Aktenzeichen 6 C 57/16
Art 100 Abs 1 GG
§ 30 TKG
§ 31 TKG
§ 35 Abs 5 S 2 TKG
§ 35 Abs 5 S 3 TKG
§ 35 Abs 1 S 2 TKG
§ 113 Abs 1 S 4 VwGO
§ 123 VwGO
Art 267 Abs 3 AEUV
Art 47 EUGrdRCh
Art 4 Abs 1 EGRL 21/2002
§ 35 Abs 1 S 1 Nr 1 TKG
Leitsatz
1. Im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG kann das regulierte Unternehmen Rechtsschutz gegen zu niedrig festgesetzte Entgelte für abgelaufene Genehmigungszeiträume im Hauptsacheverfahren ohne vorhergehenden Erfolg im Eilverfahren nur im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage erhalten (wie BVerwG, Urteil vom 29. März 2017 – 6 C 1.16 – NVwZ 2017, 1466).
2. Stellt die Bundesnetzagentur im Entgeltgenehmigungsverfahren auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 TKG eine Vergleichsmarktbetrachtung zum Zweck der Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung an, steht ihr sowohl für die Entscheidung, welche Märkte sie als Vergleichsbasis heranzieht, als auch für die Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe unter Berücksichtigung der Vergleichsmärkte Abschläge vom bzw. Zuschläge auf das Vergleichsentgelt anzusetzen sind, ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Dezember 2014 – 6 C 16.13 – N&R 2015, 173 Rn. 35 ff. und – 6 C 18.13 – BVerwGE 151, 56 Rn. 30 ff., und vom 25. Februar 2015 – 6 C 33.13 – Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 8 Rn. 26 ; Urteile vom 25. Februar 2015 – 6 C 37.13 – BVerwGE 151, 268 Rn. 41 sowie vom 1. April 2015 – 6 C 36.13 – CR 2016, 269 Rn. 27 und – 6 C 38.13 – Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 10 Rn. 41).
Verfahrensgang
vorgehend VG Köln, 28. August 2013, Az: 21 K 5166/06, Urteil
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer ihr erteilten Entgeltgenehmigung.
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Die Klägerin betreibt ein Mobilfunknetz nach GSM- und UMTS-Standard, das mit den öffentlichen Telefonnetzen anderer Betreiber zusammengeschaltet ist. Die Entgelte für die Zugangsgewährung bedürfen auf Grund bestandskräftiger Regulierungsverfügung vom 30. August 2006 einer Ex-ante-Entgeltgenehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG. Im September 2006 beantragte die Klägerin unter Vorlage entsprechender Kostenunterlagen die Genehmigung der Entgelte für die ihr mit der Regulierungsverfügung auferlegten Zugangsleistungen. Mit Beschluss vom 16. November 2006 – BK 3 a/b-06-011 – genehmigte die Bundesnetzagentur für die Terminierung im Netz der Klägerin für den Zeitraum vom 30. August 2006 bis 22. November 2006 ein Verbindungsentgelt in Höhe von 11 Cent/Minute (Ziffer 1.1) oder – bei Eintritt einer von zwei näher beschriebenen auflösenden Bedingungen – in Höhe von 9,78 Cent/Minute (Ziffer 2). Ab dem 23. November 2006 genehmigte die Bundesnetzagentur – befristet bis zum 30. November 2007 (Ziffer 3) – ein Verbindungsentgelt in Höhe von 8,78 Cent/Minute (Ziffer 1.2). Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt (Ziffer 4).
