Aktenzeichen 7 O 16786/16
PatG PatG § 9 S. 2 Nr. 1, § 139 Abs. 1
EPÜ EPÜ Art. 54, Art. 64, Art. 100
ZPO ZPO § 935, § 940
Leitsatz
1 Den Anforderungen des § 49 BeurkG, wonach der Ausfertigungsvermerk mit einer Unterschrift des Urkundsbeamten versehen sein muss, ist vor dem Hintergrund der wirksamen Zustellung einer Einstweiligen Verfügung (gerade noch) Genüge getan, wenn die Unterschrift individuelle, charakteristische Merkmale aufweist auch wenn sie nicht als Namen lesbar und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. (Rn. 37 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
2 Spricht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Streitpatent in einem anhängigen Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt wegen unzulässiger Erweiterung bzw fehlender Neuheit gelöscht werden wird, so fehlt es in einem auf dieses Patent gestützten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes an einem Verfügungsgrund nach §§ 935, 940 ZPO auch wenn von einer Benutzung der technischen Lehre des Patentes durch die Anspruchsgegnerin auszugehen ist. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung vom 28.07.2016 wird aufgehoben.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
3. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Sowie folgenden Beschluss
Der Streitwert wird auf 500.000,00 € festgesetzt.
Gründe
A. Die einstweilige Verfügung vom 28.07.2016 war nicht nach §§ 927, 936 ZPO aufzuheben, sie wurde innerhalb der Monatsfrist des §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO vollzogen. Die fristwahrende Vollziehung der einstweiligen Verfügung muss im Regelfall durch . Zustellung im Parteibetrieb erfolgen. Insbesondere durch die von ihm betriebene Parteizustellung macht der Gläubiger zweifelsfrei Gebrauch von der einstweiligen Verfügung (Vollkommer in: Zöller, ZPO, 30. Auflage, Rz 12 zu § 929).
Dabei ist vorliegend nicht die Wahrung der Monatsfrist selbst streitig, sondern, ob das der Beklagten innerhalb der Monatsfrist zugestellte Dokument für eine wirksame Zustellung geeignet war und ob vor diesem Hintergrund die Vollziehungsfrist gewahrt wurde.
Erforderlich für die wirksame Zustellung der Beschlussverfügung ist, dass entweder eine Ausfertigung der einstweiligen Verfügung oder eine beglaubigte Abschrift der Ausfertigung zugestellt wird (Vollkommer in: Zöller, ZPO, 28. Auflage, Rz. 13 zu § 929). Die Beklagte moniert, dass es sich bei der ihr zugestellten Ausfertigung um keine wirksame Ausfertigung handle, weil die Unterschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle derart mangelhaft sei, dass es an einer wirksamen Ausfertigung fehle.
Nach § 49 BeurkG muss der Ausfertigungsvermerk mit einer Unterschrift des Urkundsbeamten versehen sein. Die Unterschrift muss sich als Wiedergabe eines Namens darstellen und die Absicht der Unterschriftsleistung erkennen lassen. Diesen Anforderungen genügt die von am 29.07.2016 geleistete Unterschrift gerade rioch. Es handelt sich nicht nur um einen Strich. Das des Namens ist erkennbar, gefolgt vom Rest des Namens. Der Rest des Namens ist in einer nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht unüblichen Weise langgezogen, wobei die einzelnen Buchstaben nicht einzeln erkennbar sind. Dies ist dem schnellen Leisten der Unterschrift geschuldet und üblich. Es handelt sich damit nicht um eine Namensabkürzung.
Auch weist diese Unterschrift individuelle, charakteristische Merkmale auf: Das des Namens ist charakteristisch zackig gezeichnet und der Rest des Namens verläuft über einen schleifenartigen Schwung am unteren Ende des in Richtung nach schräg oben. Damit ist die Identität der Unterschreibenden ausreichend mit einer individuellen Charakteristik gekennzeichnet und die Unterschrift stellt sich als Wiedergabe des Namens dar. Ferner lässt die Unterschrift der Urkundsbeamtin die Absicht erkennen, dass eine Unterschrift geleistet werden soll.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es in diesem Zusammenhang unschädlich, dass die Unterschrift – wie vorliegend – flüchti.g niederge legt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Denn dies ist bei der Unt rschrift von Berufstätigen, die täglich eine Vielzahl an Dokumenten unterschreiben müssen, verbreitet.
