Europarecht

Erfordernis der vorherigen Antragstellung für die Kostenübernahme der behinderungsbedingten Zusatzausstattung eines Kraftfahrzeugs

Aktenzeichen  W 3 K 15.951

Datum:
12.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX SGB IX § 102 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 lit. c
SchwbAV SchwbAV § 17 Abs. 1 Nr. 1 lit. c, § 21 Abs. 4
KfzHV KfzHV § 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 3 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, § 10 S. 1

 

Leitsatz

1 § 10 S. 1 KfzHV erhebt die rechtzeitige Antragstellung vor Abschluss des Kaufvertrags über das Kraftfahrzeug mit behinderungsbedingter Zusatzausstattung zur Anspruchsvoraussetzung für die Kostenübernahme. (redaktioneller Leitsatz)
2 Auf die vorherige Antragstellung kann nur in atypischen Fällen verzichtet werden. Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn die sonst zu treffende Entscheidung im Einzelfall mit den tragenden Grundsätzen der geregelten Gesetzesmaterie nicht mehr vereinbar wäre. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Bedarfsdeckung objektiv unaufschiebbar und eine rechtzeitige Antragstellung aus vom Anspruchsteller nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist (Anschluss an SchlHOVG BeckRS 2013, 57091). (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Unkenntnis der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung staatlicher Leistungen stellt für sich allein grundsätzlich keinen atypischen, eine Abweichung rechtfertigenden Fall dar, sondern ist regelmäßig vom Anspruchsteller zu vertreten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, mit der die Klägerin die Gewährung von Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben begehrt, ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Leistung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die von der Klägerin begehrte Leistung findet ihre Rechtsgrundlage in den Vorschriften über die Teilhabe schwerbehinderter Menschen (§ 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB IX i. V. m. der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung – SchwbAV – vom 28.3.1988 (BGBl I S. 484) i. d. F. d. Art. 57 Nr. 1 des Gesetzes vom 19.06.2001 (BGBl I S. 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.12.2008 (BGBl I S. 2959), i. V. m. der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung – KfzHV – vom 28.9.1987 (BGBl I S. 2251), zuletzt geändert durch Artikel 117 des Gesetzes vom 23.12.2003 (BGBl I S. 2848)). Nach § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB IX i. V. m. § 17 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, § 21 Abs. 4 SchwbAV kann das Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen an schwerbehinderte Menschen zur Erhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz erbringen. Dies umfasst auch Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs und für die behinderungsbedingte Zusatzausstattung des Kraftfahrzeugs, wie sie die Klägerin begehrt. Hierbei handelt es sich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KfzHV um Leistungen der Kraftfahrzeughilfe, die in der Kraftfahrzeughilfeverordnung geregelt sind.
Werden – wie hier – Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 1 (hier solche im Sinne der Nr. 2) KfzHV begehrt, können diese gemäß § 1 KfzHV nur gewährt werden, wenn neben den Voraussetzungen der gesetzlichen Regelung des § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB IX i. V. m. der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung auch die besonderen Voraussetzungen der Kraftfahrzeughilfeverordnung nach §§ 3 ff. KfzHV gegeben sind (vgl. Spiolek in GK-SGB IX, Stand Dezember 2015, Anhang 5 Vorbemerkungen Rn. 2 m. w. N.). So bestimmt der – insoweit von der Ermächtigungsnorm des § 11 Abs. 3 Satz 3 des Schwerbehindertengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl I S. 1421) gedeckte – § 1 KfzHV ausdrücklich, dass sich Kraftfahrzeughilfe zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben bei den Trägern der begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben – wie hier dem Integrationsamt gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX – nach der Kraftfahrzeughilfeverordnung richtet.
