Europarecht

Anspruch auf Zulassungen zum Integrationskurs für Ausländer – Abgelehnter Asylbewerber

Aktenzeichen  AN 6 K 16.01628

Datum:
29.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 25, § 44, § 60a

 

Leitsatz

Auch bei unterstellter Herkunft aus Eritrea kann eine gute Bleibeperspektive nicht angenommen werden, wenn der Asylantrag abgelehnt worden ist, und sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts insoweit auch keine relevante Änderung im Asylverfahren ergeben hat; dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn gegen die Ablehnung des Asylantrags Klage erhoben worden ist. (Rn. 18 und 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

I.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO). Mangels hinreichend sicherer Bleibeperspektive kommt eine Zulassung der Klägerin zum Integrationskurs nicht in Betracht.
Die Rechtsgrundlage für Zulassungen zum Integrationskurs für Ausländer, die – wie die Kläge-rin – keinen Teilnahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 AufenthG geltend machen können, findet sich in § 44 Abs. 4 AufenthG. Dieser ist für das vorliegende Verpflichtungsbegehren in der derzeit geltenden Fassung vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939) anzuwenden. Demnach kann ein Ausländer, der einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen werden (Satz 1). Diese Regelung findet entsprechend Anwendung (Satz 2) auf deutsche Staatsangehörige (Alt. 1), wenn sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und in besonderer Weise integrationsbedürftig sind, sowie auf Ausländer (Alt. 2), die eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist (Nr. 1), eine Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 besitzen (Nr. 2) oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 besitzen (Nr. 3). Bei einem Asylbewerber, der aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a des Asylgesetzes stammt, wird vermutet, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten ist (Satz 3).
1. Auf die speziellen Regelungen in § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann sich die Klägerin nicht stützen.
Da sie nicht deutsche Staatsangehörige ist und weder eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG besitzt (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 2 AufenthG) noch im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 3 AufenthG), kann sie im Rahmen von § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) allenfalls nach der dortigen Nummer 1 der Alternative 2 zum Integrationskurs zugelassen werden, wenn sie eine Aufenthaltsgestattung besitzt und ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist. Da die Beklagte für Staatsangehörige des Herkunftslandes Eritrea aufgrund der hohen Schutzquoten für Asylbewerber aus diesem Herkunftsland grundsätzlich eine gute Bleibeperspektive annimmt und zuletzt anscheinend selbst akzeptiert hat, dass die Klägerin ursprünglich von dort stammt, käme bei der Klägerin grundsätzlich eine darauf gestützte Zulassung zu einem Integrationskurs in Frage.
Im Fall der Klägerin kann jedoch auch bei unterstellter Herkunft aus Eritrea eine gute Bleibeperspektive jedenfalls deshalb nicht angenommen werden, da der Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 9. Dezember 2015 abgelehnt worden ist und sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts insoweit auch keine relevante Änderung im Asylverfahren ergeben hat.
Mit dem Bescheid vom 9. Dezember 2015 wurde der Antrag der Klägerin auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz nicht zuerkannt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen; die Klägerin wurde unter Androhung der Abschiebung nach Eritrea oder in den Sudan aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Nachdem bei Durchsicht dieses Bescheides von einer offenkundigen materiellen Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung im Asylverfahren der Klägerin nicht ausgegangen werden kann und auch ansonsten keine hinreichend sichere Bleibeperspektive aufgrund des Asylverfahrens ableitbar ist, fehlt es im vorliegenden Verfahren auf Zulassung der Klägerin zum Integrationskurs im gegenwärtigen Zeitpunkt an der tatbestandsmäßig vorausgesetzten Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts.
Sonstige Umstände außerhalb des Asylverfahrens, etwa die Erwartung künftiger Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen einer Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, sind im vorliegenden Zusammenhang von vorneherein unbehelflich, vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung in BT-Drs 18/6185 S.48 („Erfasst sind von Nummer 1 Asylbewerber, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht“ – Hervorhebung durch das Gericht -) sowie auch VG Ansbach, U.v. 23. März 2017 – AN 6 K 16.02247 -, so dass es überhaupt keiner diesbezüglichen Prognose hier bedarf.
Mit der benannten ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 9. Dezember 2015 liegt eine Einzelfallwürdigung der zuständigen Behörde vor, aufgrund der von der Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts der Klägerin aufgrund des Asylantrags trotz Herkunft aus Eritrea nicht ausgegangen werden kann. Dass die Klägerin am 20. Dezember 2015 beim Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder gegen diesen Bescheid hat Klage erheben lassen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Aufgabe der Entscheidungsträger in den Massenverfahren wegen der Zulassung zum Integrationskurs kann es nach der erkennbaren Intention des Gesetzgebers, der dies im Bereich des Aufenthaltsgesetzes und nicht des Asylgesetzes angesiedelt hat und auf eine Prognose im Sinne einer Erwartung abstellt (vgl. auch BT-Drs 18/6185 S.48 f.), nicht sein, die vom Asylantrag erfassten Rechtspositionen im Einzelfall – quasi in einem parallelen