Europarecht

Erlöschen des Aufenthaltstitels wegen Verlagerung des Lebensmittelpunktes ins Ausland

Aktenzeichen  M 9 E 16.2367

Datum:
29.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, Nr. 7

 

Leitsatz

1 Ein Auslandsaufenthalt von mehr als einem Jahr, der über einen bloßen Besuchs-, Geschäfts- oder Erholungsurlaub weit hinausgeht, dient als gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine etwaige subjektive Absicht nach Deutschland zurückkehren zu wollen, ist unbeachtlich, wenn sie sich nicht in objektiv nachprüfbaren Kriterien manifestiert hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen das Erlöschen ihrer Niederlassungserlaubnis; vorliegend begehrt sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Erwerbstätigkeit weiter zu gestatten.
Die am … … 1975 in … geborene Antragstellerin ist thailändische Staatsangehörige. Sie reiste erstmals 2001 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland ein. Zwischenzeitlich wurde ihre Ehe geschieden. Die Antragstellerin hat eine Tochter, geboren am … … 1992, die deutsche Staatsangehörige ist. Die Antragsgegnerin gestattete der Antragstellerin mit Wirkung vom 2. Juni 2008 die Erwerbstätigkeit, am 29. April 2013 erteilte sie ihr eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 AufenthG. Am 12. Januar 2016 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur Vorsprache im Kreisverwaltungsreferat auf, nachdem eine Mitteilung der SIRENE-Zentralstelle Norwegen vom 17. Dezember 2015 darüber eingegangen war, dass sich die Antragstellerin ca. 2 Jahre und 5 Monate in Norwegen aufgehalten und dort illegal gearbeitet habe. Die Antragsgegnerin ging infolgedessen vom Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis aus und erteilte der Antragstellerin befristete Grenzübertrittsbescheinigungen zum Nachweis darüber, dass sie ihren Lebensmittelpunkt nicht nach Norwegen verlagert habe, zuletzt bis zum 29. Juli 2016.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat unter dem 23. Mai 2016 Klage erhoben, um das Fortbestehen der Niederlassungserlaubnis feststellen zu lassen. Vorliegend beantragt er nach § 123 VwGO, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Hauptsacheverfahrens die Erwerbstätigkeit zu gestatten.
Die Antragstellerin sei vom 16. August 2010 bis 15. Juni 2015 in … gemeldet gewesen. Seit 15. Juni 2015 wohne sie unter einer anderen Adresse, ebenfalls in … Die Antragstellerin habe hier zum 9. Januar 2015 ein Gewerbe „Tätigkeit als/im/bei Wellnessbereich“ angemeldet. Sie sei ununterbrochen in … angemeldet gewesen und habe hier ihren Lebensmittelpunkt gehabt. Sie habe sich von Mai 2011 bis Oktober 2013 zeitweise, jeweils nur ein oder zwei Wochen, in Norwegen aufgehalten und dort als Escort-Begleitung gearbeitet. Während eines dieser kurzzeitigen Aufenthalte in Norwegen habe sie erwogen, im Wellnessbereich zu arbeiten. Nachdem sie dafür keine Genehmigung erhalten habe, habe sie diese Idee aber wieder verworfen. Im Oktober 2013 sei die Antragstellerin von der norwegischen Polizei festgenommen worden und nach ihrer Entlassung freiwillig ausgereist. Im Fall der Antragstellerin gebe es nichts, was für einen auf Dauer angelegten Auslandsaufenthalt hindeute. Ihr Lebensmittelpunkt sei in … gewesen, wo sie auch gemeldet geblieben sei, die Auslandsaufenthalte seien jeweils nur von kurzer Dauer gewesen. Sie habe in … Arztbesuche wahrgenommen im August 2011, Oktober 2011, Dezember 2012, April 2013, September 2013 und November 2014. Ihr zukünftiger Schwiegersohn und ihre Tochter lebten in …, zu Letzterer – und zu weiteren Personen – habe sie während des fraglichen Zeitraums längere Zeiten (Wochen) Kontakt gehabt und sei mit ihr, nicht nur „besuchsweise“, in … zusammen gewesen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei begründet, da die Antragstellerin in … im Bereich der Wellness-Tätigkeit selbstständig gearbeitet habe und laufenden Verpflichtungen wie Mietzahlungen, Krankenversicherung und Kosten für den Lebensunterhalt – ohne Unterstützung ihrer Tochter – nachkommen müsse.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag unter Kostentragung durch die Antragstellerin abzulehnen.