Gemäß der somit auf den Fall der Klägerin anzuwendenden Kraftfahrzeughilfeverordnung kann Kraftfahrzeughilfe nur gewährt werden, wenn der behinderte Mensch infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Leistung der beruflichen Bildung zu erreichen, und er ein Kraftfahrzeug führen kann oder gewährleistet ist, dass ein Dritter das Kraftfahrzeug für ihn führt (§ 3 Abs. 1 KfzHV) oder wenn der behinderte Mensch zur Berufsausübung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nicht nur vorübergehend auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist und infolge seiner Behinderung nur auf diese Weise die Teilhabe am Arbeitsleben dauerhaft gesichert werden kann und die Übernahme der Kosten durch den Arbeitgeber nicht üblich oder nicht zumutbar ist (§ 3 Abs. 3 KfzHV). Über § 3 Abs. 4 KfzHV sind diese Vorschriften auch auf schwerbehinderte Menschen, die – wie die Klägerin – selbstständige Tätigkeiten ausüben, entsprechend anwendbar.
Des Weiteren verlangt die Kraftfahrzeughilfeverordnung sowohl in den Fällen des § 3 Abs. 1 KfzHV als auch in den Fällen des hier einschlägigen § 3 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 KfzHV, dass Leistungen vor dem Abschluss eines Kaufvertrages über das Kraftfahrzeug und die behinderungsbedingte Zusatzausstattung beantragt werden sollen (§ 10 Satz 1 KfzHV). Damit erhebt § 10 KfzHV die rechtzeitige Antragstellung zur Anspruchsvoraussetzung, d. h. der Antrag leitet nicht bloß das Bewilligungsverfahren ein, sondern ihm kommt materiell-rechtliche Bedeutung zu (BSG, U.v. 29.4.1997 – 8 RKn 31/95 – BeckRS 9998, 83855; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.6.1997 – 5 L 33/96 – juris Rn. 25; Spiolek in GK-SGB IX, Stand Dezember 2015, Anhang 5 § 10 Rn. 1). Aus der Ausgestaltung der Vorschrift als „Soll“-Vorschrift und nicht als „Muss“-Vorschrift ergibt sich, dass sie im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betrauten Behörde und den Antragsteller rechtlich zwingend ist und nur in atypischen Fällen auf die gesetzlich vorgesehene vorherige Antragstellung verzichtet werden darf (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.6.1997 – 5 L 33/96 – juris Rn. 25; VG Berlin, GB.v. 3.8.1993 – 8 A 365.90 – juris Rn. 17; Spiolek in GK-SGB IX, Stand Dezember 2015, Anhang 5 § 10 Rn. 1; vgl. allgemein zu Sollvorschriften BVerwG, B.v. 3.12.2009 – 9 B 79.09 – BeckRS 2010, 45510 Rn. 2 m. w. N.). Es handelt sich hierbei um eine verhältnismäßige und rechtlich unbedenkliche Konkretisierung der (höherrangigen) Rechtsgrundlagen nach dem Sozialgesetzbuch (hier des Neunten Buches) bzw. früher nach dem Schwerbehindertengesetz (vgl. VG Berlin, GB.v. 3.8.1993 – 8 A 365.90 – juris Rn. 21; allgemein zur rechtlichen Unbedenklichkeit der Kraftfahrzeughilfeverordnung BSG, U.v. 14.12.1994 – 4 RA 42/94 – juris Rn. 30; SG Lüneburg, U.v. 11.9.2009 – S 7 AL 185/08 – juris Rn. 46).
