Aktenzeichen 6 U 4339/15
EPÜ Art. 64 Abs. 1
ZPO § 940
UWG § 12 Abs. 2
Leitsatz
1 Hat das Verfügungspatent noch kein Rechtsbestandsverfahren erfolgreich überstanden, kann einen Verfügungsgrund dennoch gegeben sein, wenn im Einzelfall der Rechtsbestand des Patents hinreichend gesichert erscheint (Fortführung von OLG München BeckRS 2012,16104). (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein gesicherter Rechtsbestand liegt in aller Regel nicht vor, wenn im Rechtsbestandsverfahren bereits eine erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist, in der das Patent für nichtig erklärt oder entscheidungserheblich beschränkt worden ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein gesicherter Rechtsbestand liegt nicht vor, wenn das BPatG im Nichtigkeitsverfahren bereits in einem qualifizierten Hinweis Zweifel an der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erhoben hat; solche Hinweise haben im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes eine erhebliche Indizwirkung. (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG findet keine entsprechende Anwendung auf den Erlass einstweiliger Verfügungen in Patenstreitsachen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
21 O 9110/15 2015-10-23 Urt LGMUENCHENI LG München I
Tenor
1. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23.10.2015, Az. 21 O 9110/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe
II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingereichte {§ 517, § 519 ZPO) und begründete (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Berufung der Antragstellerin ist unbegründet. Der Rechtsbestand des mit der Nichtigkeitsklage (Anlage VP 5, Anlage WM 20) angegriffenen Verfügungspatents ist nicht hinreichend gesichert, es fehlt daher an einem Verfügungsgrund. Einer Entscheidung über das Bestehen eines Verfügungsanspruchs bedarf es bei dieser Sachlage nicht. Die gegen das Ersturteil erhobenen Einwände verhelfen der Berufung der Antragstellerin nicht zum Erfolg.
Im Einzelnen:
1. Verfügungspatent:
a) Das Verfügungspatent betrifft ein diagnostisches Verfahren zum Erkennen der Ursache entzündlicher Prozesse.
Entzündliche Prozesse gehören zu den elementaren protektiven Systemleistungen hochorganisierter Organismen und sind eine entscheidende Voraussetzung aller Genesungsprozesse. Die Entzündung ist eine komplexe zelluläre und molekulare Reaktion, mit der die Ausbreitung einer Gewebeschädigung oder eines Infektionserregers eingedämmt und die körperliche Integrität wiederhergestellt werden soll (Abs. [0001]).
Im Organismus ablaufende Entzündungsprozesse können völlig unterschiedliche Ätiologien (Ursachen) haben. Sie können durch eine Blutstrominvasion von Mikroorganismen (Bakterien, Pilze) und/oder ihrer Toxine ausgelöst werden, die zu einer Expression körpereigener proinflammatorischer Substanzen führen. Entzündungsreaktionen können aber auch im Rahmen primär nicht-infektiöser Krankheitsbilder, wie etwa bei einem akuten Lungenversagen des Erwachsenen (ARDS) oder bei Autoimmunkrankheiten, entstehen (Abs. [0002]).
Die frühzeitige Diagnose der Ätiologie eines Entzündungsprozesses, insbesondere die Unterscheidung, ob es sich um eine durch die Invasion von Mikroorganismen hervorgerufene Entzündung oder um nicht-infektiöse Entzündungsprozesse handelt, ist nicht nur für die Prognose des weiteren Krankheitsverlaufes, sondern insbesondere für die Auswahl der therapeutischen Maßnahmen von entscheidender Bedeutung (Abs. [0003]).
Aus dem Stand der Technik ist ein Verfahren zur Früherkennung, zur Erkennung des Schweregrades sowie zur therapiebegleitenden Verlaufsbeurteilung einer Sepsis bekannt (DE 42 27 454, Abs. [0005]). Bei diesem Verfahren wird der Gehalt des Peptids Procalcitonin (PCT) und/oder eines daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht das reife Calcitonin ist, in einer Probe einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten bestimmt und aus der Anwesenheit des bestimmten Peptids auf das Vorliegen einer Sepsis, ihren Schweregrad und/oder den Erfolg einer therapeutischen Behandlung zurückgeschlossen. In dieser Schrift wird auch darauf hingewiesen, dass bei einer normalen viralen Infektion keine oder nur geringfügige Erhöhungen des Procalcitoninspiegels beobachtet werden, so dass durch die Anwendung dieses Diagnostikums eine sichere Unterscheidung zwischen einer Sepsis und einer normalen Viruserkrankung möglich ist (Abs. [0006]).
