Aktenzeichen M 12 K 18.4180
Leitsatz
Der Ausländer trägt die materielle Beweislast für die Sicherung des Lebensunterhalts iSd § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Feststellungsklage ist zulässig. Das berechtigte Interesse an der Feststellung ist gegeben, denn die Rechtslage ist unklar. Die zuständige Behörde ist anderer Auffassung als die Klägerin und die Klägerin will ihr künftiges Verhalten an der Feststellung orientieren (BayVGH, U.v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris).
Die Klage ist aber unbegründet.
Die Niederlassungserlaubnis der Klägerin ist gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen.
Nach dieser Vorschrift erlischt die Aufenthaltserlaubnis, wenn der Ausländer ausreist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Behörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Für den Eintritt der Rechtsfolge des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kommt es weder auf die Natur des Ausreisegrundes noch auf diejenigen Gründe an, aus denen ein Ausländer nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist wieder in das Bundesgebiet eingereist ist (VG Freiburg, B.v. 28.3.2012 – 4 K 333/12 – juris). Auf die subjektive Vorstellung des Ausländers von seinem Ausreisezweck kommt es ebenso wenig an wie auf ein etwaiges Verschulden an der verspäteten Wiedereinreise (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Mai 2017, § 51 AufenthG, Rn.28). Es spielt also im Regelfall keine Rolle, weshalb sich die Wiedereinreise nach Deutschland verzögert hat. Im Hinblick auf den Zweck der Bestimmung, Rechtsklarheit über den Besitz eines Aufenthaltstitels zu schaffen, kommt es für den Eintritt der Rechtsfolge weder auf die Natur der Ausreisegründe noch darauf an, weshalb der Ausländer nicht innerhalb der Frist wieder ins Bundesgebiet eingereist ist und ob die spätere Rückkehr oder das Fehlen eines entsprechenden Verlängerungsantrags auf einem Verschulden des Ausländers beruht (BayVGH, B.v. 13.8.2009 – 10 ZB 09.1275 – juris). Eine nur unter engen Voraussetzungen anzunehmende Ausnahme vom Grundsatz des Erlöschens des Aufenthaltstitels gilt unter dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dann, wenn der Betroffene auf Grund höherer Gewalt keine Möglichkeit hatte, die Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu beantragen. (VG Oldenburg, B.v. 19.11.2010 – 11 B 2917 – juris), d.h. wenn es dem Ausländer aufgrund besonderer Umstände nicht zumutbar oder möglich war, die Ausländerbehörde von der längeren Dauer des Auslandsaufenthalts zu unterrichten (VG Augsburg, B.v. 22.1.2008 – Au 1 S 07.1738) oder wenn der Ausländer aus objektiven und von ihm nicht zu vertretenden Gründen an einer fristgerechten Rückkehr und zudem an der Stellung eines fristgerechten Antrags auf Verlängerung der Wiedereinreise gehindert war (VG Freiburg, a.a.O.; VG Ansbach, B.v. 14.4.2014 – AN 5 S 13.02118).
Es kann dahinstehen, ob die Niederlassungserlaubnis bereits aufgrund der Aufenthalte in Norwegen in den Jahren 2010 bis 2011 bzw. 2015 bis 2015 erloschen ist. Jedenfalls reiste die Klägerin, wie sie selbst bestätigt, im September 2017 aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Sie wurde erst am 25. April 2018 wieder ins Bundesgebiet zurücküberstellt. Die Niederlassungserlaubnis der Klägerin ist daher jedenfalls spätestens mit Überschreiten der Sechs-Monatsfrist am 31. März 2018 gem. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen.
Die Klägerin kann sich nicht auf den Privilegierungstatbestand des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG berufen. Nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, wenn dessen Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 AufenthG besteht.
Zwar hat sich die Klägerin mehr als 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und es liegt auch kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 AufenthG vor. Jedoch war ihr Lebensunterhalt nicht i.S.v. § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gesichert.
Unter welchen Voraussetzungen der Lebensunterhalt in diesem Sinne als gesichert angesehen werden kann, bestimmt sich nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, auf die § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG Bezug nimmt (BayVGH, B.v. 10.7.2013 – 10 ZB 13.457 – juris). Danach ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Erforderlich ist insoweit eine aufgrund belegbarer Umstände anzustellende Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer bzw. auf absehbare Zeit für einen erneuten Aufenthalt in Deutschland gesichert ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Prognose ist somit der Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen, im Fall des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG der Zeitpunkt des Überschreitens der Sechs-Monatsfrist. Dieser Zeitpunkt und nicht der Zeitpunkt der beabsichtigten Wiedereinreise ist maßgeblich bei der Prognose, ob der Lebensunterhalt in Zukunft auf Dauer oder zumindest auf absehbare Zeit im Falle eines erneuten Aufenthalts in Deutschland gesichert ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 1 C 14.16 – juris Rn. 15). Dass bei § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Prognose auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Erlöschensvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 oder 7 AufenthG abzustellen ist, ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte. Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass insbesondere älteren ausländischen Arbeitnehmern das einmal erworbene Aufenthaltsrecht in Deutschland auch bei längeren Auslandsaufenthalten auf Dauer erhalten werden sollte, wobei auf den speziellen Fall des Bezugs einer Rente wegen Alters, verminderter Erwerbsfähigkeit, Arbeitsunfalls oder Berufskrankheit abgestellt wurde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Privilegierung der Vorgängerregelung des § 44 Abs. 1a und 1b AuslG erfüllt waren, war der Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen (z.B. der längerfristigen Ausreise aus Deutschland), nicht hingegen ein in der Zukunft liegender Zeitpunkt einer beabsichtigten Wiedereinreise. Die erworbene Rechtsstellung sollte von Anfang an gesichert werden. Wenngleich die Prognose der Unterhaltssicherung zukunftsgerichtet ist und dem Zweck dient, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern (vgl. BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 10.12 – BVerwGE 146, 198 Rn. 17), ist im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit maßgeblicher Prognosezeitpunkt der des Erlöschens eines Aufenthaltsrechts. Nach der gesetzlichen Konzeption wird durch § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis kraft Gesetzes verhindert. Es ist hingegen nicht ihr „Wiederaufleben“ vorgesehen (vgl. zu alledem VGH München B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – BeckRS 2018, 32944).