B. Auch war die Beschlussverfügung nicht mit Blick auf §§ 926 Abs. 2, 936 ZPO aufzuheben. Denn eine eventuelle Fristversäumung ist jedenfalls geheilt, weil die Hauptsacheklage im Verfahren 7 0 15802/16 der Beklagten am 24.10.2016 und damit vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung über den Aufhebungsantrag in 1. Instanz am 17.11.2016 zugestellt wurde,§ 231 Abs. 2 ZPO (so auch Seiler, a.a.O., Rz. 8 zu § 926). Ob hier § 167 ZPO greift, war daher nicht. zu prüfen. Hierfür hätte die Klägerin glaubhaft machen müssen, dass sie alles für eine alsbaldige Zustellung erforderliche getan hat (Seiler in: Thomas/ Putzo, ZPO, 37. Auflage, Rz. 8 zu § 926), was nicht geschehen ist.
Ebenfalls wurde die mit Beschluss· der Kammer vom 06.10.2016 angeordnete Sicherheitsleistung von der Klägerin inzwischen erbracht.
C. Die einstweiiige Verfügung war jedoch – auch wenn die Kammer vom Vorliegen eines Verfügungsanspruchs ausgeht – wegen Fehlens des Verfügungsgrundes aufzuheben.
I. Die durch den deutschen Teil des Verfügungspatents unter Schutz gestellte technische Lehre ist aus der Sicht des angesprochenen Durchschnittsfachmanns aus den Merkmalen des hier maßgeblichen Anspruchs 1 im einzelnen und ihrer Gesamtheit unter Heranziehung der Beschreibung sowie der Zeichnungen zu ermitteln.
1. Maßgeblicher Durchschnittsfachmann ist ein Diplomingenieur des Bereichs Maschinenwesen mit Fachausrichtung Medizintechnik und mehrjähriger Erfahrung im Bereich Entwicklung und Herstellung von Medizinprodukten.
2. Das Verfügungspatent betrifft ein Maskensystem für die Behandlung von schlafbezogenen Atmungsstörungen.
Im vorbekannten Stand der Technik waren hierfür diverse Hilfsmittel bekannt (vgl. Absatz [0004] des Verfügungspatents). Das Verfügungspatent macht es sich zur Aufgabe, Maskensysteme so zu gestalten, dass die CPAP-Therapie möglichst effizient, den Bedürfnissen des Patienten (Akzeptanz) entsprechend durchgeführt werden kann (siehe Absatz [0004] des Verfügungspatents). Dies wird erreicht, indem gemäß der patentgemäßen Lehre ein Maskensystem bereitgestellt wird, das neben einem Rahmen und einem Polster ein Abdeckelement aufweist. Das (vordere) Abdeckelement wird dabei durch eine Schnappverbindung mit dem (hinteren) Rahmen der Maske verbunden, so dass die beiden Teile damit jederzeit voneinander getrennt und wieder zusammengefügt werden können. Dies verbessert für den Patienten insbesondere den Komfort und die Handhabbarkeit der Maske.
Das Verfügungspatent schützt in seinem Anspruch 1 eine Vorrichtung,deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1. Maskensystem (x10), mit einem Rahmen (x40), der eine Beatmungskammer definiert;
2. einem Polster (x44, 1060), das am Rahmen (x40) vorgesehen und eingerichtet ist, eine Dichtung mit dem Gesicht des Patienten zu bilden, und
3. einem Abdeckelement (x20), das am Rahmen (x40) vorgesehen und eingerichtet ist, eine Kopfhalterungsanordnung (x90) zu befestigen;
3.1 wobei der Rahmen (x40) einen Kragen (x49) aufweist, der eine Öffnung {x46) umgibt, die eingerichtet ist, mit einem Winkelstück {x70) in Verbindung zu stehen,
3.2 wobei das Abdeckelement (x20) dadurch gekennzeichnet ist, dass es einen Haltemechanismus aufweist, der strukturiert ist, eine positive Verbindung zwischen dem Abdeckelement (x20) und dem Rahmen (x40) herzustellen, und LG M 1, 7 0 16786/16
3.3 der Haltemechanismus einen oder mehrere· Schnappfinger (x45) aufweist, die strukturiert sind, den Kragen (x49) mit einer Schnappverbindung in Eingriff zu nehmen.
