Europarecht

Erfolglose Klage gegen Fahrerlaubnisentziehung nach Nachweis von Amphetaminen in Haarprobe

Aktenzeichen  M 26 K 16.89

Datum:
10.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 11 Abs. 8, § 14 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

Wird Betäubungsmittelkonsum mittels einer Haarprobe nachgewiesen, ist hierfür nicht zwingend erforderlich, mehrere Strähnen abzuschneiden. (redaktioneller Leitsatz)
Wird behauptet, der Nachweis von Amphetamin in einer Haarprobe sei nicht auf die Einnahme, sondern auf den Umgang mit diesem Stoff zurückzuführen, bedarf es der Schilderung eines plausiblen Lebenssachverhalts, der erklärt, wieso, über welchen Zeitraum und in welcher Weise die Klägerin diesem Betäubungsmittel ausgesetzt war oder gewesen sein könnte. Ein “Verfolgungseifer” eines ehemaligen Lebenspartners indiziert hierbei nicht die (von der Klägerin behauptete) heimliche Verabreichung von Stoffen durch diesen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Soweit die Klage gegen Nr. 3 des Bescheids vom 23. Juni 2015 gerichtet ist, ist sie wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig. Der Führerschein liegt der Beklagten vor. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – gleichwohl noch beitreiben wird.
2. Soweit die Klage ansonsten zulässig ist, ist sie unbegründet.
2.1. Die Entziehungsentscheidung in Nr. 1 des Bescheids vom 23. Juni 2015 ist formell und materiell rechtmäßig und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht nimmt zunächst auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen im angegriffenen Bescheid der Beklagten Bezug und macht sich diese zur Begründung der vorliegenden Entscheidung zu Eigen. Darüber hinaus verweist es auf die Gründe zum Beschluss vom 23. September 2015 im Verfahren M 6b S 15.3002 (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Die Beklagte musste gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung der Klägerin schließen, nachdem diese die angeordnete Begutachtung verweigerte bzw. sich nicht rechtzeitig bei einer Begutachtungsstelle anmeldete, so dass sie ein Gutachten nicht mehr fristgerecht vorlegen konnte. An der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung vom … Januar 2015 bestehen auch nach dem erweiterten bzw. ergänzenden klägerischen Vortrag im Klageverfahren, der sich insbesondere gegen die Annahme, die Klägerin habe Amphetamin konsumiert, richtet, keine Zweifel.
Das Gericht hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnenen, dass die Beklagte zu Recht von einem (erneuten) Amphetaminkonsum der Klägerin (nach 2007) ausging. Einer weiteren Aufklärung hierzu bzw. einer Beweiserhebung bedurfte es insoweit nicht.
Amphetamin wurde in der Haarprobe der Klägerin nachgewiesen, was ausweislich des Gutachtens von A. vom … Januar 2014 in der Regel auf einen Konsum schließen lässt.
Das Gericht erachtet das Gutachten der A. zur Untersuchung von Haaren der Klägerin, ergänzt um die Stellungnahme vom … Dezember 2014, als vollumfänglich verwertbar. Die von Klägerseite ausführlich dargelegten Mängel vermag es nicht nachzuvollziehen. Es unterliegt namentlich keinen ernsthaften Bedenken, dass die fragliche toxikologische Untersuchung einer Haarprobe der Klägerin den einschlägigen Richtlinien der Gesellschaft für toxikologische und chemische Chemie (GTFCh) entsprechend durchgeführt worden ist und daher den dort definierten Qualitätskriterien genügt. A. ist nach DIN EN ISO/IEC 17025 („Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien“) akkreditiert. Die Akkreditierung gilt ausweislich der Anlage zur Akkreditierungsurkunde … (nachlesbar unter http://www.dakks.de…) u. a. für das Prüfgebiet „Forensische Toxikologie, im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik“ und das vorliegend angewendete Prüfverfahren („Flüssigkeitschromatographie (HPLC-MS und HPLC-QTOF)“). Die für die Untersuchung verantwortlichen Gutachter verfügen ausweislich des Gutachtens zudem über die notwendige forensisch-toxikologische Erfahrung, die durch die Anerkennung als „Forensischer Toxikologe GTFCh“ nachgewiesen ist. Es ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass A. ordnungsgemäß nach den Richtlinien der GTFCh arbeitet und eine geeignete interne und externe Qualitätskontrolle, wie z. B. die regelmäßige erfolgreiche Teilnahme an Ringversuchen der GTFCh, durch welche die gleichbleibende Objektivität und Richtigkeit vergleichsfähiger Ergebnisse erzielt wird und bei der es um die Richtigkeit von Messungen und die Kenntnis der Messunsicherheiten geht, betreibt.
