Europarecht

Erfolgloser Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebung nach Italien

Aktenzeichen  M 22 S 16.50225

Datum:
11.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134019
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 25 Abs. 1 S. 2
GrCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass das Asylverfahren des Antragstellers in Italien bestandskräftig abgeschlossen wurde und dieser zur Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedsstaat verpflichtet ist, stellt sich nicht die Frage nach dem Bestehen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem; Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO betrifft allein Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber und verhält sich nicht zur Situation abgelehnter Asylbewerber, die zur Ausreise verpflichtet sind. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Drittstaatsangehörige, denen gegenüber Italien ein Rückführungsverfahren betreibt, regelmäßig in eine Lage geraten müssten, die ernsthafte Gründe für das Vorliegen der Gefahr einer Verletzung von Art. 4 GrCh begründen würde und dem auch nicht durch etwaige Rechtsbehelfe begegnet werden könnte. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (M 22 S 16.50225) wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens M 22 S 16.50225 zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Verfahren M 22 K 16.50224 und M 22 S 16.50225 wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, eigenen Angaben zufolge ein … geborener, nigerianischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm drohende Abschiebung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller, der bislang keinen Asylantrag im Bundesgebiet gestellt hat, gab bei einer am 2. Dezember 2015 zum Zwecke der Identitätsklärung von der Regierung von Oberbayern vorgenommenen Befragung an, sich in der Zeit von 2013 bis Oktober 2015 in Italien aufgehalten zu haben. Dort habe er im November 2013 einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Anfang November sei er in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo er am 8. November 2015 ohne gültigen Aufenthaltstitels angetroffen wurde.
Mit Blick auf seine obigen Angaben und einen Treffer der Kategorie 1 bezüglich Italiens im EURODAC-Fingerabdrucksystem wandte sich das Bundesamt am 8. Januar 2016 mit dem Ersuchen um Übernahme an die zuständigen italienischen Behörden. Diese antworteten auf das Wiederaufnahmeersuchen nicht.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 3. Februar 2016 ordnete das Bundesamt die Abschiebung nach Italien an (Nr. 1) und befristete das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 2). In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Abschiebung sei § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG, da Italien für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Italien sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Auf die Begründung des Bescheids, der dem Antragsteller am 26. März 2016 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, wird insoweit Bezug genommen.
Am 30. März 2016 erhob der Antragsteller zur Niederschrift der Rechtsantragsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts München Klage (M 22 K 16.50224) gegen den Bescheid und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Weiter beantragte der Antragsteller unter dem 6. April 2016 für beide Verfahren Prozesskostenhilfe. Eine Begründung von Klage und Eilantrag wurde angekündigt, erfolgte bislang aber nicht.
Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom 1. April 2016 die Behördenakte vor und äußerte sich im Übrigen nicht.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 22 S 16.50225 und M 22 K 16.50224 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, jedoch unbegründet. Nach Auffassung des Gerichts ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Abschiebungsanordnung rechtmäßig ist und die Klage in der Hauptsache erfolglos bleiben wird. Das Gericht vermag nach Aktenlage insbesondere auch nicht zu erkennen, dass die Situation ausreisepflichtiger Ausländer in Italien sich regelmäßig als mit Art. 4 EU-Grundrechtecharta nicht mehr vereinbar darstellen würde bzw. dass hier individuelle Umstände vorlägen, die eine entsprechende Gefährdung nahe legen könnten. Angesichts dessen ist im Ergebnis der Abwägung der widerstreitenden Belange dem Interesse der Antragsgegnerin an einem alsbaldigen Vollzug der Abschiebung der Vorrang vor dem Suspensivinteresse des Antragstellers einzuräumen.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (vgl. § 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Dass Italien für die Wiederaufnahme des Antragstellers im Vollzug der Regelungen der Dublin III-Verordnung zuständig ist, dürfte außer Frage stehen, da der Antragsteller ausweislich des EURODAC-Treffers dort einen Asylantrag gestellt und Italien im Übrigen auf das Wiederaufnahmegesuch Deutschlands nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung reagiert hat, mit der Folge, dass (unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats) davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird und Italien verpflichtet ist, den Antragsteller – dessen Asylverfahren nach Angaben des Antragstellers bereits abgeschlossen war – nach den Grundsätzen des Art. 24 Abs. 1, Abs. 2, Art. 20 Abs. 5, Art. 18 Abs. 1 Nr. d Dublin III-Verordnung wieder aufzunehmen.
