Europarecht

Diesel-Abgasskandal: Anspruch des Käufers gegen den Hersteller gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB

Aktenzeichen  4 U 76/19

Datum:
23.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23259
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826, § 849
EG-FGV § 27 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Das Inverkehrbringen eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs unter Verschweigen einer gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung begründet einen Schadensersatzanspruch des Käufers gegen den Hersteller gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB auf Erstattung des Kaufpreises gegen Herausgabe des Fahrzeugs. (Rn. 23 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Käufer muss sich allerdings auf seinen Schadensersatzanspruch im Wege des Vorteilsausgleichs den Wert der von ihm tatsächlich gezogenen Nutzungen des Kraftfahrzeugs unter Verwendung der Berechnungsformel „Bruttokaufpreis mal gefahrene Kilometer des Klägers dividiert durch erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ anrechnen lassen. (Rn. 45 – 47) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

72 O 1617/18 2019-02-26 Urt LGWUERZBURG LG Würzburg

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 26.02.2019, Az. 72 O 1617/18, abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.046,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 27.08.2018 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des PKW VW Passat 2.0 TDI Variant, FIN … nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II und Serviceheft.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 27.08.2018 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger 55%, die Beklagte trägt 45%.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und die Beklagte können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
7. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten deliktischen Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf eines Fahrzeugs mit Dieselmotor.
Der Kläger erwarb am 14.02.2015 von einem gewerblichen Autohändler einen gebrauchten VW Passat Variant 2,0 TDI, Kilometerstand 92.000 km, zu einem Preis vom 10.000,00 €.
Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. In dem Fahrzeug war, was der Kläger nicht wusste, eine Motorsteuerungssoftware installiert, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt und sodann einen besonderen Modus aktiviert (sogenannte Umschaltlogik). In diesem Modus wird die Rückführung von Abgasen im Vergleich zu dem normalen Betriebsmodus verändert, wodurch die nach der Euro 5 Norm vorgegebenen NOx-Werte während des Durchfahrens des NEFZ eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb wird dieser Modus deaktiviert, wodurch es zu einem höheren Schadstoffausstoß kommt. Durch den Einsatz dieser Motorsteuerungssoftware wurde die EG-Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug erlangt.
Der Kläger hat mittlerweile das von der Beklagten entwickelte Software-Update auf das Fahrzeug aufspielen lassen.
Der Kläger behauptet, er hätte das Fahrzeug bei Kenntnis des Einbaus der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags habe er keine Kenntnis davon gehabt, dass sein Fahrzeug mit der unzulässigen Software ausgestattet sei. Im Übrigen haben die Parteien im Verfahren vor dem Landgericht streitig über die Voraussetzungen deliktischer Ansprüche des Klägers verhandelt.
Der Kläger hat in erster Instanz folgende Anträge gestellt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 6.717,71 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus einem Betrag von 10.000,00 € seit 14.02.2015 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5% – Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Marke Volkswagen vom Typ Passat B6 2.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer: … nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, KfZ-Schein, KfZ-Brief und Serviceheft.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeuges vom Typ Passat B6 2.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN): …, resultieren.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in den vorgenannten Anträgen genannten Zug um Zug – Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie in Höhe weiterer Kosten in Höhe von 132,80 € freizustellen.
Das Landgericht Würzburg hat die Klage mit Endurteil vom 26.02.2019 abgewiesen. Es hat ausgeführt, es sei zwar ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und aus § 826 BGB denkbar. Es fehle aber ausreichender Vortrag, wer wann getäuscht haben soll.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und der Begründung des Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 01.03.2019 zugestellte Urteil am 29.03.2019 Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt, die er (nach Fristverlängerung bis 03.06.2019) am 21.05.2019 begründet hat.
Er verfolgt sein erstinstanzliches Klageziel unverändert weiter. Er ist der Auffassung, ein Schadensersatzanspruch sei sowohl aus § 826 BGB als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV gegeben. Das Einsetzen einer gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung stelle ein sittenwidriges Verhalten dar, das den Vorstandsmitgliedern der Beklagten zuzurechnen sei. Hierdurch sei beim Kläger ein kausaler Vermögensschaden verursacht worden, indem er einen ihm nachteiligen Vertrag eingegangen sei. Bei der in Ansatz zu bringenden Nutzungsentschädigung sei von einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km auszugehen. Gemäß § 849 BGB stehe dem Kläger auch ein Zinsanspruch in Höhe von 4% ab Kaufpreiszahlung zu.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
1. Das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 26.02.2019 wird abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 6.717,71 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus einem Betrag von 10.000,00 € seit 14.02.2015 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5% – Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Marke Volkswagen vom Typ Passat B6 2.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer: … nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, KfZ-Schein, KfZ-Brief und Serviceheft.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeuges vom Typ Passat B6 2.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN): …, resultieren.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in den vorgenannten Anträgen genannten Zug um Zug – Leistung im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie in Höhe weiterer Kosten in Höhe von 132,80 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der Kauf des Fahrzeugs nicht nachteilig für den Kläger gewesen sei, es läge kein Schaden vor. Das Fahrzeug sei stets fahrbereit gewesen und spätestens mit dem Update mangelfrei. Allein die „Ungewolltheit“ einer Verbindlichkeit könne einen Schaden nicht begründen.
