Europarecht

Haftung aus § 826 BGB bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung (“Dieselskandal”)

Aktenzeichen  24 O 618/19

Datum:
26.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5850
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EG-FGV § 27 Abs. 1
ZPO § 32, § 92 Abs. 2 Nr. 2, § 138 Abs. 3, § 630 Abs. 3
StGB § 263
VO (EG) 715/2007 Art. 3 Nr. 10
AktG § 76, § 77, § 91 Abs. 2
BGB  § 214, § 195, § 199 Abs. 1, § 249
GKG § 48 Abs. 1, § 63 Abs. 2
RVG § 14

 

Leitsatz

1. Bringt ein Kfz-Hersteller Wagen in Verkehr, bei denen die von ihr hergestellten Motoren durch den Einbau einer Erkennungssoftware bewirken, dass der Testlauf auf einem Abgasprüfstand erkannt und sodann der Motor in einem Modus geregelt wird, bei dem die gesetzlichen Grenzwerte der VO (EG) 715/2007 über die Typgenehmigung von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) für Abgase eingehalten werden, während in jeder anderen Situation ein Vielfaches des gesetzlich zulässigen Abgasgrenzwertes ausgestoßen wird, handelt er sittenwidrig. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Verwendung einer Abschalteinrichtung, wie hier bei den Motoren der Serie EA 189, ausnahmslos bei jedem Motor dieser Serie auffindbar, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Entscheidung dafür, die Motoren mit dieser Einstellung planvoll und absichtlich zu produzieren und in den Verkehr zu bringen angesichts der Tragweite und Risiken für die Gesamtgeschichte eines so agierenden Konzerns durch die Geschäftsleitung selbst getroffen wurde und damit der Beklagten gemäß § 31 BGB zurechenbar ist (Anschluss LG Krefeld, Urt. v. 19.07.2017 – 7 O 147/16, BeckRS 2017, 117776). (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts der Mitteilung des VW-Konzerns im September 2015 über die Installation einer Abgassoftware ist davon auszugehen, dass nur ein Mitteleuropäer, der sich in einer absoluten Ausnahmesituation befunden hat, von den Vorgängen keine Kenntnis erlangt haben kann. Eine solche Ausnahme liegt aber vor, wenn die Käuferin darlegt, dass sie im Dezember 2014 Zwillings-Frühchen geboren hat, die – neben ihrer auch hohen beruflichen Beanspruchung als Ärztin – ihre volle Aufmerksamkeit benötigt und erhalten haben, zudem über wenig soziale Kontakte verfügte, da sie zu diesem Zeitpunkt in Magdeburg gewohnt und dort wenig Menschen gekannt habe und somit aufgrund der erhöhten Beanspruchung durch ihre Kinder und ihren Beruf in keinerlei Berührung mit Berichten in den Medien über den „Abgasskandal“ gekommen sei. (Rn. 108 – 109) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.083,51 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.02.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Pkw Seat Alhambra Style 2.0 TDI, Fahrgestell-Nr.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.02.2019 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw Seat Alhambra Style 2.0 TDI, Fahrgestell-Nr seit dem 21.02.2019 in Annahmeverzug befindet.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 7% und die Beklagte 93% zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 24.737,27 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat in der Sache überwiegend Erfolg.
A.
Die Klage ist zulässig.
I.
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Schweinfurt folgt aus § 32 ZPO. Der Prüfung ist insoweit der klägerische Sachvortrag zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss vom 25.03.2014, Az. VI ZR 271/13, Rn. 10, juris). Die Klägerin hat Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach § 826 BGB schlüssig vorgetragen. Da bei Ansprüchen aus § 826 BGB der Eintritt eines Schadens zum Tatbestand gehört, nicht lediglich zur Rechtsfolgenseite, ist auch der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 BGB (BeckOK ZPO/Toussaint, 24. Edition, § 32 Rn. 13). Ort des Schadenseintritts ist der seinerzeitige Wohnort der Klägerin als Geschädigter (BeckOK ZPO/Toussaint, a.a.O., Rn. 12.1) in Nüdlingen, welcher sich im hiesigen Gerichtsbezirk befindet.
II.
Der Zulässigkeit der Klage steht § 630 Abs. 3 ZPO nicht entgegen. Die von der Klägerin zunächst vorgenommene Anmeldung zur Musterfeststellungsklage am 28.12.2018 vor dem OLG Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) hat sie am 16.09.2019 zurückgenommen. Davon ist das Gericht nach den vorgelegten Unterlagen über die An- und Abmeldung überzeugt.
III.
Das nach § 256 Abs. 1 ZPO für den Feststellungsantrag zu 2) erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus §§ 756 Abs. 1 Hs. 2, 765 Nr. 1 ZPO.
B.
Die Klage ist teilweise begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz jedenfalls gemäß §§ 826 Abs. 1, 31 BGB. Ob ein Schadensersatzanspruch darüber hinaus auch aus anderen Anspruchsgrundlagen folgt, kann daher offen bleiben. Ein danach bestehender Zahlungsanspruch besteht unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von verbleibenden 23.083,51 €, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Nach § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderem vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
1. Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten.
a) Objektiv sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Ein Unterlassen ist dann sittenwidrig, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Insbesondere ist die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist. Hinzutreten muss nach der Rechtsprechung eine nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl. Palandt/Sprau, Kommentar zum BGB, 79. Auflage 2020, § 826 Rn. 4 m.w.N.).
b) Die Beklagte hat bei den von ihr hergestellten Motoren durch den Einbau einer Erkennungssoftware bewirkt, dass der Testlauf auf einem Abgasprüfstand erkannt und sodann der Motor in einem Modus geregelt wird, bei dem die gesetzlichen Grenzwerte der VO (EG) 715/2007 über die Typgenehmigung von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) für Abgase eingehalten werden, während in jeder anderen Situation ein Vielfaches des gesetzlich zulässigen Abgasgrenzwertes ausgestoßen wird. Dieser Mechanismus zur aktiven Unterdrückung der tatsächlichen Schadstoffemissionen im für die Betriebsgenehmigung des Fahrzeugs relevanten Prüfmodus ist als sogenannte „Abschalteinrichtung“ rechtswidrig gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) 715/2007.
