Aktenzeichen M 19 S7 19.50715
EMRK Art. 8
VwGO § 80 Abs. 7
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 10, Art. 16, Art. 17
Leitsatz
1. Eine Sichelzellenanämie erfordert jedenfalls außerhalb von akuten Schmerzkrisen für sich genommen keine (permanente) gesteigerte Unterstützung durch Dritte. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein abgeleiteter Anspruch auf Aufenthalt für enge Familienangehörige kann aus einem nur verfahrensbegleitenden Aufenthaltsrecht des Stammberechtigten nicht abgeleitet werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Antrag werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren (erneut) vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Portugal im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2019 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag der Antragsteller als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte Abschiebungsverbote (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Portugal an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr.4).
Die Antragsteller erhoben hiergegen Klage (M 19 K 19.50496) und stellten gegen die Abschiebungsandrohung einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO (M 19 S 19.50497), den das Gericht mit Beschluss vom 12. Juni 2019 abgelehnt hat.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 4. Juli 2019 beantragen sie nun,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 12. Juni 2019 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Beschied vom 2. Mai 2019 verfügte Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung wurde (erneut) vorgebracht, dass die Antragstellerin zu 2) an einer Sichelzellenanämie leide und damit schwer erkrankt sei; vorgelegt wurde ein Attest vom 1. Juli 2019. Nach einem Wechsel der Bevollmächtigten wurde mit Schriftsatz vom 21. August 2019 mitgeteilt, dass zur Heilung der Erkrankung “eine Stammzellentransplantation in die Wege geleitet” worden sei. Außerdem wurde vorgetragen, dass sich der Ehemann der Antragstellerin zu 1) bzw. der Vater der Antragsteller zu 2) und 3) in Deutschland aufhalte. Dieser habe gegen seinen ablehnenden Asylbescheid vom 16. Mai 2017 Klage erhoben, über die bislang noch nicht entschieden sei. Deshalb würde zugunsten der Antragsteller Art. 10 Dublin III-VO eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin begründen, da unter “Erstentscheidung” im Sinne dieser Vorschrift (nur) ein bestandskräftiger Bescheid des Bundesamts zu verstehen sei. Ein solcher liege gegenüber dem Vater nicht vor. Die Rolle als Ehemann bzw. Vater sei durch – vorgelegte – Urkunden ausreichend belegt.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 27. August 2019 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Auf schriftliche Nachfrage des Gerichts vom 26. August 2018 teilte die Bevollmächtigte der Antragsteller mit Schreiben vom 9. September 2019 mit, dass bislang kein Stammzellentransplantationsverfahren eingeleitet werden konnte; es sei gegenwärtig kein Spender vorhanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 2. Mai 2019 sowie auf die vorgelegten Behörden- und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 wird die Fortdauer der im Verfahren nach §?80 Abs. 5 VwGO getroffenen Entscheidung geprüft, nicht deren ursprüngliche Richtigkeit (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 183). Eine Änderung des Beschlusses vom 12. Juni 2019 ist vorliegend nicht angezeigt, da die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Nummer 3 des Bescheids vom 2. Mai 2019, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, bei summarischer Prüfung weiterhin keinen durchgreifenden Bedenken begegnet. Die Anträge sind daher abzulehnen.
1. Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich nicht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – im Folgenden: Dublin III-VO. Die Vorschrift ist nicht anwendbar.
Entgegen der Ansicht der Antragsteller, die für sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (B.v. 7.5.2018 – 34 L73.18 A – juris-Rn. 8 ff.) in Anspruch nehmen kann (s.a. Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 27a AsylVfG Rn. 38; Hruschka in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2018, § 12 Rn. 108; Koehler, Praxiskommentar zum Europäischen Asylzuständigkeitssystem, Art. 10 Dublin III-VO Rn. 12) ist die in Art. 10 Dublin III-VO verwendete Wendung “keine Erstentscheidung in der Sache” dahingehend auszulegen, dass sich die Zuständigkeit der Antragsgegnerin auf Familienangehörige eines Antragstellers – hier des (behaupteten) Ehemanns bzw. Vaters – nur solange erstreckt, bis die Entscheidung gegenüber diesem Antragsteller nach den einschlägigen Vorschriften wirksam, d.h. insbesondere bekanntgegeben wurde. Die Bestandskraft des Bescheids ist hingegen nicht erforderlich (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 10 K3; wohl ebenso Heusch in Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 1. Aufl. 2016, Rn. 254; s.a. VG München, B.v. 15.6.2018, M 18 S 18.50523).
