Europarecht

Erfolglose Asylklage einer Krim-Tatarin mit ukrainischer Staatsangehörigkeit

Aktenzeichen  AN 4 K 16.32281

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG §§ 3, 4 AsylG
AufenthG § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG

 

Leitsatz

1. Einer Krim-Tatarin mit letztem Wohnsitz auf der Krim und ukrainischer Staatsangehörigkeit ist es grundsätzlich möglich und zumutbar, in ihr Herkunftsland Ukraine zurückzukehren und sich dort in den unter der effektiven Kontrolle der ukrainischen Regierung stehenden Landesteilen, jedenfalls in der West- und Zentral-Ukraine, aufzuhalten, ohne dass sie dort politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als Herkunftsland oder potentielles Verfolgerland im asyl- und flüchtlingsrechtlichen Sinn kommen nur völkerrechtlich souveräne Staaten in Betracht. Hierzu zählt das Gebiet der Krim nicht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das von der Klägerin zum Termin vor dem Einzelrichter am 13. Dezember 2017 mitgebrachte Mitglied des Vereins für Menschen mit Körperbehinderung … e.V. ist nicht für die Klägerin im Verfahren aufgetreten, sondern war lediglich als Zuhörerin in der öffentlichen mündlichen Verhandlung anwesend. Für eine Prüfung, ob eine Entscheidung nach § 67 Abs. 7 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1, 3 VwGO geboten gewesen wäre, bestand somit kein Anlass. Auch ein Antrag auf ausdrückliche Zulassung als Terminsbeistand wurde nicht gestellt, so dass allein schon deswegen über einen solchen nicht zu entscheiden war.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 28. November 2016 ist nicht rechtswidrig, die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat keinen Rechtsanspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG oder auf Zuerkennung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Auch die sonstigen in dem angefochtenen Bescheid getroffenen Regelungen entsprechen den gesetzlichen Bestimmungen bzw. sind nicht zu beanstanden.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG vorab auf die Ausführungen des Bundesamtes zur Begründung seines angefochtenen Bescheids vom 28. November 2016, denen es folgt, und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Im Hinblick auf Verlauf und Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter vom 13. Dezember 2017 wird lediglich noch ausgeführt:
Auch das erkennende Verwaltungsgericht geht, wie schon das Bundesamt in seinem angefochtenen Bescheid, davon aus, dass die von der Halbinsel Krim, und zwar dort aus der Stadt …, stammende Klägerin eine ukrainische Staatsangehörige mit letztem Wohnsitz in der Ukraine ist.
Die Klägerin hat nämlich bei ihrer Einreise und Asylantragstellung im Jahr 2015 einen am 13. Juni 2013 – somit vor der Annexion der Krim durch die Russische Föderation – ausgestellten und bis 13. Juni 2023 gültigen ukrainischen Reisepass vorgelegt, nach dessen Eintragungen (vgl. Bundesamtsakte Bl. 25) sie ukrainische Staatsangehörige ist. Der Umstand, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, sie frage sich, wie sie sich denn für eine ukrainische Staatsangehörige halten könne, wo sie doch nie in der eigentlichen Ukraine gelebt habe, steht der Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO), dass die Klägerin ukrainische Staatsangehörige mit letztem Wohnsitz in der Ukraine ist, nicht entgegen.
Die Klägerin hat nach Überzeugung des Gerichts ihre ukrainische Staatsangehörigkeit auch nicht zwischenzeitlich – nämlich insbesondere infolge der Annexion der Krim durch die Russische Föderation im März 2014 – verloren. Im Hinblick auf das entsprechende Vorbringen der Klägerin im Verfahren ist zu den staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen der Annexion der Krim durch die Russische Föderation Folgendes auszuführen:
Aus Sicht der Russischen Föderation hat die Klägerin wohl infolge der Annexion der Krim die russische Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes erworben. Art. 5 des „Vertrages zwischen der Russischen Föderation und der Republik Krim über die Aufnahme der Republik Krim in die Russische Föderation und die Bildung neuer Subjekte im Staatsaufbau der Russischen Föderation“ vom März 2014, auf den bereits im angefochtenen Bescheid des Bundesamts Bezug genommen worden ist, lautet nämlich gemäß der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Übersetzung durch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter vom 13. Dezember 2017 eingesetzte öffentlich bestellte und allgemein vereidigte Dolmetscherin gemäß deren ausdrücklicher schriftlicher Bestätigung wie folgt:
„Ab dem Tag der Aufnahme der Republik Krim in die Russische Föderation und der Bildung neuer Subjekte im Staatsaufbau der Russische Föderation gelten die Staatsbürger der Ukraine und staatenlose Personen, die an diesem Tag ihren ständigen Wohnsitz auf dem Gebiet der Republik Krim oder auf dem Gebiet der Stadt Sewastopol (Stadt mit föderalem Sonderstatut) haben, als Staatsbürger der Russischen Föderation, ausgenommen jene Personen, die im Verlauf eines Monats nach diesem Zeitpunkt erklären, dass sie eine andere Staatsangehörigkeit beibehalten wollen, die sie und/oder ihre minderjährigen Kinder besitzen oder dass sie staatenlos bleiben wollen.“
Die Klägerin hat nicht angegeben, die in Art. 5 des genannten Vertrags vorgesehene Erklärung abgegeben zu haben, ihre bisherige (ukrainische) Staatsangehörigkeit beibehalten oder (wofür hier im Falle der Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich sind) staatenlos bleiben zu wollen.
Die somit aus Sicht der Russischen Föderation wohl – zumindest zusätzlich zur ukrainischen Staatsangehörigkeit auch – bestehende russische Staatsangehörigkeit (auch wenn die Klägerin angegeben hat, zu keinem Zeitpunkt über Personaldokumente der Russischen Föderation verfügt zu haben) steht der hier getroffenen Entscheidung jedoch nicht entgegen, denn der Klägerin ist es als (jedenfalls auch) ukrainischer Staatsangehörigen nach dem Ergebnis des Verfahrens möglich und zumutbar (vgl. dazu auch die überzeugenden Ausführungen des Bundesamtes in seinem angefochtenen Bescheid, denen das Gericht folgt), in ihr Herkunftsland Ukraine zurückzukehren und sich dort in den unter der effektiven Kontrolle der ukrainischen Regierung stehenden Landesteilen, jedenfalls in der West- und Zentral-Ukraine, aufzuhalten, ohne dort politische Verfolgung im hier im Verfahren nach dem Asylgesetz maßgeblichen Sinne mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten zu müssen.
Insbesondere hat die Klägerin ihre ukrainische Staatsangehörigkeit auch nicht durch die erzwungene automatische Sammeleinbürgerung gemäß Art. 5 des oben genannten Vertrages vom März 2014 verloren. Zwar erlaubt das ukrainische Staatsangehörigkeitsrecht grundsätzlich keine doppelte Staatsangehörigkeit, jedoch erkennen die ukrainischen Behörden für die betroffenen Krim-Bewohner, was das Gericht für nachvollziehbar und glaubhaft erachtet, eine Ausnahme an, denn die Ukraine ist nicht daran interessiert, dass die Russische Föderation faktisch mittels der automatischen Sammeleinbürgerung von Krim-Bewohnern gemäß dem vorgenannten Vertrag über die Aberkennung der ukrainischen Staatsangehörigkeit für die betroffenen Personen entscheiden könnte (vgl. Olga Gulina: Nie wieder Krieg – Flüchtlinge aus der Ost-Ukraine, in: Zeitschrift Osteuropa, 65. Jahrgang 2015, S. 331 ff., dort insbesondere S. 140 f., Fußnoten 46, 47). Auch der von der Klägerin angegebene Antrag auf Zuerkennung der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der angestrebten Ablegung der Diplomprüfung an der Universität …Krim (den Abschluss ihrer Universitätsausbildung datierte die Klägerin bei der Bundesamtsanhörung auf Anfang Juli 2014, also nach erfolgter Annexion der Krim durch die Russische Föderation) führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal die Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2017 angegeben hat, sie habe ihr Universitätsdiplom allein schon auf der Grundlage des gestellten Antrags auf Einbürgerung ablegen können. Zu einer ausdrücklichen – stattgebenden – Entscheidung über ihren angegebenen Einbürgerungsantrag ist es offenbar nicht gekommen (eventuell auch auf Grund der Sammeleinbürgerung gemäß dem oben genannten Vertrag vom März 2014), denn zum einen machte die Klägerin hierzu keinerlei Erwähnung von sich aus, zum anderen räumte sie in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2017 auf entsprechende richterliche Nachfrage ein, zu keinem Zeitpunkt im Besitz eines russischen Personalausweises oder Reisepasses gewesen zu sein. Demgemäß ist eine etwaige freiwillige Annahme der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation, die nach ukrainischem Recht (s.o.) zum Verlust der ukrainischen Staatsangehörigkeit hätte führen können, nicht einmal dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht.