Nach der Norm ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Der Begriff der Abschalteinrichtung wird von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 715/2007 legaldefiniert als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motorendrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.
Die Regelung basiert auf der Sorge der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Luftverschmutzung und den hiervon ausgehenden Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit der Bürger (Erwägungsgrund 7 VO (EG) 715/2007) und ist ein Ergebnis des im März 2001 durch die Kommission initiierten Programms „Saubere Luft für Europa“ (Erwägungsgrund 4 der VO (EG) 715/2007). Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte hat es die Kommission insbesondere für erforderlich erachtet, eine erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen zu erreichen (Erwägungsgrund 6 VO (EG) 715/2007). Dass der europäische Gesetzgeber im Rahmen der Festsetzung der Emissionsgrenzwerte nach Euro 5 und Euro 6 davon ausging, dass diese Grenzwerte im normalen Fahrbetrieb und gerade nicht nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, ergibt sich ausdrücklich aus den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) 715/2007, in denen es heißt:
„Es sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um striktere Emissionsgrenzwerte einzuführen, einschließlich der Senkung von Kohlendioxidemissionen, und um sicherzustellen, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen.“
(Erwägungsgrund 12 der VO (EG) 715/2007) und „Überprüfungen können erforderlich sein, um zu gewährleisten, dass die bei der Typgenehmigungsprüfung gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen.“
(Erwägungsgrund 15 der VO (EG) 715/2007).
Diese Regelungen wären überflüssig, ginge der Gesetzgeber davon aus, dass sein Emissionsregelwerk lediglich im Prüfstandmodus im Rahmen der Typgenehmigung eingehalten werden soll.
Unabhängig davon wäre die staatliche Regulierung zulässiger Stickoxidausstoßgrenzen andernfalls Makulatur. Eine Verringerung der Luftverschmutzung kann bei Einhaltung der Grenzen nur unter Laborbedingungen – ohne dass dies näherer Erläuterung bedürfte – nicht erreicht werden und wäre vollständig sinnfrei. Wie die Beklagte selbst darlegt, findet im Rollenprüfstand die Simulation des realen Fahrbetriebs statt. Mit dem realen Fahrbetrieb haben die Werte, die im Prüfstand gemessen werden, allerdings nichts mehr zu tun, wenn die Beklagte eine Abschalteinrichtung einsetzt. Die Beklagte selbst führt aus, dass die Software nun derart angepasst werde, dass das Fahrzeug nach Durchführung der technischen Maßnahme auch im realen Straßenverkehr im Wesentlichen die Emissionswerte aufweise, die es bisher in der NOxoptimalen Betriebsart aufgewiesen habe. Genau das ist es, was von Beginn an zu erbringen gewesen wäre und was die Käufer – zu Recht – erwartet haben.
Ein Ausnahmetatbestand i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007, der die Rechtswidrigkeit entfallen ließe, ist vorliegend nicht einschlägig. Zwar entfällt die Rechtswidrigkeit der Verwendung von Abschalteinrichtungen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) der VO (EG) 715/2007, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Diese Voraussetzungen liegen aber bereits deshalb nicht vor, da lediglich der punktuelle, vorübergehende Einsatz von Abschalteinrichtungen privilegiert ist (s.a. Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen – Zur Reichweite des Verbots nach der Verordnung (EG) Nr. 15/2007“, Faßbender, NJW 2017, 1995, 1999).
Ein Durchschnittskäufer darf also erwarten, dass die in der Testphase laufenden stickoxidverringernden Prozesse auch im realen Fahrbetrieb aktiv bleiben und nicht durch den Einsatz einer Software deaktiviert bzw. nur im Testzyklus aktiviert werden. Andernfalls wäre die staatliche Regulierung zulässiger Stickoxidausstoßgrenzen – wie ausgeführt – Makulatur (vgl. auch LG Arnsberg, Urteil vom 14.06.2017, Az. 1 O 182/16, BeckRS 2017, 114379).
c) Die die Klägerin schädigende Handlung der Beklagten liegt im Inverkehrbringen unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs u.a. in Fahrzeugen, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung „optimierte“. Es bestand eine Pflicht der Beklagten, jeden Endverbraucher ihrer Produkte darüber aufzuklären, dass in der Motorsteuerung eine Software verbaut wurde, die dafür sorgt, dass der Schadstoffausstoß nur im Prüflauf die angegebenen Grenzwerte einhält. Unter Berücksichtigung eines bei lebensnaher Betrachtung vorliegenden Informations- und Wissensgefälle zwischen dem Käufer als Verbraucher und dem Hersteller (des Motors), durfte und musste der Verbraucher davon ausgehen, dass das von ihm erworbene Fahrzeug die Schadstoffgrenzwerte nicht nur im Prüflauf, sondern auch unter Realbedingungen im Straßenverkehr (jedenfalls weitgehend) einhält (LG Paderborn, Urteil vom 07.04.2017, Az. 2 O 118/16, BeckRS 2017, 108460).
Soweit die Beklagte vorträgt, dass es zwischen dem Prüflauf und dem Straßenbetrieb „naturgemäß“ zu einer Abweichung des angegebenen Schadstoffausstoßes komme, kann derartiges Wissen bei lebensnaher Betrachtung zumindest nicht von einem durchschnittlichen Verbraucher erwartet werden. Zudem geht es vorliegend auch nicht etwa nur um geringfügige Abweichungen, die damit verbunden sind, dass der reale Fahrbetrieb nur simuliert wird. Vielmehr geht es um Abweichungen, die sich daraus ergeben, dass der simulierte Fahrbetrieb mit dem realen Fahrbetrieb aufgrund der Abschalteinrichtung schlicht nichts mehr zu tun hat.
