Europarecht

Dublin-Verfahren (Frankreich)

Aktenzeichen  Au 5 K 17.50557

Datum:
15.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9263
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Durch die Überstellung in den Mitgliedstaat erledigt sich der angegriffene Bescheid weder insgesamt noch hinsichtlich der Abschiebungsanordnung, da die Abschiebungsanordnung weiterhin die Rechtsgrundlage für die vollzogene Abschiebung bildet.  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, das französische Asylsystem leide an systemischen Mängeln, aufgrund derer dorthin zurück überstellte Asylsuchende einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh ausgesetzt wären. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage, über die aufgrund der Erklärungen der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg.
1. Die Klage ist mit ihrem zuletzt mit Schriftsatz vom 8. Mai 2018 gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 30. November 2017 bereits nicht zulässig. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO scheidet hier vorliegend aus, da es an einer Erledigung fehlt. Durch die Überstellung des Klägers am 16. April 2018 nach Frankreich hat sich der mit der Klage angegriffene Bescheid weder insgesamt noch hinsichtlich der Abschiebungsanordnung erledigt. Die Abschiebungsanordnung bildet weiterhin die Rechtsgrundlage für die vollzogene Abschiebung (vgl. OVG NW, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris Rn. 21 f.; VG Düsseldorf, G.v. 18.9.2017 – 12 K 4286/17.A – juris Rn. 30).
2. Mit ihrem ursprünglich erhobenen Antrag bleibt die Klage ohne Erfolg. Das klägerische Begehren ist zwar im Wege der Anfechtungsklage zulässig (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris), aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 30. November 2017 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt. Es liegt hier ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG vor. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird der Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird.
Nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO ist Frankreich für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig. Dies folgt aus Art. 12 Abs. 2 Satz 1 bzw. Abs. 4 Dublin III-VO. Danach ist der Mitgliedsstaat in Fällen, in denen – wie hier – der Antragsteller ein gültiges Visum besitzt, für die Behandlung des Asylantrages zuständig, der das entsprechende Visum erteilt hat.
Die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylbegehrens des Klägers ist auch nicht wegen Ablaufs der Frist für das Wiederaufnahmegesuch auf die Beklagte übergegangen. Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bestimmt, dass das Wiederaufnahmegesuch, sofern es auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System gestützt ist, innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedsstaat zu richten ist. Diese Frist ist im vorliegenden Fall eingehalten. Vorliegend hat das Bundesamt bereits unmittelbar nach Antragstellung am 10. Oktober 2017 am 12. Oktober 2017 ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich gerichtet.
Frankreich hat diesem Übernahmeersuchen mit Schreiben vom 28. Oktober 2017 stattgegeben.
Zum Zeitpunkt der Überstellung des Klägers am 16. April 2018 war die Zuständigkeit Frankreichs auch noch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen. Danach gilt, dass in Fällen, in denen die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durchgeführt ist, der zuständige Mitgliedsstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedsstaat übergeht. Diese Frist war am 16. April 2018 noch nicht abgelaufen. Ablauf der Überstellungsfrist wäre erst am 28. April 2018 eingetreten.
Die Beklagte war auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO daran gehindert, den Kläger nach Frankreich zu überstellen. Hierfür müsste es wesentliche Gründe für die Annahme geben, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Frankreich systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Die Verhältnisse in Frankreich weisen keine Mängel auf, die als systemische Schwachstellen die Gefahr einer Verletzung der Gewährleistungen aus Art. 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK in sich bergen würden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das französische Asylsystem an systemischen Mängeln im Sinne der Ausführungen in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2011 – C 411/10 und C 493/10 – und vom 10.12.2013 – C 394/12 – leidet. Das es in Frankreich systemische Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen gibt, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten, wird derzeit auch von keinem Gericht behauptet. Nachweise hierfür hat der Kläger ebenfalls nicht vorgelegt. Es ist daher davon auszugehen, dass die Mindeststandards bei der Behandlung von Asylbewerbern in Frankreich im Allgemeinen eingehalten werden. Es liegen dem Gericht keine Erkenntnisse darüber vor, dass namhafte sachverständige Institutionen, Nichtregierungsorganisationen oder insbesondere der UNHCR eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen hätten, Asylbewerber nicht nach Frankreich zu überstellen. Auch vom Kläger wurden keine dem widersprechenden Tatsachen vorgetragen.
Weiter ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nicht von dem in ihrem Ermessen stehenden Selbsteintrittsrecht, d. h. von ihrem Recht, das Asylbegehren des Klägers selbst zu prüfen, obwohl sie nach den Bestimmungen der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist, gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht hat. Dabei ist schon davon auszugehen, dass diese Vorschrift dem betroffenen Asylbewerber grundsätzlich kein subjektives Recht auf fehlerfreie Ausübung des den Mitgliedsstaaten eingeräumten Selbsteintrittsrecht vermittelt (vgl. OVG NW, U.v. 19.5.2016 – 13 A 516/14.A).
Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die an die Person des Klägers anknüpfen, sind im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht worden. Auch eine Reiseunfähigkeit ist nicht festzustellen, zumal die Abschiebung am 16. April 2018 nach Frankreich durchgeführt werden konnte.
3. Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Hierfür ist weder konkret etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es liegen insbesondere keine Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
4. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Gegen die Rechtmäßigkeit der auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung mit dem Zielstaat Frankreich bestehen aus den dargelegten Gründen keine rechtlichen Bedenken.
5. Die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Befristung auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Die Beklagte kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot Grundsätzlich auf bis zu fünf Jahre befristen. Der Kläger hat keine persönlichen Bindungen im Bundesgebiet geltend gemacht, die von der Beklagten bei der Befristung hätten berücksichtigt werden müssen.
6. Nach allem war die Klage daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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