Gemessen an dem dargestellten rechtlichen Maßstab des § 10 KfzHV hat die Klägerin keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Leistung, weil sie den Antrag auf Gewährung von Kraftfahrzeughilfe erst nach Abschluss des Kaufvertrags über das Kraftfahrzeug und die behinderungsbedingte Zusatzausstattung gestellt hat. Dies ergibt sich daraus, dass selbst die früheste nachgewiesene Kontaktaufnahme der Klägerin mit dem Integrationsamt am 17. März 2015 und damit nach Abschluss des Kaufvertrags erfolgte, der nach Auffassung der erkennenden Kammer in der Bestellung am 26. Februar 2015, in jedem Fall aber spätestens in der schriftlichen Bestätigung der Bestellung durch deren Unterzeichnung durch die Klägerin am 3. März 2015 zu sehen ist. Es kann daher dahinstehen, in welchem der Schreiben der Klägerin an das Integrationsamt letztlich ein wirksam gestellter Antrag auf die Gewährung der begehrten Leistung zu sehen ist. In jedem Fall sind alle Schreiben erst deutlich nach dem 3. März 2015 beim Integrationsamt eingegangen. Soweit die Klägerin im Verwaltungsverfahren behauptet hat, ihr Sohn habe die begehrten Leistungen für die Anschaffung des Kraftfahrzeugs und dessen behinderungsbedingter Zusatzausstattung bereits vor der Bestellung des Kraftfahrzeugs mündlich beim Integrationsamt beantragt, sind ihre diesbezüglichen Ausführungen schon nicht hinreichend substantiiert und wurden auch im Klageverfahren nicht weiter konkretisiert. Es wird lediglich ohne jede weitere Substantiierung, wie sie die verfahrensrechtliche Darlegungspflicht erfordert, etwa anhand einer detaillierten Schilderung der Gesprächsumstände und des genauen Datums der behaupteten Antragstellung oder der Vorlage eines Verbindungsnachweises des Telefonunternehmens, behauptet, es sei bereits vor der Bestellung des Kraftfahrzeugs ein Antrag mündlich (telefonisch) gestellt worden.
Es liegt auch kein atypischer Fall vor, der es rechtfertigen würde, ausnahmsweise auf die – hier wie vorstehend ausgeführt – fehlende vorherige Antragstellung zu verzichten.
Aus dem in § 10 KfzHV festgelegten Regel-Ausnahmeverhältnis folgt, dass eine Ausnahme von dem Grundsatz der vorherigen Antragstellung nur dann in Betracht kommt, wenn die sonst zu treffende Entscheidung im Einzelfall mit den tragenden Grundsätzen der geregelten Gesetzesmaterie nicht mehr zu vereinbaren wäre (VG Berlin, GB.v. 3.8.1993 – 8 A 365.90 – juris Rn. 18). Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn die Bedarfsdeckung objektiv unaufschiebbar und eine rechtzeitige Antragstellung aus vom Anspruchsteller nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.6.1997 – 5 L 33/96 – juris Rn. 26; Spiolek in GK-SGB IX, Stand Dezember 2015, Anhang 5 § 10 Rn. 2).
Im Fall der Klägerin erscheint bereits fraglich, ob die Bedarfsdeckung tatsächlich objektiv unaufschiebbar war, nachdem die Klägerin ihre Arbeit erst wieder in der zweiten Jahreshälfte (nach ihren Angaben in der E-Mail vom 23.7.2015 im Juli 2015, nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung im September 2015) wieder aufgenommen hat, wobei sie ihre Außendiensttätigkeit nach eigenen Angaben zunächst nur in der Weise ausübte, dass sie sich fahren ließ. Erst im Jahr 2016 fuhr sie erstmals wieder selbst Auto. Wenn sie aber ihre Außendiensttätigkeit im Jahr 2015 allenfalls in der Weise ausüben konnte, dass sie sich fahren ließ, benötigte sie hierzu keinen Neuwagen mit einer automatischen Heckklappenbetätigung. Denn wenn sie ohnehin von einem Mitarbeiter gefahren wird, kann dieser ihr beim Öffnen und Schließen des Kofferraums ebenso wie beim Be- und Entladen desselben behilflich sein. Ob