Bei Würdigung der Gesamtumstände war das Verschweigen des Einsatzes der Abschalteinrichtung auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs als sittenwidrig zu bewerten, da ein derartiges Verhalten mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist und von einem redlichen und rechtstreuen Verbraucher auch nicht erwartet werden kann. Gerade das heimliche, planvoll angelegte Vorgehen der Beklagten unter Ausnutzung eines eigenen Informations- und Wissensvorsprungs gegenüber dem ahnungslosen Verbraucher lässt das Verhalten der Beklagten als rechtlich sittenwidrig erscheinen und ist keinesfalls nur als Gesetzesverstoß anzusehen. Die Manipulation konnte von einem Verbraucher als technischen Laien nicht erkannt werden, so dass die Beklagte von vornherein einkalkulierte, dass die Manipulation nicht entdeckt wird. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund besonders verwerflich, da die Entscheidung zum Kauf eines Kraftfahrzeugs, zumindest für den durchschnittlichen Verbraucher mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden ist, der bei lebensnaher Betrachtung auf einer wohl überlegten und abwägenden Entscheidung fußt (LG Paderborn, a.a.O.).
Es verstößt auch gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn ein Hersteller eine Software einsetzt, die die Einhaltung der gesetzlichen Umweltstandards bewusst „vorspielt“, um damit ein dem gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprechendes Fahrzeug zu vermarkten. Die objektive Sittenwidrigkeit der schädigenden Handlung rührt auch daher, dass die Beklagte gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt und durch den millionenfachen Vertrieb der betroffenen Fahrzeuge bzw. der Motoren nicht nur eine Schädigung der Umwelt unmittelbar, sondern auch der Gesundheit anderer Menschen sowie die Schädigung einer Vielzahl von Menschen an ihrem Vermögen in Kauf genommen hat. Ferner wurden Millionen Kunden über die Eigenschaften der von ihnen gekauften Fahrzeuge und Motoren getäuscht. Der Einsatz der Software diente – andere Motive sind schlicht nicht vorstellbar – dem Zweck, zur Kostenreduzierung und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung von einer Vielzahl von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit und lässt sich nicht abtun mit dem Hinweis darauf, es handele sich „nur“ um einen Gesetzesverstoß (LG Paderborn, a.a.O.).
d) Auch ein Wertungswiderspruch, weil die Gerichte teilweise von der Unerheblichkeit des Mangels „Abschalteinrichtung“ ausgehen, liegt nicht vor (unabhängig davon, dass auch die Unerheblichkeit aus Sicht des Gerichts zu verneinen sein dürfte).
Die Rechtsfolgen eines Rücktritts können den Verkäufer treffen, ohne dass er schuldhaft gehandelt hat, ein kaufrechtlicher Schadenersatzanspruch kann bereits bei fahrlässigem Handeln des Käufers eintreten. Vor diesem Hintergrund versteht sich die normative Korrektur in § 323 Abs. 5 S. 2 BGB. Demgegenüber setzt ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB sowohl Vorsatz als auch eine Sittenwidrigkeit des Handelns voraus. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb derjenige, der die Tatbestandsvoraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erfüllt, genauso schutzbedürftig sein sollte wie ein Verkäufer, der sich Ansprüchen wegen eines unerheblichen Mangels ausgesetzt sieht.
2. Der Klägerin ist durch die sittenwidrige Handlung der Beklagten ein Schaden entstanden. Der Schaden besteht darin, dass die Klägerin in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen PKW mit dem manipulierten Motor erworben und damit einen ihr wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen hat. Dass der Vertrag für die Klägerin wirtschaftlich nachteilig ist, zeigt schon die Überlegung, dass kein Kunde ein Fahrzeug erwerben würde, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb mit Problemen mit der Betriebserlaubnis auf Seiten des KBA rechnen muss.
Die Klägerin hat nicht das bekommen, was sie wollte, ihr aber nach dem Kaufvertrag zustand: Ein Fahrzeug, das technisch einwandfrei ist und den gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Die Klägerin wurde in ihrer Dispositionsfreiheit verletzt, so dass ihr Vermögen nunmehr mit einer ungewollten Verbindlichkeit negativ belastet ist. Nicht entscheidend ist dabei, ob der Kauf des Fahrzeugs für die Klägerin einen messbaren Vermögensnachteil durch einen entstehenden Wertverlust bewirkt. Die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit stellt bereits einen Schaden im Sinne des § 826 BGB dar.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des BGH, dass die Verleitung zu einem Vertragsschluss selbst bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB verpflichtet, wenn ein getäuschter Kontrahent den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten nicht geschlossen hätte (BGH, NJW 1998, 302, 304; BGH, NJW-RR 2005, 611, 612; BGH, NJW 2005, 1579, 1580; BGH, NJW 2010, 2506 f BGH, VersR 2012, 1237, Rn. 64). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles als unvernünftig erweist (BGH, NJW 1998, 302, 304; BGH, NJW 2005, 1579, 1580). Hierfür genügt nach Ansicht des BGH, dass die Leistung des anderen Vertragsteils, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht voll brauchbar ist (BGH, NJW 2005, 611, 612; BGH, NJW 2005, 1579, 1580; BGH, VersR 2012, 1237, Rn. 64; BGH, NJW-RR 2014, 277, Rn. 18). Der Schaden besteht dann in dem durch das Fehlverhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen, und ist durch Rückgängigmachung der ungewollt eingegangenen Verpflichtung zu begleichen (BGH, NJW 2010, 2506, 2507; BGH, NJW-RR 2005, 611, 612; BGH, NJW-RR 2014, 277 Rn. 20).