Was den Tatbestand des Betrugs anbelange, so fehle es bereits an einer Täuschungshandlung. Die Beklagte sei am Kaufvertragsabschluss nicht beteiligt gewesen und habe daher nicht täuschend auf die Willensbildung des Klägers eingewirkt. Die Abschalteinrichtung stelle eine rein „innermotorische Maßnahme“ dar, über die nicht habe aufgeklärt werden müssen. Jedenfalls sei kein kausaler Vermögensschaden hervorgerufen worden. Denn es sei keine Wertminderung am Fahrzeug eingetreten, dieses könne vielmehr bis heute uneingeschränkt benutzt werden.
Es sei auch kein Anspruch aus § 826 BGB gegeben.
Ein Verstoß gegen das Verbot der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei für die Annahme von Sittenwidrigkeit nicht ausreichend. Das Motiv, Umsatz zu machen und Gewinn zu erzielen, sei ebenfalls nicht ausreichend, zumal dem Kläger kein finanzieller Schaden entstanden sei. Jedenfalls hätte eine Rückabwicklung entlang der Leistungskette zu erfolgen.
Schließlich fehle es auch an einem Schädigungsvorsatz. Ein substantiierter Vortrag der Klägerseite hierzu fehle. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten besteht nicht. Der Beklagten sei weiterer Sachvortrag hierzu auch nicht zumutbar, weil es sich um eine negative Tatsache handele (kein Vorsatz), weil die laufenden Untersuchungen zur Aufklärung des Sachverhalts einen hohen Umfang hätten und weil die Gefahr einer Ausforschung bestehe.
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere am fehlenden drittschützenden Charakter der Norm.
Ein Anspruch auf Zinsersatz gemäß § 849 BGB besteht nicht, weil dies dem Sinn und Zweck der Vorschrift zuwider liefe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB auf Zahlung von 3.046,90 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des PKW VW Passat 2.0 TDI, weil die Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenen Weise dem Kläger vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat.
1. Der Kläger ist hier durch den Erwerb des streitbefangenen Fahrzeuges im Sinne des § 826 BGB geschädigt worden. Der Schaden liegt bereits in dem Erwerb eines mit der genannten Steuerungssoftware ausgerüsteten Fahrzeugs.
a) Das Fahrzeug war mit einer Abschalteinrichtung versehen, die nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässig war (BGH, Beschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17, Rn. 6-16). Infolge der Abschalteinrichtung war der weitere ungestörte Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr bei Gefahrübergang nicht gewährleistet (BGH a.a.O. Rn. 17-22). Das Fahrzeug war insofern mangelhaft und damit auch bei wirtschaftlicher Betrachtung weniger wert als ein Fahrzeug, das sämtliche technischen und gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Zudem liegt ein Schaden auch darin, dass der Kläger ein Fahrzeug erworben hat, das er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände – und der hieraus resultierenden Gefahr einer Stilllegung – nicht erworben hätte (ebenso OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.02.2020, 2 U 128/19, Rn. 39; OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2019, 17 U 44/19, Rn. 48, 49; KG, Urt. v. 26.09.2019, 4 U 51/19, Rn. 38 – 40).
b) Dieser Schaden ist durch die nachträgliche Maßnahme eines Software-Updates nicht entfallen. Denn diese ändert nichts an dem Umstand, dass der Kläger einen Vertrag eingegangen ist, den er bei Kenntnis des Mangels nicht abgeschlossen hätte. Zudem steht die Langzeittauglichkeit des Updates bis heute nicht fest, so dass dem Erwerber eines derart nachgerüsteten Fahrzeugs auf diese Weise Risiken aufgebürdet werden, die er nach seiner berechtigten Erwerbserwartung nicht tragen muss (OLG Schleswig, a.a.O., Rn. 60).