Es verbleibt somit dabei, dass im Falle der Klägerin für die Frage des Herkunftslandes bzw. potentiellen Verfolgerlandes im Sinne des vorliegenden Verfahrens nach dem Asylgesetz und dementsprechend auch für die Frage, in welches Land die Klägerin zumutbarerweise zurückkehren könnte bzw. in das ihr für den Fall der nicht fristgerechten freiwilligen Ausreise die Abschiebung angedroht werden konnte, auf die Ukraine abzustellen ist.
Darauf, ob die Klägerin sich etwa in die Russische Föderation begeben und dort ohne beachtliche Gefahr, Opfer politischer Verfolgung zu werden, aufhalten könnte (vgl. dazu allerdings etwa den – wenngleich nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Verfahrens gemachten – Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 22.6.2017, Stand: Juni 2017, insbesondere Seite 7 und 16), kommt es nach alledem nicht entscheidungserheblich an. Rein hilfsweise für den Fall, dass dies anders zu bewerten wäre, sei ergänzt, dass die Klägerin jedenfalls in keiner Weise konkret und substantiiert dargetan und zudem glaubhaft gemacht hat, dass sie als Krim-Tatarin nicht erforderlichenfalls in anderen Landesteilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative finden könnte.
Zur Abrundung sei schließlich noch angemerkt, dass insbesondere die Krim selbst als Herkunftsland bzw. potentielles Verfolgerland für die Klägerin als Krim-Tatarin nicht in Betracht kommt, auch wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2017 auf entsprechende Nachfrage des Gerichts angegeben hat, die Krim sei der Staat bzw. das Gebiet, wo sie sich verfolgt bzw. bedroht fühle, wohingegen sie die Ukraine nur hilfsweise („im Übrigen“) genannt hat. Bei der Krim handelt es sich lediglich um ein Gebiet innerhalb eines Landes (sei es der Ukraine, sei es Russland), sie ist nicht selbst ein eigenständiges Völkerrechtssubjekt. Eine gegenteilige Ansicht wird, soweit ersichtlich, auch von der Ukraine oder von Russland nicht vertreten. Als Herkunftsland bzw. potentielles Verfolgerland im asyl- und flüchtlingsrechtlichen Sinn kommen, wie Art. 16a GG, die Bestimmungen des Asylgesetzes (vgl. dort etwa § 3) und § 60 AufenthG zeigen, nur souveräne Staaten im völkerrechtlichen Sinn in Betracht. Hierzu zählt das Gebiet der Krim, wie immer letztlich dessen völkerrechtliche Zugehörigkeit zu beurteilen sein mag, nicht.
Auch Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG hat das Bundesamt zutreffend verneint.
Soweit die Klägerin bei der Bundesamtsanhörung vom 17. Oktober 2016 angegeben hat, sie habe nach dem von ihr geschilderten Vorfall in der S-Bahn von Ende 2014 „langfristige Depressionen“ gehabt, lässt dieser Vortrag nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG schließen. Dieser Vortrag war schon bei der Bundesamtsanhörung völlig unsubstantiiert. Die Klägerin ist im späteren Verfahren, insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter am 13. Dezember 2017, hierauf nicht mehr – konkret und substantiiert – zurückgekommen, sie hat auch keinerlei Nachweise, etwa in Form eines entsprechenden fundierten ärztlichen Attestes, hierzu vorgelegt. Weitere Ausführungen insoweit erübrigen sich somit.
Abschließend sei im Hinblick auf die von der Klägerin vorgelegten Nachweise über ihre in Deutschland abgelegte Sprachprüfung und ihre in Deutschland begonnene Berufsausbildung zur Kauffrau für Büromanagement (planmäßiges Ausbildungsende 31.8.2019) angemerkt, dass etwa bereits erbrachte oder auch für die Zukunft noch zu erwartende – weitere – Integrationsleistungen im Rahmen des hier allein streitgegenständlichen Verfahrens nach dem Asylgesetz nicht von Bedeutung sind.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Klägerin trägt als unterliegender Teil gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gerichtlichen Verfahrens. Gerichtskosten werden jedoch gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

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