a) In Bezug auf das Merkmal „Abdeckelement“ teilt die Kammer nicht die Auffassung der Beklagten, wonach „Abdecken“ erfordere, dass das Dahinterliegende nicht mehr zu sehen sei. Vielmehr kann auch ein Element patentgemäß abdecken, das nicht gleichzeitig verdeckt und transparent ist.
Zu „Abdeckelement“ heißt es in Abs. [0012],,The term „shroud“ will be taken to include compoAents that partially or fully cover a second component within the illustrated embodiments.“ Ein teilweises Abdecken reicht also aus. Bei einem teilweisen Abdecken ist aber jedenfalls ein Teil des Abgedeckten weiterhin zu sehen. Soweit sich die Beklagten auf Abs.. [0034] stützt, ist zunächst festzustellen, dass hierin lediglich Ausführungsbeispiele aufgeführt sind, die nicht für ein engeres Verständnis des Patentanspruchs herangezogen werden können, schließlich steht am Anfang des Abs. [0034],,e.g.“, also „beispielsweise“. überdies ist in dem Klammervermerk, auf den sich die Beklagte bezieht, explizit dargelegt, dass die beschriebene Konfiguration lediglich ermöglicht (,,allo ws“), dass unterschiedlichste Materialien für den Rahmen und das Abdeckelement verwandt werden können (,,allows different materials to be used for the frame and shroud“). Zudem wird als besonderer Vorteil des in Abs. [0034] geschilderten Ausführungsbeispiels hervorgehoben, dass das Abdeckelement aus ästhetischen Gründen eine Abdeckung bereitstellen könne (,,provides visual shroud for aesthetics“). Hier wird also lediglich ein besonderer Vorteil des Ausführungsbeispiels hervorgehoben.
b) Ebenso folgt die Kammer nicht dem Verständnis der Beklagten in Bezug auf das Merkmal,Kopfhalterungsanordnung“.Denn dieses wird, anders als die Beklagte meint, von Anspruch 1 des Verfügungspatents nicht gelehrt. Das Abdeckelement muss lediglich eingerichtet sein, eine irgendwie geartete Kopfhalterungsanordnu·gn zu befestigen. Die Kopfhalterungsanordnung selbst wird hingegen nicht gelehrt.
c) Auch in Bezug auf das Merkmal 3.1, wonach der Rahmen einen Kragen aufweist, der eine Öffnung umgibt, die eingerichtet ist, mit einem Winkelstück in Verbindung zu stehen, folgt die· Kammer der Auslegung der Beklagten nicht.
In der englischen Orginalfassung lautet dieses Merkmal „wherein the frarne includes a collar surrounding an opening adapted to communicate with an elbow“. Grammatikalisch muss damit allein die Öffnung mit dem Winkelstück in Verbindung stehen. Auch folgt aus „Verbindung“ – anders als die Beklag te meint – nicht, dass kein Element zwischengeschaltet sein und damit kein Abstand bestehen darf. Maßgeblich ist allein, dass das Winkelstück, durch das die Luft geleitet wird, mit der Öffnung in Verbindung steht im Sinne von kommuniziert, sodass die Luft weiter zum Patienten geleitet werden kann. Hierbei kommt es nicht darauf an, wie genau diese Verbindung gestaltet ist und ob ein Abstand zwischen der Öffnung und dem Winkelstück besteht. Entscheidend ist allein, dass diese beiden Elemente so in Verbindung stehen, dass die Luftzufuhr und die Aufrerchterhaltung des Überdrucks funktionieren.
