Aktenzeichen B 8 S 19.50614
Leitsatz
Aus Art. 12 Abs. 5 Dublin III-VO wird deutlich, dass das in Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO genannte „gültige“ Visum sich nicht auf die Rechtmäßigkeit des Visums bezieht, sondern in Abgrenzung zu Abs. 4 darauf, ob die im Visum genannte Frist abgelaufen ist oder nicht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
I.
Dem Antragsteller wurde von der polnischen Vertretung in Moskau am 25. Juli 2019 ein Schengen-Visum für einen Aufenthalt von maximal 10 Tagen mit einem Gültigkeitszeitraum vom 1. August 2019 bis 25. August 2019 erteilt (Bl. 3 ff. der Behördenakte). Der Antragsteller reiste am 30. August 2019 auf dem Landweg über Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. September 2019 einen Asylantrag.
Gegenüber dem Bundesamt für … (im Folgenden Bundesamt) gab der Antragsteller seinem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates (06.09.2019), bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages und seiner Anhörung nach § 25 AsylG jeweils am 08.10.2019 zusammengefasst an, er habe eine Stressproblematik und könne nicht alleine leben. In Deutschland lebe sein Onkel, der ihn unterstützen und ihm helfen könne. Weiterhin gab er an, von Schleusern einen russischen Pass mit einem Visum erhalten zu haben. In Wirklichkeit sei er Afghane. Hierzu legte er eine Tazkira, einen Studentenausweis und weitere Dokumente vor.
Am 14.10.2019 stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach der Verordnung (EG) Nr. … (Dublin-III-VO) an Polen, dem von den polnischen Behörden mit Schreiben vom 17.10.2019 entsprochen wurde.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.10.2019 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheides) und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides). Die Abschiebung nach Polen wurde angeordnet (Ziffer 3 des Bescheides) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4 des Bescheides). Gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO sei Polen für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig. Der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig. Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestünden nicht. Es lägen keine Gründe zu der Annahme von systemischen Mängeln im polnischen Asylverfahren vor. Dem Antragsteller drohe keine verfahrenswidrige Abschiebung in sein Heimatland. Die Frist von zwölf Monaten für das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei im vorliegenden Fall angemessen. Die Zustellung des Bescheides erfolgte ausweislich der Empfangsbestätigung am 25.10.2019.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 28.10.2019 eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2019 erheben (B 9 K 19.50553) und zugleich beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Zur Begründung wurde vorgetragen, es läge Eilbedürftigkeit vor, da eine Ausreisefrist von einer Woche gegeben sei.
Für die Antragsgegnerin beantragte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 30.10.2019, den Antrag abzulehnen.
Der Antrag auf Eilrechtsschutz wurde mit Beschluss vom 06.11.2019 abgelehnt (Az.: B 9 S 19.50552).
Mit Schriftsatz vom 05.12.2019 beantragte der Klägerbevollmächtigte, den Beschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO abzuändern und festzustellen
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 06.11.2019, Az.: … wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Klage vom 28.10.2019 gegen den Bescheid der Beklagten vom 17.10.2019, Az.: … aufschiebende Wirkung zuerkannt wird.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller sei entgegen der Annahme im Bescheid des Bundesamtes nicht russischer, sondern afghanischer Staatsbürger. Der Antragsteller habe mit einem gefälschten russischen Pass ein folglich ungültiges polnisches Visum erhalten. Die Eintragung eines Visums in einen gefälschten Pass mit falschem Namen könne keine Rechtswirkung entfalten, zumal das polnische Visum gekauft worden sei und daher Zweifel an der Rechtsgültigkeit der Ausstellung bestünden.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.12.2019 beantragt,
den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO abzulehnen.
Der Eilantragsbegründung seien keine Gründe zu entnehmen, die für die Zuständigkeit deutscher Behörden sprechen würden. Der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Polen gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III.VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Auf die ausführliche Begründung des Eilbeschlusses vom 06.11.2019 werde verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Behörden- und die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für eine Abänderung des Beschlusses vom 06.11.2019 gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO liegen nicht vor.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Zum einen macht der Antragsteller schon keine wesentlichen Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände geltend. Er trägt wie schon bei der Behörde vor, nicht russischer, sondern afghanischer Staatsbürger zu sein. Dieser Umstand wurde damit auch schon bei dem Beschluss vom 06.11.2019 mit geprüft. Der Antragsteller hatte auch dort schon Gelegenheit seine afghanische Staatsangehörigkeit und die Umstände der Visumserteilung geltend zu machen. Damit werden schon keine im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachten Umstände zur Begründung des Abänderungsantrags angeführt.
Inhaltlich bezieht sich das Vorbringen des Antragstellers damit auf die inhaltliche Richtigkeit des genannten Beschlusses.
Der Beschluss vom 06.11.2019 und der Bescheid des Bundesamtes begegnen aber auch unter Berücksichtigung des Vortrags, der Antragsteller sei mit einem unredlich erlangten Visum in den Schengenraums eingereist, keinen rechtlichen Bedenken. Polen ist nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig und der in der Bundesrepublik Deutschland gestellt Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG unzulässig.
Nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO ist für die Prüfung eines Asylantrags eines Inhabers eines Visums, welches vor weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, der Mitgliedsstaat zuständig, der das jeweilige Visum erteilt hat, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.
Nach der in Art. 2 Buchst. m Dublin III-VO enthaltenen Definition ist ein Visum eine „Erlaubnis oder Entscheidung eines Mitgliedstaats“, die „im Hinblick auf die Einreise zum Zweck der Durchreise oder die Einreise zum Zweck eines Aufenthalts“ im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten verlangt wird. Aus dem vom Unionsgesetzgeber verwendeten Wortlaut geht hervor, dass der Begriff des Visums auf einen förmlichen Rechtsakt einer nationalen Verwaltung Bezug nimmt. Voraussetzung ist aber nach dem Wortlaut nicht, dass diese Entscheidung, wie vom Antragsteller im Ergebnis angenommen, rechtmäßig getroffen wurde.
Dies ergibt sich auch In Art. 12 Abs. 5 Satz 1 Dublin III-VO. Dort ist ausdrücklich geregelt, dass der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, nicht daran hindert, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Daraus wird deutlich, dass das in Art. 12 Abs. 2 genannte „gültige“ Visum nicht auf die Rechtmäßigkeit des Visums bezieht, sondern in Abgrenzung zu Abs. 4 darauf, ob die im Visum genannte Frist abgelaufen ist oder nicht.
Eine andere Auslegung würde auch dem Sinn und Zweck der Dublin III-VO widersprechen. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Verfahren möglichst zügig bearbeitet werden (vgl. ErwGr. 5 der Dublin III-VO). Wäre Voraussetzung für die Bestimmung der Zuständigkeit nach Art. 12 Dublin III-VO, dass das Visum rechtmäßig erteilt wurde, so würde dies die Klärung der Zuständigkeit deutlich verzögern.
Nach den vorstehenden Erwägungen und unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen im Beschluss vom 06.11.2019, sowie dem streitgegenständlichen Bescheid, die sich die Einzelrichterin zu Eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG), gibt es keinen Anlass, den Beschluss vom 06.11.2019 abzuändern.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.