Aktenzeichen I ZR 139/20
Leitsatz
Goldhase III
1. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 MarkenG in der seit dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung findet keine Anwendung auf Zeichen, die vor diesem Zeitpunkt eingetragen worden sind (§ 4 Nr. 1 MarkenG) oder durch Benutzung als Marke Verkehrsgeltung erworben haben (§ 4 Nr. 2 MarkenG). Einer Marke, die vor dem Inkrafttreten einer Neuregelung – sei es durch Eintragung, sei es durch Benutzung – Schutz erlangt hat, kann dieser Schutz durch eine Neuregelung grundsätzlich nicht entzogen werden.
2. Ein Zuordnungsgrad von über 50%, der bei einer abstrakten Farbmarke für die Annahme einer Verkehrsdurchsetzung in den beteiligten Verkehrskreisen gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG im Regelfall ausreicht, genügt erst recht für die Annahme einer Verkehrsgeltung innerhalb beteiligter Verkehrskreise gemäß § 4 Nr. 2 MarkenG.
3. Der Erwerb von Verkehrsgeltung eines Farbzeichens als Marke setzt nur voraus, dass das Zeichen als Hinweis auf die Herkunft eines Produkts dient und nicht – darüber hinaus – als “Hausfarbe” für sämtliche oder zahlreiche Produkte des Unternehmens und damit produktlinienübergreifend verwendet wird.
4. Inhaber der Benutzungsmarke ist derjenige, zu dessen Gunsten die Verkehrsgeltung erworben wurde. Benutzen mehrere Unternehmen eine Kennzeichnung und sehen die beteiligten Verkehrskreise diese Unternehmen als eine wirtschaftliche Einheit oder als Mitglieder eines Konzerns an, kann kraft Verkehrsgeltung die Benutzungsmarke für jedes der Unternehmen entstehen.
Verfahrensgang
vorgehend OLG München, 30. Juli 2020, Az: 29 U 6389/19, Urteilvorgehend LG München I, 15. Oktober 2019, Az: 33 O 13884/18, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. Juli 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerinnen sind Gesellschaften der Unternehmensgruppe Lindt & Sprüngli. Die Klägerin zu 2 ist die Konzernobergesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die Klägerin zu 1 ist die für die Herstellung und den Vertrieb in Deutschland verantwortliche deutsche Tochtergesellschaft. Die Unternehmensgruppe Lindt & Sprüngli ist dem Verkehr seit Jahrzehnten als Herstellerin von qualitativ hochwertiger Schokolade bekannt.
2
Eines der beliebtesten Produkte der Klägerinnen ist der Lindt-Goldhase, ein von einer goldenen Folie umhüllter sitzender Schokoladenhase:
Der Lindt-Goldhase wird als 10 g, 50 g, 100 g, 200 g, 500 g und 1 kg Schokoladenhase angeboten. Es gibt verschiedene Sorten, die sich äußerlich vor allem durch die farbliche Gestaltung des Halsbands unterscheiden. Der Lindt-Goldhase wurde im Jahr 1952 entwickelt und wird seitdem in Deutschland in goldener Folie angeboten. Im aktuellen Goldton wird er seit dem Jahr 1994 in Deutschland vertrieben. Die Klägerinnen setzten in den letzten 30 Jahren allein in Deutschland mehr als 500 Millionen Goldhasen ab. Der Lindt-Goldhase ist der mit Abstand meistverkaufte Osterhase Deutschlands. Sein Marktanteil betrug in Deutschland im Jahr 2017 über 40%. Die Klägerinnen bewerben den Lindt-Goldhasen vor und zu Ostern in großem Umfang in einer Vielzahl unterschiedlicher Medien.
3
Die Klägerinnen vertreiben in Deutschland auch nicht in Goldfolie gewickelte Schokoladenhasen:
4
Die Beklagte ist Herstellerin von Schokoladenprodukten und vertrieb in der Ostersaison 2018 sitzende Schokoladenhasen in den Größen 22 g und 50 g, die gleichfalls von einer goldenen Folie umhüllt und wie folgt gestaltet waren:
5
Die Klägerinnen behaupten, der Lindt-Goldton des Lindt-Goldhasen sei überragend bekannt. Ausweislich des Verkehrsgutachtens gemäß Anlage K 26 aus September 2018 verstünden knapp 80% des angesprochenen Verkehrs den goldenen Farbton als Herkunftshinweis auf die Klägerinnen. Die Klägerinnen sind der Auffassung, sie seien gemeinsam Inhaberinnen einer Benutzungsmarke an dem Goldton des Lindt-Goldhasen (Farbton “CIELAB 86.17, 1.56, 41.82”). Die Verkehrsgeltung bestehe für die Ware “Schokoladenhasen”. Der Vertrieb der streitgegenständlichen Hasen der Beklagten verletze die Rechte an dieser bekannten Benutzungsmarke.
6
Die Klägerinnen haben beantragt,
der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, ohne Zustimmung der Klägerinnen im geschäftlichen Verkehr Schokoladenosterhasen in einem Goldton anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen, anbieten zu lassen, in den Verkehr bringen zu lassen, herzustellen, herstellen zu lassen, einzuführen, einführen zu lassen, auszuführen, ausführen zu lassen und/oder in Geschäftspapieren und/oder in der Werbung zu benutzen und/oder benutzen zu lassen, wenn dies geschieht wie in Anlagen K 27 [original 50 g Schokoladenhase der Beklagten] und/oder K 28 [original 22 g Schokoladenhase der Beklagten].
Hilfsweise:
Die Beklagten nach Antrag 1 mit der Maßgabe zu verurteilen, dass er auf sitzende Schokoladenosterhasen und auf die Anlagen K 27a [Abbildungen des 50 g Schokoladenhasen der Beklagten] und K 28a [Abbildungen des 22 g Schokoladenhasen der Beklagten] bezogen wird.
7
Die Klägerinnen haben die Beklagte ferner auf Auskunft in Anspruch genommen und die Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht begehrt.
8
Das Landgericht hat der Klage nach dem Hilfsantrag stattgegeben (LG München I, WRP 2019, 1625). Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerinnen ist erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen (OLG München, WRP 2020, 1633). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgen die Klägerinnen ihr Klagebegehren vollumfänglich weiter.