Europarecht

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Aktenzeichen  B 8 K 19.50524

Datum:
25.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34425
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 7 Abs. 2, 12 Abs. 2, 3
Art. 3 Dublin III-VO: Keine systemischen Mängel in Italien

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Der Kläger wurde gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Die Beklagte hat mit ihrer allgemeinen Prozesserklärung vom 27.6.2017 vorab auf eine Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheids verzichtet.
II.
Die zulässigen Klagen haben keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO; siehe unten Ziffer 1.). Der Hilfsantrag hat ebenso wenig Erfolg. Es liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (siehe unten Ziffer 2.). Auch im Übrigen ist die Entscheidung des Gerichts nicht zu beanstanden (siehe unten Ziffer 3).
Das Gericht verweist zur Begründung zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG).
1. Die Entscheidung des Bundesamtes in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, basiert rechtsfehlerfrei auf § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Die Frist zur Stellung des Aufnahmegesuchs gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO ist eingehalten. Die Asylanträge wurden am 09.07.2019 gestellt, das Überstellungsersuchen erfolgte bereits am 22.07.2019, also innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung.
1.1 Die Zuständigkeit Italiens folgt vorliegend aus Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO. Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels (Kapitel III.) zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist der Mitgliedstaat, der ein noch gültiges Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die weiteren dort genannten Ausnahmen sind vorliegend nicht einschlägig.
Die Kläger verfügten über ein italienisches Schengen-Visum, welches vom 28.06.2019 bis zum 19.07.2019 gültig war. Da die Kläger am 09.07.2019 ihre Asylanträge gestellt haben, d.h. noch vor Ablauf der Gültigkeit des Schengenvisums, ist Italien zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Im Übrigen wäre Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 Dublin III-VO auch zuständig, wenn die o.g. Visa zum Zeitpunkt der Antragstellung seit weniger als sechs Monaten abgelaufen gewesen wären.
Der Umstand, dass die Kläger in Italien keinen Asylantrag gestellt haben, ist für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates ohne Bedeutung und führt nicht zu einer Zuständigkeit Deutschlands.
Die italienischen Behörden haben bislang auf das Aufnahmegesuch des Bundesamtes vom 22.07.2019 nicht geantwortet. Gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO ist – wegen des Ablaufs von zwei Monaten – davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben ist. Dies zieht für Italien die Verpflichtung nach sich, die Kläger aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für deren Ankunft zu treffen.
Eines gesonderten Aufnahmegesuchs für die die Klägerin zu 3 bedurfte es nicht. Die Situation begleitet einreisender Minderjähriger nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO ist untrennbar mit der Situation des antragstellenden Elternteils oder Vormunds (Art. 2 lit. g 3. Spiegelstrich Dublin III-VO) verbunden. Den italienischen Behörden ist durch die Nennung der Familienmitglieder in den jeweiligen Aufnahmegesuchen die Familiensituation bekannt.
1.2 Diese Zuständigkeit Italiens ist weder gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO (siehe unten Nr. 1.2.1) entfallen, noch ist die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist übergegangen (siehe unten Nr. 1.2.2).
1.2.1 Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels (Kapitel III.) zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (s.o.). Angesichts von möglichen Veränderung tatsächlicher Umstände im Laufe der Zeit, ist diese zeitliche Fixierung von besonderer Bedeutung.
Demzufolge sind auch Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 und 2 Dublin III-VO lediglich für die Feststellung der Zuständigkeit zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland einschlägig, nachdem die Kläger in Italien keine Asylanträge gestellt haben. Insbesondere lässt sich Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 und 2 Dublin III-VO wegen der Zuständigkeitsordnung des Kapitels III. keine Rechtsgrundlage für einen nachträglichen Zuständigkeitswechsel nach einer bereits erfolgten Feststellung der Zuständigkeit zum Zeitpunkt der Asylantragstellung entnehmen.
1.2.2 Ein nachträglicher Zuständigkeitswechsel von Gesetzes wegen ist in Kapitel VI. der Dublin III-VO vorgesehen (vergleiche zum Beispiel Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3, Art. 23 Abs. 3, Art. 24 Abs. 3, Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO liegen jedoch nicht vor.
Danach ist der zuständige Mitgliedstaat zur Aufnahme der betreffenden Person (nur dann) nicht mehr verpflichtet, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) durchgeführt wird. Gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO beginnt diese Frist allerdings nur nach einer endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung zu laufen, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist begann gemäß Art. 27 Abs. 3 lit. c Dublin III-VO mit Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 17.10.2019 – B 2 S 19.50523 – am 22.10.2019 (vgl. Empfangsbekenntnis Blatt 60a Gerichtsakte) zu laufen. Die Überstellungsfrist hätte damit sechs Monate später im April 2020 geendet. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27.01.2020 – B 2 S 20.50035 -, also vor Ablauf der o.g. Frist, trat im April 2020 allerdings kein Zuständigkeitswechsel ein. Dies hat zur Folge, dass nach wie vor Italien zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständig ist.
