Körperschaftsteuererhöhung mindert den Endbetrag im Sinne des Absatzes 1 bis zu dessen Verbrauch. 3Satz 1 ist letztmals für den Veranlagungszeitraum anzuwenden, in dem das 18. Wirtschaftsjahr endet, das auf das Wirtschaftsjahr folgt, auf dessen Schluss nach § 37 Abs. 1 Körperschaftsteuerguthaben ermittelt werden.
4. Die Rückzahlung von Kapital aus der Herabsetzung der Genossenschaftsanteile stellt keine Leistung nach § 38 Abs. 1 KStG idF 2007 dar und löst keine Körperschaftssteuererhöhung nach § 38 Abs. 2 Satz 1 KStG idF 2007 aus.
4.1. Der Begriff der Leistungen, die zu einer Verwendung des EK 02 führen können, ist im KStG nicht näher definiert (vgl. Lange in Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, 1. Aufl. 2015, § 38 KStG, Rn 20). Der Begriff der Leistungen einer Körperschaft wird aber an unterschiedlichen Stellen im KStG verwendet, beispielsweise in § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG hinsichtlich der Verwendung des steuerlichen Einlagekontos. Mit dem Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz beabsichtigte der Gesetzgeber eine einheitliche Verwendung des Begriffs der Leistungen, nachdem zuvor eine wahre Begriffsvielfalt vorherrschte (vgl. Bauschatz in Gosch, 4. Auflage 2019, § 38, Rn 35).
4.2. Die Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2007 zu § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG enthält keine eindeutige Definition des Leistungsbegriffs.
Nach den Intentionen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 16/2712, 72 f.) sollte in der Übergangszeit vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren jede Leistung einer Körperschaft, einschließlich der Rückzahlung von Nennkapital und der Rückgewähr von Einlagen, eine Körperschaftsteuererhöhung auslösen, wenn für die Leistung EK 02 als verwendet gilt. Die Einführung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG, wonach die Rückzahlung von Geschäftsguthaben an ausscheidende Mitglieder von Genossenschaften keine Leistung darstellt, trägt der Besonderheit Rechnung, dass Genossenschaften anders als Kapitalgesellschaften über ein variables Kapital verfügen, das sich durch den Beitritt und das Ausscheiden von Mitgliedern verändert.
Jedoch sollte durch den Systemwechsel vom Anrechnungsauf das Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren kein neuer Besteuerungstatbestand geschaffen werden. Sofern der Gesetzgeber die Absicht hatte, den bisherigen Leistungsbegriff des § 38 KStG zu ändern oder auszuweiten, hätte sich dies ausdrücklich im Gesetzeswortlaut niederschlagen müssen. Der Gesetzgeber hat jedoch auf eine Legaldefinition des Leistungsbegriffs in § 38 KStG verzichtet. Die Gesetzesbegründung selbst hat keine solch konstitutive Wirkung.
Durch die Ausweitung des Leistungsbegriffs in § 38 KStG durch die Gesetzesbegründung divergiert dieser vom Leistungsbegriff des § 27 KStG. In § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG ist die Rückzahlung von Nennkapital ausdrücklich von der Besteuerung ausgenommen (vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 38, Rn 14a). Der bisherige Gleichklang der §§ 27 und 38 KStG würde durch eine weite Auslegung des Leistungsbegriffs gemäß der Gesetzesbegründung durchbrochen.
Die besondere Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG für ausscheidende Genossenschaftsmitglieder ändert daran nichts. Dem Finanzamt ist zwar zuzugeben, dass es dieser besonderen Regelung nicht bedurft hätte, wenn die Rückzahlung von Geschäftsguthaben keine Leistung darstellen würde. Der Senat sieht darin deshalb nur eine klarstellende Regelung, die nicht dazu führt, dass die Rückzahlung von Geschäftsguthaben bei verbleibenden Genossen eine Leistung darstellt. Diese Auslegung ist notwendig, um Widersprüche zu vermeiden. Hält nämlich ein Genosse beispielsweise 100 Genossenschaftsanteile und gibt 99 zurück, so unterfiele er nicht der besonderen Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG, da es sich bei ihm nicht um einen ausgeschiedenen Genossen handelt. Gäbe er jedoch alle 100 Genossenschaftsanteile zurück, würde die besondere Regelung greifen und keine Körperschaftsteuererhöhung nach § 38 Abs. 2 Satz 1 KStG auslösen.
Gegen eine so große Reichweite des Begriffs der Leistungen i.S.d. § 38 KStG und die Schaffung eines neuen Besteuerungstatbestandes spricht für den erkennenden Senat, dass durch den Systemwechsel vom Anrechnungsauf das Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren kein neuer Besteuerungstatbestand geschaffen werden sollte. Der Begriff der Leistung ist vielmehr eng bzw. einschränkend auszulegen um systemkonform angewandt zu werden. Es ist auf die gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Verteilung von Gewinn abzustellen, wozu die Rückzahlung von Nennkapital an die Genossen nicht gehört.
4.3. Die Rückzahlung von Nennkapital stellt grundsätzlich keine Gewinnverwendung dar. Dies galt sowohl im Anrechnungsverfahren und gilt auch im Halb- oder Teileinkünfteverfahren. Dies ist im KStG zwar nicht ausdrücklich geregelt, jedoch ergibt sich dies aus der Systematik des Gesetzes.
Nachdem Genossenschaften per se aber kein Nennkapital wie andere Kapitalgesellschaften kennen, tritt bei ihnen an die Stelle des Nennkapitals die Summe der Geschäftsguthaben (vgl. OFD Hannover vom 18.04.2005, S. 2862-1-StO 241).
Demzufolge darf die Rückzahlung von Geschäftsguthaben keine Körperschaftsteuer auslösen.