die Behauptung der Klägerin, dies sei zu Beginn der Krankheit und auch noch Anfang März 2015 nicht absehbar gewesen, bzw. es sei noch Anfang März 2015 davon auszugehen gewesen, dass sie im April 2015 wieder voll arbeitsfähig sein würde, objektiv zutrifft und daher ein Kraftfahrzeug mit der begehrten behinderungsbedingten Zusatzausstattung aus objektiver ex ante Sicht möglicherweise bereits im April 2015 benötigt wurde oder ob es sich hierbei um eine rein subjektive Einschätzung der Klägerin handelt, kann dahinstehen. Jedenfalls war eine rechtzeitige Antragstellung nicht aus von der Klägerin nicht zu vertretenden Gründen unmöglich. Ein solcher von der Klägerin nicht zu vertretender Grund liegt insbesondere nicht in der schweren Erkrankung der Klägerin zu Beginn des Jahres 2015 und ihrer stationären Behandlung. Für das Gericht ist zwar nachvollziehbar, dass die Krankheitssituation für die Klägerin äußerst belastend war. Selbst dann, wenn man davon ausgehen würde, dass noch Anfang März 2015 mit einer vollen Arbeitsfähigkeit der Klägerin im April 2015 zu rechnen gewesen wäre, ist allerdings nicht nachvollziehbar, weshalb es ihr einerseits aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar gewesen sein soll, vor Abschluss des Kaufvertrags über den Neuwagen und dessen behinderungsbedingte Zusatzausstattung einen Antrag beim Integrationsamt (ggf. unter Zuhilfenahme ihrer Mitarbeiter) zu stellen, sie aber andererseits zugleich trotz ihrer Erkrankung jedenfalls unter Einbeziehung ihrer Mitarbeiter in der Lage war, die Bestellung des begehrten Neuwagens zu veranlassen. Dass durch eine vorherige Antragstellung beim Integrationsamt aufgrund von Lieferfristen eine Lieferung des Neuwagens rechtzeitig zu dem Zeitpunkt, in dem er voraussichtlich erstmals von der Klägerin benötigt werden würde, ernsthaft gefährdet worden wäre, hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich, zumal grundsätzlich die Möglichkeit besteht, beim Integrationsamt auf die Genehmigung eines vorzeitigen Maßnahmenbeginns hinzuwirken.
Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass weder ihr noch ihren Mitarbeitern, die die Bestellung des Neuwagens nach Angaben der Klägerin vorbereitet haben, bekannt gewesen sei, dass ein Antrag auf Förderung beim Integrationsamt grundsätzlich vor dem Abschluss des Kaufvertrags über das anzuschaffende Kraftfahrzeug zu stellen ist.
Die Unkenntnis der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer staatlichen Leistung stellt für sich allein grundsätzlich keinen atypischen Fall dar, der eine Abweichung von diesen (dem Antragsteller unbekannten) Voraussetzungen rechtfertigen würde. Es ist einem Bürger, der eine staatliche Leistung begehrt, zumutbar, sich über die formalen wie auch die materiellen Voraussetzungen der von ihm begehrten Leistungsgewährung so rechtzeitig zu informieren, dass er sein Verhalten an diesen ausrichten kann. Damit ist die bloße Gesetzesunkenntnis regelmäßig vom Antragsteller zu vertreten mit der Folge, dass sie von vornherein zur Begründung einer unaufschiebbaren Maßnahme ausscheidet (VG Berlin, GB.v. 3.8.1993 – 8 A 365.90 – juris Rn. 19; vgl. auch Spiolek in GK-SGB IX, Stand Dezember 2015, Anhang 5 § 10 Rn. 1). Stets einen atypischen Sonderfall anzunehmen, wenn ein Antragsteller sich auf Unkenntnis einer Fördervoraussetzung beruft, würde zudem zu einer hohen Missbrauchsgefahr führen, zumindest aber den Grundsatz der vorherigen Antragstellung weitgehend leerlaufen lassen, was dem in § 10 KfzHV zum Ausdruck kommenden Regel- Ausnahmeverhältnis nicht entspräche (VG Berlin, GB.v. 3.8.1993 – 8 A 365.90 – juris Rn. 19).