1.3 Auch gemäß Art. 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Dublin III-VO ist Deutschland nicht als der zuständige Mitgliedstaat anzusehen. Insbesondere liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit der Beklagte nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO begründen oder möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine Selbsteintrittspflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO sprechen.
Es gibt keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Dies gilt auch für Familien mit minderjährigen Kindern, wie den Klägern.
Systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens liegen nach Auffassung des Gerichts nicht vor. In Italien existiert nach den Erkenntnissen des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, vom 11.11.2020, Version 2, ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (vgl. a.a.O. S. 5; vgl. auch Bericht des Bundesamts für … zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 02.04.2020 sowie der Bericht des Bundesamtes vom 01.02.2021).
Nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse ist nicht davon auszugehen, dass den Klägern bei einer Überstellung nach Italien eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht (so auch VGH Bayern, B.v. 09.01.2019 – 10 CE 19.67 – asyLnet: M26958; VG München, B.v. 09.08.2018 – 26 S 18.52225 – juris, VG Bayreuth, B.v. 02.10.2018 – 8 S 18.50704; VG Augsburg, U.v. 22.01.2018 – Au 5 K 17.50400 – juris). Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials (vgl. Ausführungen des Bundesamtes vom 01.02.2021; Bundesamt a.a.O.; österreichisches Bundesamt a.a.O.) sowie der Bewertung durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (s. hierzu z.B. OVG NW, U.v. 18.07.2016 – 13 A 1859/14.A – juris, m.w.N., U.v. 07.07.2016 – 13 A 2302/15.A – juris; OVG SH, U.v. 04.04.2018 – 10 LB 96/17 – juris).
Den Klägern droht nach den Auskünften nicht nur keine Obdachlosigkeit; vielmehr ist nach aktuellen Erkenntnissen die familiengerechte Unterbringung auch angemessen (vgl. Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 1 Zusammenfassung).
Auch der der Vorsitzende des italienischen Flüchtlingsrats (CIR) hat angegeben, dass die Gefahr einer möglichen Obdachlosigkeit einer zurückgekehrten Familie zu keinem Zeitpunkt gegeben sei, obwohl er im Gespräch das Dublin-System als Ganzes kritisierte. Gleichwohl habe das Salvini-Dekret zu Reduzierungen in allen Bereichen geführt. Regionale Unterschiede würden dadurch aus Sicht des CIR nur mehr verstärkt.
Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber in der Vergangenheit festgestellten Mängel und Defizite sind weder für sich genommen noch insgesamt als derart gravierend zu bewerten, so dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen „Dublin-Rückkehrer“ nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGrdRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad nahelegen würde (vgl. OVG NRW, U.v. 18.07.2016 a.a.O). Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, völker- und unionsrechtskonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell für „Dublin-Rückkehrer“. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris, m.w.N.). Das italienische Recht gewährt den Asylsuchenden ab dem Zeitpunkt des Asylantrags Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten. In der Praxis wird zwar der Zugang zu den Aufnahmezentren häufig erst von der formellen Registrierung des Asylantrags abhängig gemacht, so dass hierdurch eine Zeitspanne ohne Unterbringung entstehen kann. Die Behörden sind jedoch darum bemüht, diese zu verringern (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 a.a.O.). Auch „Dublin-Rückkehrer“ haben bei ihrer Ankunft in Italien nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften. Insbesondere wird Dublin-Rückkehrern kein Unterkunftsplatz nach Rückkehr verwehrt (vgl. Bundesamt vom 02.04.2020 a.a.O. S. 1, S. 5).