d) Was die vom Verfügungspatent gelehrte positive Verbindun.g zwischen dem Abdeckelemetnund dem Rahmen gemäß Merkmal 3.2 angeht, entnimmt der Fachmann dessen Bedeutung dem Abs. [0013]: “The term „positive connection“ will be taken to include· connections between components of the illustrated embodiments wherein connectors mounted on respective components are adapted to engage each other ( respecüvely.“ Soweit sich die Beklagte darüber hinaus für das Verständnis dieses Merkmals auf Figuren des Verfügungspatents bezieht, zeigen diese lediglich Ausführungsbeispiele, die zeigen, wie eine positive Verbindung im Sinne des Verfügungspatents ausgestaltet sein kann. Es liegt für den Fachmann ohnehin nicht nahe, dass er, wenn das Verfügungspatent eine ausdrückliche Definition eines Begriffs enthält, sich für das Verständnis stattdessen auf Beispiele des Patents stützt.
e) Weiter bestimmt Merkmal 3.3, dass der Haltemechanismus einen oder mehrere Schnappfinger aufweist, die strukturiert sind, den Kragen mit einer Schnappverbindung in Eingriff zu nehmen.
Dieses Merkmal ist funktional so zu verstehen, dass ein oder mehrere Schnappfinger vorgesehen sind, die strukturiert sind, den Kragen mit einer Schnappverbindung in Eingriff zu nehmen. Die Schnappfinger stellen demnach ein funktionales Mittel dar, um eine Schnappverbindung zu realisieren. Gemäß dem allgemeinen Verständnis des Fachmanns wird eine Schnappverbindung durch Funktionselemente zum lösbaren oder auch zum unlösbaren, einfachen formschlüssigen Fügen von Bauteilen dargestellt. Bei einer Schnappverbindung verformt sich ein Flügelteil elastisch und verhakt anschließend lösbar oder unlösbar mit einem Gegenstück. Bei der hergestellten Verbindung liegt also ein Formschluss vor, wobei für die Verbindung die Elastizität der eingesetzten Werkstoffe zumindest eines der Verbindungsteile genutzt wird.
Kennzeichnend für eine Schnappverbindung ist das elastische Verformen und elastische Zurückkehren in die Ursprungsposition/-geometrie eines Elements der Schnappverbindung, hier des Schnappfingers. Wie genau dabei der Formschluss – also das Ineinandergreifen oder das Hintereinandergreifen von beispielsweise Vorsprüngen und/oder Vertiefungen – erreicht wird, ist dabei grundsätzlich offen.
Die Schnappverbindung muss beim Eingehen ein haptisches Feedback geben. Weder dem Anspruch, noch der Beschreibung ist zu entnehmen, dass diese Verbindung besonders fest sein muss, bzw. dass sie kein Spiel hat und nicht die Möglichkeit besteht, das eine Element gegen das andere Element ein wenig hin und her zu bewegen. Insbesondere lässt sich dies auch nicht dem Merkmal „positive connection“ entnehmen. Die Funktion der Verbindung erschöpft sich gemäß Abs. (117] vielmehr darin, dass eine „initial retention“ unabhängig vom „elbow“ bereitgestellt wird. Erst die Verbindung des Ganzen mit dem „elbow“ verleiht dann aber der Vorrichtung insgesamt Stabilität (Abs. (117] vorletzter Satz).
Ein solches fachmännisches Verständnis einer Schnappverbindung mittels Schnappfingern steht im Einklang mit der beanspruchten technischen Lehre des Verfügungspatents. In den Absätzen (0116] und [0117] des Verfügungspatents ist diese Schnappverbindung zwischen Rahmen und Abdeckelement anhand eines Ausführungsbeispiels wie folgt beschrieben:,,Zum Beispiel kann die Öffnung des Abdeckelements, wie in Fig.: 14, 15, 17 und 21 gezeigt, eine Struktur umfassen, die angepasst ist, um mit dem die Öffnung des Rahmens umfassenden Kragen mittels eirier Schnappverbindung in Eingriff zu treten. Wie dargestellt, umfasst das Abdeckelement Schnappfinger (z.B. drei Schnappfinger) und Sandwich-Tabs (z.B. drei Sandwich-Tabs,) die sich von der Öffnung erstrecken. Die Schnappfinger und Sandwich-Tabs sind einander abwechselnd um die Öffnung herum angeordnet“. (Abs. (0116]).,,In Benutzung werden die Schnappfinger elastisch weggelenkt (z.B. Weglenkung von 0,5 mm) und treten mit entsprechenden, am Kragen vorgesehenen, kreisse entartigen Vorsprüngen (siehe etwa Fig. 22 und 23) in Eingriff, um eine anfängliche Rückhaltekraft des Abdeckelements am Rahmen bereitzustellen (z.B. mit zulässigenSpannungen), um zum Beispiel den Zusammenbau und die Zerlegung zu vereinfachen.“ (Hervorhebung diesseits)” (Abs. (0117]). Diese in den Absätzen (0116] und (0117] beschriebene technische Lehre entspricht dem oben beschriebenen Verständnis des Fachmanns.