Auch in Bezug auf die hier in Rede stehende Haaranalyse bestehen keine Anhaltspunkte für ergebnisrelevante Abweichungen von den vorstehend angesprochenen Standards. Nach Anhang C zur Richtlinie der GTFCh, die Anforderungen an die Untersuchung von Haarproben festschreibt, genügte die Angabe von Entnahmedatum und Abnahmestelle (Institut B., ebenfalls akkredidiert für Forensische Toxikologie, s. http://www.dakks.de…). Es war danach auch nicht zwingend erforderlich, mehrere Strähnen abzuschneiden, zumal dem Gutachten entnommen werden kann, dass die abgenommene Strähne ausreichend Untersuchungsmaterial bot und es ermöglichte, eine Rückstellprobe zu sichern (s. auch Beurteilungskriterien, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP)]/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 2013, 3. Auflage, S. 268). Eine Resthaarlänge ist bei wurzelnaher Abnahme nicht vorhanden und daher auch nicht zu dokumentieren. Die Fixierung der Haarsträhne erfolgte zwar anscheinend nicht mittels Faden, wie dies unter Nr. 2.1 der Anlage C zur Richtlinie GTFCh vorgegeben ist, nach den CTU-Kriterien aber auch nicht gefordert wird (s. Beurteilungskriterien, a. a. O., S. 262). Hieraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass das Verschieben von Segmenten nicht auf andere, in der von A. in der Stellungnahme vom … Mai 2016 (s. Bl. 427 ff. der Akte der Beklagten) geschilderten Weise ausreichend sicher gestellt war, um eine sequenzielle Untersuchung zu gewährleisten. Eine Dokumentationspflicht lässt sich insoweit der Anlage C nicht entnehmen, ebenso wenig wie in Bezug auf die Kennzeichnung der Schnittstelle, den Versand oder die Verpackung. Die Charakterisierung der Probe nach Länge, Gewicht der zur Untersuchung kommenden Segmente, Farbe und Hinweise auf kosmetische Behandlung ist erfolgt und dokumentiert. Dokumentiert sind auch die in jeder Hinsicht der GTFCh-Richtlinie entsprechenden methodischen Schritte der Substanzbestimmung (s. Nr. 4 des Anhangs C zur Richtlinie der GTFCh).
Das Gericht geht davon aus, dass der Nachweis von Amphetamin im Haar der Klägerin auf dessen Konsum zurückzuführen ist. Die Klägerin hat – wie schon im Antragsverfahren – auch im Klageverfahren nicht ausreichend nachvollziehbar und substantiiert vorgetragen oder gar nachgewiesen, dass der Nachweis von Amphetamin in ihrem Haar nicht auf die Einnahme, sondern auf den Umgang mit diesem Stoff zurückzuführen sei. Hierzu hätte es der Schilderung eines plausiblen Lebenssachverhalts bedurft, der erklärt, wieso, über welchen Zeitraum und in welcher Weise die Klägerin diesem Betäubungsmittel ausgesetzt war oder gewesen sein könnte (vgl. auch BayVGH, B. v. 24.6.2015 – 11 CS 15.802 – juris m. w. N.). Hieran fehlt es weiterhin.
Soweit die Klägerin den Nachweis von Amphetamin darauf zurückzuführen versucht, dass der ehemalige Lebensgefährte der Klägerin ihr dieses Betäubungsmittel heimlich beigebracht haben könnte, ist auch dieser Vortrag nicht geeignet, Zweifel am bewussten Konsum der Klägerin zu wecken.
Zwar setzt die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Die vom Betroffenen unbemerkte Verabreichung durch Dritte und daher unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Wer behauptet, die festgestellten Substanzen unwissentlich eingenommen zu haben, muss deshalb einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt. Entsprechende Behauptungen können allenfalls dann als beachtlich angesehen werden, wenn der Betroffene überzeugend aufzeigen konnte, dass der Dritte einen Beweggrund hatte, ihm ohne sein Wissen Betäubungsmittel zuzuführen, und dass er selbst die Aufnahme des Betäubungsmittels und deren Wirkung tatsächlich nicht bemerkt hat (s. BayVGH, B. v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – juris Rn. 12 m. w. N.).
Die Klägerin hat hier zwar den Belastungseifer des ehemaligen Lebensgefährten, der am … Dezember 2013 gegenüber der Polizei die Existenz von Amphetamin in der Wohnung der Klägerin anzeigte und weitere Handlungen vornahm, die sogar zu einem Beschluss nach § 1 Gewaltschutzgesetz (s. Bl. 353 ff. der Akte der Beklagten) führten, ausführlich und plausibel geschildert. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass der Lebensgefährte nach der Trennung im Dezember 2013 daran interessiert war, die Klägerin vielfältig – u. a. mit dem herbeigeführten Verlust der Fahrerlaubnis – zu schädigen, ist nicht plausibel erklärt, warum er ihr über einen längeren Zeitraum bereits während des Bestehens der Beziehung und der Lebensgemeinschaft Amphetamin beigebracht haben sollte. Unterstellt, er hätte entsprechende Beweggründe gehabt, ist insoweit zu beachten, dass die besagte Beziehung nur von August bis Dezember 2013 dauerte (s. Bl. 351 der Behördenakte). Mit der von der Klägerin geschilderten Möglichkeit der unbewussten Einnahme ließe sich also keinesfalls erklären, dass der Nachweis von Amphetamin in allen untersuchten Segmenten der Haarprobe und damit ein Jahr zurückreichend gelang. Im Übrigen erachtet das Gericht es auch nicht als glaubhaft, dass die Klägerin, die auch ausweislich des Gutachtens des TÜV … vom … Oktober 2010 Erfahrungen mit den Wirkungen von Amphetamin hatte (s. Bl. 130 der Behördenakte), die Aufnahme dieses Betäubungsmittels nicht bemerkt haben sollte.
2.2. Die im Bescheid vom 23. Juni 2016 enthaltene, hinsichtlich der Frist konkretisierte Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern (Nr. 2 des Bescheids), ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 FeV. Rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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