Europarecht

Berufung, Fahrzeug, Rechtsmittel, PKW, Herausgabe, Berufungsverfahren, Haftung, Beweisaufnahme, Schriftsatz, Darlegungslast, Zinsen, Stellungnahme, Feststellung, Sicherung, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg

Aktenzeichen  21 U 2877/20

Datum:
30.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51829
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

31 O 1476/18 2020-04-17 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.04.2020, Aktenzeichen 31 O 1476/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 38.715,63 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen einer angeblichen Manipulation eines Audi Q 5 geltend, in dem ein Motor des Typs EA 288 Euro 6 Norm verbaut ist. Ein Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt ist für diesen Fahrzeugstyp nicht erfolgt. Das Fahrzeug verfügt jedoch über ein sog. Thermofenster.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.04.2020 sowie Ziffer I. des Hinweisbeschlusses des Senats, Bl. 369 ff. d.A., Bezug genommen.
Das Landgericht Ingolstadt hat mit Urteil vom 17.04.2020, berichtigt durch Beschluss vom 25.05.2020, Az. 31 O 1476/18, die Klage abgewiesen. Es sah mangels Vorliegens eines subjektiv vorsätzlich sittenwidrigen Handelns der Beklagten keinen Anspruch des Klägers wegen des unstreitig im Fahrzeug vorhandenen Thermofensters und lehnte eine Beweisaufnahme mangels konkreten Vortrags des Klägers zu der weiteren behaupteten Abschalteinrichtung ab. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche vollumfänglich weiter verfolgt. Er ist insbesondere der Auffassung, dass das Landgericht zu Unrecht eine Beweisaufnahme abgelehnt habe. Der bisherige Vortrag des Klägers reiche aus, um ein Sachverständigengutachten zu erholen und die angebotenen Zeugen zu hören. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung des Klägers, Schriftsatz vom 17.08.2020, Bl. 292 ff. d.A., Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger:
unter Abänderung des am 17.04.2020 verkündeten Urteils:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 38.715,63 nebst Zinsen aus Euro 35.041,39 in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 21.07.2018 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typ Audi Q 5 FIN: …771.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie ist der Meinung, dass die klägerischen Behauptungen aufs Geratewohl erfolgt seien. Eine Beweisaufnahme sei deshalb nicht veranlasst. Bei dem in dem Fahrzeug vorhandenen Thermofenster handle es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, vgl. Berufungserwiderung, Schriftsatz vom 14.10.2020, Bl. 351 ff. d.A.
Der Senat hat mit Beschluss vom 30.10.2020, Bl. 369 ff. d.A., darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen und hat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Klagepartei hat davon mit Schriftsatz vom 15.12.2020, Bl. 380 ff. d.A., Gebrauch gemacht. Sie hat erneut dargelegt, warum ihrer Meinung nach, die Darstellung der Abschalteinrichtungen in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug substantiiert sei und hat Bezug genommen auf den Beschluss des BGH, Az. VIII ZR 57/19 sowie Entscheidungen des OLG Köln und des OLG Celle. Im Einzelnen wird auf die Ausführungen im genannten Schriftsatz Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.04.2020, Aktenzeichen 31 O 1476/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen, an dem der Senat auch im Hinblick auf die Ausführungen der Klagepartei im Schriftsatz vom 15.12.2020 festhält. Richterin am Oberlandesgericht Dr. H. tritt dem Hinweisbeschluss vollumfänglich bei.
1. Der Senat bleibt dabei, dass die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, eine kaufvertragliche Fallgestaltung betreffen und sich die Voraussetzungen für eine deliktische und eine kaufrechtliche Haftung deutlich unterscheiden. Zudem verlangt der Bundesgerichtshof auch dort „greifbare Anhaltspunkte“ als Voraussetzung für die Durchführung einer Beweisaufnahme, die der Senat vorliegend nicht sieht.
2. Entgegen dem Vortrag auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 15.12.2020 hat die Klagepartei weder vorgetragen noch belegt, dass der streitgegenständliche Motor EA 288 im streitgegenständlichen Fahrzeug von einem offiziellen Rückruf durch das KBA betroffen ist. Auf Seite 10 der Berufungsbegründung wurde vielmehr ausgeführt, dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs kein offizieller Rückruf durch das KBA erfolgt ist, sich hieraus aber nicht der Schluss ziehen lasse, dass das Fahrzeug nicht von einer illegalen Abschalteinrichtung betroffen ist. Dass es in Bezug auf Motoren des Entwicklungsauftrages EA 288 weder einen Verdacht noch einen Hinweis auf eine als unzulässig einzustufende Abschalteinrichtung gibt, bestätigte das KBA mit der von der Beklagten vorgelegten Anlage B 9. Weshalb diese amtliche Auskunft „schlichtweg nichtssagend“ sein soll, erschließt sich dem Senat nicht.