Diese Grundsätze gelten auch im Fall der Klägerin. Demnach liegt auch in der von der Klägerin behaupteten Unkenntnis der Notwendigkeit einer Antragstellung vor Abschluss des Kaufvertrags kein atypischer Fall, der es rechtfertigen würde, von dem Erfordernis einer vorherigen Antragstellung abzuweichen. Insbesondere war der Klägerin nicht etwa deswegen eine rechtzeitige Informationsbeschaffung unmöglich oder unzumutbar, weil sie im Januar 2015 erkrankte. Wie bereits ausgeführt, war es der Klägerin auch unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustands aus Sicht des Gerichts nicht unmöglich oder unzumutbar, rechtzeitig einen Antrag beim Integrationsamt zu stellen. Dann kann es ihr aber auch nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen sein, sich über die Fördervoraussetzungen einschließlich einer etwaigen Antragsfrist rechtzeitig zu informieren. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Klägerin nur die Bestellung des Neuwagens unterzeichnet hat und sich im Übrigen ein Mitarbeiter um die Bestellung, deren Anbahnung und Abwicklung gekümmert hat, ist nicht ersichtlich, weshalb dieser (oder ein anderer) Mitarbeiter dann nicht auch die Aufgabe hätte übernehmen können, sich über die Fördervoraussetzungen zu informieren und die Klägerin bei der rechtzeitigen Antragstellung zu unterstützen.
Ebenso wenig führt das Verhalten des Integrationsamts dazu, dass ein atypischer Fall im dargestellten Sinne vorliegt. Insbesondere liegt nicht etwa deshalb ein atypischer Fall vor, weil das Integrationsamt der Klägerin von der Auflösung des bereits abgeschlossenen Kaufvertrags über den Neuwagen abgeraten hätte. Zwar wurde die Klägerin ausweislich einer Telefonnotiz vom 29. April 2015 in einem Telefonat seitens des Integrationsamts davor gewarnt, das Fahrzeug abzubestellen, falls dafür Stornogebühren anfallen sollten, weil derzeit unklar sei, ob die übrigen Voraussetzungen einer Förderung gegeben seien. Dies führt jedoch nicht dazu, dass ausnahmsweise von einer Antragstellung vor Abschluss des Kaufvertrags abgesehen werden könnte. Zum einen erfolgte das Telefongespräch zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kaufvertrag über den Neuwagen, dessen Bezuschussung begehrt wird, bereits abgeschlossen worden war. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern ein solches nachträgliches Ereignis zu einer Unaufschiebbarkeit der Anschaffung des neuen Kraftfahrzeugs oder einer von der Klägerin nicht zu vertretenden Unmöglichkeit der rechtzeitigen Antragstellung beim Integrationsamt im Zeitpunkt der Bestellung des Kraftfahrzeugs führen können soll. Zum anderen und unabhängig hiervon hat das Integrationsamt die Klägerin in dem Telefonat am 29. April 2015 ausweislich der Telefonnotiz letztlich lediglich auf die möglichen Folgen bzw. finanziellen Risiken einer Abbestellung des bereits bestellten Neuwagens hingewiesen, nämlich darauf, dass auch dann nicht sicher sei, ob der begehrte Zuschuss tatsächlich gewährt werden könne, aber ggf. Stornogebühren anfallen könnten. Auch wenn damit vor einer Abbestellung gewarnt worden sein mag, erfolgte dies für die Klägerin erkennbar aus den dargestellten Gründen, so dass sie auf der Grundlage dieser Informationen selbst frei entscheiden konnte, ob sie das Risiko, bei Auflösung des bestehenden Kaufvertrags und Abschluss eines neuen Kaufvertrags Stornogebühren zahlen zu müssen und dennoch eventuell keine Förderung durch das Integrationsamt zu erhalten, eingehen oder aber die Kosten des Neuwagens unter