Sinkende Anlandungszahlen und eine Erhöhung der Asylentscheidungen in der ersten Instanz haben im Übrigen zu einer deutlichen, zahlenmäßigen Entlastung der Aufnahmeeinrichtungen in Italien geführt (Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 8). Bei der Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern kann es durchaus regionale Unterschiede geben, die auch mit der Größe der Aufnahmeeinrichtung zusammenhängen können. Beispielsweise werden Familien in Mailand einzeln in einem Zimmer untergebracht. Nicht alle Zimmer verfügen über Bäder. Der Betreiber der Einrichtung achtet darauf, dass vulnerable Fälle und Familien ein Zimmer mit angeschlossenem Bad erhielten (vgl. Informationen zu CAS Casa Suraya Mailand vom 28.01.2020, Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O.). Um Probleme hinsichtlich einer Unterkunft zu vermeiden, verwies beispielsweise die Leiterin der Grenzpolizei auf die festen Uhrzeiten für Überstellungen von Familien und vulnerablen Fällen. Eine Überstellung dieser Fälle werde auch nur akzeptiert werden, wenn sie rechtzeitig angekündigt worden sei. Sollte eine Überstellung mit erheblicher Verspätung erfolgen oder es zu Komplikationen kommen, kann die Grenzpolizei auf CAS-Einrichtungen in Mailand zurückgreifen, in welchen eine Familie vorrübergehend untergebracht werden kann (Lage im Bereich des Flughafens MailandMalpensa v. 28.01.2020, Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O.).
Insgesamt ist die Sorge, dass eine Familie mit minderjährigen Kindern nach ihrer Dublin-Rückkehr nicht unmittelbar angemessen untergebracht wird, nach den vorliegenden Informationen und den gesammelten Eindrücken, die das Bundesamt gesammelt hat, unbegründet. Durch den deutlichen Rückgang der Anlandungszahlen und die rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen zur Beschleunigung des Asylverfahrens ist eine Aufnahmesituation in Italien eingetreten, die durch ein zunehmend strukturiertes und auch auf einen Ausgleich zwischen den italienischen Regionen gerichtetes System charakterisiert wird. Hierzu tragen auch die mittlerweile immer stärker greifenden Unterstützungsmaßnahmen der EU-Kommission über das Europäische Asyl Unterstützungsbüro (EASO) in Italien bei (vgl. Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 8 und S. 51).
Es ist auch gewährleistet, dass die Kläger nach ihrer Rückkehr nach Italien ihr Asylverfahren weiterbetreiben und in Italien ihren Asylantrag erstmalig stellen können (s. OVG NRW, U.v. 19.05.2016 – 13A 516/14.A – juris). Sofern der Dublin-Rückkehrer den Antrag in Italien nicht bereits vor seiner Ausreise aus Italien formalisiert haben sollte, hat die Aufnahme in einem der Zentren der Region, in der sich der internationale Ankunftsflughafen befindet, nach den Kriterien (der Verteilung) zu erfolgen, die zuvor von den regionalen Koordinierungsgremien (der Präfekturen) vereinbart worden sind. In allen Fällen besteht die Pflicht, die Einheit der Familie in geeigneten Einrichtungen zu gewährleisten (vgl. Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S 6).
Die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern entspricht nach der Registrierung in das staatliche System der Versorgung von italienischen Staatsangehörigen. Die vorhandenen bürokratischen Hindernisse bei der Registrierung lassen sich mit Hilfe der Betreiber der Aufnahmeeinrichtungen überwinden. Diese gehört zu deren vertraglichen Aufgaben. Bei allen Einrichtungen, welche im Rahmen der Recherchen zu dem Bericht des Bundesamts vom 02.04.2020 (a.a.O.) besucht wurden, haben die Betreiber geeignete und auf die jeweiligen regionalen Bedingungen angepasste Lösungen für die Registrierung der Migranten in das italienische Gesundheitssystem gefunden (Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 15).
1.4 Eine konkrete, einzelfallbezogene Zusicherung der italienischen Behörden, dass die Klägerin zu 3 in Italien in einer ihrem Alter adäquaten Art und Weise behandelt wird und die Familie zusammenbleiben kann, musste die Beklagte nicht einholen. Die ein solches Erfordernis begründende Tarakhel-​Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezieht sich vorrangig auf Neugeborene und Kleinkinder (EGMR, Urt.v. 04.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127; vgl. hierzu BVerfG, Entsch. v. 27.05.2015 – 2 BvR 177/15 – juris). Die Klägerin zu 3 wurde ausweislich der Behördenakte am … geboren (Bl. 64, 98), ist mithin bereits zwölf Jahre alt. Zudem basiert die genannte EGMR-Rechtsprechung auf den Verhältnissen in Italien zur damaligen Zeit, zu der u.a. eine viel höhere Zahl Schutzsuchender zu verzeichnen war. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Trier vom 05.04.2019 – 7 L 1263/19.TR – juris, des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 04.04.2019 – 15 L 3696/18 A. – juris und des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 04.03.2019 – 9 AE 5844/18 – juris, welche im Hinblick auf die aktuelle Lage in Italien eine individuelle Garantieerklärung Italiens vor der Überstellung von Familien mit (Klein-)Kindern nicht für erforderlich halten. Den diesbezüglichen Einschätzungen schließt sich das Gericht vollumfänglich an, zumal auch nach den aktuellen Erkenntnissen des Bundesamtes vom 02.04.2020 a.a.O. und der Auskunft des Bundesamtes vom 01.02.2021 a.a.O. eine familiengerechte Unterbringung gewährleistet ist. Darüber hinaus hat das italienische Innenministerium, Dublin Einheit, in einem Rundbrief an alle Kollegen zugesichert, dass im Rahmen des neuen Systems Asylbewerber im SAI-System untergebracht werden können, einschließlich Familiengruppen, um den Schutz eines so grundlegenden Rechts wie die Einheit der Familie zu gewährleisten. Diese speziellen Zentren würden auch Dublin-Familiengruppen mit Minderjährigen aufnehmen, die aus anderen Mitgliedstaaten gemäß dem Tarakhel-Urteil aufgenommen werden.