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Die Klägerin hat ihre gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 16. November 2006 – Bk 3 a/b-06-011 – gerichtete Anfechtungsklage zurückgenommen und ihr Entgeltgenehmigungsbegehren mit der zunächst nur hilfsweise erhobenen Verpflichtungsklage weiterverfolgt. Ihren Antrag, die Beklagte zu verpflichten, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung ihrer Klage das von ihr beantragte Entgelt für die Leistung V.1 in Höhe von 11 Cent/Minute vorläufig zu genehmigen, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. In Bezug auf den durch die Klagerücknahme betroffenen Teil hat es das Verfahren eingestellt. Die Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Sie sei zwar trotz des Rückwirkungsausschlusses nach § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Höhe des genehmigten Terminierungsentgelts beruhe auf der Durchführung einer rechtlich nicht zu beanstandenden internationalen Vergleichsmarktbetrachtung. Die von der Klägerin vorgelegten Kostenunterlagen hätten zur Bestimmung der für die Genehmigung maßgeblichen Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nicht ausgereicht. Die Beklagte habe ermessensfehlerfrei davon abgesehen, den Entgeltantrag gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 TKG wegen Unvollständigkeit der Kostenunterlagen gänzlich abzulehnen oder ein Kostenmodell nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TKG heranzuziehen und die Genehmigung stattdessen auf der Grundlage einer Vergleichsmarktbetrachtung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG erteilt. Für die Entscheidung, welche grundsätzlich vergleichbaren Märkte sie für die Preisbildung heranziehe, stehe der Beklagten ein Auswahlermessen zu. Es sei insbesondere nicht ermessensfehlerhaft, dass sie ausgehend von dem Kriterium der Frequenzausstattung zwei separate Vergleichsgruppen gebildet und infolgedessen Mobilfunkterminierungsentgelte in unterschiedlicher Höhe für D- und E-Netzbetreiber genehmigt habe. In den Vergleichsgruppen der Mobilfunknetzbetreiber mit 900-MHz-Frequenzausstattung einerseits und mit 1 800-MHz-Frequenzausstattung andererseits zeigten sich überwiegend weitergehende Übereinstimmungen. Bedingt durch ihren späteren Markteintritt, hätten die sog. E-Netzbetreiber auch noch im Jahr 2006 gegenüber den D-Netzbetreibern einen geringeren Marktanteil mit der Folge vergleichsweise ungünstiger Skaleneffekte gehabt. Im Sinne der Erhaltung und Förderung des Wettbewerbs sei es nicht ermessensfehlerhaft, zum Ausgleich zu Gunsten der E-Netzbetreiber eine Tarifspreizung vorzunehmen. Bei der Frage, ob und ggf. in welcher Höhe Besonderheiten der Vergleichsmärkte besondere Zu- bzw. Abschläge erforderlich machten, verfüge die Beklagte über ein Regulierungsermessen. Dass sie für die von der Klägerin in der Vergangenheit gezahlten relativ hohen UMTS-Lizenzgebühren keinen Korrekturzuschlag festgesetzt habe, sei nicht zu beanstanden. Durch die getroffene Auswahl der Mobilfunknetzbetreiber hätten in den Tarifen implizit Kostenanteile für die UMTS-Lizenzgebühr gerade in den Ländern Berücksichtigung gefunden, in denen vergleichsweise hohe Summen für UMTS-Lizenzen ausgegeben worden seien.
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Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt, mit der sie ursprünglich – ebenso wie bereits erstinstanzlich – die Verpflichtung der Beklagten begehrt hat, für die Terminierungsleistung V.1 der Klägerin mit Wirkung ab dem 30. August 2006 ein Entgelt in Höhe von 11 €-Cent/Minute, hilfsweise in einer Höhe zwischen 8,78 €-Cent/Minute und 11 €-Cent/Minute zu genehmigen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 10. Dezember 2014 – 6 C 18.13 – (BVerwGE 151, 56) das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 des Telekommunikationsgesetzes – TKG – vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190) mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist.
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Zur Begründung hat der Senat ausgeführt: Auf die Gültigkeit des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG komme es für die Entscheidung über die Revision der Klägerin an (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Sei § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG verfassungsgemäß, so sei die Revision zurückzuweisen. Das die Verpflichtungsklage gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 16. November 2006 abweisende erstinstanzliche Urteil beruhe in diesem Fall zwar auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO), da der Bundesnetzagentur im Rahmen der Ermittlung der genehmigungsfähigen Entgelte auf der Grundlage einer internationalen Vergleichsmarktbetrachtung Rechtsfehler unterlaufen seien. Das angefochtene Urteil stelle sich dann aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG den prozessualen Anspruch auf Verpflichtung zum Erlass einer rückwirkenden Genehmigung eines höheren Entgelts ausschließe.
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Mit Beschluss vom 22. November 2016 – 1 BvL 6/14 u.a. – hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG vom 22. Juni 2004 und in der Fassung späterer Gesetze mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht mehr vereinbar ist; das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar; der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Juli 2018 zu treffen.
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Die Klägerin hat ihre Klage im fortgesetzten Revisionsverfahren auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt und beantragt nunmehr,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 28. August 2013 abzuändern und festzustellen, dass der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 16. November 2006 (BK 3a/b-06/011) in Bezug auf die Genehmigung von Entgelten für die Terminierungsleistung V.1 der Klägerin nach Ziffern 1.2 und 2 des Beschlusses rechtswidrig war.
9
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10
Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.