Für dieses Verständnis der zitierten Wendung spricht zunächst der Wortsinn. Eine (erste) Entscheidung in der Sache liegt bereits vor, wenn die zuständige Behörde über das Begehren des Antragstellers – hier: des Ehemanns bzw. Vaters – in nicht nur verfahrensrechtlicher Hinsicht entschieden hat. Darauf, ob diese Entscheidung einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen wird oder bis zum Ablauf der Klagefrist noch unterzogen werden kann, kommt es danach nicht an.
Bekräftigt wird dieses Ergebnis durch einen systematischen Vergleich mit anderen Vorschriften der Verordnung, die bewusst auf Bestands- bzw. Rechtskraft abstellen. So ist in Art. 2 Buchst. c) Dublin III-VO die Rede von einem Antrag auf internationalen Schutz, “über den noch nicht endgültig entschieden wurde”, in Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO von einer Ablehnung “durch eine endgültige Entscheidung” und in Art. 29 Abs. 1 von einer “endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf”. Diese Vorschriften sind nach ihrem Wortsinn so zu verstehen, dass es auf die jeweils endgültige und damit also bestandskräftige behördliche Entscheidung ankommt. Angesichts dessen, dass Bestandskraftüberlegungen dem Verordnungsgeber bekannt waren, ist davon auszugehen, dass es in Art. 10 Dublin III-VO, der insoweit erkennbar anders formuliert ist, auf eine Bestandskraft gerade nicht ankommen soll. Hätte der Verordnungsgeber ein anderes Ergebnis gewollt, hätte es überdies nahegelegen, an die Legaldefinition des Art. 2 Buchst. d) Dublin III-VO anzuknüpfen. Denn die “Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutzes” umfasst gerade – deutlich durch das Wort “Urteile” – auch die Phase des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Art. 10 Dublin III-VO nimmt auf Art. 2 Buchst. d) Dublin III-VO aber nur mit Blick auf – für den vorliegenden Fall formuliert – die Ehefrau bzw. die Kinder, jedoch nicht bezüglich des Ehemanns bzw. Vaters Bezug. Rekurriert die Vorschrift insoweit also auf die Erstentscheidung in der Sache und nicht auf die Prüfung eines Antrags im Sinne der Legaldefinition, ist davon auszugehen, dass die damit verbundene (zeitliche) Zuständigkeitsbeschränkung beabsichtigt ist.