Die materielle Beweislast für die Sicherung des Lebensunterhalts liegt bei der Klägerin. Nur sie ist in der Lage, entsprechende Unterlagen beizubringen, die Auskunft über ihre finanzielle Situation geben (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2016, § 51 AufenthG Rn. 38). Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Klägerin der Behörde bereits zum Zeitpunkt der Ausreise ihre finanzielle Situation nachweist. Die Klägerin kann diese vielmehr auch im Nachhinein belegen. Im vorliegenden Fall kann der Lebensunterhalt der Klägerin jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht als gesichert angesehen werden.
Zwar hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, in der Zeit ab 2011 in Deutschland in zwei …salons und als … in einem Bordell gearbeitet zu haben. Etwaige Steuerbescheide oder andere Unterlagen, die solche Tätigkeiten, eine etwaige Höhe der durch diese Tätigkeiten erzielten Einkommens und insbesondere deren Legalität nachweisen könnten, hat die Klägerin nicht vorgelegt. Vielmehr reiste die Klägerin zu dieser Zeit nach ihren eigenen Angaben immer wieder für ein bis zwei Monate nach Norwegen, da sie dort in einem …salon arbeitete und am Tag 300,- Euro bis 400,- Euro verdiente, wobei es sich jedoch um eine illegale Tätigkeit handelte. Die Tatsache, dass die Klägerin sich in Norwegen sogar illegal aufhielt, um dort einer illegalen Tätigkeit nachzugehen, spricht gegen eine Sicherung des Lebensunterhalts in Deutschland. Denn die Klägerin nahm somit sogar die Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung durch die norwegischen Behörden auf sich, um woanders als in Deutschland zu versuchen, ihren Lebensunterhalt, und sei es durch eine illegale Tätigkeit, zu sichern. Somit ist nicht ersichtlich geschweige denn nachgewiesen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen im März 2018 über ein Einkommen aus einer (legalen) Beschäftigung verfügte oder derartige Einkünfte in nächster Zukunft bzw. im Fall der Wiedereinreise prognostisch zu erwarten waren. Sonstige Einkünfte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen hat die Klägerin ebenfalls nicht nachgewiesen.
Auch der Vortrag der Klägerbevollmächtigten, der Lebensgefährte und frühere Ehemann der Klägerin habe der Klägerin immer wieder bei Engpässen ausgeholfen, führt nicht dazu, dass der Lebensunterhalt der Klägerin zum Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen im März 2018 als gesichert angesehen werden kann. Der Lebensunterhalt kann zwar auch durch Unterhaltsleistungen von Familienangehörigen oder Dritten gesichert werden. Bei Unterhaltsleistungen eines Familienangehörigen reicht es aus, wenn diese in Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht erbracht werden und dieser aufgrund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Lage ist, den Unterhalt auf längere Sicht zu sichern. Soweit der Lebensunterhalt aus Unterhaltsleistungen einer nichtunterhaltspflichtigen Person bestritten wird, ist von dieser eine schriftliche Verpflichtungserklärung gem. § 68 AufenthG zu fordern. (Marx in Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017, § 2 Rn. Rn. 46). Eine zum Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen am 7. November 2011 noch bestehende gesetzliche Unterhaltspflicht des früheren Ehemanns gegenüber der Klägerin wurde weder vorgetragen noch ist eine solche ersichtlich. Die Klägerin und der Lebensgefährte und frühere Ehemann der Klägerin waren seit … August 2006 rechtskräftig geschieden. Auch eine Verpflichtungserklärung des Lebensgefährten und früheren Ehemanns der Klägerin wurde nicht vorgelegt. Vielmehr spricht die Tatsache, dass der Klägerin aufgrund finanzieller Engpässe immer wieder ausgeholfen werden musste, dafür, dass deren Lebensunterhalt zum Zeitpunkt des Eintritts gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen am 7. November 2011 nicht gesichert war.
Mangels Sicherung des Lebensunterhalts zum Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin greift der Privilegierungstatbestand des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht, so dass die Niederlassungserlaubnis der Klägerin gem. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen ist.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.