4.4. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu § 38 Abs. 5 Satz 2 KStG 2002 war das nicht ausschüttbare Nennkapital nicht in die Bemessungsgrundlage des Körperschaftsteuererhöhungsbetrages mit einzubeziehen (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.2011 I R 107/10, BStBl II 2012, 610). Denn auch während des Anrechnungsverfahrens führte die Rückzahlung von Nennkapital grundsätzlich nicht zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung.
4.5. Ob der Definition des Leistungsbegriffs im BMF-Schreiben vom 06.11.2003 (BStBl I 2003, 575, Rn 44) zu folgen ist, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Es handelt sich um eine sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, der keine Rechtsnormqualität zukommt und das Gericht daher nicht bindet (so BFH-Urteile vom 26.04.1995 XI R 81/93, BStBl II 1995, 754 und BFH, 09.12.1999 III R 74/97 m.w.N.).
4.6. Nach der überwiegenden Literaturmeinung unterfällt die Rückzahlung von Nennkapital nicht dem Leistungsbegriff des § 38 Abs. 1 KStG. Danach sind Leistungen i.S.d. § 38 KStG dadurch gekennzeichnet, dass durch ihre Erbringung eine Verteilung des Einkommens der Körperschaft i.S.d. § 8 Abs. 3 KStG bewirkt wurde. Eine Verteilung des Einkommens einer Körperschaft findet statt, wenn Zuwendungen der Anrechnungskörperschaft an einen Anteilseigner oder eine diesem nahestehende Person erfolgen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, soweit die Zuwendungen nicht darin bestehen, dass die Einlagen an die Anteilseigner zurückgezahlt werden (so Bauschatz in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 38 Rn 36; Binnewies in Streck, § 38, Rn 20; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 38, Rn. 32; Lange in Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, 1. Aufl. 2015, § 38 KStG, Rn 20 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 38, Rn 14a m.w.N.). Bauschatz führt hierzu ergänzend aus: Wurden lediglich Einlagen an die Anteilseigner aufgrund einer Kapitalherabsetzung zurückgezahlt, ohne dass dadurch ein Sonderausweis i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG gemindert wurde, war eine Körperschaftsteuererhöhung nicht gerechtfertigt (vgl. Bauschatz in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 38 Rn 36).
Witt zählt zu den Leistungen i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG auch die Rückzahlung von Nennkapital in Folge einer Kapitalherabsetzung (vgl. Witt in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 302. Lieferung 02.2021, § 38 KStG, Rn 23, so auch Lornsen-Veit in Erle/Sauter, KStG, § 38, Rn 41 und 45). Hierbei verkennt er nach Auffassung des Senats, dass der Gesetzgeber durch den Wechsel vom Anrechnungszum Teileinkünfteverfahren keinen neuen Besteuerungstatbestand schaffen wollte (vgl. Bauschatz in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 38 Rn. 36).
4.7. Der erkennende Senat legt den Leistungsbegriff des § 38 KStG einschränkend aus. Er schließt sich damit der überwiegenden Literaturmeinung an, wonach die Rückzahlung von Nennkapital nicht als Leistung i.S.d. § 38 Abs. 1 KStG idF 2007 zu qualifizieren ist.
4.7.1. Im Streitfall löst die Einlagenrückgewähr aufgrund der Kapitalherabsetzung des Geschäftsanteils von 75 EUR auf 1 EUR keine Körperschaftsteuererhöhung nach § 38 Abs. 2 Satz 1 KStG idF 2007 aus. Demnach stellt der Gesamtbetrag der Kapitalherabsetzung von 1.259.913 EUR keine Leistung i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG dar.
Einer Untergliederung des Betrages in ausgeschiedene (203.214,61 EUR) und verbleibende (1.056.698,49 EUR) Genossenschaftsmitglieder kann damit entfallen. Durch die Rückzahlung von Nennkapital werden keine Gewinne im Sinne des EK 02 an die Genossenschaftsmitglieder transferiert, sondern diese erhalten lediglich den für ihren Geschäftsanteil ursprünglich ausgegebenen Betrag von der Klägerin, entsprechend dem Nennkapital, zurück.
Die Körperschaftsteuer 2018 war um den Erhöhungsbetrag von 452.870 EUR zu mindern und daher auf 0 EUR festzusetzen.
4.7.2. Der Endbetrag i.S. des § 36 Abs. 7 KStG aus dem Teilbetrag i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG (EK 02) ist zum 31.12.2018 unverändert mit 7.435.538 € festzustellen.
Zum 31.12.2017 war der Endbetrag i.S.d. § 36 Abs. 7 KStG i.V.m. § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 KStG mit 7.435.538 EUR festgestellt. Die Auszahlung der Kapitalherabsetzung führt – mangels Leistung – zu keiner Veränderung.
5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war nicht nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären. Denn Vorverfahren im Sinne dieser Vorschrift ist nur das der Klage vorangegangene und über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf geführte Verwaltungsvorverfahren, welches der Überprüfung des Bescheids durch die Verwaltung dient (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO-Kommentar, 9. Aufl., § 139, Rn 121). Ein Vorverfahren hat nicht geschwebt, wenn – wie im Streitfall – Sprungklage nach § 45 Abs. 1 FGO erhoben wurde (vgl. BFH, Beschluss vom 08.10.1971 II B 32/69, BStBl II 1972, 9).
6. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen, da dieser unterlegen ist (§ 135 Abs. 1 FGO).
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
8. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, denn die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Leistung“ im § 38 Abs. 1 KStG im Falle der Herabsetzung von Geschäftsguthaben einer Genossenschaft ist von allgemeinem Interesse. Es liegt – soweit ersichtlich – noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu vor.