Dass die Leistung für die Klägerin nicht voll brauchbar ist, folgt allein daraus, dass ihr aufgrund der Ausstattung mit einer gesetzeswidrigen Abschalteinrichtung die Betriebsuntersagung des Pkw drohte. Soweit die Beklagte vorträgt, dass dies zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen wäre, liegt dies völlig neben der Sache. Es kann die Beklagte nämlich nicht entlasten, dass durch die eingetretene Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt faktisch eine Stilllegung der Fahrzeuge ausgeschlossen ist. Denn zum einen ist dieser Ausschluss gerade an das Wohlverhalten der Kunden geknüpft, die für den Fall des Fortbestehenlassens des Mangels weiterhin mit der Stilllegungsverfügung bedroht sind (s.a. LG München, Urteil vom 14.04.2016, Az. 23 O 2303/15; LG Krefeld, Urteil vom 14.09.2016, Az. 2 O 72/16); zum anderen beruht die weitreichende Aufrechterhaltung der Betriebserlaubnis jedenfalls nicht allein auf dem Umstand einer weitreichenden Kooperation der Herstellerin mit dem Kraftfahrtbundesamt, sondern auch auf der Masse der betroffenen Fahrzeuge. Wie allgemein bekannt ist, wurden zwischenzeitlich auch Stilllegungen bei Fahrzeugen durchgeführt, bei denen das Update nicht durchgeführt worden ist. Dementsprechend ist dem Vortrag der Beklagten, dass eine Stilllegung der Fahrzeuge zu keinem Zeitpunkt drohte, jeglicher Boden entzogen. Soweit im konkreten Fall eine Stilllegung nicht droht, beruht dies einzig auf dem Umstand, dass die Klägerin das Update zwischenzeitlich hat durchführen lassen.
Unabhängig davon besteht auch eine Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung nicht. Das Fahrzeug, das mit der manipulierten Software versehen ist, bleibt unabhängig von der konkreten Höhe hinter dem Wert eines Fahrzeugs, das eine solche Software nicht aufweist, ohne weiteres zurück (§ 291 ZPO), so dass die Eingehung der vertraglichen Verbindlichkeit ohne weiteres auch einen Vermögensschaden bei der Klägerin hervorgerufen hat.
Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Klägerin das Software-Update zwischenzeitlich hat durchführen lassen. Die ungewollt eingegangene Verbindlichkeit entfällt hierdurch nämlich nicht.
Dass im vorliegenden Fall zufällig der Händler und der Hersteller des Fahrzeugs zwischen die Klägerin und die Beklagte getreten sind, spricht nicht gegen das Vorliegen eines Schadens. Das Bestehen vertraglicher Ansprüche gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten keinesfalls aus. Auch ein Unterlaufen vertraglicher Risikozuweisungen ist nicht zu befürchten, ein Vertrag mit der Beklagten liegt nämlich nicht vor.
Dieser Schaden ist auch vom Schutzzweck der Norm umfasst. Der Schaden tritt bei der Klägerin nicht nur zufällig ein. Er trifft genau den, den er ausschließlich treffen kann: Den Käufer des mit dem Motor versehenen Fahrzeugs. Die Gefahr einer uferlosen Haftung bei Weiterverkauf des Fahrzeugs besteht nicht, denn dann entfällt der Schaden bei dem jeweiligen Veräußerer.
3. Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch gemäß § 31 BGB zuzurechnen.
Die Haftung juristischer Personen bei § 826 BGB setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklichen muss (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15, juris, Rn. 13).
Ist die Verwendung einer Abschalteinrichtung, wie hier bei den Motoren der Serie EA 189, ausnahmslos bei jedem Motor dieser Serie auffindbar, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Entscheidung dafür, die Motoren mit dieser Einstellung planvoll und absichtlich zu produzieren und in den Verkehr zu bringen angesichts der Tragweite und Risiken für die Gesamtgeschichte eines so agierenden Konzerns durch die Geschäftsleitung selbst getroffen wurde und damit der Beklagten gemäß § 31 BGB zurechenbar ist (LG Krefeld, Urteil vom 19.07.2017, Az. 7 O 147/16, juris, Rn. 38).
Die Klägerin hat die Hintergründe für den Einsatz der Software im Unternehmen der Beklagten dargelegt, weshalb sie davon ausgehe, dass der Vorstand jedenfalls in Form von Prof. Dr. M. W2. – auch schon zum Zeitpunkt des vorliegenden Kaufvertragsabschlusses – Kenntnis von der eingesetzten manipulierten Software gehabt und den Einbau gebilligt habe. Die Klägerin hat substantiiert vorgetragen, auf welche Weise es bei der Beklagten zum Einsatz der Abschalteinrichtung gekommen ist. Der Vortrag der Klägerin ist damit weder unschlüssig, noch im Hinblick auf die mediale Berichterstattung ersichtlich ins Blaue hinein aufgestellt, sondern vielmehr plausibel und nachvollziehbar.
Nach dem Vortrag der Klägerin ist es auch plausibel, dass der Vorstand über den Einbau der Software informiert war. Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen (vgl. Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage 2014, § 91 Rn. 52 f.). Im Hinblick auf gesetzliche Pflichten (vgl. etwa §§ 76, 77, 91 Abs. 2 AktG) ist davon auszugehen, dass bei der Beklagten organisatorische Maßnahmen (u.a. etwa durch Einrichtung von Innenrevision und Controlling, vgl. Hüffer/Koch, AktG, 12. Auflage 2016, § 91 Rn 10) in der Weise getroffen wurden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet ist (vgl. auch LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017, Az. 3 O 252/16, BeckRS 2017, 106026, Rn. 80; LG Krefeld, Urteil vom 19.07.2017, Az. 7 O 147/16, juris, Rn. 42). Die Beeinflussung der Motorsteuerungssoftware einer ganzen Motorreihe erscheint als eine solche wesentliche Entscheidung, so dass hier erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die unternehmenswesentliche Entscheidung nicht unterhalb der Vorstandsebene getroffen und vor den Vorständen „verheimlicht“ worden ist.
