Europarecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Lärm beim Bau einer Straßenbahnunterführung – Verweisung an zuständiges Verwaltungsgericht

Aktenzeichen  22 AS 16.40042

Datum:
14.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZUR – 2017, 375
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 7, § 83, § 123 Abs. 1
GVG GVG § 17a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Streitigkeiten, die weder das “Ob” einer Zulassung der in § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 VwGO erwähnten Anlagen noch die konkrete Ausgestaltung der Zulassungsentscheidung zum Gegenstand haben, sind nicht im ersten Rechtszug vor den Oberverwaltungsgerichten anhängig zu machen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Nicht von § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 VwGO bzw. den anderen “verfahrensbezogenen” Katalogtatbeständen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwGO erfasst werden unter anderem gerichtliche Verfahren, die die Art und Weise der Ausführung einer planfestgestellten oder plangenehmigten Anlage zum Gegenstand haben. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist sachlich unzuständig.
II.
Die Verwaltungsstreitsache wird an das sachlich und örtlich zuständige Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen.
III.
Die im Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entstandenen Kosten sind Bestandteil der vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg anfallenden Kosten.

Gründe

I. Durch Planfeststellungsbeschluss vom 9. Dezember 2011 stellte die Regierung von Schwaben den Plan für das Projekt „Mobilitätsdrehscheibe Augsburg Hauptbahnhof“ fest. Dieses Vorhaben umfasst u. a. den Neubau einer Straßenbahnunterquerung des Hauptbahnhofs einschließlich eines unterirdischen Stationsbauwerks mit Straßenbahnhaltestelle. Die Nummer A.XI.1.2 des Planfeststellungsbeschlusses legt fest, dass während der Nachtzeit lärmintensive Tätigkeiten nur ausnahmsweise zulässig sind.
In einer für die Anlieger der Baustelle bestimmten, mit „Lärmintensive Erdbau- und Gleisbauarbeiten“ überschriebenen Mitteilung führte eine Projektgesellschaft der Beigeladenen aus, bis zum 11. Dezember 2016 würden weiterhin Tag und Nacht von montagsmorgens bis samstagabends Erdbau- und Verdichtungsarbeiten sowie Gleis(tief)bauarbeiten durchgeführt.
Am 7. November 2016 beantragte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, lärmintensive Erdbau- und Gleisbauarbeiten zur Ausführung des Tunnelbauvorhabens unter dem Augsburger Hauptbahnhof im Bereich des Tunnelmundes unter den Gütergleisen an der R.-straße in Augsburg zur Nachtzeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Ordnungsverfügung vorläufig einzustellen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beteiligten in seiner Eingangsmitteilung vom 8. November 2016 darauf hingewiesen, dass er wohl nicht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO zur Entscheidung des Rechtsstreits erstinstanzlich zuständig sei, und dass eine Verweisung an das Verwaltungsgericht Augsburg in Betracht komme. Der Antragsteller hat daraufhin eine Verweisung an dieses Gericht beantragt.
II. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist zur Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO als Gericht des ersten Rechtszugs sachlich zuständig.
