Europarecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsanordnung nach Italien

Aktenzeichen  M 9 S 16.50794

Datum:
22.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 7 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. a, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1, UAbs. 2, Art. 22 Abs. 1, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Durchführung des Asylverfahrens nach der Dublin III-VO endet nur dann zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts, wenn wenn vor Ablauf dieser Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.  (redaktioneller Leitsatz)
2. In Italien sind keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben, dass Schutzsuchende mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der am … geborene Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am … Oktober 2015 von Italien kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 29 des Behördenakts – i.F.: BA -). Er beantragte am … Mai 2016 Asyl (Bl. 3 des BA). Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Nigerias.
Aufgrund eines Eurodac-Treffers vom … Mai 2016 (Bl. 34 des BA) wurde am … Juli 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 43ff. des BA). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom … September 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Eine Postzustellungsurkunde oder sonstige Zustellnachweise befinden sich nicht in der beigezogenen Behördenakte. Laut eines Aktenvermerks (Bl. 82 des BA) ist die Zustellung gegen Postzustellungsurkunde am … September 2016 erfolgt.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schriftsatz vom … Oktober 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage – Anordnung der Abschiebung nach Italien – anzuordnen.
In Italien bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Zahl von ankommenden Asylbewerbern und zur Verfügung stehenden Aufnahmeplätzen. Es bestünden deshalb systemische Mängel im dortigen Aufnahmeverfahren. Wegen der Rechtsprechung des EGMR zur Behandlung von Familien mit Kleinkindern würden für allein reisende Flüchtlinge wie den Antragsteller noch weniger Plätze zur Verfügung stehen. Das Übernahmeersuchen an Italien sei zu spät erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
Etwaige Zustellmängel wurden jedenfalls nach Art. 9 VwZVG geheilt. Dies ergibt sich aus der Tatsache der gegen den zugegangenen Bescheid, … gerichteten Klageerhebung bzw. Antragstellung.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u. a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, v.a. nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 22 Abs. 1 und Abs. 7 Dublin III-VO. Terminologisch handelt es sich bei der Aufforderung vom … Juli 2016 zwar nicht um ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 23ff. Dublin III-VO, sondern um ein Aufnahmegesuch nach Art. 21f. Dublin III-VO; dies ändert aber nichts an der daran anknüpfenden fiktiven (Wieder-) Aufnahmebereitschaft Italiens. Die italienischen Behörden haben auf das Aufnahmegesuch vom … Juli 2016 nicht geantwortet; damit ist auch die 2-Monats-Frist des Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO verstrichen. Das Aufnahmegesuch wurde auch innerhalb der 2-Monats-Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO – welche am … Mai 2016 begann und am … Juli 2016 endete – und damit rechtzeitig, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO, gestellt.
Unerheblich ist dabei, ob der Antragsteller auch in Italien einen Asylantrag gestellt hat. Dies folgt aus der Zuständigkeitsregelung des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO, die nur auf die Einreise über einen anderen Mitgliedstaat und nicht auf eine etwaige dortige Antragstellung abhebt (siehe auch Bl. 23 des BA).
Wenn der Bevollmächtigte des Antragstellers in diesem Zusammenhang vorträgt, das Übernahmeersuchen sei wegen der bereits im Oktober 2015 erfolgten Einreise in das Bundesgebiet verspätet, so ist dies nicht nachvollziehbar. Der Umstand, dass der Antragsteller bereits im Juli 2015 nach Italien ein- und schon im Oktober 2015 nach Deutschland weitergereist ist, verhilft seinem Eilantrag unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht zum Erfolg. Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO steht der durch Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO begründeten Zuständigkeit Italiens nicht entgegen. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Verfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen festlegt, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es zum einen unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Antrag gestellt wurde. Zum anderen ist es auch nicht von Bedeutung, ob die zwölfmonatige Frist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist (VG München, B. v. 5.7.2016 – M 1 S 16.50364 – juris m. w. N.). Vorliegend hat der Antragsteller am … Mai 2016 und damit vor Juli 2016 seinen Antrag gestellt. Da die einmal begründete Zuständigkeit Italiens nicht endete, greift auch Art. 13 Abs. 2 Dublin III-VO von vorn herein nicht. Auch aus der Formulierung „so bald wie möglich“ in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO kann der Antragsteller keine positiven Folgen ziehen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang der Regelung: Die 3-Monats-Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO und die 2-Monats-Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO stellen auf die jeweilige Fallkonstellation – Antragstellung bzw. Eurodac-Treffer – zugeschnittene Konkretisierungen dieses Tatbestands dar.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (VG München, U. v. 9.12.2016 – M 9 K 16.50798 -m. w. N.; BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NRW, U. v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 und im Folgenden rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden und bestehen. Die hohe Zahl von speziell nach Italien einreisenden Asylbewerbern stellt keinen Umstand dar, der hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte (vgl. zum Ganzen bspw. OVG NW, U. v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – juris mit umfangreichen Nachweisen gerade auch zur Frage der Unterbringung). Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (EGMR, B. v. 2.4.2013 – Hussein u. a. ./. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10). Aus diesen Gründen bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse (BayVGH, B. v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden darüber hinaus nicht substantiiert geltend gemacht. Brustschmerzen, die in der Zweitbefragung vom … August 2016 angegeben wurden (Bl. 62 des BA), blieben ohne Befund und ohne ärztliches Attest o.Ä. und sind in Italien ebenso gut behandelbar wie in Deutschland. Auch eine Reiseunfähigkeit ergibt sich daraus nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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