Aktenzeichen 7 A 3/17
§ 12 Abs 7 S 3 WaStrG
§ 12 Abs 7 S 4 WaStrG
§ 72 WHG
Tatbestand
1
Die Klägerin ist eine am niedersächsischen Elbufer in Höhe der Elbmündung gelegene Gemeinde und ein staatlich anerkanntes Nordseebad. Sie wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten zur Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe.
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Der Planfeststellungsbeschluss betrifft die sogenannte Bundesstrecke von Tinsdal (km 638,9) bis zur Elbmündung (km 755,3); Vorhabenträgerin für diesen Streckenabschnitt ist die Bundesrepublik Deutschland. Das Ausbauvorhaben erstreckt sich zudem auf die sogenannte Delegationsstrecke im Gebiet von Hamburg, die Gegenstand eines gleichzeitig erlassenen Planfeststellungsbeschlusses der Freien und Hansestadt Hamburg ist; Vorhabenträgerin ist insoweit die Hamburg Port Authority AöR.
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Die Ausbaustrecke ist insgesamt knapp 136 km lang. Mit dem Ausbauvorhaben soll der Zugang zum Hamburger Hafen so verbessert werden, dass Containerschiffe mit einem Tiefgang von 13,5 m in Salzwasser die Elbe zukünftig tideunabhängig befahren können. Für 14,5 m tiefgehende Containerschiffe soll das Zeitfenster für den tideabhängigen Verkehr vergrößert werden. Zu diesem Zweck wurde den Planungen ein Bemessungsschiff mit einer Länge von 350 m, einer Breite von 46 m und einem Tiefgang von 14,5 m (in Salzwasser) zugrunde gelegt. Das Startfenster für die tideabhängige Fahrt wurde so bemessen, dass in dieser Zeit von den drei großen Terminalbereichen im Hamburger Hafen jeweils ein Containerschiff mit einem Tiefgang von 14,5 m abfahren kann.
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Die Ausbautiefen schwanken zwischen 0 m über dem BAB-Elbtunnel im Hamburger Hafen und 2,42 m bei Cuxhaven. Die Ausbaubreiten werden vom Stromkilometer 748 bis zur Störkurve mit der bisherigen Regelbreite von 400 m nicht verändert. Von der Störkurve bis zur Lühekurve wird die Regelbreite von 300 m auf 320 m vergrößert. In der Delegationsstrecke wird die Regelbreite der Fahrrinne bereichsweise ebenfalls um maximal 20 m vergrößert.
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Zwischen dem Ausgang der Lühekurve (km 644) und Blankenese (km 636) wird eine Begegnungsstrecke mit einer Fahrrinnenbreite von im Mittel 385 m eingerichtet. Als weitere Baumaßnahmen sind die Einrichtung eines Warteplatzes in Höhe Brunsbüttel und der Ausbau der Hafenzufahrten Parkhafen/Waltershofer Hafen geplant. Für die Köhlbrandkurve sind eine Vorsetze und für die Richtfeuerlinie Blankenese zwei neue Richtfeuertürme vorgesehen. Zudem soll der Düker Neßsand (km 636,8) ersetzt werden.
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Für die Baggerarbeiten werden Hopper- oder Eimerkettenbagger mit Transportschuten eingesetzt. Die Unterbringung des anfallenden Baggerguts ist Gegenstand eines Strombau- und Verbringungskonzepts, das u.a. die Errichtung von Unterwasserablagerungsflächen (UWA) sowie Umlagerungsstellen und Übertiefenverfüllungen vorsieht. Mit den UWA, insbesondere den UWA Medemrinne Ost und Neufelder Sand im Bereich der Elbmündung, werden neben der Unterbringung des Ausbaubaggerguts auch strombauliche Zwecke verfolgt.
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Das Planfeststellungsverfahren wurde im September 2006 eingeleitet. Im Zeitraum von September 2008 bis Ende 2010 wurden die Pläne dreimal geändert. Die 2. Planänderung hatte im Wesentlichen die Planung von Ufersicherungsmaßnahmen im Altenbrucher Bogen zum Inhalt. Diese Maßnahmen waren Gegenstand einer vorläufigen Anordnung vom 11. Mai 2010 und sind seit Ende 2012 abgeschlossen.
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Die Pläne für die Bundes- und die Delegationsstrecke wurden mit Beschlüssen vom 23. April 2012 unter Anordnung verschiedener Auflagen – etwa zu den Baumaßnahmen und den Schiffsgeschwindigkeiten sowie zu den Häfen und zur Standsicherheit der Deiche – festgestellt und bekanntgemacht.
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Die Klägerin hat gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Bundesstrecke fristgerecht Klage erhoben. Während des gerichtlichen Verfahrens hat die Beklagte unter dem 1. Oktober 2013 und dem 24. März 2016 Ergänzungsbeschlüsse erlassen; zudem sind in der mündlichen Verhandlung im Verfahren der Umweltverbände BUND und NABU (BVerwG 7 A 2.15) im Dezember 2016 weitere Ergänzungen durch Protokollerklärungen erfolgt.
