Aktenzeichen 1 C 39/18
§ 58 Abs 2 S 1 VwGO
Verfahrensgang
vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 28. Juni 2018, Az: 1 Bf 32/17.A, Urteilvorgehend VG Hamburg, 3. Februar 2017, Az: 11 A 5201/16
Tatbestand
1
Die Kläger, eine Familie syrischer Staatsangehörigkeit, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie reisten im Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein und stellten Asylanträge, die sie auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkten. Zu ihren Sprachkenntnissen ist in der von ihnen unterschriebenen Niederschrift über ihre Anhörung vermerkt worden: “Sprache (1.) Arabisch” und “Sprache (2.) Kurdisch”. Den Klägern zu 1 und 2 wurde die Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und allgemeine Verfahrenshinweise, einschließlich der Belehrung über die Regelungen u.a. in §§ 10, 25 Abs. 1 bis 3 und § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG in deutscher und arabischer Sprache ausgehändigt.
2
Mit Bescheid vom 26. August 2016 erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab. Die Rechtsbehelfsbelehrung zu dem Bescheid lautet:
“Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht Hamburg (…) erhoben werden. Für die Rechtzeitigkeit ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend.
Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein. Sie ist gegen die Bundesrepublik Deutschland (…) zu richten. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten.
Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel sind binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung dieses Bescheides anzugeben. (…)”
3
Dem Bescheid beigefügt war eine arabische Übersetzung der Bescheidtenorierung und der Rechtsbehelfsbelehrung sowie des Begleittextes zur Rechtsbehelfsbelehrung. Der Bescheid wurde zwecks Zustellung an die Kläger, die im Verwaltungsverfahren anwaltlich nicht vertreten waren, am 1. September 2016 einem Beschäftigten der Zentralen Aufnahmeeinrichtung H., H., H., übergeben.
4
Am 26. September 2016 erhoben die Kläger beim Verwaltungsgericht Klage mit dem Begehren, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Nach Hinweis auf die Verfristung der Klage machten die Kläger mit einem auf den 12. Oktober 2016 datierten, am 28. Oktober 2016 eingegangenen Schreiben geltend, dass die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gelte, weil die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft sei.
5
Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Kläger die Klagefrist versäumt hätten. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
6
Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 28. Juni 2018 die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Es hat die Klage ebenfalls für verfristet gehalten, weil sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach der am dritten Tag nach der Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung, d.h. am Sonntag, den 4. September 2016, bewirkten Zustellung des angefochtenen Bescheids erhoben worden sei. Die Kläger könnten sich nicht auf die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO berufen, weil dem Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung (in deutscher Sprache) sei nicht wegen des Zusatzes, dass die Klage “in deutscher Sprache abgefasst” sein müsse, unrichtig oder irreführend. Der Hinweis auf die deutsche Sprache entspreche § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG, wonach die Gerichtssprache deutsch ist. Die Formulierung erwecke entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 18. April 2017 – A 9 S 333/17 – NVwZ 2017, 1477) auch nicht den Eindruck, dass der Betroffene die Klage selbst in schriftlicher Form einreichen müsse. Es gelte auch nicht deshalb die Jahresfrist, weil die in arabischer Sprache beigefügte Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig wäre. Zum einen sei die arabische Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung nach Abgleich mit der vom Berufungsgericht veranlassten Rückübersetzung zutreffend. Das gelte selbst dann, wenn das im Passiv verwendete arabische Verb “harra”, dessen mögliche Bedeutungen die Rückübersetzung aufgezeigt habe, nur mit “schreiben” zu übersetzen sein sollte. Zum anderen führte selbst eine fehlerhafte Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung nicht zur Anwendung des § 58 Abs. 2 VwGO. Vielmehr wäre lediglich unter den Voraussetzungen des § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, denn die Kläger hätten innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist insoweit keine Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht. Sie hätten insbesondere nicht geltend gemacht, dass die in arabischer Sprache beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung bei ihnen einen Irrtum hervorgerufen habe, der sie daran gehindert habe, Klage einzulegen.
7
Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 58 VwGO. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei schon wegen des Zusatzes, dass die Klage “in deutscher Sprache abgefasst” sein müsse, fehlerhaft; dies habe der Verwaltungsgerichtshof Mannheim zutreffend herausgearbeitet. Die Formulierung “abgefasst sein” werde auch in anderen Sprachen, so etwa in der kurdischen, mit “geschrieben sein” übersetzt.
8
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und sieht ihre Rechtsauffassung durch das Urteil des Senats vom 29. August 2018 – 1 C 6.18 – (NJW 2019, 247) bestätigt.
9
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.