2. Die schädigende Handlung der Beklagten liegt im Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschaltautomatik ausgerüsteten PKW, das eine konkludente Täuschung darstellt.
Das Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeugs beinhaltet die konkludente Erklärung, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist (KG, a.a.O, 4 U 51/19, Rn. 57; OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019, 13 U 149/18, Rn. 45). Über das Vorliegen dieser Eignung hat die Beklagte potentielle Erwerber von mit Motoren des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeugen und damit auch den Kläger getäuscht.
3. Die Täuschungshandlung war auch ursächlich für den eingetretenen Schaden. Denn nach den glaubhaften Angaben des Klägers hätte er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, wenn er Kenntnis von der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt hätte. Unerheblich ist dabei, ob es dem Kläger beim Kauf auf die Einhaltung bestimmter Emissionswerte ankam. Denn bereits die Gewissheit, dass das Fahrzeug über eine ordnungsgemäße Betriebserlaubnis verfügt, stellt ein wesentliches Kriterium für die Kaufentscheidung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs dar (OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.02.2020, 2 U 128/19, Rn. 41).
4. Die Täuschungshandlung der Beklagten war objektiv sittenwidrig.
Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist grundsätzlich ein Verhalten, welches gegen das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden verstößt. Maßstab sind dabei die beteiligten Verkehrskreise, hier also die Käufer von Personenkraftwagen. Hierfür genügt nicht jeder gesetzliche Verstoß, sondern es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als ‚anständig’ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urt. v. 20.11.2012, VI ZR 268/11, Rn. 25).
Der Einbau der gesetzlich unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. II VO (EG) Nr. 715/2007 und das Inverkehrbringen des entsprechenden Motors durch die Beklagte stellen sich als ein verwerfliches Verhalten und nicht nur als schlichter Gesetzesverstoß dar. Die Beklagte hat zielgerichtet die Entwicklung und den serienmäßigen Einbau einer gesetzlich unzulässigen Abschalteinrichtung betrieben, damit die mit dem Motor EA 189 ausgerüsteten Fahrzeuge die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Stickoxid im Prüfstandlauf einhalten und so eine Typengenehmigung erhalten konnte. Es handelte sich also nicht um einen fahrlässigen, sondern vorsätzlichen Gesetzesverstoß, was für eine Verwerflichkeit spricht. Betroffen von der Täuschung ist zudem eine Vielzahl von Kunden, die auf die Einhaltung der gesetzlichen Erfordernisse vertrauten und denen ein erheblicher Schaden in Form der Stilllegung ihrer Fahrzeuge drohte (so die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 12.12.2019, 13 U 13/19, Rn. 78 – 87 m.w.N.).
5. Der für eine Haftung nach § 826 BGB erforderliche Schädigungsvorsatz und das Bewusstsein der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände liegen vor.
In diesem Zusammenhang ist erforderlich, dass der Schädiger die Art und die Richtung der Schadensfolgen vorausgesehen und gewollt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urt. v. 15.09.1999, I ZR 98/97; Spindler in BeckOGK BGB, Stand: 01.02.2020, § 826 Rn. 12). Dem steht hier nicht entgegen, dass Vertragspartner des Klägers nicht die Beklagte selbst, sondern ein Gebrauchtwagenhändler war. Denn eine Konkretisierung des Vorsatzes auf bestimmte Personen ist nicht erforderlich, vielmehr reicht es bereits, wenn dem Schädiger sowohl die Richtung und Art der Schadensfolgen als auch die mögliche Schädigung Dritter bewusst ist und er dies billigend in Kauf nimmt (BGH, Urt. v. 14.06.2000, VIII ZR 218/99, Rn. 18). Beim Verkauf eines mangelhaften PKW genügt daher die allgemeine Vorstellung, dass der PKW weiter veräußert werden kann, die konkrete Kenntnis eines potenziellen Dritterwerbers ist nicht erforderlich (OLG Saarbrücken, a.a.O., Rn. 44; Spindler, a.a.O., Rn. 12.1). Hier stand von vornherein fest, dass die mit dem Einsatz der streitgegenständlichen Software verbundenen Nachteile auf Seiten künftiger ahnungsloser Erwerber eintreten würden, weil die durch die Beklagte hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motoren mit dem Ziel in den Verkehr gebracht worden sind, diese in zur Weiterveräußerung auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt bestimmte Fahrzeuge einzubauen.
6. Das erforderliche subjektive Element war auch bei den verfassungsmäßig berufenen Vertretern der Beklagten vorhanden, § 31 BGB. Der Senat geht nach dem Sach- und Streitstand von einem Handeln des Vorstands oder zumindest von einer Kenntnis des Vorstandes von der unzulässigen Abschalteinrichtung zeitlich vor der Herstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus.