Die Antragsgegnerin habe über eine Mitteilung des Schengener Informationssystems (SIS) erfahren, dass sich die Antragstellerin seit 2011 über einen längeren, nicht nur vorübergehenden Zeitraum in Norwegen aufgehalten habe und dort einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis ergebe sich nicht nur aus § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, sondern in erster Linie auch aus § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG. Im fraglichen Zeitraum lägen sehr wohl zusammenhängende Zeiträume von über sechs Monaten vor. Die Antragstellerin sei nach Norwegen ausgereist, um dort längerfristig zu bleiben und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dieser Aufenthalt würde auch jetzt noch fortdauern, wenn er nicht durch die norwegischen Behörden beendet worden wäre. Die Antragstellerin sei mehr oder weniger gezwungenermaßen nach Deutschland zurückgekehrt, was ebenfalls die nicht nur vorübergehende Ausreise dokumentiere. Weder die Arztbesuche noch die Unternehmungen mit Angehörigen könnten belegen, dass die Sechsmonatsfrist niemals überschritten worden sei. Auch die entgegen rechtlicher Bestimmungen nicht erfolgte Abmeldung vom Hauptwohnsitz in … sowie die Aufrechterhaltung persönlicher Kontakte stellten keinen Nachweis einer nur vorübergehenden Abwesenheit dar. Gegen den Einwand, die Antragstellerin hätte in Norwegen tatsächlich nicht gearbeitet, sprächen der lange Zeitraum, das Aufgreifen durch die norwegischen Behörden bei der illegalen Erwerbstätigkeit und die Feststellung, dass von der Antragstellerin im Zeitraum vom 9. Mai 2011 bis 24. Juli 2013 insgesamt ca. 300.000,– NOK ausgeführt oder gewechselt worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag ist in Form der vom Gericht vorgenommenen sachdienlichen Auslegung zwar zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Der Antrag ist zulässig.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
Streitgegenstand des Verfahrens nach § 123 VwGO ist der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Anspruchs in der Hauptsache (Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand 29. EL Oktober 2015, § 123 Rn. 59). Die Antragstellerin beantragt in der Hauptsache, festzustellen, dass die ihr am 29. April 2013 erteilte Niederlassungserlaubnis fortbesteht. Diese Feststellungsklage nach § 43 VwGO ist der statthafte Rechtsbehelf, da das Erlöschen des Aufenthaltstitels kraft Gesetzes eintritt und es keines zusätzlichen Verwaltungsaktes bedarf, der das Erlöschen feststellt und tauglicher Angriffsgegenstand sein könnte (vgl. Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Stand Dezember 2015, § 51 Rn. 20). Zur Sicherung dieses Feststellungsbegehrs hätte korrekterweise ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt werden müssen mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig und vorbehaltlich der Entscheidung in der Hauptsache so zu behandeln, als sei die Niederlassungserlaubnis nicht erloschen und ihr diesen Sachverhalt schriftlich – eventuell nach § 51 Abs. 2 Satz 3 AufenthG – zu bestätigen (VG Ansbach, B.v. 14.8.2013 – AN 5 E 13.01304 – juris Rn. 18; VG München, B.v. 26.7.2007 – M 4 E 07.1573 – juris Rn. 24; B.v. 8.10.2007 – M 9 E 07.1866 – juris, bestätigt durch BayVGH, B.v. 17.12.2007 – 24 CE 07.2964 – juris). Ein derartiges Vorgehen wäre aus Sicht der Antragstellerin bereits deshalb sinnhaft gewesen, weil sie selbst vom Fortbestand ihrer Niederlassungserlaubnis ausgeht, die sie nach § 4 Abs. 2 Satz 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG ohne weiteres zur fortgesetzten Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen würde – einer eigenständigen Gestattung bedürfte es deswegen nicht. Der Antrag der Antragstellerin kann aber nach § 88 VwGO dahin ausgelegt werden, dass sie dies gefordert hat, weil es ihr im Kern um das Recht geht, weiterarbeiten zu dürfen. Dieses Recht wäre auch unmittelbarer Ausfluss dessen, was richtigerweise zu beantragen gewesen wäre, da die Forderung, vorläufig so behandelt zu werden, als sei die Niederlassungserlaubnis nicht erloschen, zum Recht auf Fortführung der Erwerbstätigkeit führt, da diese bei Fortbestand der Niedererlassungserlaubnis von Gesetzes wegen gestattet ist.