Dieses Auslegungsergebnis ist auch sachlich gerechtfertigt. Zwar ist zuzugeben, dass, wenn – wie hier vertreten – die Zuständigkeit vor dem Abschluss des Klageverfahrens endet, eine Art “Zuständigkeitslücke” (so VG Berlin, B.v. 7.5.2018 – 34 L73.18 A – juris Rn. 9) für den Zeitraum zwischen der behördlichen (bis dahin greift Art. 10 Dublin III-VO ein) und der gerichtlichen Entscheidung (danach greift im Fall der Stattgabe Art. 9 Dublin III-VO ein) entsteht. Allerdings ist bereits die verwendete Terminologie “Zuständigkeitslücke” missverständlich; denn es entsteht keine Lücke in der Zuständigkeit dergestalt, dass für die Phase nach behördlicher Erstentscheidung und vor (stattgebender) Gerichtsentscheidung keine Zuständigkeit für (hier) die Ehefrau bzw. Kinder bestünde; vielmehr wird in diesem Zeitraum (nur) der zuständige Staat nach den allgemeinen Regelungen bestimmt – es findet also ein Zuständigkeitswechsel statt. Dieser findet seine sachliche Rechtfertigung darin, dass Art. 10 Dublin III-VO den Vorteil nutzen möchte, der sich für die Mitgliedstaaten daraus ergibt, dass mehrere Familienangehörige zur gleichen Zeit im Asylverfahren stehen und damit wechselweise als Auskunftspersonen zu Verfügung stehen. Die gemeinsame Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz der Mitglieder einer Familie durch ein und denselben Mitgliedstaat ermöglicht genauere Prüfungen der Anträge und kohärente damit zusammenhängende Entscheidungen (so Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 10 K2; vgl. Erwägungsgrund 15 der Verordnung). Dieses Ziel der Verfahrensstraffung (vgl. Günther in BeckOK AuslR, 22. Ed., Stand: 1.5.2019, § 29 AsylG Rn. 47) und der besonders informierten Entscheidungsfindung durch Einbeziehung sämtlicher Familienangehöriger wird jedoch in dem Zeitpunkt obsolet, in dem die Antragsgegnerin über einen Antrag (hier des Ehemanns bzw. Vaters) bereits entschieden hat; mögliche Informationen der ihren Antrag erst später stellenden (hier) Ehefrau und Kinder (Anträge vom 16. April 2019) können jedenfalls für den bereits entschiedenen Antrag nicht mehr (ohne weiteres) verwertet werden.
Eine andere Auslegung ist auch nicht mit Blick auf den Schutz der Familie (durch Vermeidung der räumlichen Trennung) geboten (vgl. hierzu ebenfalls Erwägungsgrund 15). Denn Art. 10 Dublin III-VO überträgt einem an sich unzuständigen Staat ausnahmsweise die Zuständigkeit. Ausnahmen vom Zuständigkeitsregime nach den allgemeinen Regelungen sind jedoch eng auszulegen. Die daraus resultierenden Folgen für eine Trennung bzw. unterbleibende Zusammenführung der Familie nach der ersten (negativen) Entscheidung in einem – zumal durch das Unionsrecht strikt regulierten und grundsätzlich überall gleich ausgebauten – Verfahren für den Zeitraum eines gerichtlichen Verfahrens sind wertungsmäßig auch plausibel. Den Betroffenen wird eine Trennung bzw. Nichtzusammenführung nicht in der frühen Phase vor einer Entscheidung durch eine Behörde, aber danach zugemutet. Die erweiterte Ausnahmezuständigkeit des Mitgliedsstaats bleibt damit zeitlich eng(er) begrenzt.
Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich daher nicht aus Art. 10 Dublin III-VO.
2. Es besteht auch nach Art. 16 Dublin III-VO keine Pflicht der Antragsgegnerin die Antragsteller mit ihrem Ehemann bzw. Vater, der sich gegenwärtig in der Bundesrepublik aufhält und über dessen Asylantrag noch nicht bestandskräftig entschieden ist, zusammenzuführen. Voraussetzung wäre hierfür, dass insbesondere die Antragstellerin zu 2) wegen ihrer Erkrankung auf die Unterstützung ihres Vaters angewiesen wäre. Es fehlt bereist an einer von Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO vorausgesetzten gegenwärtig bestehenden familiären Bindung; ob und inwieweit die familiäre Bindung im Heimatland bestand, kann daher offen bleiben. Denn es besteht seit dem Jahr 2011 offenbar kein Kontakt zwischen Vater und Kind. Es ist nicht erkennbar, dass die bereits im Beschluss vom 12. Juni 2019 enthaltenen Bewertungen unzutreffend waren oder jedenfalls inzwischen nicht mehr zutreffen. Dies hat zum einen der Vater bzw. Ehemann in einer ergänzenden Befragung der Regierung von Oberbayern am 12. September 2018 vorgetragen. Übereinstimmend hat zum anderen die Antragstellerin zu 1) gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde angegeben, dass sie im Jahr 2011 das letzte Mal Kontakt zu ihrem Ehemann hatte. Sie habe über einen Freund vor zwei Jahren erfahren, dass dieser ihren Ehemann in M. am Hauptbahnhof gesehen habe. Auch unter Berücksichtigung von der möglicherweise unfreiwilligen Trennung (hierzu ist nichts vorgetragen) wäre jedenfalls telefonischer Kontakt zu erwarten gewesen. Den fehlenden Kontakt hat die Antragstellerin zu 1) offenbar auch gegenüber dem behandelnden Arzt der Antragstellerin zu 2) erwähnt (vgl. Attest vom 1. April 2019). Es ist daher weder für das Verhältnis der Antragstellerin zu 1) zu ihrem Ehemann noch für das Verhältnis der übrigen Antragsteller zu ihrem Vater ein auch nur ansatzweise engeres Verhältnis erkennbar.
