Aktenzeichen M 12 K 17.1107
Leitsatz
Eine positive Prognoseentscheidung, ob ein Ausländer sich selbst seinen Lebensunterhalt sichern kann, erfordert, dass die Erwerbstätigkeit eine gewisse Nachhaltigkeit aufweist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die Ablehnung seines Antrages im Bescheid vom 13. Januar 2017 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis versagt, da die Voraussetzungen für eine im Ermessen der Beklagten stehende weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 AufenthG nicht vorliegen.
Eine Erteilung der Aufenthaltserlaubnis scheitert daran, dass die auch im Rahmen des § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG anzuwendende allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraussetzt, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist, nicht vorliegt. Auch liegt kein atypischer Ausnahmefall vor, auf den der Regelversagungsgrund nicht anzuwenden wäre.
Der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gesichert.
Zwar muss bei einer erstmaligen Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 Abs. 1 AufenthG die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhaltes nicht erfüllt sein. Weitere Verlängerungen nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG setzen aber voraus, dass diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung vorliegt (BayVGH, B.v. 17.06.2013 – 10 C 13.881 – juris Rn. 15 m.w.N). Die Privilegierung des § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bezieht sich nur auf den Aufenthalt in dem Jahr unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis (vgl. BVerwG, U.v. 22. 6. 2011 – 1 C-5/10). Dieses Jahr endete am 22. Mai 2016.
Nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann; die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel bleiben außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Von einer Sicherung des Lebensunterhaltes kann daher nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen, was nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung des jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt werden kann. Es muss unter Berücksichtigung der Berufschancen und der bisherigen Erwerbsbiografie eine gewisse Verlässlichkeit des Mittelzuflusses gewährleistet sein, die unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit eine positive Prognose zulässt (BayVGH, B.v. 8.2.2017, 10 ZB 16.1850 – juris Rn. 13; B.v. 24.4.2014 – 10 ZB 14.524 – juris Rn. 6). Erforderlich ist bei der Prognose eine Abschätzung aufgrund rückschauender Betrachtung, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Lebensunterhalt dauerhaft und ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufgebracht werden kann (vgl. zusammenfassend Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 5 AufenthG Rn. 25 m.w.N.).
Diese Prognoseentscheidung fällt zu Lasten des Klägers aus.
Der Kläger bezieht seit seiner Einreise 2007 SGB II-Leistungen, zuletzt ausweislich des Bescheids des Jobcenters München in Höhe von 632,90 Euro. Die vom Kläger vorgelegten Arbeitsverträge als …kraft und beim Winterdienst führen aufgrund der geringen Stundenzahl und dem geringen Verdienst pro Stunde nicht dazu, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittelbestreiten kann. Zudem waren die beiden Arbeitsverträge bis 28. Februar 2017 befristet und eine Verlängerung ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Es ist nicht abzusehen, ob und dass der Kläger seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet voraussichtlich in Zukunft aus eigenen Mitteln sicherstellen können wird. Es ist nicht zu erwarten, dass er auf Dauer Arbeitseinkünfte erzielen wird, die seinen Bedarf decken werden. Dies ergibt sich aus einer rückschauenden Betrachtung auf die geringe Erwerbstätigkeit und den Sozialleistungsbezug des Klägers in den vergangenen Jahren und auch aus seinen erfolglos gebliebenen Bewerbungen. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass der Kläger 64 Jahre alt ist und es in diesem Alter deutlich schwerer ist, eine Arbeit zu finden, durch die er seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern kann.
Es ist daher nicht abzusehen, ob und wann der Kläger eine Arbeitsstelle erhalten wird.