2. Der Antrag ist aber unbegründet.
Ein Anordnungsanspruch ist nicht gegeben. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG von Gesetzes wegen erloschen ist (a). Auf die Frage, ob auch § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfüllt ist (b), kommt es damit nicht mehr tragend an. Ein Anspruch auf Duldung ist nicht ersichtlich (c), sodass auch kein Anordnungsanspruch für eine Erlaubnis zur Beschäftigung vorliegt.
Die Antragsgegnerin hat insoweit keinen Beurteilungsspielraum. Bei den Tatbeständen des § 51 Abs. 1 AufenthG handelt es sich um gerichtlich vollumfänglich nachprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe (VG Ansbach, B.v. 14.8.2013 – AN 5 E 13.01304 – juris Rn. 22).
a) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Unschädlich im Hinblick auf diese Vorschrift sind lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, liegt ein seiner Natur nach nicht vorübergehender Grund vor. Neben der Dauer und dem Zweck des Auslandsaufenthalts sind alle objektiven Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers – insbesondere auf seine Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland – nicht allein ankommen kann. Als ihrer Natur nach vorübergehende Gründe für Auslandsaufenthalte können danach etwa Urlaubsreisen oder beruflich veranlasste Aufenthalte von ähnlicher Dauer anzusehen sein, ebenso Aufenthalte zur vorübergehenden Pflege von Angehörigen, zur Ableistung der Wehrpflicht oder Aufenthalte während der Schul- oder Berufsausbildung, die nur zeitlich begrenzte Ausbildungsabschnitte, nicht aber die Ausbildung insgesamt ins Ausland verlagern. Demgegenüber lässt sich eine feste Zeitspanne, bei deren Überschreitung stets von einem nicht mehr vorübergehenden Grund auszugehen wäre, nicht abstrakt benennen. Je weiter sich die Aufenthaltsdauer im Ausland über die Zeiten hinaus ausdehnt, die mit den genannten begrenzten Aufenthaltszwecken typischerweise verbunden sind, desto eher liegt die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Grundes im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nahe. Jedenfalls erlischt der Aufenthaltstitel nach dieser Vorschrift, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat (BVerwG, U.v. 11.12.2012 – 1 C 15/11 – juris Rn. 16). Entscheidend sind damit der Zweck der Ausreise und des Aufenthalts der Antragstellerin in Norwegen und die Prüfung des nicht nur vorübergehenden Grundes anhand objektiver Umstände (BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 ZB 14.345 – juris Rn. 9). Die Voraussetzung für ein Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis ist dabei nicht nur erfüllt, wenn der seiner Natur nach nicht vorübergehende Grund bereits zum Zeitpunkt der Ausreise vorliegt, sondern auch dann, wenn er erst während des Aufenthaltes des Ausländers im Ausland eintritt (BVerwG, B.v. 28.4.1982 – 1 B 148/81 – juris Rn. 3).