Ein Schnappfinger im Sinne des Verfügungspatents muss aufgebaut sein, “elastisch weggelenkt“ werden zu können, um das Abdeckelement mittels einer Schnappverbindung (d.h. durch formschlüssiges Fügen) mit dem Rahmen in Eingriff zu bringen.
Weitere strukturelle Anforderungen ergeben sich aus Anspruch 1 nicht. Insbesondere bestimmt Anspruch 1 nicht, dass es sich nur dann um einen anspruchsgemäßen ( Schnappfinger handel t, wenn er bestimmt’? Vorsprünge (“protrusions„1149(1)) aufweist, die mit bestimmten Aussparungen (“re cessess“ 1149(2)) in Eingriff treten können. Zwar mag eine Ausführungsform, wie in Absatz (0117] dargestellt, eine derartige technische Lösungbeschreiben. Dies erfolgt jedoch lediglich beispielhaft.
Anspruch 1 lässt offen, ob bzw. wo entsprechende Vorsprünge und/oder Aussparungen angeordnet sind. Di_es ergibt sich bereits aus der Systematik der Ansprüche selbst.’ Erst Unteranspruch 12 sieht nämlich weitere Beschränkungen hinsichtlich der Verortung von Vorsprüngen bzw. Aussparungen vor, indem er Maskensysteme nach einem der vorangegangenen Ansprüche beansprucht,,,wobei der Kragen (x49) einen oder mehrere Vorsprünge aufweist, die eingerichtet sind, mit jeweiligen Schnappfingern (x 45) in Eingriff zu treten, die am Abdeckelement (x20) vorgesehen sind.“. Anspruch 1 umfasst folglich sowohl diese technische Lösung als auch Lösungen, bei denen beispie lsweise der Kragen eine Aussparung aufweist, die mit den jeweiligen Schnappfingern in Eingriff tritt.
Dabei ist das Merkmal „in Eingriff nehmen“ im Verfügungspatent nicht ausdrücklich definiert. Der Begriff ist aus der Sicht des Fachmanns zu verstehen. Für ihn ist es – anders als die Beklagte meint – nicht maßgeblich, ob ein Eingreifen von außen oder von innen stattfindet. Maßgeblich ist vielmehr die technische Funktion. Auch der maßgebliche englische Begriff „to engage“ stützt nicht die Auffassung der Verfügungsbeklagte.n Denn im technischen Sinne hei_ßt,,to engage“,,eingreifen“ oder „ineinandergreifen“. Auch die Wortbedeutung „ineinandergreifen“ lässt den von der Beklagten gezogenen Schluss nicht zu, dass der Kragen des Rahmens kleiner sein müsse als die Öffnung des Abdeckelements.
Hätte das Verfügungspatent tatsächlich allein diese enge technische Lehre beanspruchen wollen, so hätte Merkmal 3.3 auch ausdrücklich dementsprechend einschränkend formuliert werden müssen (z.B. durch Verwendung des Begriffs „von außen“ oder „umfassen“).Dies ist indes nicht der Fall. Der von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierte Abs. [0117] beschreibt lediglich eine Ausführungsform.
In jedem Fall beschreibt Anspruch 12 gerade die auch . in den Figuren gezeigte bevorzugte Ausführungsform, bei der der Kragen des Rahmens Vorsprünge 1149(1) aufweist (vgl. bspw. Fig. 11). Damit wird unterstrichen, dass diese in den Figuren dargestellte Ausführungsform lediglich bevorzugt ist und nicht als zwingende Einschränkung des Wortlauts des Anspruchs 1 verstanden werden darf.