Die Sichelzellenanämie, an der die Antragstellerin zu 2) leidet, erfordert außerdem für sich genommen keine (permanente) gesteigerte Unterstützung durch Dritte; das gilt jedenfalls außerhalb von akuten Schmerzkrisen. Die Sichelzellenanämie ist eine erbliche, wenngleich in der Herkunftsregion der Antragsteller durchaus verbreitete Erkrankung der roten Blutkörperchen, die viele Organe schädigen kann. Die meisten gesundheitlichen Probleme der Betroffenen entstehen als Folge der Kurzlebigkeit und der Unbeweglichkeit der sichelartig verformten Blutkörperchen. Häufige gesundheitliche Probleme sind insbesondere Schmerzkrisen. Außerdem ist weder vorgetragen noch anderweitig erkennbar, dass die Antragstellerin zu 2) wegen der Sichelzellenanämie bereits Folgeerkrankungen – etwa einen Schlaganfall (vgl. das von den Antragstellern vorgelegte Informationsblatt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin vom 18. März 2019) – erlitten hat, die sie zu einer insoweit hilfsbedürftigen Person machen. Ferner ist davon auszugehen, dass gegebenenfalls notwendige krankheitsspezifische Unterstützungshandlungen auch durch die Antragstellerin zu 1) erbracht werden könnten. Anders als im Zusammenhang mit Art. 6 GG (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 7) ist es insoweit zulässig, mit einem Verweis auf die Möglichkeit der Betreuung durch andere Personen – hier die Mutter als Antragstellerin zu 1) – den Bedarf an einer Unterstützungsleistung des Vaters zu verneinen.
3. Es bestehen auch keine individuellen, außergewöhnlichen humanitären Gründe, die die Antragsgegnerin zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zwingen würden. Nach dieser Vorschrift kann zwar jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er – wie im vorliegenden Fall – nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
a) Eine Pflicht zum Selbsteintritt ergibt sich nicht aus der Erkrankung der Antragstellerin zu 2). Angesichts des weiten Ermessens wäre vorliegend eine Pflicht zum Selbsteintritt allenfalls dann erwägenswert, wenn die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen. Demnach muss die betroffenen Person schwer krank sein und es müssen ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass sie, wenngleich keine unmittelbare Gefahr für ihr Leben besteht, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Aufnahmeland oder weil sie dazu keinen Zugang hat, der Gefahr ausgesetzt wird, dass sich ihr Gesundheitszustand schwerwiegend, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung (vgl. hierzu Dörig in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2018, § 13 Rn. 287 m.w.N.).