Dass beim Kläger eine Alkoholintoxikation und Alkoholabhängigkeit diagnostiziert wurde, führt zu keiner anderen Entscheidung. Bei der Beurteilung, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel auf Dauer gesichert ist, kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer „unverschuldet“ soziale Leistungen in Anspruch nimmt. Eine derartige Einschränkung des Erfordernisses der Lebensunterhaltssicherung ist (anders als im Einbürgerungsrecht oder bei § 9 Abs. 2 S. 3, 6 AufenthG) den gesetzlichen Regelungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG, welche den fiskalischen Interessen, die mit dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt werden, ein großes Gewicht einräumen, nicht zu entnehmen (vgl. BayVGH, U.v. 9.12.2005 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 42 unter Verweis auf Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 5 AufenthG Rn. 46 m.w.N., Maor in Kluth/Heusch, Beck`scher Online-Kommentar, Ausländerrecht, Stand 1.8.2015, § 5 AufenthG Rn. 20 m.w.N.).
Ein atypischer Sachverhalt, auf den der Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht anzuwenden wäre, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht unverhältnismäßig, insbesondere im Falle des Klägers auch nicht unzumutbar, an der Regelvoraussetzung festzuhalten. Der Gesetzgeber bringt durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse anzusehen ist. Ausnahmen von der Regel sind daher grundsätzlich eng auszulegen. Ein Ausnahmefall ist nur bei besonderen, atypischen Umständen gegeben, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten sein (BVerwG, U.v. 30. 4. 2009 – 1 C 3.08 – juris, BayVGH, U.v. 19.12.2015 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 43, B.v. 24.4.2014 – 10 ZB 14.528 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Atypische Umstände, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen, liegen nicht vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein etwaiges – auf seinen langjährigen Aufenthalt in Deutschland gründendes – Vertrauen des Klägers auf ein weiteres Recht auf Verbleib im Bundesgebiet schutzwürdig wäre. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet ein gewichtiges, aber nicht das allein entscheidende Kriterium zur Bestimmung eines vom Regelversagungsgrund abweichenden Ausnahmefalls ist (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 31.8.2009 – 2 M 132/09 – juris Rn. 4). Vielmehr muss der Ausländer die ihm durch einen langen Aufenthalt gegebene Gelegenheit auch genutzt haben, sich wirtschaftlich und sozial so zu integrieren, dass eine Verfestigung seiner Lebensverhältnisse im Bundesgebiet eingetreten ist und ihn eine Beendigung des Aufenthalts besonders hart treffen würde. Zu der langjährigen Dauer des Aufenthalts müssen also noch besondere Umstände hinzutreten (BayVGH, B.v. 4.12.2013 – 10 CS 13.1449 – juris Rn. 22).
Der Kläger hält sich seit 2007 im Bundesgebiet auf. Die eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau ist spätestens durch das Scheidungsurteil des Amtsgerichts M.. … vom … September 2012 beendet. Die beiden Söhne des Klägers sind erwachsen und nicht mehr auf dessen Unterstützung angewiesen. Der Kläger kann diese besuchen und telefonisch sowie per Internet den Kontakt aufrechterhalten. Sonstige schützenswerte familiäre oder anderweitige Bindungen hat der Kläger nicht vorgetragen und sind nicht ersichtlich. Auch beruflich hat sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nicht integriert. Das fortgeschrittene Alter des Klägers ist kein atypischer Umstand, der ein Abweichen vom Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen würde (BayVGH, U.v. 19.12.2015 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 44).
Die Beklagte hat auch zutreffend angenommen, dass die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes verstößt. Der Kläger konnte angesichts des schon lange andauernden Bezugs von Sozialleistungen nicht damit rechnen, dass er eine Aufenthaltserlaubnis erhält. Hinsichtlich der persönlichen Bindungen zu den Söhnen wird nach oben verwiesen. Dem Kläger ist auch zumutbar, sich in seinem Heimatland eine Existenz aufzubauen. Er spricht russisch. Vor seiner Einreise 2007 lebte der Kläger 54 Jahre in seinem Heimatland.
Auch die auf § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und die auf § 50 AufenthG gestützte Ausreisefrist begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.