Zudem läge aber selbst dann, wenn der Vorstand persönlich keine Kenntnis von dem Einsatz der Manipulationssoftware gehabt hätte, ein Organisationsmangel hinsichtlich eines unkontrollierten Verhaltens einzelner unfähiger Mitarbeiter vor, den sich die Beklagte in gleicher Weise zurechnen lassen muss. Auch dann, wenn der Vorstand der Beklagten keine Kenntnis von den die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen hatte, diese Kenntnis aber innerhalb der Organisation der Beklagten vorhanden war und die Verpflichtung zur aktenmäßigen Dokumentation der Informationen bestand, dann ist eine Wissenszurechnung zum handelnden Organ vorzunehmen, wenn der informierte Mitarbeiter innerhalb der juristischen Person es entgegen einer entsprechenden Pflicht versäumt hat, das bei ihm vorhandene Wissen an die zuständige Stelle weiterzuleiten (Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 37). Alles andere käme einer faktischen Rechtsverweigerung potentiell Geschädigter gleich, die intransparenten Unternehmensstrukturen und den dortigen Entscheidungs- und Informationsabläufen „hilflos“ ausgesetzt wären (LG Würzburg, Urteil vom 23.02.2018, Az. 71 O 862/16, BeckRS 2018, 1691, Rn. 58).
Die Klägerin hat ihrer primären Darlegungslast genügt, weil sie plausibel dargelegt hat, dass entweder der Vorstand informiert war oder aber eine Informations-, Kontroll- und Organisationsstruktur bei der Beklagten vorhanden war, die ein solch desaströses Versagen ermöglichte (vgl. LG Würzburg, Urteil vom 23.02.2018, Az. 71 O 862/16, BeckRS 2018, 1691, Rn. 58). Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Beklagte vorträgt, der Vortrag der Klägerin sei nicht schlüssig bzw. unsubstantiiert.
Entgegen der Behauptung der Beklagten hat sie die Darlegungen der Klägerin nicht qualifiziert bestritten. Insbesondere hat sie nicht die Tatsachen vorgetragen, die geeignet wären, die von der Klägerin vorgetragenen Grundlagen zu widerlegen. Sie hat lediglich ausgeführt, dass nach den bisherigen Ermittlungen davon auszugehen sei, dass die Entscheidung auf einer Ebene unterhalb der Vorstandsebene getroffen worden sei und keine Erkenntnisse darüber vorliegen würden, dass der Vorstand Kenntnis gehabt habe und beteiligt gewesen sei. Die Ermittlungen diesbezüglich würden jedoch noch andauern. Sie hat also lediglich eine durch nichts belegte Behauptung aufgestellt, die zudem angesichts des Vortrags der Klägerseite, den gesetzlichen Regelungen innerhalb einer Aktiengesellschaft und im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung der Entscheidung für die Motorsteuerung im Rahmen des Konzerns wenig glaubhaft ist. Die Beklagte gibt damit im Grunde nur an, dass gerade nicht stimme, was die Klägerin sage. Dieser Vortrag wird auch nicht dadurch qualifiziert, dass sie ihn mehrfach wiederholt.
Nachdem die Ermittlungen nun schon über 4 Jahre andauern, wäre es der Beklagten zuzumuten, ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse mitzuteilen. Es ist auch nicht glaubhaft, dass nach diesem erheblichen Zeitablauf noch keine irgendwie belastbaren Ergebnisse dieser Ermittlungen vorliegen sollen.
Indem die Beklagte nicht qualifiziert vorgetragen hat, hat sie gegen die sie treffende sekundäre Darlegungslast verstoßen. Eine sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dies ist insbesondere – wie hier – dann anzunehmen, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen besitzt, während der Gegner zumutbar nähere Angaben machen kann (BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 26. Edition, Stand 15.09.2017, § 284 Rn. 84 ff.). Diese näheren Angaben sind der Beklagten auch zumutbar. Die Beklagte wäre nicht gehalten, zu einer Negativtatsache vorzutragen, sondern zu der Tatsache, wer im Unternehmen tatsächlich gehandelt haben soll, wenn nicht der Vorstand bzw. wie sie angesichts der bisherigen Ermittlungen zu der Annahme gelangt, dass eine Arbeitsebene unterhalb der Vorstandsebene gehandelt haben soll. Die Mitteilung der Ermittlungsergebnisse besteht nicht nur darin, vorzutragen, „der Vorstand habe nichts gewusst“.
Ein richterlicher Hinweis auf die die Beklagte treffende sekundäre Darlegungslast nach § 139 ZPO war entbehrlich. Die Beklagte hat gerichtsbekannt in Parallelverfahren auch nach richterlichem Hinweis nicht ergänzend vorgetragen, so dass sich ein weiterer richterlicher Hinweis als bloße Förmelei darstellen würde.
Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast, wer für die Optimierung der Motorsteuerungssoftware – wenn nicht der Vorstand – verantwortlich gewesen sein soll und wer das Inverkehrbringen der mit der Software ausgerüsteten Motoren veranlasst hat, nicht im ausreichenden Maße nachgekommen ist, geht das Gericht gemäß § 138 Abs. 3 ZPO davon aus, dass die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten Kenntnis vom Einsatz der manipulierten Software gehabt haben. Die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen hinsichtlich der Beteiligung des Vorstands an Entwicklung und Einsatz der Software gelten daher als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Einer Beweiserhebung bedarf es deshalb nicht.
4. Die Schadenszufügung erfolgte auch vorsätzlich.
Der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung muss mit Vorsatz der handelnden Personen erfolgt sein. Dies ergibt sich daraus, dass die beschriebene Funktionalität der Steuerung des Abgasrückführungssystems nur durch die komplexe Gestaltung der Software erreicht werden konnte, was nur vorsätzlich denkbar ist.
Eine Schädigungsabsicht muss nicht bestehen, ein bedingter Vorsatz reicht aus. Dabei braucht der Schädiger nicht im Einzelnen zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004, Az. II ZR 402/02, juris, Rn. 47). Der Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz bezieht, im Fall des § 826 BGB also die Schädigung der Klägerin, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Das setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2012, Az. VI ZR 268/11, juris, Rn. 32). Die Manipulation der Abgaswerte zielt nicht nur auf eine Umgehung von Umweltvorschriften ab, deren Einhaltung der Allgemeinheit dienen, sondern auch auf die individuelle Vermögensdisposition des Kunden. Die Kunden sollten zum Kauf eines Fahrzeugs bewegt werden, obwohl es zwingende umweltrechtliche, unionsrechtliche Vorschriften nicht einhält und deshalb mit einem Makel behaftet ist.
