Aktenzeichen 6 O 3187/18
GVG § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1
BGB § 31, § 323, § 346 Abs. 1, § 433, § 434 Abs. 1, § 437 Nr. 2, § 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 826
Leitsatz
1. Ein schlüssiger Vortrag zu einer angeblich „unzulässigen Abschalteinrichtung“ setzt grundsätzlich voraus, dass vom Anspruchsteller konkret dargelegt wird, dass ein „Konstruktionsteil“ im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist, welches in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung abschaltet, und dass dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Kläger darf zwar auch solche Tatsachen behaupten über deren Vorliegen er kein sicheres Wissen hat und ein solches auch nicht erlangen kann. Nicht ausreichend ist es allerdings, wenn Tatsachen lediglich in Bezug auf anderer Fahrzeughersteller, andere Motortypen oder andere Baujahre vorgetragen werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 45.874,50 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Zuständigkeit des Landgerichts Traunstein folgt aus §§ 1, 3 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, § 32 ZPO. In den gegen den Hersteller gerichteten Verfahren über Individualklagen aus Anlass von behaupteten Fahrzeugmanipulationen des Herstellers ist eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO sowohl bei dem Gericht am Sitz des Herstellers, am Sitz des Händlers als auch am Wohnsitz des Käufers gegeben (BayObLG, Beschluss vom 22.1.2019 – 1 AR 23/18, BeckRS 2019, 5991; OLG München, Beschluss vom 13.8.2019 – 34 AR 111/19, BeckRS 2019, 18055).
II.
Der Klagepartei steht der geltend gemachte Kaufpreisrückzahlungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
II.
Ein Anspruch aus §§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 433, 323 BGB steht dem Kläger nicht zu, da er nicht schlüssig dargetan hat, dass in seinem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und dieses daher mangelhaft i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB ist.
a) Mangelhaft ist eine Sache nach § 434 Abs. 1 BGB dann, wenn sie bei Gefahrübergang (d.h. in der Regel deren Übergabe, § 446 Satz 1 BGB) nicht der vereinbarten Beschaffenheit entspricht. Soweit es an einer Beschaffenheitsvereinbarung fehlt, ist die vertraglich vorausgesetzte Verwendung entscheidend und soweit auch keine besondere Verwendung vereinbart wurde, die Eignung für die gewöhnliche Verwendung und die übliche und vom Käufer zu erwartende Beschaffenheit. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt beim Kläger. Dieser würde dann seiner Darlegungslast genügen, wenn er Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in seiner Person entstanden erscheinen zu lassen, mithin schlüssig vorträgt. Die Angabe von Einzelheiten zu dem Ablauf bestimmter Ereignisse ist grundsätzlich nicht erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen ohne Bedeutung sind (statt anderer BGH, Urteil vom 04.10.2018 – III ZR 213/17). Unerheblich ist, wie wahrscheinlich die Darstellung ist, und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung von Indizien beruht (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19). Ein schlüssiger Vortrag zu einer angeblich „unzulässigen Abschalteinrichtung“ setzt dabei grundsätzlich voraus, dass vom Anspruchsteller konkret dargelegt wird, dass ein „Konstruktionsteil“ im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist (wobei es sich auch um eine Software handeln kann), welches in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen etc. i.S.v. Art. 3 Nr.10 EG-VO die Abgasreinigung abschaltet, und dass dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19). Dabei darf ein Kläger zwar auch solche Tatsachen behaupten über deren Vorliegen er kein sicheres Wissen hat und ein solches auch nicht erlangen kann. Er kann deshalb genötigt sein, eine von ihm nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18). Allerdings muss die Vermutung selbst auf konkreten Anhaltspunkten beruhen. Ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts dagegen, sind derartige Vermutungen willkürlich und stellen Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ dar, die nicht zu berücksichtigen sind. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist jedoch Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (statt anderer BGH, Beschluss vom 16.4.2015 – IX ZR 195/14). Als derartiger Anhaltspunkt kann etwa ein Rückruf durch das KBA dienen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.7.2019 – 10 U 134/19). Nicht allerdings eine bloße freiwillige Maßnahme des Herstellers (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18). Solche Anhaltspunkte müssen zudem gerade für die konkrete streitgegenständliche Sache bestehen. Nicht ausreichend ist es stattdessen, wenn Tatsachen lediglich in Bezug auf anderer Fahrzeughersteller, andere Motortypen oder andere Baujahre vorgetragen werden (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19 am Fall eines BMW; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18 und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2018 – I-22 U 95/18 jeweils am Fall eines nicht vom Rückruf durch das KBA erfassten Modells eines Mercedes-Benz). Hierzu führt das OLG Köln (Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18) zutreffend aus: „… entgegen der von der 23. Zivilkammer des LG Stuttgart vertretenen Auffassung ist es aus Sicht des Senates nicht angängig, sämtliche Motoren dieser Motorenfamilie ohne Berücksichtigung ihrer technischen Merkmale dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterwerfen. Es ist in technischer Hinsicht unmittelbar einleuchtend, dass die Motorsteuerung in Abhängigkeit von Fahrzeugtyp, Volumen und Leistung erfolgt. Dem entspricht die differenzierte Vorgehensweise des KBA mit dem Rückruf nur einzelner mit diesem Motor ausgestatteter Fahrzeugmodelle aus einzelnen Produktionszeiträumen …“.
b) Nach diesem Maßstab hat die Klageseite keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass auch beim hier streitgegenständlichen Fahrzeug tatsächlich Manipulationen vorhanden sind. Vielmehr äußert der Kläger im Wesentlichen losgelöst von dem in seinem Fahrzeug eingebauten Motortyp seines Baujahrs letztlich spekulativ den Generalverdacht, dass auch bei seinem Fahrzeug vom Vorliegen entsprechender Manipulationen ausgegangen werden müsse.