diesen Umständen lieber selbst tragen wollte, dafür aber in jedem Fall nicht mit Stornogebühren belastet würde. Das Gericht vermag in den Ausführungen des Integrationsamts in dem Telefonat am 29. April 2015 keine unzulässige Beeinflussung dieser Entscheidung zu erkennen. Vielmehr wies das Integrationsamt die Klägerin lediglich auf diese Entscheidungsmöglichkeiten und deren Risiken hin. Von der Klägerin als Einzelkauffrau und Finanz- und Versicherungsmaklerin mit langjähriger Berufserfahrung durfte auch erwartet werden, dass sie diese Zusammenhänge zu verstehen vermag und mündig genug ist, auf Grundlage der ihr gegebenen Informationen eigenständig eine Entscheidung zu treffen. Schon deshalb vermag das Verhalten des Integrationsamts keinen atypischen Sonderfall zu begründen. Darüber hinaus hat die Klägerin nunmehr ausgeführt, dass sie über so gute Beziehungen zu ihrem Kaufvertragspartner verfüge, dass eine (vorübergehende) Vertragsaufhebung unproblematisch möglich gewesen wäre. Bei dieser Sachlage ist erst recht nicht nachvollziehbar, dass sich die Klägerin tatsächlich von den Ausführungen des Integrationsamts, das gerade wegen des Risikos des Anfalls von Stornogebühren von der Abbestellung des Neuwagens abgeraten habe, von einer Auflösung des Kaufvertrags abgehalten haben lassen will, obwohl das Integrationsamt sie bereits zuvor ausdrücklich auf die Bedeutung der Stellung des Antrags auf Förderung vor Abschluss des Kaufvertrags hinwies (vgl. Telefonnotiz vom 21.4.2015).
Auch sonst sind keine Umstände erkennbar, die es rechtfertigen würden, von dem in § 10 Satz 1 KfzHV niedergelegten Grundsatz der Antragstellung vor Abschluss eines Kaufvertrages über das Kraftfahrzeug und die behinderungsbedingte Zusatzausstattung abzuweichen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die im Verwaltungsverfahren vorgetragene klägerische Behauptung einer extremen finanziellen Belastung des Unternehmens der Klägerin bei Nichtgewährung eines Zuschusses zur Anschaffung des Kraftfahrzeugs. Zwar kann eine nicht beabsichtigte, erhebliche wirtschaftliche Belastung, die die Eingliederung bzw. die Teilhabe des schwerbehinderten Menschen am Arbeitsleben in Frage stellt, möglicherweise einen atypischen Sonderfall begründen (so VG Berlin, GB.v. 3.8.1993 – 8 A 365.90 – juris Rn. 18). Die diesbezüglichen Ausführungen der Klägerin im Verwaltungsverfahren, die zudem im Klageverfahren nicht wiederholt wurden, genügen jedoch bereits nicht dem verfahrensrechtlichen Darlegungsgebot. Es wird lediglich ohne jede weitere Substantiierung behauptet, dass das Unternehmen der Klägerin keine finanziellen Ressourcen für die Anschaffung des Kraftfahrzeugs einschließlich der behindertengerechten Zusatzausstattung habe und daher dringend Unterstützung benötige. Andernfalls müssten Mitarbeiter entlassen werden. Es fehlt jedoch jede Konkretisierung etwa anhand von Bilanzunterlagen, wie sie die verfahrensrechtliche Darlegungspflicht erfordert. Insbesondere lässt der im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag des Finanzamts Aschaffenburg vom 11. Juni 2015 (Bl. 15 der Behördenakte) keinen Rückschluss auf die wirtschaftliche (Gesamt-) Situation des Unternehmens zu.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen, ohne dass es einer Prüfung der vorstehend nicht behandelten Anspruchsvoraussetzungen und der weiteren von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen bedarf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

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