Europarecht

Asylrecht, Herkunftsland: Nigeria, Zielstaat der Abschiebungsandrohung: Italien, Keine Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig, wenn die Schutzgewährung in einem anderen Mitgliedstaat nicht (ausreichend) belegt ist

Aktenzeichen  M 9 K 17.46697

Datum:
14.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56092
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

I.Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juli 2017 wird aufgehoben.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2018 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben, § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG. Die Anfechtungsklage ist in der hier vorliegenden Konstellation auch die allein richtige Klageart.
Die Klage ist auch begründet, da der Bescheid vom 28. Juli 2017 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
Der Umstand der Schutzgewährung – hier in Italien – ist jedoch nicht ausreichend, eigentlich überhaupt nicht, belegt.
Ähnlich – in umgekehrter Richtung – wie in der Konstellation des § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a AsylG ist auch im Falle des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG notwendig, dass die Tatbestandsvoraussetzung der Gewährung von internationalem Schutz feststehen muss – bloße Mutmaßungen können nicht genügen. Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen sog. Info- Request (vgl. Art. 34 Dublin III -VO). Erforderlich sind danach stets die Informationen zum Verfahrensstand und zum Tenor einer ggfs. getroffenen Entscheidung in dem Mitgliedstaat (vgl. Art. 34 Abs. 2 Buchst. g Dublin- III -VO). Ob die Einholung dieses sog. Info-Request als die hierfür gesetzlich vorgesehene Regelung in jedem Fall zwingend ist, oder ob es Fallgestaltungen gibt, in denen das ausnahmsweise nicht erforderlich ist, weil der Umstand der Schutzgewährung im jeweiligen Mitgliedstaat auf Grund anderer Belege hinreichend feststeht (z.B. wenn der betroffene Asylantragsteller selbst einräumt, in einem Mitgliedstaat internationalen Schutz zuerkannt erhalten zu haben, wobei auch das in der Instanzrechtsprechung vielfach nicht für ausreichend angesehen wird), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn hier gibt es keine Belege, die den sicheren Schluss dahingehend zulassen. Die Klägerin zu 1. hat selbst ausdrücklich angegeben, dass ihr Asylantrag abgelehnt worden sei. Das muss nicht stimmen, wäre aber zweifellos ausreichend Anlass für weitere Ermittlungen des Bundesamts gewesen. Die Umstände, die das Bundesamt dagegen als Beleg für die Schutzgewährung in Italien heranzieht, sind allesamt reine Spekulationen. Der Eurodac-Treffer der Kategorie 1 belegt lediglich, dass die Klägerin zu 1. in Italien einen Asylantrag gestellt hat; wie das Asylverfahren ausgegangen ist, ob es überhaupt (förmlich) beendet wurde und ob den Klägern internationaler Schutz gewährt wurde, geht daraus schlicht nicht hervor. Auch die Heranziehung des Umstands, dass nach den Angaben der Klägerin zu 1. Aufenthaltstitel erteilt wurden, lässt keinesfalls den erforderlichen sicheren Schluss auf die Gewährung internationalen Schutzes zu. Es fehlt bereits daran, dass die Beklagte weiß, um welche Aufenthaltstitel auf welcher Grundlage es sich handeln soll. Auch in Italien gibt es nach der Kenntnis des Gerichts z.B. ausländerrechtliche Erlaubnisse auf der Grundlage von asylrechtlichen – nach hiesiger Diktion – Abschiebungsverboten. Ebenso ist es nicht ausgeschlossen, dass es sich bei dem, was die Klägerin zu 1. im Verwaltungsverfahren als Aufenthaltstitel bezeichnet hat, beispielsweise um so etwas wie bei uns eine Duldung gehandelt hat; daneben sind auch noch viele andere Möglichkeiten denkbar, die wegen des nicht ermittelten Sachverhalts nicht sicher ausgeschlossen werden können. Um etwa aus den angeblich erteilten Aufenthaltstiteln entsprechende Schlüsse zu ziehen, hätte das Bundesamt mindestens ermitteln müssen, auf welcher Grundlage den Klägern Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden. Vielmehr aber hätte das Bundesamt in einem derartigen Fall, bei einem so unklaren Sachverhalt, unbedingt eine Auskunft Italiens im Wege des sog. Info-Requests einholen müssen, um sicheren Aufschluss darüber zu bekommen, ob den Klägern dort internationaler Schutz gewährt wurde oder nicht. Das ist aber nicht erfolgt. Das kann auch nicht vom Gericht vorgenommen werden. Nach geltender Rechtslage müssten die italienischen Behörden hierauf aus Rechtsgründen nicht antworten, sie dürften wohl auch nicht einmal antworten (vgl. Art. 35 Dublin III-VO, insbesondere Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 2 Satz 1 i.V.m. der Liste der für die Erfüllung der Verpflichtungen aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zuständigen Behörden, ABl. C 55/5 v. 14.2.2015, in der für Deutschland lediglich das Bundesamt sowie das Bundespolizeipräsidium genannt sind; vgl. auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Art. 35 Anm. K1; das wird von BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris Rn. 29 übersehen). Daher kommt in diesem Fall nur die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids in Betracht, was zur Folge hat, dass das Bundesamt das Asylverfahren weiter behandeln muss; dabei kommt theoretisch auch eine neue Unzulässigkeitsentscheidung in Betracht, wenn dann feststehen sollte, dass eine Schutzgewährung in Italien wirklich erfolgt ist.
Vor diesem Hintergrund ist aber die Schlussfolgerung im streitgegenständlichen Bescheid, dass „davon ausgegangen werden kann“, dass die Kläger in Italien subsidiären Schutz erhalten haben, nicht gerechtfertigt.
Damit ist sowohl die Entscheidung, den Asylantrag der Kläger auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abzulehnen, als auch die gemäß § 35 AsylG verfügte Abschiebungsandrohung nach Italien rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
2. Dass der streitgegenständliche Asylantrag unter der Prämisse des Bundesamts als unzulässiger Asylantrag i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gesetzeswidrig wie ein „sonstiger Fall“ i.S.v. § 38 Abs. 1 AsylG behandelt wurde, was gegen
§ 36 Abs. 1 AsylG verstößt (vgl. im Einzelnen bereits VG München, B.v. 21.11.2017 – M 9 S 17.45552 und U.v. 26.6.2018 – M 9 K 17.53457 – juris Rn. 23; neuerdings auch BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18, noch nicht veröffentlicht), ist für den Rechtsschutz des Klägers nicht relevant.
Der streitgegenständliche Bescheid wird nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufgehoben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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