Asylverfahren und „in Konkurrenz“ zu den eigentlich dafür zuständigen Spruchkörpern – selbst durchzuprüfen (auch wenn die Asylverfahrensakte zur Verfügung steht). Mithin kann nach einer ablehnenden Entscheidung im Asylverfahren allenfalls dann noch ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt erwartet werden, wenn die im Asylverfahren getroffene Entscheidung sich als offensichtlich rechtswidrig darstellt oder im asylrechtlichen Gerichtsverfahren eine Entscheidung ergeht, die die Indizwirkung des Ablehnungsbescheides beseitigt (in diese Richtung wohl auch schon BayVGH, B.v. 21.2.2017 – 19 CE 16.2204). Dies liegt hier jedoch nicht vor. Die Entscheidung der Beklagten vom 9. Dezember 2015, welche nach einer umfassenden Würdigung und Bewertung der bei der Anhörung von der Klägerin vorgetragenen Asylgründe erfolgt ist, ist nach summarischer Überprüfung der Begründung des Bescheides inhaltlich nicht als offensichtlich fehlerhaft zu beanstanden und die Klägerin kann – zumindest bislang – auch nicht auf eine einschlägige Entscheidung zu ihren Gunsten im Gerichtsverfahren über ihren Asylantrag verweisen. Die Ablehnungsentscheidung im Asylverfahren stellt so vielmehr ein gewichtiges und zureichendes Indiz für das Fehlen einer günstigen Bleibeperspektive der Klägerin aus dem Asylverfahren dar und rechtfertigt zugleich auch die unterschiedliche Behandlung von Asylbewerbern aus demselben („erfolgversprechenden“) Herkunftsland hinsichtlich der Integrationskurszulassung, je nachdem, ob das sachzuständige Bundesamt im Asylverfahren bereits eine (negative) Entscheidung getroffen hat oder noch nicht. Entgegen der von Klägerseite geäußerten Auffassung kann sich die Klägerin auch nicht deshalb auf Art. 3 GG berufen, weil das Bundesamt bei seinen Entscheidungen zu § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG nach den Erfahrungen des Klägerbevollmächtigten in anderen Fällen „inkonsequent“ allein auf die Herkunft des Asylbewerbers abstelle, weil letztlich die Fälle nicht im Wesenskern vergleichbar sind und weil sich auf eine, wenn so restriktiv bestehend, rechtswidrige (vgl. den offenen Wortlaut des Gesetzes und die obigen Ausführungen zur zitierten Gesetzesentwurfsbegründung, wonach, wenn auch auf die Erwartung eines erfolgreichen Asylverfahrens beschränkt, sich die gute Bleibeperspektive im Einzelfall auch aus anderen Umständen als der Anerkennungsquote beim Herkunftsland ergeben kann; nähere Ausführungen dazu, wann dies der Fall wäre, sind im vorliegenden Fall allerdings nicht veranlasst) Praxis kein Anspruch auf Gleichbehandlung gestützt werden könnte.
2. Da die Klägerin hier bei der Beurteilung ihres Zulassungsbegehrens zum Integrationskurs als Asylbewerberin mit Aufenthaltsgestattung fallmäßig dem Spezialtatbestand des § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG zuzuordnen ist, ist bereits sehr fraglich, ob nach der Gesetzessystematik für sie ein alternativer Anspruch direkt aus § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG überhaupt in Betracht kommt.
Dies kann jedoch dahinstehen, denn jedenfalls stünde der Klägerin ein Anspruch auf Zulassung zum Integrationskurs im Ermessenswege auch unmittelbar aus § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht zu. Hiernach kann ein Ausländer, der einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen werden. Im Hinblick auf die klare gesetzliche Intention kann § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG jedoch nur so verstanden werden, dass im Rahmen des behördlichen Ermessens lediglich Ausländer, die sich rechtmäßig hier aufhalten und über einen Aufenthaltstitel verfügen, der einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland impliziert, zugelassen werden können. Dies ist bereits der Eingangsvorschrift des Kapitel 3 des Aufenthaltsgesetzes (Integration) zu entnehmen, wo in § 43 Abs. 1 AufenthG eindeutig ausgeführt ist, dass die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland gefördert wird. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG können damit nur Ausländer, die die Voraussetzungen eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthaltes erfüllen und die – aus welchen Gründen auch immer – nicht oder nicht mehr teilnahmeberechtigt an einem Integrationskurs im Sinne des § 44 Abs. 1 AufenthG (vgl. auch § 44 Abs. 2 und 3 AufenthG) sind, zu einem solchen Kurs zugelassen werden. Die beschriebene Qualität des Aufenthalts ist demgemäß zu fordern, weil – was die Kammer für vorzugswürdig erachtet – diese aufenthaltsbezogene Voraussetzung bei der Zusammenschau von § 43 und § 44 AufenthG bereits ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darstellt (VG Ansbach, B.v. 13.9.2006 – AN 19 K 06.02014 – juris), oder zumindest deshalb, weil bei Fehlen dieser Voraussetzung sich das Ermessen auf Null in Richtung auf die Zulassungsversagung reduziert (vgl. BayVGH, U.v. 19.9.2007 – 19 BV 07.575 – juris). Angesichts der Ausführungen unter 1. ist hier aber zum einen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt der Klägerin im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erwarten und setzt zum anderen § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wie soeben dargelegt, den aktuellen Besitz eines aufenthaltsrechtlichen Aufenthaltstitels (keiner bloßen asylrechtlichen Aufenthaltsgestattung) voraus, so dass die Möglichkeit einer Ermessensausübung zu ihren Gunsten nach § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG überhaupt nicht besteht.
II.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache mangels Vorliegens gesicherter obergerichtlicher Rechtsprechung zu der schwierigen Auslegungsfrage der „Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthaltes“ im Rahmen des neu geschaffenen § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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