Europarecht

Aussetzung eines Rechtsstreits wegen Benutzungsgebühren für eine Asylbewerberunterkunft bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Normenkontrollantrag

Aktenzeichen  Au 6 K 17.1778, Au 6 K 17.1779, Au 6 K 17.1780, Au 6 K 17.1781, Au 6 K 17.1782, Au 6 K 17.1783, Au 6 K 17.1784, Au 6 K 17.1785, Au 6 K 17.1786, Au 6 K 17.1787, Au 6 K 17.1788, Au 6 K 17.1789

Datum:
8.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 348
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 94
DVAsyl 2016 § 23, § 24

 

Leitsatz

Eine Aussetzung des Rechtsstreits setzt grundsätzlich voraus, dass die in einem anderen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ausstehende Entscheidung vorgreiflich ist, also ein Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung im anhängigen Verfahren abhängt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Verfahren werden bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über den Normenkontrollantrag zu §§ 23, 24 DVAsyl n.F. (Az.: 21 N 17. 1822) ausgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme einer Gemeinschaftsunterkunft im Zeitraum Oktober 2016 bis September 2017 von je 278,00 Euro, soweit sie je 134,68 Euro übersteigt.
Der Kläger hat eine Aussetzung des Verfahrens durch das Gericht angeregt. Der Beklagte tritt der Aussetzung entgegen. Er ist der Auffassung, eine Aussetzung sei entbehrlich, denn § 23 und § 24 der Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12a des Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) vom 16. August 2016 (GVBl. S. 258; BayRS 26-5-1-A/I; im Folgenden: DVAsyl 2016) seien rechtmäßig, da die Normen sowohl dem Kostendeckungsprinzip als auch dem Vorteilsausgleich gerecht würden. Eine Überdeckung durch die Gebühreneinnahmen sei nicht ersichtlich; darüber hinaus orientiere sich die Verordnung an den Leistungen nach dem SGB II und SGB XII und führe dementsprechend zu einem Gleichlauf der Sozialsysteme.
II.
Das Verfahren wird in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO ausgesetzt.
1. Gemäß § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Demnach setzt § 94 VwGO grundsätzlich voraus, dass die in einem anderen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ausstehende Entscheidung vorgreiflich ist, also ein Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung im anhängigen Verfahren abhängt. Der Zweck der Vorschrift ist es, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, durch Abwarten des Ergebnisses der Entscheidung des in einer Angelegenheit primär zuständigen Gerichts bzw. der Behörde die Gefahr widersprechender Entscheidungen und damit auch Wiederaufnahmen zu vermeiden (vgl. dazu BayVGH, B.v. 20.10.2003 – 24 C 03.1836 – juris Rn. 12).
2. Vorgreiflich ist zwar kein Rechtsverhältnis i.S.d. § 94 VwGO, jedoch ist am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein Normenkontrollverfahren rechtshängig zur Gültigkeit der § 23 und § 24 DVAsyl 2016, auf das § 94 VwGO entsprechend anzuwenden ist (BVerwG, B.v. 8.12.2000 – 4 B 75/00 – NVwZ 2001, 483).
3. Im vorliegenden Fall ist die Gültigkeit der der § 23 und § 24 DVAsyl 2016 entscheidungserheblich, kann aber vom Verwaltungsgericht nur inzident inter partes, aber nicht allgemeinverbindlich wie in einem Normenkontrollverfahren geklärt werden. Die vorherige Regelung, die Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) vom 4. Juni 2002 (GVBl. S. 218; BayRS 26-5-1-A; im Folgenden: DVAsyl 2002), ist mit Ablauf des 31. August 2016 außer Kraft getreten (§ 30 DVAsyl 2016). Zudem legten §§ 22, 23 DVAsyl 2002 eine deutlich niedrigere Gebührenhöhe fest. Mithin stellen §§ 23, 24 DVAsyl die Rechtsgrundlage für die hier streitgegenständlichen Zeiträume der Gebührenfestsetzung dar.
4. Die Aussetzung des Verfahrens steht im Ermessen des Gerichts („kann“) und ist im Umkehrschluss zum Ruhen des Verfahrens nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 Satz 1 ZPO auch ohne Zustimmung oder Antrag der Beteiligten möglich. Im vorliegenden Fall ist es aus Gründen der Prozessökonomie, der Rechtseinheit und der Rechtssicherheit sachgerecht, das Verfahren mit Blick auf das Normenkontrollverfahren auszusetzen. Hierdurch wird eine einheitliche Anwendung der DVAsyl 2016 im gesamten Freistaat gefördert und ggf. widersprüchliche Rechtsprechung zur Gültigkeit der Norm vermieden. Dem Beklagten bleibt es unbenommen, die Gebührenbescheide mangels aufschiebender Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) zu vollstrecken und damit schon vor Beendigung des Normenkontrollverfahrens eine gleichmäßige Gebührenerhebung vorläufig bis zur Entscheidung im hiesigen Klageverfahren sicherzustellen, wie dies der gesetzlichen Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 6 VwGO entspricht.

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