Den verantwortlichen Entscheidern bei der Beklagten war die Bedeutung ihres Verschweigens für die Beeinflussung der Kaufentscheidung der Kunden bewusst. Die Beklagte hat als Konzern in der Öffentlichkeit offensiv mit der Umweltverträglichkeit ihrer Fahrzeuge geworben. Den verantwortlichen Organen bei der Beklagten war dabei nach der allgemeinen Lebenserfahrung bewusst, dass die Kunden aufgrund des Verschweigens des Einsatzes der Abschalteinrichtung die Entscheidung zum Kauf aufgrund einer fehlerhaften bzw. unvollständigen Tatsachengrundlage trafen, die sie bei der gebotenen Aufklärung entweder überhaupt nicht oder aber nur zu anderen Konditionen getroffen hätten. Derartige Schäden als Folgen ihrer vorsätzlichen Handlungsweise nahmen sie zumindest billigend in Kauf. Angesichts der Gesamtumstände bestehen hier an einer vorsätzlichen Handlungsweise der Organe der Beklagten keine vernünftigen Zweifel (vgl. auch LG Paderborn, a.a.O.).
5. Die sittenwidrige Schädigung ist auch ohne weiteres kausal für die Kaufentscheidung der Klägerin.
Dafür, dass die Klägerin das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn sie gewusst hätte, dass typgenehmigungswidrig eine Abschalteinrichtung benutzt wurde, die dazu führt, dass die Abgaswerte der Euro 5-Norm nur im Prüfstand eingehalten werden, spricht bereits eine tatsächliche Vermutung. Es ist anerkannt, dass es bei täuschendem oder manipulativem Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend ist, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. etwa BGH, Urteil vom 12.05.1995, Az. V ZR 34/94, juris).
Die Beklagte hat die Motive der Klägerin beim Kauf des Autos bestritten. Sie ist aber der sich aus der lebensnahen Betrachtung ergebenden tatsächlichen Vermutung, dass kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Verbraucher ein Fahrzeug erwerben würde, dem in zahlreichen Städten Fahrverbote und bei Offenlegung der Motorsteuerung eine Betriebsuntersagung droht, nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.
Es kommt gerade nicht darauf an, dass das Fahrzeug für die Klägerin „nutzbar“ ist und die Beeinträchtigung in kurzer Zeit mit einem geringen Kostenaufwand behoben werden kann. Hätte die Klägerin zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses Kenntnis gehabt, dass eine Betriebsuntersagung drohen kann, steht für das Gericht außer Zweifel, dass kein Käufer ein solches Fahrzeug erwerben würde. Dass das KBA nun vorläufig von entsprechenden Maßnahmen abgesehen hat, kann der Beklagten nicht zugute kommen. Diese Entscheidung beruht nämlich keineswegs darauf, dass das KBA von der Wirksamkeit der Typgenehmigung ausgeht, sondern beruht wohl vor allem darauf, dass sie zum Wohl der geschädigten Fahrzeugeigentümer von weiteren Maßnahmen vorläufig abgesehen hat.
Wie die Beklagte auch selbst erkennt, kommt es dem Käufer möglicherweise nicht auf die einzelnen Emissionswerte, jedoch auf die Einordnung in die Abgasnorm an. Und genau darum geht es: Eine Einordnung in die Abgasnorm erfolgte (jedenfalls vor Software-Update) zu Unrecht.
Von der Manipulation bei der Beklagten ist der Motor und damit der wertvollste und elementarste Bestandteil des Kraftfahrzeugs betroffen. Die manipulierten Daten haben Einfluss auf die Schadstoffklasseneingruppierung und die Zulassung. Nach der Lebenserfahrung ist daher davon auszugehen, dass sie auf die Kaufentscheidung der Klägerin Einfluss hatten, ohne dass es darauf ankommt, ob sie im Ankaufsgespräch konkret geäußert hat, ein besonders schadstoffarmes Fahrzeug erwerben zu wollen (vgl. LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017, Az. 3 O 252/16, BeckRS 2017, 106026).
6. Als Rechtsfolge der unerlaubten Handlung muss die Beklagte der Klägerin daher Schadensersatz leisten, §§ 249 ff. BGB.
a) Der Schadensersatzanspruch richtet sich auf Ersatz des sogenannten negativen Interesses. Der Geschädigte hat einen Anspruch, so gestellt zu werden, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde.
Grundsätzlich ist ein Schadensersatzanspruch, der auf die Befreiung einer durch Täuschung eingegangen vertraglichen Verbindlichkeit abzielt, in Art und Umfang grundsätzlich nur gegen den direkten Vertragspartner möglich ist (vgl. Wagner in Münchener Kommentar, BGB, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 53). Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages kann aber auch gegenüber Dritten bestehen (vgl. OLG München, Urteil vom 20.08.1999, Az. 14 U 860/98, juris), was vorliegend umso mehr deshalb gelten muss, weil die Beklagte sicher wusste, dass das Fahrzeug weiterverkauft werden wird. Die Klägerin kann von der Beklagten auch die Herstellung des Zustands verlangen, der ohne den Kauf des Fahrzeugs bestehen würde, und somit Ersatz des gezahlten Kaufpreises und im Gegenzug die Herausgabe des Fahrzeugs sowie die mit dem Gebrauch und Besitz des Fahrzeugs zugeflossenen Vorteile (OLG München, a.a.O.).
b) Auf den gezahlten Kaufpreis muss sich die Klägerin Nutzungsersatz als Vorteilsausgleich anrechnen lassen. Dies erfolgt ohne weiteres aus dem Verbot der Bereicherung des Geschädigten, ohne dass es darauf ankommt, ob das Fahrzeug mangelfrei ist oder nicht. Die Klägerin hat das Fahrzeug über einen erheblichen Zeitraum für sich ohne jegliche Beeinträchtigung in Anspruch nehmen können, so dass sie hierfür auch eine Nutzungsentschädigung zu zahlen hat.
