Aktenzeichen M 1 S 19.50563
AsylG § 34a, § 77 Abs. 1
Dublin III-VO Art. 27 Abs. 4
AufenthG § 11 Abs. 1
Leitsatz
Ist die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO iVm Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausgesetzt, ist ein Eilantrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/2.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Mit Bescheid vom 21. Mai 2019 lehnte die Antragsgegnerin die Asylanträge der Antragstellerinnen als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Am … Mai 2019 haben die Antragstellerinnen Klage (M 1 K 19.50562) zuBayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragen zugleich in diesem Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien wird die aufschiebende Wirkung der Klagen gem. § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Die Antragsgegnerin setzte mit Schreiben vom 20. April 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 DubliIII-VO aus, weil im Hinblick auf die Entwicklung der Corona-Krise Dublin-Überstellungen nicht zu vertreten seien. Weiter erklärte die Antragsgegnerin, dass die abgegebene Erklärung unter dem Vorbehalt des Widerrufs gelte.
Mit Schreiben vom 1. Mai 2020 forderte das Gericht die Antragstellerinnen dazu auf, eine prozessbeendende Erklärung abzugeben. Eine Rückäußerung der Antragstellerinnen erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte, auch im Verfahren M 1 K 19.50562 Bezug genommen.
II.
Die Anträge gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen hinsichtlich der Abschiebungsanordnungen in Nr. 3 des Bescheides sind abzulehnen, weil sie im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sind.
Die Antragsgegnerin hat mit ihrem Schreiben vom 20. April 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausgesetzt. Da somit derzeit keine Vollziehung droht, sind die Eilanträge im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig (vgl. VGH BW, B.v. 18.6.1991 – 8 S 1306/91 – VBlBW 1991, 469, OVG Bdg, B.v. 12.6.1998 – 4 B 39/98 – juris Rn. 5; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 278, 498).
Dem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses steht es nicht entgegen, dass die Aussetzung der Vollziehung von der Antragsgegnerin unter dem Vorbehalt des Widerrufs erklärt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 11 CS 05.826 – juris Rn. 16 ff.; VG München, B.v. 19.5.2020 – M 30 S 20.50186 – juris Rn. 8; B.v. 18.5.2020 – M 19 S 20.50141 – n.V.). Denn eine solche Erklärung gibt nur die ohnehin bestehende Rechtslage wieder, wonach die zuständige Behörde die Aussetzungsentscheidung, soweit keine anderweitigen rechtlichen Bindungen bestehen, ändern oder aufheben kann. Die Tatsache, dass sich in § 80 Abs. 4 VwGO keine dem § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO entsprechende Regelung findet, bedeutet allenfalls, dass die Aussetzungsentscheidung nicht jederzeit geändert oder aufgehoben werden darf. Zu einer Neubeurteilung berechtigen jedoch allemal veränderte rechtliche oder tatsächliche Umstände (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2001 – 4 VR 19/01 – NVwZ-RR 2002, 153; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 319 f.), im konkreten Fall etwa der Wegfall der Pandemie. Dass sich die Antragsgegnerin mit dem erklärten Widerrufsvorbehalt von diesen bundesgesetzlichen Bindungen lösen möchte – und deshalb das Fortbestehen der Zulässigkeit der Anträge zu erwägen sein könnte – ist nicht ersichtlich. Auch sind die Antragstellerinnen durch die unter dem Vorbehalt des Widerrufs erklärte Aussetzung der Vollziehung nicht rechtsschutzlos gestellt, weil sie eine künftige Änderungsentscheidung der Antragsgegnerin über § 80 Abs. 7 VwGO zum Gegenstand eines weiteren Rechtsschutzverfahrens machen können.
Die Anträge waren deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).