2. Es sind auch keine Anhaltspunkte für innerstaatliche oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die der Abschiebungsanordnung entgegenstehen würden, ersichtlich.
Den Klägern droht keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten.
Eine (individuelle) Gefahr im Sinne dieser Vorschrift kann auch bestehen, wenn der Ausländer an einer Erkrankung leidet, die sich aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat voraussichtlich verschlimmern wird. Erforderlich aber auch ausreichend ist insoweit, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise zu verschlimmern droht, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, U.v. 09.09.1997 – 9 C48.96 -, BVerwGE 105, 383 ff., und U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33 (36); B.v. 17.08.2011 – 10 B 13.11 -, juris). Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn in dem Abschiebezielstaat dringend erforderliche Behandlungsmöglichkeiten fehlen oder wenn solche Behandlungsmöglichkeiten zwar vorhanden, für den betreffenden Ausländer aber aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht erreichbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 – 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463). Allerdings muss sich der Ausländer grundsätzlich auf den im Zielstaat vorhandenen Versorgungsstand im Gesundheitswesen verweisen lassen. Denn § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG garantiert auch für chronisch Erkrankte keinen Anspruch auf „optimale Behandlung“ einer Erkrankung oder auf Teilhabe an dem medizinischen Standard in Deutschland. Der Abschiebungsschutz soll den Ausländer vielmehr vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter bewahren (vgl. OVG NW, B.v. 14.06.2005 – 11 A 4518/02.A -, juris, und B.v. 30.10.2006 – 13 A 2820/04.A -, juris). Um ein durch eine Erkrankung begründetes Abschiebungshindernis feststellen zu können, ist indes stets eine hinreichend konkrete Darlegung der gesundheitlichen Situation erforderlich, die in der Regel durch ein ärztliches Attest zu untermauern ist (vgl. dazu nur VG München U.v. 24.02.2012 – M 22 K 10.30780 -, juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 11.02.2014 – 6a K 2325/12.A – und U.v. 17.07.2012 – 6a K 4667/10.A -, jeweils juris; siehe auch OVG NW, B.v. 02.01.2012 – 13 A 2586/11.A -, juris; Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 74 AsylVfG Rn. 25 ff.).
Anhaltspunkte für die Annahme, dass vorhandene Erkrankungen in Italien nicht behandelt werden könnten, bestehen nicht. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung in Italien der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland vollständig gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Auch die in den vorgelegten Attesten von der …, Klinikum … vom 14.02.2020 über einen stationären Aufenthalt vom 18.12.2019 über einen stationären Aufenthalt vom 15.11. bis 18.12.2019 (Anpassungsstörung onA, kleine oder leichte kognitive Funktionseinschränkung; Suizidabklärung nach einem Suizidversuch), sowie vom 14.02.2020 über einen stationären Aufenthalt vom 20.01. bis 14.02.2020 (Anpassungsstörungen), von …, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 23.03.2020 (wiederkehrende Kopfschmerzen, Unruhezustände, Schlafstörungen sowie somatisierendsäquivalente Beschwerden), und …, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie vom 22.12.2020 (schwere depressive Entwicklung; ausgeprägte Schlafstörung) aufgeführten Erkrankungen des Klägers zu 1 rechtfertigen kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG.
Soweit in den vorgelegten Attesten organische Beschwerden des Klägers zu 1 angesprochen sind, sind solche in Italien behandelbar. Auch sind in Italien entsprechende Medikamente verfügbar.