Das Fahrzeug wies unstreitig am 04.02.2020 um 01.01 Uhr einen Kilometerstand von 73.820 km aus. Zu addieren sind 220 km, die die Klägerin noch für die Fahrt zum Termin zur mündlichen Verhandlung mit diesem Fahrzeug zum Gericht zurückgelegt hat. Die Angaben der Klägerin wurden nicht bestritten. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung wies das Fahrzeug somit einen Kilometerstand von 74.040 km auf. Die Klägerin hat damit durch diese gefahrenen Kilometer Nutzungen gezogen, die zurückzugewähren sind. Die Fahrleistung des Pkw entspricht den Gebrauchsvorteilen der Klägerin, die sie sich im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen muss.
Bei der Ermittlung des Werts der Gebrauchsvorteile ist die Annahme zu Grunde zu legen, dass ein Fahrzeug einen gewissen Gebrauchswert besitzt, der sich durch die für diesen Fahrzeugtyp noch zu erwartende Gesamtlaufleistung bestimmt und durch die Benutzung – messbar an gefahrenen Kilometern – linear aufgezehrt wird (LG Berlin, Urteil vom 31.07.2014, Az. 5 O 90/13, zitiert nach juris; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 346 Rn. 10). Hierdurch lässt sich ein Verhältnis von gefahrenen Kilometern zu zu erwartender Gesamtlaufleistung ermitteln, das dem Verhältnis des Werts der gezogenen Nutzungen zum Gesamtwert entspricht. Anders ausgedrückt lässt sich durch die Division des Gesamtwertes durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung ein Nutzungswert pro gefahrenem Kilometer errechnen.
Damit berechnet sich der Wert der gezogenen Nutzungen nach der Formel Gesamtwert des Pkw x gefahrene Kilometer zu erwartende Gesamtlaufleistung.
Für die Berechnung der Gebrauchsvorteile bei Kaufverträgen über Gebrauchtfahrzeuge ist diese Formel mit der Maßgabe zu verwenden, dass der Divisor in der voraussichtlichen Restlaufleistung besteht (BGH, DAR 1995, 323).
Als Gesamtwert ist der Bruttokaufpreis des Fahrzeugs zugrunde zu legen. Die zu erwartende und durchschnittliche Gesamtfahrleistung schätzt das Gericht entsprechend der allgemeinen Verkehrserwartung auf 250.000 km (§ 287 ZPO). Selbstverständlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass moderne Fahrzeuge heutzutage durchaus hohe Laufleistungen erbringen können, allerdings werden auch Fahrzeuge nicht bis zur vollständigen Abnutzung genutzt, so dass die gewöhnliche durchschnittliche Gesamtnutzungsdauer mit 250.000 km angemessen ist.
Es ergibt sich daher aus der Formel
32.780,00 € Gesamtwert x 73.914 gefahrene km Restfahrleistung (250.000 km – 126 =) 249.874
ein Nutzungswert von 9.696,49 €.
Somit verbleibt ein Zahlungsanspruch in Höhe von 23.083,51 €.
c) Entsprechend des Klageantrages zu 1) ist die Beklagte zu dieser Zahlung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges zu verurteilen.
Die Klägerin kann für die Zeit vom Kaufvertragsschluss bis Verzugseintritt keine Zinsen nach § 849 BGB aus der Kaufpreissumme verlangen. § 849 BGB bestimmt, dass für den Fall, dass wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist, der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen kann, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird. Die Voraussetzungen liegen nicht vor. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Verlust der Nutzbarkeit – hier des Geldes – kompensiert werden soll. Diese Kompensation ist durch die uneingeschränkte Nutzung des Fahrzeugs erfolgt.
d) Weiterhin hat die Klägerseite Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 €.
Ein Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB, da solche Teil des zu ersetzenden Schadens sind. Der Höhe nach richten sich die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten jedoch nur nach dem Anspruch, den die Klägerin berechtigterweise verlangen kann. Demnach kann die Klägerin die Rechtsanwaltskosten nur nach einem zutreffenden Gegenstandswert von 23.083,51 € verlangen, da der Nutzungsersatz von vornherein in Abzug zu bringen war.
Ferner sind die Voraussetzungen für die Geltendmachung einer mehr als 1,3-fachen Gebühr nicht dargetan. Gemäß Nr. 2300 VV RVG beträgt die Geschäftsgebühr 0,5 bis 2,5 Gebühren, wobei eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Welche Gebühr der Rechtsanwalt im Einzelfall verdient hat, ist gemäß § 14 RVG zu bestimmen, wonach der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt.
Bei der Frage des Umfangs ist der zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt auf die Sache verwenden muss und der die Sache dadurch zu einer überdurchschnittlichen Tätigkeit werden lässt. Dabei ist zwar zum einen zu sehen, dass der Umfang des klägerischen Vorbringens erheblich ist, auf der anderen Seite aber betraf dieser Umfang nicht die außergerichtliche Tätigkeit. Im Rahmen dieser Tätigkeit haben die klägerischen Prozessbevollmächtigten ein in zahlreichen Parallelverfahren nahezu gleichlautendes vorgerichtliches Aufforderungsschreiben an die Gegenseite gerichtet. Zudem kann allein der Umstand, dass während dieses Rechtsstreits alle in irgendeinem Zusammenhang zum Abgasskandal stehenden Entscheidungen und Presseartikel zitiert bzw. zum Aktenbestandteil gemacht werden und Rechtsausführungen im Übermaß und teilweise mit identischem Wortlaut sowohl in der Klage als auch in der Replik erfolgen, einen besonderen Umfang der Angelegenheit im Sinne des § 14 RVG vor allem im Hinblick auf die vorgerichtliche Tätigkeit nicht begründen, zumal die klägerischen Rechtsanwälte erkennbar und gerichtsbekannt nahezu identische Schriftsätze in zahlreichen Parallelverfahren einreichen. Es handelt sich um ein Masseverfahren, in welchen die tatsächlichen und rechtlichen Umstände ähnlich bis identisch sind. Die Zeitersparnis hierdurch zehrt den Aufwand für die Aktualisierung durch neue Medienberichterstattung und Rechtsprechung vollständig auf.