1) Hinsichtlich der bestrittenen Behauptung eines unzulässigen Thermofensters legt der Kläger nicht ausreichend dar, warum er davon ausgeht, dass in seinem konkreten Motor eine Software vorhanden ist die in bestimmten Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung abschaltet und dass dies nicht notwendig ist, um den Motor zu schützen. Der Verweis auf einen Rückruf des KBA reicht nicht aus. Der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, dass auch sein konkretes Fahrzeug vom Rückruf betroffen ist oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Rückruf auch für sein konkret erworbenes Fahrzeug bevorsteht. Vielmehr hat der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung ein Schreiben der Beklagten vom 20.08.2019 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass das klägerische Fahrzeug gerade nicht vom zwangsweisen Rückruf durch das KBA betroffen ist, sondern vielmehr lediglich einer „freiwilligen Kundendienstmaßnahme“ unterzogen werden soll. Das die freiwillige Maßnahme der Beklagten künftig durch eine zwangsweise Durchführung durch das KBA ersetzt wird, wie in der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2019 behauptet, ist durch nichts belegt und bleibt spekulativ. Dagegen spricht, dass gemäß der allgemein im Internet unter https://www.daimler.com/dokumente/innovation/sonstiges/uebersichtmodelledieselrueckrufpublishedbydaimler.pdf abrufbaren Liste der vom Rückruf betroffenen Fahrzeuge das streitgegenständliche Fahrzeug nicht umfasst ist.
2) Auch hinsichtlich der behaupteten Manipulation am Kühlmittelkreislauf bleibt der Vortrag ohne Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug. Die als Beweis vorgelegte Kopie eines Artikels aus dem Handelsblatt vom 22.06.2019 geht auf das klägerische Fahrzeug bzw. dessen Motortyp des betreffenden Baujahres gerade nicht ein.
3) Hinsichtlich der behaupteten Steuerungssoftware, die die Abgasaufbereitung nur beim Durchfahren des NEFZ optimiert bleibt der Vortrag eine pauschale Behauptung. Dasselbe gilt für die Behauptungen des Einwirkens auf die Schaltpunkte des Getriebes, des unzulässigen Verwendens der Software „Slipguard“ und des manipulativ programmierten OBD-Systems.
4) Ein Mehrverbrauch von mindestens 10% ist ebenfalls nicht ausreichend dargelegt und lediglich pauschal behauptet. Ein solcher Mehrverbrauch fällt in den Bereich der eigenen Wahrnehmung. Der Kläger selbst hat Auffälligkeiten beim Verbrauch in der mündlichen Verhandlung jedoch gar nicht angegeben.
5) Erkennbar nicht am streitgegenständlichen Fahrzeug ausgerichtet ist die Behauptung der Manipulation der AdBlue Einspritzung am Fahrzeug. Das klägerische Fahrzeug verfügt nicht über einen AdBlue-Tank.
6) Darüber hinaus ist nicht einmal ausreichend dargelegt, welche Konstruktionsteile beim klägerischen Fahrzeug aktuell verbaut sind. Der Kläger gab an, dass im Jahr 2012 das Fahrzeug von der Beklagten umgerüstet wurde. Damals habe man die Piezo-Injektoren zurückgebaut und das Fahrzeug zurück gerüstet auf die normalen Magneteinspritzdüsen, die auch vorher üblich waren. Damals sei auch ein neues Motorsteuergerät eingebaut worden. Damit kann man aber nicht einmal vom Baujahr des Fahrzeugs 2009 auf konkret vorhandene Konstruktionsteile hinreichend sicher schließen.
7) Schließlich hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2019 angegeben, dass er am 14.02.2019 beim TÜV vorstellig wurde und er wegen der Betriebserlaubnis des Fahrzeuges keinerlei Probleme hatte.
c) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht veranlasst, auch wenn dies vom Kläger ausdrücklich angeboten wurde. Der Vortrag genügt wie dargestellt weder den Anforderungen, die § 138 Abs. 1 ZPO an den Sachvortrag der Parteien stellt, noch den Anforderungen, die § 403 ZPO hinsichtlich der Bezeichnung der zu begutachteten Punkte an den Beweisführer stellt. Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht geboten, da die Behauptungen des Klägers zu den angeblich begangenen Manipulationen im Hinblick auf das klägerische Fahrzeug lediglich „aufs Geratewohl“ bzw. „ins Blaue hinein“ aufgestellt werden. Der Beweisantritt Sachverständigengutachten ist daher nicht dem Beweis vorgetragener Tatsachen zu dienen bestimmt, sondern zielt stattdessen auf eine Ausforschung von Tatsachen. Dies ist unzulässig.
d) Im Übrigen wären kaufrechtliche Ansprüche mittlerweile verjährt, § 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB. Dafür, dass aufgrund eines arglistigen Verschweigens des Mangels die regelmäßige Verjährung eingreift (§ 438 Abs. 3 BGB) hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen (vgl. oben).
II.
Dem Kläger steht darüber hinaus auch kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus Deliktsrecht, insbesondere §§ 826, 31 BGB zu. Der Kläger hat eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte nicht ausreichend substantiiert dargetan (s.o.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 u. 2 ZPO.