II. Von dieser technischen Lehre machen die angegriffenen Ausführungsformen Gebrauch, so dass der Verfügungsanspruch aus §§ 139 Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ folgt. Der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen durch die Beklagte verletzt den deutschen Teil des Verfügungspatents gemäß §§ 9 Satz 2 Nr. 1, 139 Abs. 1, Abs: 2 PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 1 unmittelbar wortsinngemäß. Insbesondere sind die von der Beklagten als nicht erfüllt angesehenen Merkmale 3., 3.1, 3.2 und 3.3 verwirklicht.
1. So handelt es sich bei dem transparenten Element der angegriffenen Ausführungsformen um ein Abdeckelement im Sinne von Merkmal 3. Wie gezeigt, kommt es bei zutreffendem Verständnis dieses Merkmals nicht darauf an, dass durch dieses Element die dahinterliegenden Bauteile nicht mehr zu sehen sind.
2. Auch der Umstand, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen der obere Kopfhalterungsriemen über die Stirn des Patienten geführt wird, führt nicht aus der Verletzung heraus. Denn wie dargelegt wird die Kopfhalterungsanrodnung vom Anspruch nicht gelehrt, das Abdeckelement muss gemäß Merkmal 3 lediglich eingerichtet sein, eine irgendwiegeartete Kopfhalterungsanordnung zu befestigen. Dies ist bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall.
3. Auch weist der Rahmen der angegriffenen Ausführungsformen im Sinne des Patentanspruchs.1 einen Kragen auf, der eine Öffnung umgibt, die eingerichtet ist, mit einem Winkelstück in Verbindung zu stehen (Merkmal 3.1). Denn dieses Merkmal setzt nach dem grammatikalisch richtigen Verständnis insbesondere der maßgeblichen englischen Fassung der Verfügungspatentschrift voraus, dass allein die Öffnung mit dem Winkelstück in Verbindung steht. Soweit bei den angegriffenen Ausführungsformen das Winkelstück nicht mit dem Rahmen in Verbindung steht, steht dies also nicht der Verwirklichung des Merkmals entgegen.
4. Auch fehlt es bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht, wie die Beklagte meint, an einer positiven Verbindung wischen dem vermeintlichen Abdeckelement und dem Rahmen (Merkmal 3.2). Ihre diesbezügliche Argumentation kann mit Blick auf das richtige Verständnis des Merkmals „positive Verbindung“ nicht überzeugen. Denn letztlich stützt sie sich darauf, dass die angegriffenen Ausführungsformen nicht die in den Figuren 1-88 und 10-23 für die positive Verbindung gezeigten oberen beziehungsweise oberen und unteren Haltemechanismen aufwiesen, dass die angegriffenen Ausführungsformen nämlich keinen Haltemechanismus aufwiesen, weil das Winkelstück das transparente Element nicht auf den Rahmen einpferche.
Hierauf kommt es jedoch nicht an. Die positive Verbindung im Sinne der Definition gemäß Abs. [0013] ist vielmehr so zu verstehen, dass Verbindungen zwischen Bestandteilen der abgebildeten Ausführungsformen erfasst werden, wobei die auf den entsprechenden Bauteilen angebrachten Verbindungsteile dazu eingerichtet sind miteinander in Eingriff zu treten. Eine solche Verbindung liegt bei den angegriffenen Ausführungsformen aber vor. Denn das Abdeckelement und der Rahmen können so miteinander verbunden werden, dass beim Verbinden die obere Öffnung des Abdeckelements die Lüftungsanordnung des Rahmens aufnimmt und die untere Öffnung des Abdeckelements, in der sich das Winkelstück befindet, eine Verbindung mit dem Rahmen herstellt.