Auch eine besondere Schwierigkeit der Sache kann nicht erkannt werden. Schwierig ist eine Tätigkeit im Sinne des § 14 RVG dann, wenn erhebliche, im Normalfall nicht auftretende Probleme auftauchen, unabhängig davon, ob diese auf juristischem oder tatsächlichem Gebiet liegen. Der vorliegende Fall spielt hingegen vornehmlich in den Bereichen des Kauf- und Deliktsrechts, welche keinerlei Spezialkenntnisse erfordern. Der Umstand, dass zu der Frage der rechtlichen Bewertung der „Abgasskandalfälle“ bislang noch keine oder nur geringe obergerichtliche Rechtsprechung existiert, ändert hieran nichts. Letztlich sind auch die technischen Probleme der jeweiligen Fahrzeuge nicht so schwierig, dass sie eine Erhöhung des Gebührensatzes rechtfertigen.
Eine besondere Bedeutung der Sache für die Klägerin ist überdies nicht dargetan und auch nicht ersichtlich.
Demnach ergibt sich aus einem Gegenstandswert von 23.083,51 € bei einer 1,3 Gebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer ein ersatzfähiger Betrag in Höhe von 1.242,84 €.
e) Die Klägerin kann die Kosten einer Außerbetriebsetzung in Höhe von 37,00 € nicht ersetzt verlangen. Unbabhängig davon, dass die Anlage K1a nicht vorgelegt worden ist, hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, weshalb diese Kosten ein kausaler und von der Beklagten zu vertretender Schaden sein soll.
f) Der Zinsanspruch ab dem 21.02.2019 sowohl in der Hauptsache als auch im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 (analog) BGB.
7. Der Anspruch ist auch durchsetzbar (§ 214 BGB), Verjährung ist nicht eingetreten.
a) Die verfahrensgegenständlichen Schadensersatzansprüche verjähren innerhalb von 3 Jahren (§ 195 BGB). Beginn der Verjährung ist nach § 199 Abs. 1 BGB der Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Anspruch war im Jahr 2015 bereits entstanden.
b) Vorliegend fehlt es aber an dem von der Beklagten zu erbringenden Nachweis, dass die Klägerin von sämtlichen den Anspruch begründenden Umständen bereits im Jahr 2015 Kenntnis erlangt hat.
Die Beklagte hat zwar bereits im September 2015 öffentlich erklärt, dass in ihrem Dieselmotor EA 189 eine Software installiert ist, die die Stickoxidwerte im Prüfstand optimiert und dass davon auch die Fahrzeuge ihrer Konzerntöchter betroffen sind. Die Vorgänge waren von da an auch Gegenstand ausführlicher, fortlaufender und auch allgegenwärtiger Berichterstattung in sämtlichen denkbaren Medien und der öffentlichen Diskussion.
Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass nur ein Mitteleuropäer, der sich in einer absoluten Ausnahmesituation befunden hat, von den Vorgängen keine Kenntnis erlangt haben kann.
So verhält es sich aber hier. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass sie im Dezember 2014 Zwillings-Frühchen geboren hat, die – neben ihrer auch hohen beruflichen Beanspruchung als Ärztin – ihre volle Aufmerksamkeit benötigt und erhalten haben. Sie hat auch plausibel dargelegt, dass sie auch über wenig soziale Kontakte verfügte, da sie zu diesem Zeitpunkt in Magdeburg gewohnt und dort wenig Menschen gekannt habe. Sie berichtete plausibel, dass sie aufgrund der erhöhten Beanspruchung durch ihre Kinder und ihren Beruf in keinerlei Berührung mit Berichten in den Medien über den „Abgasskandal“ gekommen sei.
Ob es tatsächlich so sein kann, dass die Klägerin aufgrund dieser Situation bis ins Jahr 2018 nichts über den Abgasskandal mitbekommen hat, kann dahinstehen. Nachvollziehbar ist es aber, dass sie jedenfalls noch im Jahr 2015 – insoweit steht ab Bekanntwerden lediglich ein Zeitraum von guten 3 Monaten im Raum – und der zu diesem Zeitpunkt erst wenige Monate alten Zwillinge tatsächlich keine Kenntnis von den Vorgängen erhalten hat. Einen gegenteiligen Nachweis konnte die Beklagte nicht führen.
c) Die Verjährungsfrist begann damit frühestens zum 01.01.2017 zu laufen, so dass sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 25.10.2019 noch nicht abgelaufen war. Auf die Frage, ob die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage die Verjährung hemmen konnte, kommt es somit nicht an.
I.
Der Feststellungsantrag hinsichtlich des Annahmeverzugs (Klageantrag zu 2) ist begründet. Die Beklagte befindet sich mit der Annahme des streitgegenständlichen Pkw nach dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 06.02.2019, mit welchem die Rückgabe des Fahrzeugs in Annahmeverzug begründender Art und Weise angeboten wurde, in Annahmeverzug, §§ 293 ff. BGB. Aufgrund der vorgerichtlich gesetzten Frist bis 20.02.2019 war Annahmeverzug ab 21.02.2019 festzustellen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Eine Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kommt nicht in Betracht, da die Klägerin die Höhe der Nutzungsentschädigung gerade nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
D.
Die Streitwertfestsetzung erfolgte auf der Grundlage von §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO. Die im Klageantrag zu 1) abzuziehende und den Streitwert von Beginn an mindernde Nutzungsentschädigung wurde entsprechend der vorgetragenen Vorstellungen der Klägerin mit 8.079,73 € berücksichtigt. Dem Feststellungsantrag zu 2) kommt kein eigenständiger Wert zu. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bleiben als Nebenforderung unberücksichtigt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 ZPO).

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