3. Was die von der Klagepartei in Bezug genommenen Messungen der DUH betreffen, so hat der Senat bereits darauf hingewiesen, dass die Messungen nicht das streitgegenständliche Fahrzeug betreffen. Aus den Rückrufen des Kraftfahrtbundesamtes zu anderen Fahrzeugmodellen ist aber ersichtlich, dass es stets auf die individuellen und fahrzeugbezogenen Umstände ankommt.
4. Es ist zutreffend, dass aus dem Nichtvorliegen eines Rückrufbescheids des KBA nicht der Schluss zu ziehen ist, dass ein Fahrzeug dann über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Weiter ist auch das Vorliegen eines offiziellen Rückrufs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung keine zwingende Voraussetzung für die schlüssige Behauptung einer Klagepartei, dass ihr Fahrzeug ebenfalls „vom Abgasskandal“ betroffen ist. Fehlt es aber an einem solchen Rückruf, sind – wie im Hinweisbeschluss ausgeführt – substantiiert greifbare Anhaltspunkte vorzutragen, weshalb auch vorliegend das Fahrzeug von der Beklagten gezielt mit einer manipulativen Technik zur Vortäuschung günstigerer Abgaswerte im Prüfzyklus ausgestattet worden sein soll. Solche greifbaren Anhaltspunkte werden hier von der Klagepartei nicht vorgetragen, so dass die Einvernahme von Zeugen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens einer Ausforschung gleich käme.
Ob der Vortrag der Klagepartei „ins Blaue“ hinein erfolgt oder doch so substantiiert ist, dass darüber Beweis zu erheben ist, ist stets im konkreten Einzelfall zu beurteilen, weshalb die allgemeinen Verweise der Klagepartei auf das OLG Köln oder das OLG Celle nicht zielführend sind.
5. Auch die Bezugnahme der Klagepartei auf Seite 2 der Replik, Bl. 71 d.A., verfängt nicht. Der Senat hat dazu bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, dass die mit Anlage K 20 vorgelegten Schreiben des KBA nicht den hier streitgegenständlichen 2.0 l Motor, sondern 3.0 l Dieselmotoren betreffen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass in den dortigen Fahrzeugen ein EA 288 Motor zum Einsatz gekommen ist.
6. Der Senat hat weiter bereits im Hinweisbeschluss dargelegt, dass auch unter dem Gesichtspunkt der sekundären Darlegungslast das Vorbringen der Klagepartei nicht als zugestanden betrachtet werden kann. Die Beklagte hat sich hinreichend zum Vorbringen der Klagepartei geäußert und die Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht nur in Abrede gestellt, sondern auch konkret dargelegt, dass eine der Umschaltlogik beim Motor EA 189 entsprechende Softwarekonfiguration beim streitgegenständlichen Fahrzeug nicht eingesetzt wird, vgl. Seite 5 unten des Hinweisbeschlusses. Der Verweis der Klagepartei auf die Entscheidung des BGH im Verfahren VI ZR 252/19 führt insoweit nicht weiter, weil es dort um die Fallgestaltung des Motors EA 189 ging, bei dem ein Rückruf des KBA erfolgt ist und genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung vorgetragen worden waren. Mit vorliegender Fallgestaltung ist dies nicht vergleichbar.
7. Die Entscheidung des Landgerichts zu dem im Fahrzeug unstreitig vorhandenen Thermofensters begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar ist seit kurzem bekannt, dass der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-693/18 (vgl. Medienbericht SZ vom 17.12.2020) Abschalteinrichtungen grundsätzlich für unzulässig hält und Ausnahmen nur sehr begrenzt als möglich ansieht. Solche Ausnahmen lägen – wie von der Generalanwältin S. beantragt – nur dann vor, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beeinträchtigungen oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Dies umfasse aber nur den Schutz des Motors vor unmittelbaren und plötzlichen Schäden und nicht vor langfristigen Auswirkungen wie Wertverlust oder Abnutzung. Diese Aussagen betreffen aber nur das europarechtliche Verständnis der Verordnung, die nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs kein Schutzgesetz darstellt. Davon zu unterscheiden ist die national zu beurteilende Haftung der Beklagten nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 826 BGB. Diesbezüglich bleibt es dabei, dass angesichts der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift und der bekannten allgemeinen Billigung von Thermofenstern durch das Bundesverkehrsministerium eine möglicherweise falsche, aber dennoch damals vertretbare Gesetzesauslegung- und anwendung durch Organe der Beklagten im Zeitpunkt der Markteinführung des Produkts in Betracht gezogen werden muss und es deshalb an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz sowie an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wie auch der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände fehlt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

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