Es sind auch keine Gründe ersichtlich, die dazu Anlass geben könnten, von einer Überstellung nach Italien abzusehen.
Nach Auffassung des Gerichts stellt sich hier insbesondere nicht die Frage nach dem Bestehen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem, denn nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass das Asylverfahren des Antragstellers in Italien bestands-kräftig abgeschlossen wurde und dieser zur Ausreise (aus dem Gebiet der Mitgliedsstaaten) verpflichtet ist. In einem solchen Fall ist Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-Verordnung nicht anwendbar. Dieser betrifft allein Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, verhält sich aber nicht zur Situation abgelehnter Asylbewerber, die zur Ausreise verpflichtet sind, für die mithin gemeinschaftsrechtlich die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) gelten.
Dessen ungeachtet ist festzustellen, dass beim Vollzug der Dublin III-Verordnung und damit des Gemeinschaftsrechts unbeschadet eines Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Verordnung nach allgemeinen Grundsätzen gleichwohl eine Folgenverantwortung der Bundesrepublik bei der Rückführung eines Drittstaatsangehörigen in einen anderen Dublinstaat bestehen kann, wenn diesem dort aus sonstigen Gründen eine Behandlung droht, die sich als Verletzung des Art. 4 EG-Grundrechtecharta darstellt und daher unter Umständen auch die Praxis beim Umgang mit Drittstaatsangehörigen, gegen die in dem anderen Staat eine Rückführungsentscheidung ergangen ist oder ergehen soll, einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen kann. Dies würde aber voraussetzen, dass ernsthafte Gründe für das Vorliegen einer solchen Gefahr vorliegen und weiter für den Betroffenen effektiver Rechtsschutz in dem jeweiligen Staat nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen wäre (vgl. in Bezug auf die Abschiebung in Signatarstaaten der EMRK Kraft, NVwZ 2014, 969, 975 m.w.N.; siehe auch BVerwG, U.v. 7.12.2004 – 1 C 14/04 – juris Rn. 18 und U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 26; zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich etwaiger Rechtsbehelfe und der spezifischen Garantien bis zur Rückkehr vgl. Art. 13 f. Rückführungsrichtlinie).
Dafür, dass Drittstaatsangehörige, denen gegenüber Italien ein Rückführungsverfahren betreibt, regelmäßig in eine solche Lage geraten müssten und dem auch nicht durch etwaige Rechtsbehelfe begegnet werden könnte (das italienische Rechtsschutzsystem insoweit also gravierende Defizite aufweisen würde), fehlt es nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln aber an Anhaltspunkten. Des Weiteren mangelt es auch an einem hinreichend substantiierten Vortrag seitens des Antragstellers zu individuellen Umständen, die eine solche Annahme nahe legen könnten. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass sich die Situation von Personen, denen gegenüber ein Rückkehrverfahren betrieben wird, und von Asylbewerbern im Verfahren schon vom Ansatz her nicht vergleichen lässt. Während Asylbewerber in der Regel auf Unterstützung u.a. durch die Zurverfügungstellung von Wohnraum für die Dauer des Verfahrens und damit häufig für längere Zeit angewiesen sind, lassen sich vergleichbar verallgemeinerungsfähige Aussagen zur Situation von Rückkehrpflichtigen, die gehalten sind, den betreffenden Staat umgehend oder alsbald zu verlassen, kaum machen, da in diesen Fällen individuelle Umstände die jeweilige Situation wesentlich mitbestimmen dürften (mit Blick etwa darauf, ob der Betroffene in der Lage ist, die Ausreise selbst zeitnah zu organisieren und zu finanzieren – dass dies nicht der Fall ist, kann nicht von vorneherein unterstellt werden -, das Vorhandensein von Reisepapieren oder etwa in Bezug auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Hilfen durch ein Rückkehrprogramm). Allein in Ansehung der rechtlichen Vorgaben und der allgemeinen Verhältnisse in Italien kann insoweit jedenfalls nicht schon auf ernsthafte Gründe für das Vorliegen der Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta geschlossen werden.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Eilverfahren und Hauptsacheklage (M 22 K 16.50224) war mangels hinreichender Erfolgsaussichten (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) gleichfalls abzulehnen.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen