Europarecht

Erfolglose Anhörungsrüge gegen die Ablehnung eines Antrages auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  11 ZB 17.505

Datum:
25.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 103 Abs. 1
BV BV Art. 91 Abs. 1
VwGO VwGO § 101, § 108 Abs. 2, § 152a

 

Leitsatz

1 Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist für die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht erforderlich, dass sich die Parteien in einer mündlichen Verhandlung äußern können. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 ZB 16.1886 2017-02-07 Bes VGHMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Anhörungsrüge der Klägerinnen gegen den Beschluss des Senats vom 7. Februar 2017 (11 ZB 16.1886), mit dem ihr Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 6. Juli 2016 (M 23 K 15.4389) abgelehnt wurde, ist unbegründet. Der Senat hat bei der Ablehnung des Antrags den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör hinsichtlich der geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).
1. Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen‚ zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), sowie ihre rechtzeitigen und möglicherweise erheblichen Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können (BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 44 m.w.N.). Das rechtliche Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 91 Abs. 1 BV ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seinen Pflichten nicht nachgekommen ist.
1.1 Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um einen Rechtsbehelf, der dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich nicht mit ihm in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht allerdings nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen. Ebenso wenig ist das Gericht gehalten, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Es ist daher verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Begründungsteile des Vorbringens in den gerichtlichen Entscheidungsgründen zu schließen, das Gericht habe sich nicht mit den darin enthaltenen Argumenten befasst (stRspr; vgl. etwa BVerwG, B.v. 8.6.2010 – 5 B 53.09 – juris Rn. 2 und v. 3.7.2014 – 8 B 20.14 – juris Rn. 2 jeweils m.w.N.).
Soweit die Klägerinnen ihre eigenen Rechtsstandpunkte ausführen und an die Stelle der Auffassung des entscheidenden Senats setzen wollen, ist die Anhörungsrüge bereits unstatthaft, weil damit weder Gehörsmängel noch ihre Ursächlichkeit für den Ausgang des Verfahrens dargelegt werden. Darauf muss im Rahmen einer Anhörungsrüge nicht weiter eingegangen werden.
1.2 Die Klägerinnen rügen, das Gericht habe ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 1 VwGO entschieden, obwohl die Beteiligten hierzu nicht ihr Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO erteilt hätten. Hierbei übersehen sie die Vorschrift des § 101 Abs. 3 VwGO, wonach Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, ohne mündliche Verhandlung ergehen können, soweit nichts anderes bestimmt ist. Gemäß § 124a Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet der Verwaltungsgerichtshof über einen Antrag auf Zulassung der Berufung durch Beschluss und nicht durch Urteil, sodass eine mündliche Verhandlung, da anderes im Sinne von § 101 Abs. 3 VwGO nicht bestimmt ist, nicht erforderlich ist. In Verfahren, die nicht mit einem Urteil enden, steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 101 Abs. 3 VwGO im Ermessen des Gerichts; ein Anspruch der Beteiligten, dass eine solche anberaumt wird, besteht nicht. Im vorliegenden Fall erachtete der Senat – wie regelmäßig in einem Berufungszulassungsverfahren – eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich, da der Sachverhalt, soweit entscheidungserheblich, geklärt war und nur das innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO Vorgetragene zu berücksichtigen ist (vgl. auch BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 a.a.O. Rn. 48). Das rechtliche Gehör kann auch im schriftlichen Verfahren gewährt werden. Es ist für die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht erforderlich, dass sich die Parteien in einer mündlichen Verhandlung äußern können. Im Übrigen kann die Anhörungsrüge nur auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, nicht aber auf die Verletzung anderer Verfassungs- und Verfahrensgarantien gestützt werden (BVerwG, B.v. 20.3.2013 – 7 C 3.13 – juris Rn. 4 m.w.N.).
1.3 Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO ist offensichtlich nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Eine Verletzung der Begründungspflicht stellt in der Regel zugleich auch einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 138 Rn. 26). Für die Frage, ob die Begründungspflicht verletzt ist, kommt es darauf an, ob für die Beteiligten erkennbar ist, welche Gründe für die Entscheidung wesentlich waren (Kopp/Schenke a.a.O. Rn 26). Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung jedoch nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (BVerwG, B.v. 25.9.2013 – 1 B 8.13 – juris Rn. 16).
Der Vorwurf, die Entscheidung des Senats vom 7. Februar 2017 sei nicht mit Gründen in diesem Sinne versehen und der Senat hätte nur den Gesetzestext zitiert, ist abwegig. Der Senat hat seine Entscheidung auf über zehn Seiten (davon über acht Seiten Gründe II – rechtliche Ausführungen) begründet und ist auf alle vorgetragenen Aspekte des Falles eingegangen, soweit sie entscheidungserheblich waren. Soweit sie nicht entscheidungserheblich waren, hat der Senat darauf hingewiesen.
2. Die Klägerinnen sind der Auffassung, der Senat hätte auf die rechtlichen Erwägungen, die entscheidungserheblich seien, rechtzeitig hinweisen müssen. Da das nicht geschehen sei, sei die Entscheidung des Senats eine Überraschungsentscheidung im Sinne von § 108 Abs. 2 VwGO.
Damit zeigen die Klägerinnen keinen Gehörsverstoß auf, denn aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2016 – 5 P 4.16 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 16.8.2011 – 6 B 18/11 – juris Rn. 9) und eine prozesstaktische Hilfestellung zu Gunsten eines Verfahrensbeteiligten verbietet sich ohnehin (vgl. Stuhlfauth in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 86 Rn. 47; Breunig in BeckOK VwGO, § 86 Rn. 94). Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (BVerwG, B.v. 15.7.2016 a.a.O. Rn. 3 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil alle entscheidungserheblichen Aspekte des Falles erörtert. Im Antrag auf Zulassung der Berufung hatten die Klägerinnen Gelegenheit, sich mit allen maßgeblichen und vom Verwaltungsgericht erörterten Fragen auseinanderzusetzen und haben davon ausführlich Gebrauch gemacht. Der Senat musste nicht vorab darauf hinweisen, wie er die einzelnen Fragen zu beantworten und im Ergebnis zu entscheiden gedenkt. Im Übrigen war entscheidungserheblich für den Senat allein der Umstand, dass die Klägerinnen ihre Verfügungsbefugnis über die Fahrzeuge nicht nachweisen konnten; eine Frage, die schriftsätzlich ausführlich erörtert wurde.
Die Entscheidung des Senats wurde daher nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Eine Verletzung des § 108 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor. Der Senat hat keinen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gegeben, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 108 Rn. 24 m.w.N.).
Der Senat hat auch keine Urkunden (Anlagen K 1 ff. zur Klageschrift zum Beleg dafür, dass er sich bei den Klägerinnen um gesetzliche Erben des Erblassers handelt) übergangen, indem es die gesetzliche Erbenstellung der Klägerinnen als nicht ausreichend für den Nachweis ihrer Verfügungsbefugnis über die Fahrzeuge des Erblassers erachtete, da das Vorhandensein testamentarischer Verfügungen des Erblassers zugunsten der Klägerin zu 1 bzw. zugunsten des Sohnes des Erblassers aus erster Ehe inmitten stand.
3. Die Klägerinnen rügen, der Senat habe sich nicht mit dem Vortrag in der Zulassungsbegründung zu den Fragen, in welchen Fällen eine ungeteilte Erbengemeinschaft eine notwendige Streitgenossenschaft darstelle und wann eine Prozessstandschaft einzelner Erben möglich sei, auseinandergesetzt. Das stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, weil diese Fragen für den Senat nicht entscheidungserheblich waren. Das Verwaltungsgericht hat die Klage u.a. auch deshalb als unzulässig abgewiesen, weil es offensichtlich an den Anspruchsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 FZV fehlt. Der Senat hat diese Auffassung im Beschluss über den Antrag auf Zulassung der Berufung (BA S. 5 f.) geteilt. Er hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung ankommt, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (BA S. 5). Erörterungen darüber, ob die Klage auch aus anderen Gründen unzulässig sein könnte, waren daher entbehrlich, worauf der Senat in seinem Beschluss (BA S. 7) hingewiesen hat.
Zur Frage der Notwendigkeit der Nennung der ladungsfähigen Anschriften der Klägerinnen hat der Senat in seinem Beschluss (BA S. 8) ausgeführt, dass die Zulassungsbegründung insoweit nicht zu Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils führen könne, weil das Verwaltungsgericht diese Frage zwar aufgeworfen, aber ausdrücklich offen gelassen habe. Der Senat musste sich daher entgegen dem Vorbringen in der Anhörungsrüge auch nicht mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit den Klägerinnen Schutz nach dem Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG – BGBl I 2001, 3513) zu gewähren ist. Der Senat hat daher den „Schutzantrag“ auf Seite 20 des klägerischen Schriftsatzes vom 17. Oktober 2016 nicht übergangen.
4. Der Senat hat das rechtliche Gehör der Klägerinnen auch nicht dadurch verletzt, dass er keine Beweise erhoben hat. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 FZV ist mit dem Antrag auf Ausfertigung einer Zulassungsbescheinigung Teil II der Zulassungsbehörde die Verfügungsberechtigung über das Fahrzeug nachzuweisen. Das haben die Klägerinnen nicht getan. Vielmehr war völlig offen, wer Erbe des Erblassers ist, der Halter der streitgegenständlichen Fahrzeuge war. Es ist nicht Aufgabe der Zulassungsbehörde oder der Verwaltungsgerichtsbarkeit, diese Frage zu klären. Hierfür steht den Klägerinnen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offen.
5. Die Kosten der erfolglosen Anhörungsrüge sind gemäß § 154 Abs. 1 VwGO den Klägerinnen aufzuerlegen. Die Höhe der Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes; einer Streitwertfestsetzung bedarf es daher nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).

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