Zwar ist für das Vorliegen des Vorsatzes und die Zurechnungsvoraussetzungen des § 31 BGB der Kläger als Geschädigter darlegungs- und beweisbelastet. Er hat jedoch schlüssig ein Handeln oder zumindest eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung behauptet. Die Beklagte ist hingegen ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen, so dass das klägerische Vorbringen gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist.
a) Der Kläger hat bereits in der Klageschrift und im Schriftsatz vom 06.12.2018 (dort S. 3, 4, Bl. 189 f. d.A.) eine Kenntnis des damaligen Vorstands der Beklagten behauptet und zur Einbindung des Vorstands und leitender Mitarbeiter der Beklagten näher ausgeführt und dies im Berufungsverfahren vertieft (Berufungsbegründung vom 21.05.2019, S. 18 – 25, Bl. 334 ff. d.A.). Damit hat er seiner Darlegungslast genügt.
(1) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 7; Urt. v. 17.12.2014, VIII ZR 88/13, Rn. 43, BGH, Beschluss vom 12.09.2012, IV ZR 52/14, Rn. 27). Der Umfang der erforderlichen Darlegung richtet sich zum einen nach der Einlassung des Gegners und zum anderen nach dem, was der Partei an näheren Angaben zumutbar und möglich ist (BGH, Beschluss vom 25.06.2019, VI ZR 12/17, Rn. 11). Hat die beweispflichtige Partei keinen Einblick in die Geschehensabläufe und ist ihr die Beweisführung deshalb erschwert, kann sie auch nur vermutete Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen. Unbeachtlich wird ihr Vortrag unter solchen Umständen erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich und rechtsmissbräuchlich Behauptungen „aufs Geratewohl” oder „ins Blaue hinein” aufstellt (KG, Urt. v. 26.09.2019, 4 U 51/19, Rn. 91 m.w.N.). Zulässig sind Behauptungen einer nur vermuteten Tatsache, wenn greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts bestehen; diese können sich auch aus unstreitigen oder unter Beweis gestellten Indizien ergeben (BGH, Urt. v. 20.06.2002, I… ZR 177/99, Rn. 17).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann vom Kläger der Vortrag weiterer Einzelheiten, die interne Abläufe der Beklagten betreffen, nicht erwartet werden. Aufgrund der unstreitigen Umstände, welche eine Kenntnis des Vorstands als naheliegend erscheinen lassen, liegt auch kein Fall eines Vortrags ins Blaue hinein vor.
(2) Hinzu kommt, dass nach den unstreitigen Tatsachen eine tatsächliche Vermutung für die Kenntnis des Vorstands besteht. Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware in einer solch hohen Anzahl von Motoren erscheint es fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte. Es handelte sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht (OLG Stuttgart, Urt. v. 12.12.2019, 13 U 13/19, Rn. 97).
b) Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen.
(1) Eine sekundäre Darlegungslast besteht, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 19.02.2019, VI ZR 505/17, Rn. 17 m.w.N.). So wurde näherer Vortrag der nicht darlegungsbelasteten Partei im Falle von Tathandlungen für zumutbar erachtet, die durch ein geheimes Vorgehen geprägt sind (BGH, Urt. v. 18.01.2018, I ZR 150/15, Rn. 26 und 32: „Schmiergeldabrede“).
(2) Im vorliegenden Fall handelt es sich um innerbetriebliche Vorgänge, in die der Käufer der betroffenen Fahrzeuge keinen Einblick hat. Zudem steht ein gegen gesetzliche Vorschriften verstoßendes Vorgehen in Rede, das nach außen geheim gehalten worden ist. Demgegenüber ist es der Beklagten möglich, die Anordnung der Entwicklung und des Einbaus der Motorsteuerungssoftware zurückzuverfolgen. Im Ergebnis trifft die Beklagte daher eine sekundäre Darlegungslast, die mit einer entsprechenden Informationsverschaffungspflicht einhergeht und der sie nicht in ausreichendem Maß nachgekommen ist. Insbesondere ist es aufgrund des Zeitablaufs von mehreren Jahren nicht ausreichend, wenn sich die Beklagte immer noch auf den hohen Umfang der Nachforschungen beruft, der nähere Angaben (noch) nicht zulasse. Auch der pauschale Hinweis darauf, dass die Gefahr der Ausforschung bestehe, führt nicht zur Annahme der Unzumutbarkeit einer sekundären Darlegungslast (ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 12.12.2019, 13 U 13/19, Rn. 97; OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.02.2020, 2 U 128/19, Rn. 51 f.; KG a.a.O., Rn. 97; OLG Köln, Beschluss vom 01.07.2019, 27 U 7/19, Rn. 21).
