Aktenzeichen 8 C 51/09
Art 12 Abs 1 GG
Art 19 Abs 4 GG
Art 20 Abs 3 GG
Art 70 Abs 1 GG
Art 74 Abs 1 Nr 11 GG
Art 103 Abs 2 GG
Art 125a Abs 1 GG
§ 6 Abs 2 LadSchlG
§ 2 Abs 2 LÖG RP
§ 6 S 2 LÖG RP
§ 14 Abs 2 S 1 LÖG RP
§ 15 Abs 1 Nr 2 Buchst c LÖG RP
§ 68 Abs 1 S 1 VwGO
§ 79 Abs 1 Nr 1 VwGO
§ 28 Abs 1 VwVfG
Leitsatz
Erlaubt eine landesgesetzliche Regelung der Ladenöffnungszeiten Tankstellen nachts die Abgabe von Genussmitteln in “kleineren Mengen” als Reisebedarf, ist es mit Art. 12 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, den Verkauf alkoholischer Getränke mengenmäßig zu beschränken und den zulässigen Kundenkreis auf Kraftfahrer und deren Mitfahrer zu begrenzen.
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 19. März 2009, Az: 6 A 11325/08, Urteilvorgehend VG Neustadt (Weinstraße), 13. November 2008, Az: 4 K 816/08, Urteil
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen einen inhaltsgleich an sämtliche Tankstellenbetreiber im Stadtgebiet gerichteten Bescheid der Beklagten, mit dem ihm Verkaufsbeschränkungen für die Abgabe alkoholischer Getränke an der von ihm betriebenen Tankstelle aufgegeben worden sind.
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Mit Verfügung vom 12. November 2007 untersagte die Beklagte dem Kläger ohne vorherige Anhörung den Verkauf alkoholischer Getränke in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (Nr. 1 des Verfügungstenors) und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld an. Zur Begründung führte sie aus, die Tankstellen im Stadtgebiet würden an allen Tagen nach 22.00 Uhr alkoholische Getränke verkaufen. Dies geschehe größtenteils nicht im Zusammenhang mit der Betankung eines Fahrzeugs. Vielmehr suchten Kunden die Tankstellen allein zum Zweck des Erwerbs alkoholischer Getränke auf. Der Alkoholverkauf an Tankstellen nach 22.00 Uhr an Jedermann verstoße gegen Bestimmungen des Ladenöffnungsgesetzes Rheinland-Pfalz (LadöffnG). Gemäß § 6 i.V.m. § 2 Abs. 2 LadöffnG dürfe an Tankstellen in dem genannten Zeitraum neben Betriebsstoffen und Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge nur Reisebedarf abgegeben werden. Nach dem Regelungszweck könne es sich dabei nur um Waren handeln, an denen ein Reisender Bedarf habe.
3
Nachdem der Kläger dagegen Widerspruch erhoben hatte, änderte die Beklagte die Verfügung dahin ab, dass sie Ausnahmen vom Verkaufsverbot vorsah (Nr. 1 Satz 2 des Tenors). Zulässig blieb danach in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr der Verkauf von
– alkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt bis zu 8 Volumenprozent in einer Menge bis zu 2 Liter pro Person oder
– alkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt von über 8 bis 14 Volumenprozent in einer Menge bis zu 1 Liter pro Person oder
– alkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt von über 14 Volumenprozent in einer Menge bis zu 0,1 Liter pro Person
als Reisebedarf an Reisende.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2008 wies der Stadtrechtsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. November 2008 abgewiesen.
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Auf die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Klägers modifizierte die Beklagte mit Schriftsatz vom 17. März 2009 den Bescheidtenor in Nr. 1 Satz 2 dahingehend, dass sie den Begriff der Reisenden als “Kraftfahrer/innen und deren Mitfahrer/innen” (im Folgenden: Kraftfahrer und deren Mitfahrer) konkretisierte. Mit Urteil vom 19. März 2009 hat das Oberverwaltungsgericht die Zwangsmittelandrohung aufgehoben und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Die verfügte Beschränkung für den Verkauf alkoholischer Getränke finde ihre Rechtsgrundlage in § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG, wonach die zuständigen Behörden die Einhaltung des Ladenöffnungsgesetzes überwachten und die in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen anordnen könnten. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung sei nicht vom Vorliegen einer konkreten Gefahr abhängig. § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG ermächtige auch zur verbindlichen Klarstellung oder Konkretisierung der im Ladenöffnungsgesetz normierten Pflichten. Anlass für eine solche klarstellende Verfügung könnten auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörde und Normadressaten sein. Die Ausgangsverfügung sei zwar nicht als Reaktion auf eine festgestellte oder drohende Zuwiderhandlung des Klägers und mangels Anhörung auch nicht aus Klarstellungsgründen ergangen. Jedenfalls im Widerspruchsverfahren hätten aber unterschiedliche Auffassungen bestanden.