Im Nichtigkeitsverfahren sind von den Parteien als weiterer Stand der Technik die unter l aufgeführten Druckschriften DE 42 27 454 (NK6 = WM 3), EP 0656121 (NK6a), Brunkhorst I (NK 8), Brunkhorst II (NK 9), Assicot (NK 10), Smith (NK 11), Reith (NK 12), Bohoun (WM 9) und Brunkhorst III (WM 11) eingeführt worden (vgl. hierzu die nachstehenden Ausführungen unter „3. Verfügungsgrund“).
Vor dem in der Verfügungspatentschrift beschriebenen Hintergrund liegt diesem die (dort nicht ausdrücklich formulierte) Aufgabe zugrunde, ein diagnostisches Verfahren zur Unterscheidung infektiöser und nicht-infektiöser Ätiologien entzündlicher Prozesse bereitzustellen.
b) Zur Lösung dieser Problemstellung sieht Patentanspruch 1 eine Kombination der folgenden Merkmale vor (vgl. Merkmalsanalyse LGU S. 12):
1. Diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ätiologie entzündlicher Prozesse, dadurch gekennzeichnet, dass
2. man in einer Probe einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten den Gehalt des Peptids Procalcitonin (PCT) und/oder eines daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht das reife Calcitonin ist, bestimmt, und
3. aus der festgestellten Anwesenheit oder Abwesenheit des bestimmten Peptids auf eine infektiöse oder nicht-infektiöse Ätiologie der Entzündung zurückschließt.
c) Das Verfügungspatent stellt demgemäß ein diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ursache (Ätiologie) entzündlicher Prozesse (Merkmal 1) unter Schutz, bei dem aus dem Gehalt an PCT bzw. eines aus dem PCT gebildeten Teilpeptids in einer Probe (Merkmal 2) Rückschlüsse auf die Ursache der Entzündung, sei sie infektiöser oder nicht-infektiöser Natur, gezogen werden können (Merkmal 3). Die Zweckangabe „zur Bestimmung der Ätiologie entzündlicher Prozesse“ Im Sinne von Merkmal 1 wird der angesprochene Fachmann, dem Landgericht und den diesbezüglich übereinstimmenden Ausführungen der Parteien folgend ein Team, bestehend aus einem Molekularbiologen oder einem Biochemiker mit medizinischen Grundkenntnissen und einem in der Intensivmedizin tätigen Mediziner, nicht dahingehend auslegen, dass das patentgemäße Verfahren anspruchsgemäß nur auf solche Patienten Anwendung finde, bei denen zwar das Vorliegen einer Entzündung, nicht hingegen deren Ursache bekannt sei. Anhaltspunkte für eine derartige Einschränkung der patentgemäßen Lehre bieten sich dem angesprochenen Durchschnittsfachmann weder in den Ansprüchen, noch in der zur Auslegung der Lehre des Patents heranzuziehenden Patentbeschreibung bzw. den in der Patentschrift (Anlage VP 3) dargestellten Beispielen einer erfindungsgemäßen Anwendung des geschützten Verfahrens (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.12.2015 – I-2 U 35/15, Anlage WM 26, S. 5). Nach der Lehre des Verfügungspatents ist aus der Anwesenheit oder Nichtanwesenheit des offenbarten Peptids der Rückschluss zu ziehen, ob eine Entzündung auf einer infektiösen oder nicht-infektiösen Ursache beruht (Merkmal 3), wobei die Begriffe „Anwesenheit“ und/öder „Abwesenheit“ für den angesprochenen Fachmann in Kombination mit Merkmal 2 zu lesen sind, wonach es der Bestimmung des PCT-Gehalts (bzw. des Gehalts eines hieraus gebildeten Teilpeptids) bedarf, um den in Merkmal 3 offenbarten Rückschluss ziehen zu können. Die dort geforderte „Abwesenheit“ von PCT wird der angesprochene Fachmann hierbei nicht solchermaßen verstehen, dass sich in der untersuchten Probe kein PCT befinden dürfe. Diesem Verständnis stünde entgegen, dass in den Abs. [0029] ff. aufgeführte Ausführungsbeispiele nicht von Patentanspruch 1 des Verfügungspatents umfasst wären, so etwa Beispiel 1, in dem in 7 Fällen trotz PCT-Nachweises eine nicht-infektiöse ARDS-Erkrankung diagnostiziert wurde. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der „Anwesenheit“ von PCT im Sinne von Merkmal 3 auch nicht dahingehend verstehen, dass die Feststellung des Vorliegens von PCT grundsätzlich den Schluss auf eine infektiöse Ätiologie des Entzündungsprozesses zuließe. Auch einer derartigen Interpretation vom Sinngehalt des Merkmals 3 widersprächen die in der Verfugungspatentschrift beschriebenen Ausführungsbeispiele. Der Begriff der – den Rückschluss auf eine infektiöse Ursache zulassenden – Erhöhung des PCT-Werts findet im Anspruchswortlaut des Verfahrensanspruchs selbst keine Erwähnung, der Fachmann wird insoweit gleichsam auf die in der Patentschrift beschriebenen Krankheitsbilder zurückgreifen. Welches Verfahren zur Bestimmung des PCT-Gehalts als solchem zur Anwendung kommt, stellt das Verfügungspatent in das Belieben des Fachmanns und beschränkt sich insoweit auf die Darstellung eines bevorzugtes Ausführungsbeispiels in Abs. [0027], nämlich das in der DE 42 27 454 offenbarte Immuno-Assay. Nach der Lehre des Verfügungspatents kommt der Bestimmung des PCT-Gehalts als solchem keine erfindungswesentliche Bedeutung zu. Welche Schlüsse aus dem festgestellten bzw. festzustellenden PCT-Gehalt zu ziehen sind, bildet den Kern der Erfindung.
2. Verfügungsanspruch
Ob die Abnehmer des von der Antragsgegnerin angebotenen diagnostischen Tests „AQT90Flex“ von der Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch machen und folglich das Angebot und die Lieferung des Tests durch die Antragsgegnerin als mittelbare Patentverletzung (Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 10 Abs. 1 PatG) zu qualifizieren ist, wovon das Landgericht unter Rückgriff auf die Anlage VP 22 ausgeht, bzw. ob sich die Offensichtlichkeit, wie die Antragstellerin meint, daraus ergibt, dass die Abnehmer immer auch das patentgemäße Verfahren anwenden, kann dahinstehen, da es jedenfalls an einem Verfügungsgrund (§ 940 ZPO) fehlt
3. Verfügungsgrund
a) Das Bestehen eines Verfügungsgrundes ist grundsätzlich vom Antragsteller darzulegen und glaubhaft zu machen, da die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG keine entsprechende Anwendung auf den Erlass einstweiliger Verfügungen in Patenstreitsachen findet (vgl. Busse/Kaess, PatG, 7. Aufl. 2013, vor § 143 Rn. 254). Wird – wie im Streitfall – das Verfügungspatent in seinem Rechtsbestand mit einem Einspruch oder einer Nichtigkeitsklage angegriffen, stellt sich die Frage, welche Anforderungen an die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast des einstweiligen Rechtsschutz für sich in Anspruch nehmenden Antragstellers zu stellen sind, um das Verletzungsgericht davon zu überzeugen, dass die gegen das Verfügungspatent vorgebrachten Einwände unberechtigt seien und das Verfügungspatent mit hinreichender Sicherheit das Rechtsbestandsverfahren überstehen werde (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl. 2016, S. 645 unter Abschnitt „G. Sonstige Verfahren“, Rn. 49 m. w. N.). Die Rechtsprechung der Obergerichte hierzu ist unterschiedlich. Nach überwiegender Auffassung kann einerseits von einem gesicherten Rechtsbestand ausgegangen werden, sobald – was hier nicht inmitten steht -eine für den Antragsteller positive Rechtsbestandsentscheidung vorliegt (vgl. die Nachweise bei Schulte/Voß/Kühnen, PatG, 9. Aufl. 2014, § 139 Rn. 413). Nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Karlsruhe könne von Ausnahmefällen abgesehen nur in einem solchen Fall von einem zur Bejahung des Verfügungsgrundes hinreichenden Rechtsbestand ausgegangen werden (vgl. OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; OLG Düsseldorf Inst-GE 9, 140, 146 – Olanzapin; OLG Karlsruhe Urt. v. 23.09.2015 – 6 U 52/15; a.A. OLG Braunschweig