7. Dem Kläger ist ein zu ersetzender Schaden in Höhe von 3.046,90 € entstanden. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrages war die Klage abzuweisen.
a) Der Schaden des Klägers liegt darin, dass er aufgrund der von der Beklagten vorsätzlich und sittenwidrig begangenen Handlung einen Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug geschlossen hat, welchen er ohne diese Täuschung nicht eingegangen wäre. Er ist daher im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) durch Rückgängigmachung des Kaufes so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er den Kauf nicht getätigt hätte. Er kann den Ersatz des gezahlten Kaufpreises in Höhe von 10.000,00 € gegen Herausgabe und Übereignung des Erlangten, insbesondere des Fahrzeuges, verlangen.
b) Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung muss sich der Kläger gezogene Nutzungen in Höhe von 6.953,10 € anrechnen lassen.
Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren. Solange Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet (BGH, Urt. v. 12.03.2009, VI ZR 26/06, Rn. 16; OLG Koblenz, Urt. v. 16.09.2019, 12 U 61/19, Rn. 69; Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2019, vor § 249, Rn. 71).
Die Klägerseite erkennt die Berücksichtigung von gezogenen Nutzungen dem Grunde nach an, berechnet den in Ansatz zu bringenden Nutzungsersatz jedoch auf einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km (S. 85 der Klageschrift). Der Senat hält im konkreten Fall unter Berücksichtigung des betroffenen Fahrzeugtyps den Ansatz einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km für sachgerecht. Hieraus ergibt sich unter Verwendung der Berechnungsformel „Bruttokaufpreis mal gefahrene Kilometer des Klägers dividiert durch erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ ein abzuziehender Posten von 6.953,10 € (10.000,00 € x 109.859 km ./. 158.000 km).
8. Die Beklagte befindet sich bezüglich des Zug um Zug zu übereignenden Fahrzeugs nicht im Annahmeverzug, weil der Kläger eine deutlich höhere Zahlung von der Beklagten gefordert hat als tatsächlich geschuldet. Eine solche Zuvielforderung hindert den Eintritt des Annahmeverzugs (OLG Koblenz, Urt. v. 16.09.2019, 12 U 61/19, Rn. 100 m.w.N.; Ernst in MüKo-BGB, 8. Aufl., § 295, Rn. 4).
9. Der Kläger hat Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten (nur) aus einem Streitwert von 3.046,90 € unter Ansatz einer 1,3-Gebühr (vgl. zur Höhe des Gebührensatzes OLG Koblenz, Urt. v. 16.09.2019, 12 U 61/19, Rn. 101, 102).
10. Der Zinsausspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.
Ein Anspruch auf Zinsen gemäß § 849 BGB steht dem Kläger nicht zu.
Zweck des § 849 BGB ist eine Kompensation für den erlittenen Verlust der Nutzbarkeit einer Sache (Eichelberger in BeckOGK BGB, Stand 01.02.2020, Rn. 2). Grundsätzlich ist § 849 BGB nach überwiegender Ansicht zwar auch auf Buchgeld anwendbar. Der Vorschrift § 849 lässt sich jedoch kein allgemeines Prinzip entnehmen, dass sämtliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung stets und unabhängig vom Vorliegen des Verzugs vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an zu verzinsen seien (OLG Koblenz, Urt. v. 28.08.2019, 5 U 1218/18, Rn. 136). Im vorliegenden Fall hat das deliktische Handeln der Beklagten beim Kläger nicht zu einem hierdurch bedingten Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes geführt. Denn das erworbene Fahrzeug stellt einen Gegenwert dar, aus dem der Kläger die von ihm beabsichtigten Nutzungen gezogen hat. Zum anderen hätte der Kläger im Falle des Absehens von einem Kauf das Geld in den Kauf eines anderen Fahrzeugs investiert, so dass ihm im Ergebnis durch das Handeln der Beklagten keine Nutzungsmöglichkeit entzogen worden ist (ebenso OLG Koblenz, a.a.O., str.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Streitfragen, die hier entscheidungserheblich sind, sind in einer Vielzahl gleichgelagerter Rechtsstreite im ganzen Bundesgebiet zu entscheiden. Es gibt auch hinsichtlich der einzelnen entscheidungserheblichen Rechtsfragen unterschiedliche Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte. Eine Entscheidung des BGH hierzu liegt nicht vor.

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