Die vorgelegten Atteste vermögen im Übrigen keine relevante psychische Erkrankung darzulegen. Sie erfüllen schon nicht die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht an die Attestierung einer Posttraumatischen Belastungsstörung wegen der Unschärfen des Krankheitsbildes gestellt hat, (BVerwG, B.v. 26.07.2012 – 10 B 21/12; U.v. 11.09.2007 – 10 C 8/07; U.v. 11.09.2007 – 10 C 17/07 – alle in juris). Danach muss sich aus einem Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist.
Entsprechendes gilt denknotwendig für die Diagnose einer schweren depressiven Episode, deren Krankheitsbild gleichermaßen eine gewisse Unschärfe beinhaltet.
Das Attest von … vom 18.03.2020 enthält schon keine Diagnose, sondern wiederholt lediglich die vom Kläger zu 1 angegebenen Beschwerden. Den vorgelegten weiteren Attesten lässt sich keine eigenständige, tragfähige Befunderhebung entnehmen. So ist im ersten Entlassbrief der …, Klinikum … v. 18.12.2019 lediglich von einer „Anpassungsstörung onA“ (Anm.: ohne nähere Angaben) die Rede, was der Annahme einer gesicherten Diagnose entgegensteht. Zudem ist nicht erkennbar, auf welcher eigenen Exploration diese Diagnose beruht. Soweit im zweiten Entlassbrief vom 14.02.2020 die Diagnose „Anpassungsstörung“ ohne Einschränkung übernommen wurde, gilt entsprechendes. Insbesondere das aktuelle Attest von … vom 22.12.2020 zur Reiseunfähigkeit lässt entsprechende notwendige Angaben nicht erkennen.
Soweit Suizidversuche durch Tablettenintoxikation in den jeweiligen Entlassbriefen der … angesprochen sind, lassen diese keine Rückschlüsse auf zugrundeliegende Erkrankungen, die in Italien nicht behandelbar wären, zu.
Hinsichtlich der für die Klägerinnen zu 2 und 3 ausgestellten ärztlichen Atteste von … vom 22.12.2020 wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
Aus diesem Grund liegen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine belastbaren ärztlichen Atteste vor, die einer Überstellung nach Italien entgegenstünden.
Medizinische Gründe, wie z.B. an Covid-19 zu erkranken, führen ebenfalls nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Diese Gefahren drohen nicht nur den Klägern in Italien, sondern unterschiedslos allen Bewohnern. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind derartige Gefahren bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (s.o.). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmten Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Dass die Kläger im Falle einer Überstellung nach Italien durch eine schwerwiegende Erkrankung am Corona-Virus mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, ist derzeit nicht anzunehmen.
3. Die Abschiebungsanordnung beruht rechtsfehlerfrei auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet die Beklagte die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen – wie oben ausgeführt – vor. Inlandsbezogene Vollzugshindernisse wurden nicht geltend gemacht und sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Hinsichtlich der attestierten Reiseunfähigkeit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Jedenfalls kann aus den lediglich für alle drei Kläger identisch attestierten Erkrankungen wie Angststörung, schwere Depression und Schlafstörung nicht ohne weitere umfassende Begründung gefolgert werden, alle Kläger seien gleichermaßen reiseunfähig. Eine solche Reiseunfähigkeit ist mangels Darlegungen zu deren Diagnoseerstellungen nicht glaubhaft gemacht (s.o.). Der Hinweis, von einer Rückführung der Kläger nach Italien sei wegen der latenten Suizidalität und der Befürchtung einer Verschlechterung der seelischen Verfassung unzumutbar, ersetzt nicht die fehlende Darlegung der Diagnoseerstellung. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots, die einer Abschiebungsanordnung entgegensteht, wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 23.08.2016 – 10 CE 15.2784 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 – 2 M 29/12 – juris Rn. 11 ff.). Eine ärztliche Begleitung kann bei einer Suiziddrohung im Zweifelsfalle gewährleistet werden. Eine solche vermag allein im Übrigen keine Reiseunfähigkeit zu begründen. Aber selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr ist die Abschiebung von der Ausländerbehörde dann ggf. so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (BayVGH, B.v. 23.08.2016 – 10 CE 15.2784 -, juris; B.v. 09.04.2003 – 10 CE 03.484 – juris Rn. 9; BVerfG, B.v. 16.04.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; B.v. 26.02.1998 – 2 BvR 1985/98 – juris Rn. 4).
Schließlich begegnet auch die Anordnung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 1 AufenthG keinen Bedenken. Die Befristung auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist ermessensfehlerfrei innerhalb der in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG normierten gesetzlichen Grenzen getroffen worden.
III.
Die Kostenentscheidung des gerichtskostenfreien Verfahrens beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §°167 Abs. 2 und 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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