5. Darüber hinaus verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen auch Merkmal 3.3, wonach der Haltemechanismus einen oder mehrere Schnappfinger aufweist, die strukturiert sind, den Kragen mit einer Schnappverbindung in Eingriff zu nehmen. Die Beklagte stellt die Verwirklichung dieses Merkmals im Wesentlichen mit Blick auf das „in Eingriff nehmen“ i·n Abrede. Dabei folgt die Kammer ihrer Meinung nicht, es sei gefordert, dass der Haltemechanismus den Kragen des Rahmens in Eingriff nehme, dass die Öffnung des Abdeckelements den Kragen des Rahmens umschließe, der ( Kragen des Rahmens also kleiner sei als die Öffnung des Abdeckelements, damit die Öffnung des Abdeckelements ihn in Eingriff nehmen könne. Selbst wenn der Kragen des Rahmens b i den angegriffenen Ausführungsformen kleiner ist als die Öffnung des Abdeckelements, führt dies daher nicht aus der Verletzung heraus.
III. Die einstweilige Verfügung war jedoch mangels Verfügungsgrund, §§ 935, 940 ZPO, aufzuheben. Denn die Kammer hat durchgreifende Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents, qas mit Einspruch vom 30.08.2016 vor dem Europäischen Patentamt angegriffen wurde. Die Kammer geht davon aus, dass das Streitpatent wegen unzulässiger Erweiterung und/oder wegen mangelnder Neuheit gegenüber den Entgegenhaltungen D1 vorgelegt mit Anlage AG 1) und D2 , ebenfalls vorgelegt mit Anlage AG 1) gelöscht werden wird.
1. Das Streitpatent ist gemäß Art. 100 ·(c) EPÜ unzulässig erweitert gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen (N2a), wobei die Beschreibung der ursprünglich eingereichten Unterlagen identisch ist mit der Beschreibung des Streitpatents. So wurde aus dem erteilten Anspruch 1 das in den angemeldeten Ansprüchen 36, 37 und 41 ursprungsoffenbarte Merkmal „an elbow provided to the frame and adapted to be connected to an air delivery tube that delivers breathable gas to the patient“ gestrichen. Denn das Winkelstück (elbow) ist nach dem erteilten Anspruch 1 nicht mehr zwingender Bestandteil der geschützen Vorrichtung.
Die Klägerin trägt dazu vor, das Streiche·n eines Merkmals aus einem Anspruch sei zulässig, sofern den Erfordernisse des „is it essential“ Tests wie vorliegend genügt sei.
Dem folgt die Kammer nicht. Zum einen dürfte das EPA d_en .,is it essential“ Tests nicht mehr· anwenden, weil ·gemäß der Stellungnahme G 2/98 der Großen Beschwerdekammer nicht mehr zwischen wesentlichen und unwesentlichen Merkmalen zu unterscheiden ist (Blumer in: Singer/ Staude, EPÜ, 6. Auflage, Rz. 72 Art. 123). Zum anderen gehen die Beschreibungen des Streitpatents und der ursprünglich eingereichten Unterlagen beide davon.aus, dass der „elbow provided to the frame“ (Abs. [0015], [0019], [0036], [0117]) ist. Daher enthalten die ursprünglich eingereichten Unterlagen spezielle Ausführungen dazu, dass das Winkelstück am Rahmen befestigt sein muss. Ferner wird in der Anmeldung wie im Streitpatent ein spezielles Zusammenspiel von Schnappfinger Winkelstück und Rahmen beschrieben (Abs. [0019], [0092], [0117]). Daher ist das Winkelstück des angemeldeten Anspruchs 36 wesentlich im Sinne des „is it essentia„l Tests.
2. Außerdem ist das Streitpatent nicht neu gemäß Art. 54, 100 (a) EPÜ gegenüber den Entgegenhaltungen D1 und D2 .
a) Zur Entgegenhaltung D1 meint die Klägerin, diese offenbare nicht Merkmal 3.3 (der Haltemechanismus weist einen oder mehrere Schnappfinger auf, die strukturiert sind, den Kragen mit einer Schnappverbindung in Eingriff zu nehmen). Weder Halteklammer (20) noch das Maskengehäuse (12) der D1 wiesen Schnappfinger auf:
75
FIG. 16 (Figur 16 der Entgegenhaltung 01)
l
FIG. 18 (Fig 18 der Entgegenha ltung D1)
Dem folgt die Kammer nicht. Vielmehr handelt es sich bei den Bauteilen mit den Bezugsziffern 74 und 75 gemäß Figuren 16 und 18 der Entgegenhaltung D1 um Schnappfinger im Sinne des Merkmals 3.3.