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Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin in erster Linie eine vorhabenbedingte Zunahme der Hochwassergefahren für ihre in Elbnähe ausgewiesenen und teils bereits umgesetzten Baugebiete, insbesondere den Bereich der Freizeit- und Erholungsanlage “Achtern Diek” geltend; darüber hinaus werde auch die geplante Ausweisung weiterer Baugebiete gefährdet. Zudem drohten eine Versalzung der Süßwasserbadeseen “Nord- und Südsee”, eine Zunahme der Verschlickung ihres Seglerhafens und eine Beschädigung der dortigen Schlengelanlagen durch Sog und Schwell sowie ein weiterer Abtrag der angrenzenden Wattflächen, die für ihre vom Tourismus geprägten Gemeindestrukturen und ihren Status als Nordseebad unverzichtbar seien. Der Planfeststellungsbeschluss leide an formellen und materiellen Mängeln. Die Öffentlichkeitsbeteiligung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die den Planungen zugrunde liegenden Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) wiesen zahlreiche methodische Fehler auf, insbesondere werde die von der BAW angenommene tidedämpfende Wirkung der beiden Unterwasserablagerungsflächen (UWA) in der Elbmündung nicht von Dauer sein. Überdies könne die UWA Medemrinne Ost aufgrund der seit 2006 eingetretenen morphologischen Veränderungen in der Rinne nicht wie planfestgestellt errichtet werden. Als Bemessungsschiff sei ein deutlich zu kleines “Auslaufmodell” gewählt worden. Dies führe zu einer erheblichen Unterschätzung der Ausbaufolgen etwa im Hinblick auf Sog und Schwell der großen Containerschiffe, der auch für die Deichsicherheit relevant sei, und die Gefahren durch Havarien. Die Auflage zu den Schiffsgeschwindigkeiten verstoße gegen den Grundsatz der Konfliktbewältigung.
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Die Klägerin beantragt,
1. den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 23. April 2012 zur Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe in Gestalt der Ergänzungsbeschlüsse vom 1. Oktober 2013 und vom 24. März 2016 sowie der Protokollerklärungen in den mündlichen Verhandlungen im Verfahren BVerwG 7 A 2.15 aufzuheben,
2. hilfsweise, den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären.
3. weiter hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss um folgende Schutzauflagen zu ergänzen:
a) Schutzauflagen für das Watt vor Otterndorf
– Auf Verlangen der Stadt Otterndorf hat der Vorhabenträger bei Veränderungen des Ist-Zustandes der Wattflächen vor Otterndorf mit der Stadt Verhandlungen über Wattauffüllungen auf Kosten des Vorhabenträgers aufzunehmen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit von Wattauffüllungen sowie deren ordnungsgemäße Durchführung trägt der Vorhabenträger.
– Erforderliche Reparaturmaßnahmen am Wattschutzsystem sind unverzüglich durchzuführen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit von Reparaturmaßnahmen und deren ordnungsgemäße Durchführung obliegt dem Vorhabenträger.
b) Schutzauflagen für den Seglerhafen
– Der Vorhabenträger hat die nachhaltige Sicherung der Befahrbarkeit und Nutzung des Seglerhafens durch ein wasserbauliches Konzept zu gewährleisten. Beim Ablagern sowie der Ver- und Aufspülung von Baggergut im Rahmen des Vorhabens sind Verdriftungen sowie Sedimenteinträge in den Bereich des Otterndorfer Seglerhafens auszuschließen.
– Der Vorhabenträger hat den gesamten Bereich des Seglerhafens, einschließlich des Hafeneingangs, zweimal jährlich zu festgesetzten Terminen nach Maßgabe fachwissenschaftlich anerkannter Regeln und unter Beteiligung neutraler, vereidigter und im Einvernehmen mit der Stadt Otterndorf ausgesuchter Sachverständiger auf seine Kosten daraufhin zu untersuchen, ob sich dort die Sedimentkonzentration erhöht. Im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens sind die bisher bekannten Messergebnisse mit den zukünftig zu erstellenden Messergebnissen abzugleichen und auszuwerten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind der Stadt Otterndorf unverzüglich, spätestens jedoch zwei Monate nach Abschluss der Untersuchungen schriftlich zuzuleiten.
– Bei Erhöhung der Sedimentkonzentration hat der Vorhabenträger unverzüglich auf seine Kosten Unterhaltungsbaggerungen durchzuführen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit und die ordnungsgemäße Durchführung der Unterhaltungsbaggerungen liegt beim Vorhabenträger.
c) Schutzauflagen für die Badeseen “Nordsee und Südsee”
– Der Vorhabenträger hat den gesamten Bereich der Badeseen “Nordsee und Südsee” zweimal jährlich zu festgesetzten Terminen nach Maßgabe fachwissenschaftlich anerkannter Regeln und unter Beteiligung neutraler, vereidigter und im Einvernehmen mit der Stadt Otterndorf ausgesuchter Sachverständiger auf seine Kosten daraufhin zu untersuchen, ob sich dort die Salzkonzentration erhöht. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind der Stadt Otterndorf unverzüglich, spätestens jedoch zwei Monate nach Abschluss der Untersuchungen schriftlich zuzuleiten.
– Bei einer Erhöhung der Salzkonzentration hat der Vorhabenträger unverzüglich Entsalzungsmaßnahmen auf seine Kosten durchzuführen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit und die ordnungsgemäße Durchführung der Entsalzungsmaßnahmen liegt beim Vorhabenträger.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.