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Die Verfügung der Beklagten konkretisiere in zulässiger Weise die Ausnahmeregelung in § 6 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 LadöffnG. Die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Verwaltung stelle keinen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes dar. Der Gesetzgeber dürfe sich grundsätzlich unbestimmter Gesetzesbegriffe bedienen, müsse allerdings dabei wesentliche Bestimmungen selbst treffen. Die gesetzliche Formulierung “Genussmittel in kleineren Mengen” werde diesen Anforderungen gerecht und sei auch hinreichend bestimmt.
7
Die Beklagte habe den Begriff des Reisebedarfs zutreffend ausgelegt. Die Beschränkung des Kundenkreises auf Reisende, das heißt Kraftfahrer und deren Mitfahrer, sei dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften im Ladenöffnungsgesetz zwar nicht unmittelbar zu entnehmen. § 2 Abs. 2 LadöffnG gebe aber einen gewissen Anhaltspunkt für eine solche Sichtweise. Gesetzesbegründung, Systematik sowie Sinn und Zweck der § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG bestätigten dies. Nur zugunsten des Personenkreises der Kraftfahrer und Mitfahrer bestehe die Sonderregelung für Tankstellen.
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Die in der Verfügung erfolgte Festlegung der zulässigen Verkaufsmengen sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Quantifizierung der “Genussmittel in kleineren Mengen” müsse an dem Begriff des Reisebedarfs orientiert werden. Es könne sich nur um eine Menge handeln, die zum Verbrauch des Reisenden oder eines Begleiters bestimmt sein könne oder als Reisemitbringsel geeignet sei. Gemessen daran erscheine die getroffene Regelung großzügig, zumal die Beschränkung auf eine “kleinere Menge” in besonderem Maße für den Verbrauch alkoholischer Getränke durch den Fahrer eines Kraftfahrzeugs gelte. Die Deckung eines typischerweise auf Reisen entstehenden Bedarfs sei ausreichend gesichert.
9
Die angefochtene Verfügung genüge den Bestimmtheitsanforderungen und sei ermessensgerecht. Die erläuternde Formulierung “Kraftfahrer und deren Mitfahrer” verdeutliche, dass als Kraftfahrer nicht jeder Führerscheininhaber oder Halter eines Kraftfahrzeugs gelte, sondern nur derjenige, der als Fahrer eines Kraftfahrzeugs Reisebedarf erwerben wolle. Nicht ermessensfehlerhaft sei es, dass die Beklagte ihre Anordnung auf alkoholische Getränke sowie auf die Nachtzeit beschränkt habe. Nur insoweit habe sie aufgrund bestimmter Vorkommnisse einen Handlungsbedarf gesehen. Dass sie damit gleichzeitig auf die Beachtung weiterer gesetzlicher Bestimmungen habe hinwirken wollen, stelle ebenso wenig einen Ermessensfehlgebrauch dar wie das einheitliche Vorgehen gegen alle Tankstellenbetreiber im Stadtgebiet. Die dem Kläger aufgebürdete Pflicht, seine Kunden zu überprüfen, sei nicht unzumutbar. Es lasse sich im Allgemeinen mit vertretbarem Aufwand feststellen, ob ein Kunde als Fahrer oder Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs zur Tankstelle gelangt sei.
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Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Auslegung des § 6 Satz 2 LadöffnG durch das Oberverwaltungsgericht verletze Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie andere Verbraucher als Kraftfahrer und deren Mitfahrer als Kunden ausschließe. Darüber hinaus verstoße die berufungsgerichtliche Auslegung gegen Art. 12 Abs. 1 GG und das Bestimmtheitsgebot. Die Auslegung entgegen dem Wortsinn sei zudem nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar. Es verstoße gegen das Analogieverbot, wenn unter Überschreitung der Wortlautgrenze eine Ordnungswidrigkeit angenommen werde. Mit § 68 Abs. 1 VwGO und Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar sei, dass das Oberverwaltungsgericht die Einlegung und Begründung des Widerspruchs herangezogen habe, um einen hinreichenden Anlass für den Erlass der angefochtenen Verfügung zu bejahen.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 13. November 2008, das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. März 2009 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, soweit es die Berufung zurückweist, und der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2008, der Prozesserklärung vom 30. Oktober 2008 sowie des Schriftsatzes vom 17. März 2009 werden aufgehoben.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
13
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.