Der Gesetzgeber hat sich in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwGO teils für eine „anlagenbezogene“, teils für eine „verfahrensbezogene“ Bestimmung derjenigen Streitsachen entschieden, über die die Oberverwaltungsgerichte erstinstanzlich zu befinden haben. Der erstgenannte Ansatz liegt den Nummern 1 bis 3 und 6 der Vorschrift zugrunde. Die Nummern 4 und 5 sowie 7 bis 9 des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwGO begnügen sich demgegenüber nicht damit, dass ein Rechtsschutzgesuch inmitten steht, das eine bestimmte Anlagenart betrifft; hinzukommen muss, dass die Anrufung des Gerichts durch eines der im Gesetz jeweils bezeichneten Verwaltungsverfahren ausgelöst wird (vgl. zu der § 48 Abs. 1 Satz 1 VwGO zugrunde liegenden Unterscheidung zwischen anlagen- und verfahrensbezogenen Anknüpfungstatbeständen Bier/Panzer in Schoch/Schmidt-Aßmann/Bier, VwGO, Stand September 2011, § 48 Rn. 8). Neben Streitigkeiten, die die am Ende eines solchen Verwaltungsverfahrens stehende behördliche Entscheidung einschließlich der damit verbundenen Nebenbestimmungen betreffen, gehören hierzu nur solche Rechtsschutzgesuche, die einen unmittelbaren Bezug zu den in § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 sowie 7 bis 9 genannten Verwaltungsverfahren aufweisen (Bier/Panzer in Schoch/Schmidt-Aßmann/Bier, VwGO, Stand September 2011, § 48 Rn. 9). Streitigkeiten, die weder das „Ob“ einer Zulassung der in § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO erwähnten Anlagen noch die konkrete Ausgestaltung der Zulassungsentscheidung zum Gegenstand haben, sind deshalb nicht im ersten Rechtszug vor den Oberverwaltungsgerichten anhängig zu machen (vgl. zu alledem BayVGH, B. v. 25.1.2013 – 22 A 13.40000 u. a. – juris Rn. 7 in Bezug auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VwGO).
Nicht von § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO bzw. den anderen „verfahrensbezogenen“ Katalogtatbeständen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfasst werden danach u. a. gerichtliche Verfahren, die – wie hier der Fall – die Art und Weise der Ausführung einer planfestgestellten oder plangenehmigten Anlage zum Gegenstand haben (vgl. zu § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO VGH BW, B. v. 20.10.2010 – 5 S 2335/10 – juris Rn. 5 ff.; VG Saarlouis, B. v. 6.10.2010 – 10 L 925/10 – juris Rn. 3 f.; zu § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 VwGO OVG Berlin, B. v. 13.12.1990 – OVG 2 A 9.90 – DÖV 1991, 559). Sachlich gerechtfertigt wird dieses Ergebnis durch den Umstand, dass sich der Gesetzgeber bei der erstinstanzlichen Zuweisung der heute von § 48 Abs. 1 VwGO erfassten Streitigkeiten an die Oberverwaltungsgerichte u. a. von der besonderen wirtschaftlichen, ökologischen und raumordnungsbezogenen Bedeutung derartiger Vorhaben (OVG Berlin, B. v. 13.12.1990 a. a. O. S. 559) sowie dem Umstand hat leiten lassen, dass über sie zunächst in einem komplexen, förmlichen und zeitaufwändigen Verwaltungsverfahren befunden wird, in dem die tatsächlichen Grundlagen typischerweise besonders gründlich erarbeitet werden (BVerwG, B. v. 16.7.2008 – 9 A 21.08 – Buchholz 310 § 48 VwGO Nr. 3; VGH BW, B. v. 20.10.2010 a. a. O. Rn. 5). Dies alles legte aus der Sicht des Gesetzgebers die Konzentration der tatrichterlichen Überprüfung auf nur eine Instanz nahe. Auf Streitigkeiten über die Vollziehung eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses treffen diese Erwägungen demgegenüber nicht oder nur sehr eingeschränkt zu (vgl. OVG Berlin, B. v. 13.12.1990 a. a. O. S. 559).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte sich deshalb gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m. § 83 Satz 1 VwGO von Amts wegen für sachlich unzuständig zu erklären und das Verfahren an das nach § 45 VwGO sachlich und nach § 52 Nr. 3 Satz 1 und 5 VwGO i. V. m. § 123 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO örtlich zuständige Verwaltungsgericht Augsburg zu verweisen.
Der unter der Nummer III des Beschlusstenors getroffene Ausspruch rechtfertigt sich aus § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m. § 83 Satz 1 VwGO.
Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 83 Satz 2 VwGO kein Rechtsmittel eröffnet.

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