Nach Aktenlage hat die Antragstellerin Deutschland im Mai 2011 aus einem in diesem Sinne nicht nur vorübergehenden Grund verlassen und sich in der Folge aus einem nicht nur vorübergehenden Grund in Norwegen aufgehalten. Wie insbesondere aus der Vorankündigung der Ausweisung aus Norwegen vom 17. Oktober 2013 (Bl. 19 des Gerichtsakts) hervorgeht, die die für das Erlöschen beweisbelastete Antragsgegnerin (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 95. Aktualisierung Februar 2016, § 51 Rn. 22) eingeholt hat, hat die Antragstellerin in Norwegen längerfristig unerlaubt als Masseurin in einem Unternehmen gearbeitet. Diesen Sachverhalt hat die norwegische Polizei ausweislich des Dokuments bei Ausländerkontrollen im März und Oktober 2013 festgestellt. Im Rahmen der Kontrolle im März 2013 sind zwei Arbeitsverträge vorgefunden worden mit den Eintrittsdaten 18. Oktober 2012 und 1. Mai 2013, ausgestellt auf den Namen der Antragstellerin und von ihr unterschrieben. Die Verträge haben verschiedene Arbeitsorte (Dependancen bzw. Filialen) benannt, aber denselben Arbeitgeber ausgewiesen. Dieser hat laut den Feststellungen die tatsächliche Beschäftigung der Antragstellerin eingeräumt und dafür einen Strafbefehl erhalten. Im Oktober 2013 ist die Antragstellerin demnach erneut in einer der Filialen angetroffen worden und hat gegenüber den Polizisten bestätigt, dass sie auch dort wohne. Weiter weist die Polizei im genannten Schreiben darauf hin, dass die Antragstellerin im Zeitraum vom 5. September 2011 bis zum 24. Juli 2013 insgesamt ca. 300.000,– NOK, umgerechnet etwa € 32.000,– ausgeführt oder gewechselt habe.
Danach ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin langfristig, mutmaßlich seit 2011, gesichert jedenfalls von Oktober 2012 bis Oktober 2013, in Norwegen gearbeitet hat. Allein die Dauer dieser Abwesenheit – die Antragstellerin selbst gibt an, sich von Mai 2011 bis Oktober 2013 zeitweise in Norwegen aufgehalten zu haben, Antragsschrift, S. 3 -, die über einen bloßen Besuchs-, Geschäfts- oder Erholungsaufenthalt weit hinausgeht, dient als gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG vorliegend gegeben sind (BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – juris Rn. 21; OVG NW, B.v. 24.2.2007 – 18 B 2764/06 – juris Rn. 6ff.; OVG Berlin-Bbg, U.v. 28.9.2010 – OVG 11 B 14.10 – juris Rn. 19). Weiter tritt das Gericht angesichts der objektiven Umstände der Auffassung der Antragsgegnerin bei, dass dieser Aufenthalt auch jetzt noch fortdauern würde, hätten die norwegischen Behörden nicht die Ausweisung der Antragsgegnerin vorbereitet. Dafür spricht, dass sich die Antragstellerin durch die erste Kontrolle im März 2013 nicht von ihrer illegalen Berufstätigkeit abhalten ließ, um in Norwegen weiterhin ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ein nur vorübergehender Aufenthaltszweck in Norwegen – wie eine Urlaubsreise, Aufenthalte zur Pflege von Angehörigen o.ä. – ist damit nicht gegeben.