Nach dem oben gefundenen richtigen Verständnis des Merkmals „Schnappfinger“ sind diese als ein funktionales Mittel anzusehen, um eine Schnappverbindung zu realisieren. Gemäß dem allgemeinen Verständnis des Fachmanns wird eine Schnappverbindung · durch Funktionselemente zum lösbaren oder auch zum unlösbaren, einfachen formschlüssigen Fügen von Bauteilen dargestellt. Bei einer Schnappverbindung verformt sich ein Flügelteil elastisch und verhakt anschließend lösbar oder unlösbar mit einem Gegenstück. Bei der hergestellten Verbindung liegt also ein Formschluss vor, wobei für die Verbindung die Elastizität der eingesetzten Werkstoffe zumindest eines der Verbindungsteile genutzt wird.
Das ist bei den Bauteilen mit den Bezugsziffern 74 und 75 gemäß Figuren 16 und 18 der Entgegenhaltung D1 der Fall. Denn in Abs. (0042] der· 01 heißt es „The wall 74 is complementary in shape to and for receiving portions of the shell hollow cylir,drical wall 38 in a wedged or friction engagement with the radial ridge being received in the radial recess 73A.“: Weiter heißt es in Abs. (0044] “… is forced downwardly, with manual force applied by th_e person to wear the mask, to force the generally semi-circular wall 74 of the head; trap retention bracket 20 into wedged or interference friction engagement… ” l Durch die vorgelegten Kopien aus „Malloy“ (Anlage 05) aus dem Jahre 1994 hat die Beklagte belegt, dass das· in 01 gezeigte „wedge/ friction engagemen„t [0 1: 42] bzw.die „wedge/interference friction“ [D1: 44] dem patentgemäßen „snap fit“ entspricht und dass die z.B. in Figur 16 gezeigten Bauteile mit den Bezugszeichen 74 und 72 die snap finger sind. In „Malloy“ wird z.B. auf Seite 341 die Bezeichnung „interference fit“ als Synonym für „snap fit“ verwendet (,,snap or interference fit assembly“). Die yon der Klägerin vorgelegten tagesaktuellen und deutschsprachigen Auszüge aus Wikipedia (Anlage VP 18) haben die Kammer vor diesem Hintergrund hingegen nicht überzeugt.
b) Weiter nimmt auch die Entgegenhaltung D2 Anspruch 1 des Streitpatents neuheitsschädlich vorweg.
Die Klägerin wendet gegen diese Entgegenhaltung nur ein, dass sie Merkmal 3.3 (der Haltemechanismus weist einen oder mehrere Schnappfinger auf, die strukturiert sind, den Kragen mit einer Schnappverbindung in Eingriff zu nehmen) nicht zeige.
Dies trifft nach Einschätzung der Kammer ebenfalls nicht zu. In die Vertiefung (280) in Figur 10a der D2
(FIG. 10A
wird mit den Nuten (213, 215) eingegriffen, so dass es zu einem „interference fit“ kommt. So heißt es in Abs. [0044] der D2:
„Two tabs 211, 211′ included on the inlet 208 mate with two slots 213, 215 formedni the retainer 212 in a particular angular orientation. [… ] [A] depressed annular region 280 on the inlet 208 mates with the edges of an aperture passing through the retainer 212. The retainer aperture and the inlet 208 are generally sized in an interference fit so that the retainer 212 is properly retained by the cooperation of the tabs 211, 211′, the slots 213, 215, and the depressed annular region 280 when fully seated against the shell 204. The depressed annular region 280 does not completely encircle the inlet 208, thus forming the two tabs 211, 211′. The retainer 212 can be constructed from, for example, but without limitation, a polycarbonate material.’
Nach dem oben gefundenen zutreffenden Verständnis von „Schnappfinger“ und „Schnappverbindung“ handelt es sich bei den Nuten (213, 215) um Schnappfinger, die mit der Vertiefung (280) eine Schnappverbindung eingehen. Auf die obigen (Ausführungen zu „Malloy“ wird Bezug genommen.
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf§§ 3 GKG, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 2, 3 ZPO.
Verkündet am 17.11.2016