Es ist allerdings nicht erkennbar und lässt sich auch dem Attest vom 1. Juli 2019 nicht entnehmen, dass eine Überstellung der Antragstellerin zu 2) nach Portugal per se mit einer schwerwiegenden, schnellen und irreversiblen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands verbunden wäre. Das wäre auch vor dem Hintergrund der seit Geburt bestehenden Erkrankung, mit der die Antragstellerin zu 2) bereits aus ihrer Heimat – überwiegend mittels Flugzeug – nach Europa gereist ist, nicht plausibel. Im Übrigen ist eine begleitende medizinische Versorgung in Portugal grundsätzlich möglich. Eine Stammzellentransplantation, die mit Blick auf die Schwächung des Immunsystems Zweifel an der vorübergehenden Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 2) begründen könnte, ist bislang – nach ausdrücklicher Bestätigung der Bevollmächtigten durch Mitteilung vom 9. September 2019 – nicht begonnen worden.
b) Eine Pflicht zum Selbsteintritt ergibt sich ferner nicht aus der familiären Situation der Antragsteller. Insofern gebieten Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK von der Abschiebung der Antragsteller nach Portugal abzusehen, auch wenn der Ehemann bzw. Vater der Antragsteller sich im nationalen Asylverfahren befindet und über seinen Asylantrag noch nicht bestandskräftig entschieden wurde und er beabsichtigt, die elterliche Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung der Kinder zu praktizieren.
Art. 6 GG gewährt grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfG, B.v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/06 – juris Rn. 6 m.w.N.; s. a. ausführlich und im Folgenden zitiert VG München, B.v. 26.2.2019 – M 11 S 19.50061). Ein abgeleiteter Anspruch auf Aufenthalt für enge Familienangehörige kann allerdings – als Ausdruck der gebotenen Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen Wertentscheidung – angenommen werden, wenn insbesondere der Verbleib eines Ehegatte oder Elternteils im Bundesgebiet aufenthaltsrechtlich auf Dauer gesichert ist oder ein Anspruch auf Einräumung eines Daueraufenthaltsrechts besteht (vgl. BVerfG B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – juris Rn. 114; vorausgesetzt auch in BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 7). Ein solches gefestigtes Aufenthaltsrecht hat der Ehemann bzw. Vater derzeit aber gerade nicht. Dessen nur verfahrensbegleitendes Aufenthaltsrecht genügt hingegen nicht (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand 98. Ergänzungslieferung 2013, § 27a Rn. 75 f; VG Düsseldorf, B.v. 8.4.2015 – 13 L 914/15.A – juris Rn. 17).
Anlass von dem Erfordernis eines gefestigten Aufenthaltsrechts wegen besonderer Umstände abzusehen, besteht vorliegend nicht. Die Antragstellerin zu 2) ist trotz ihrer Erkrankung nicht gerade auf eine Unterstützung durch den Vater angewiesen; insoweit wird auf die Ausführungen zu Art. 16 Dublin III-VO verwiesen.
Bereits vor diesem Hintergrund kann den Antragstellern zugemutet werden, eine vorübergehende Trennung vom Ehemann bzw. Vater hinzunehmen oder den gemeinsamen Aufenthalt im Herkunftsland herbeizuführen. Darauf, dass ausländerrechtliche Schutzwirkungen Art. 6 GG zudem nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen, sondern nur bei einer tatsächlichen und gelebten Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern entfaltet, kommt es daher vorliegend nicht an. Es kann offen blieben, inwieweit im vorliegenden Fall die Verbundenheit tatsächlich reicht und inwieweit beabsichtigte wechselseitige Unterstützungswünsche glaubwürdig sind.
Auch aus Art. 8 EMRK folgt nicht grundsätzlich die Pflicht eines Konventionsstaates, die von einem Ehepaar oder Vater getroffene Wahl eines gemeinsamen Wohnsitzes zu achten und dem ausländischen Ehegatten den Aufenthalt zu ermöglichen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – juris Rn. 165 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR).
4. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244; Bergmann in Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 29 AsylG Rn. 35), bestehen nicht. Die Voraussetzungen für ein Abschiebeverbot nach Art. 3 EMRK i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG liegen, wie bereits im Rahmen des Selbsteintrittsrechts geprüft, nicht vor. Auch Art. 6 GG gebietet nicht, die Antragsteller und den Ehemann bzw. Vater in der Bundesrepublik zusammen zuführen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.