Wenn der Bevollmächtigte der Antragstellerin demgegenüber vorträgt, die Antragstellerin habe jeweils nur ein oder zwei Wochen in Norwegen verbracht und als Escort-Begleitung gearbeitet, so ist dies durch nichts belegt und damit nicht nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Die Angaben der norwegischen Polizei, die aus Sicht des Gerichts nicht in Zweifel zu ziehen sind, widersprechen auch der Behauptung der Antragstellerin, sie habe zwar erwogen, in Norwegen im Wellnessbereich zu arbeiten, diese Idee aber verworfen, nachdem sie keine Genehmigung erhalten habe. Dieses Vorbringen gibt im Übrigen aber erst recht Anlass zu der Annahme, dass die Antragstellerin Deutschland auf unabsehbare Zeit den Rücken kehren und sich in Norwegen eine neue Existenz aufbauen wollte, da es widersinnig wäre, bei stets nur kurzfristigen Aufenthalten eine Arbeitserlaubnis für eine längerfristige Beschäftigung anzustreben. Auch das Vorbringen der Antragstellerin im Rahmen der Vorsprache bei der Antragsgegnerin (Niederschrift, Bl. 12 des Gerichtsakts), sie habe sich auch oft in … aufgehalten und dort gelebt, sieht die Kammer unter dem Eindruck der polizeilichen Feststellungen als entkräftet an. Es ist für den Aufenthalt in Norwegen weder ein auf einen überschaubaren Zeitraum bezogener Zweck zu erkennen noch wäre ein solcher vorgetragen (OVG Berlin-Bbg, B.v. 9.7.2010 – OVG 3 N 58.10 – juris Rn. 7; OVG Lüneburg, B.v. 11.1.2008 – 11 ME 418/07 – juris Rn. 9). Die Antragstellerin zielt mit ihrem Vorbringen maßgeblich darauf ab, einzelne Aufenthalte in Deutschland zu belegen; ihre Angaben dazu, zu welchen Zwecken sie sich in Norwegen aufgehalten und aus welchen Motiven sie Deutschland verlassen hat, erschöpfen sich in der unsubstantiierten Behauptung, sie habe dort zeitweise als Escort-Begleitung gearbeitet.
Eine etwaige subjektive – von Anfang an bestehende oder später gefasste – Absicht der Antragstellerin, nach Deutschland zurückkehren zu wollen, wäre bei alledem unbeachtlich, da sie sich nicht in objektiv nachprüfbaren Indizien manifestiert hat (BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 ZB 14.345 – juris Rn. 9). Das Vorbringen der Antragstellerin, sie sei in … gemeldet geblieben und habe hier Arzttermine wahrgenommen und nicht nur besuchsweisen Kontakt zu ihrer Tochter gepflegt, stellt die Bewertung, die Antragstellerin habe ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft nach Norwegen verlegt, nicht infrage. Ein melderechtlicher Status belegt nicht den tatsächlichen Lebensmittelpunkt (VG Ansbach, B.v. 14.8.2013 – AN 5 E 13.01304 – juris Rn. 26), weswegen dem Beibehalten eines – formalen – Wohnsitzes im Bundesgebiet von vorn herein nur eine schwache Indizwirkung für die Frage zukommt, ob der Ausländer Deutschland nur vorübergehend verlassen wollte (BayVGH, B.v. 17.12.2007 – 24 CE 07.2964 – juris Rn. 6; OVG Berlin-Bbg, B.v. 9.7.2010 – OVG 3 N 58.10 – juris Rn. 8). Die belegten Arztaufenthalte in Deutschland – zwei Besuche am 2. und 4. August 2011, zwei Besuche am 11. Oktober 2011, ein Besuch am 12. Dezember 2012, ein Besuch am 29. April 2013, ein Besuch am 12. September 2013 und ein Besuch am 18. November 2014 – fallen teilweise auf denselben Tag oder liegen nur wenige Tage auseinander, was nahelegt, dass sie bewusst so geplant und organisiert wurden, um die Abwesenheit von der Arbeitsstelle in Norwegen zu verkürzen. Im Übrigen verteilen sich bereits nach dem Vortrag der Antragstellerin demnach nur acht Termine auf insgesamt vier Jahre. Es ist nicht ersichtlich, wie diese Besuche geeignet sein sollten, die Bewertung, die Antragstellerin habe ihren Lebensmittelpunkt nach Norwegen verlegt, zu erschüttern: Vielmehr sind die Aufenthalte bereits ihrem Zweck nach – ärztliche Behandlung -, anders als der Aufenthalt in Norwegen, zeitlich begrenzt gewesen und könnten beispielsweise mit Besuchen zusammengelegt worden sein. Auch – gegebenenfalls längerfristige – Aufenthalte bei der Tochter führen zu keiner anderen Beurteilung. Die objektiven Umstände sprechen dafür, dass die Antragstellerin in Norwegen gelebt und gearbeitet hat. Nicht zuletzt aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wird ersichtlich, dass Lebensführung und Lebensunterhalt zusammenhängen. Die belegten Aufenthalte in … sind nicht geeignet, auf eine dort erschlossene Einkommensquelle zu schließen (auf die Erwerbstätigkeit stellen z.B. BayVGH, B.v. 4.1.2016 – 10 ZB 13.2431 – juris Rn. 6 und BayVGH, B.v. 17.12.2007 – 24 CE 07.2964 – juris Rn. 6 ab). Die Antragstellerin ist diesbezüglich auch den in ihrem eigenen Interesse bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen (BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 ZB 14.345 – juris Rn. 12). Die Antragsgegnerin hat mehrfach die Grenzübertrittsbescheinigungen verlängert, um der Antragstellerin Gelegenheit zu geben, weitere Nachweise, z.B. über eine Beschäftigung in Deutschland vor Januar 2015, vorzulegen. Dies erfolgte aber, soweit ersichtlich, bis dato nicht.
b) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer längeren von der Ausländerbehörde bestimmten Frist wieder eingereist ist.
Auch dieser Tatbestand ist vorliegend voraussichtlich erfüllt, wenngleich es darauf nicht mehr tragend ankommt. Selbst wenn die Antragstellerin nachweisen könnte, dass sie das Bundesgebiet nie für eine Zeitspanne von sechs aufeinander folgenden Monaten verlassen hat, so neigt die obergerichtliche Rechtsprechung doch der Auffassung zu, dass der Lauf dieser Frist nicht dadurch unterbrochen wird, dass der Ausländer kurzfristig ins Bundesgebiet zurückkehrt und danach zur Verfolgung desselben Zwecks wie zuvor wieder ausreist (BayVGH, B.v. 17.12.2007 – 24 CE 07.2964 – juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, U.v. 28.9.2010 – 11 B 14/10 – juris Rn. 22; OVG NW, B.v. 24.4.2007 – 18 B 2764/06 – juris Rn. 11). Dies hat die Antragstellerin aber getan, da sie sich, wovon die Kammer bereits aufgrund ihres eigenen Vortrags überzeugt ist, seit Mai 2011 nur jeweils wenige Tage oder Wochen im Bundesgebiet aufgehalten hat, um Arztbesuche wahrzunehmen oder Zeit mit der Tochter zu verbringen.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die in § 51 Abs. 2 AufenthG vorgesehenen Ausnahmen vorliegend jeweils nicht eingreifen. Die Ehe der Antragstellerin wurde geschieden – somit besteht keine eheliche Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen – und sie reiste erstmalig 2001 in das Bundesgebiet ein, weswegen mit dem zwischenzeitlichen Erlöschen der Niederlassungserlaubnis kein 15-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt gegeben ist.
c) Auch ein auf § 32 Beschäftigungsverordnung (BeschV) fußender Anordnungsanspruch ist – unabhängig davon, dass dann in der Hauptsache Verpflichtungsklage hätte erhoben werden müssen (VG Augsburg, B.v. 30.1.2012 – Au 6 E 11.1909 – juris Rn. 20ff.) – nicht gegeben. Die Antragstellerin ist nicht geduldet. Eine Duldung setzt eine Bescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG voraus. Die der Antragstellerin ausgestellten Grenzübertrittsbescheinigungen genügen diesen Anforderungen nicht. Die Grenzübertrittsbescheinigung trifft keine Regelung zur aufenthaltsrechtlichen Stellung eines Ausländers, sondern stellt nur ein Dokument dar, mit welchem die Ausreise von ausreisepflichtigen Ausländern aus dem Bundesgebiet kontrolliert wird (OVG NW, B.v. 18.6.2012 – 18 E 491/12 – juris Rn. 10). Duldungsgründe, aufgrund derer ein Anspruch auf eine vorübergehende Duldung gemäß § 60a AufenthG bestehen könnten, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.

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