Mitt 12, 410 – Scharniere auf Hannovermesse] zum Meinungsstand vgl. hierzu Voß/Kühnen a. a. O., § 139 Rn. 412 ff.; Kühnen a. a. O., Rn. 50 ff.). Im Hinblick auf den Umstand, dass für einen Antragsteller der Fortgang und die Dauer eines Rechtsbestands nicht vorhersehbar ist und letztlich von ihm auch nicht beeinflusst werden kann, kommt nach Auffassung des Senats in Betracht, über den vorgenannten Fall, dass das Verfügungspatent bereits ein Rechtsbestandsverfahren erfolgreich überstanden hat, einen Verfügungsgrund auch dann zu bejahen, wenn in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalles der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert erscheint und infolge dessen dem Interesse des Antragstellers am Erlass einer einstweiligen Verfügung der Vorrang gegenüber dem Interesse des Antragsgegners, nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit einem Verbot überzogen zu werden, der Vorrang einzuräumen ist (Senat, Urt. v. 26.7.2012 – 6 U 1260/12, BeckRS 2012,16104). Hiervon wird in aller Regel nicht auszugehen sein, wenn im Rechtsbestandsverfahren bereits eine erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist, in der das Patent für nichtig erklärt oder in entscheidungserheblicher Weise beschränkt worden ist. In einem derartigen Fall begründet die von einer sachkundig besetzten und zur Bewertung der Schutzfähigkeit berufenen Instanz getroffene Entscheidung regelmäßig so weitgehende Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts, dass im Verfügungsverfahren keine Unterlassungsansprüche mehr durchgesetzt werden können (vgl. Voß/Kühnen a. a. O., § 139 Rn. 414). Eine derartige Situation liegt dem Streitfall zwar nicht zugrunde. Allerdings hat das Bundespatentgericht im Nichtigkeitsverfahren 3 Ni 9/15 (EP) einen qualifizierten Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 PatG erlassen (Anl. WM 28, dort S. 2 ff. = VP 29), demzufolge nach dessen vorläufiger Auffassung der Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents zwar nicht die seitens der Nichtigkeitsklägerin (der Diazyme europe GmbH) und der hiesigen Antragsgegnerin behauptete mangelnde Ausführbarkeit des patentgeschützten Verfahrens entgegenstehe (Anl. WM 28, S. 2/3 unter „3.“), allerdings Zweifel an dessen Neuheit bestünden, jedenfalls aber dem Patent die erfinderische Tätigkeit fehle (Anl. WM 28, S. 3/5 unter „4.a) und b“), weshalb Patentanspruch 1 sowie die hierauf rückbezogenen Unteransprüche 2 ff. voraussichtlich nicht von Bestand seien. Der qualifizierte Hinweis gibt zwar nur die vorläufige Rechtsauffassung des Nichtigkeitssenats wieder und ist insoweit für die Frage des Rechtsbestands einer abschließenden erstinstanzlichen Entscheidung nicht gleichzusetzen. Gleichwohl ist ihm als qualifizierte Sachaussage eines unter anderem mit technischen Spruchrichtern besetzten Senats des nach dem Gesetz für die Überprüfung der Entscheidungen der Erteilungsbehörden berufenen Bundespatentgerichts vom Verletzungsgericht bei der Frage der Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes eine erhebliche Indizwirkung beizumessen. Sich hieraus ergebende Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents wird der Antragsteller regelmäßig nur ausräumen können, wenn er konkrete Anhaltspunkte für die Annahme dartut und glaubhaft macht, dass das Bundespatentgericht bei der Endentscheidung voraussichtlich von seiner im Hinweisbeschluss geäußerten vorläufigen Auffassung abweichen werde.
b) In Ansehung der vorstehenden Ausführungen ist im Streitfall ein Verfügungsgrund zu verneinen:
aa) Zwar teilt das Bundespatentgericht die Auffassung des Landgerichts und der Antragsgegnerin, dem Rechtsbestand des Verfügungspatents stehe bereits die mangelnde Ausführbarkeit des unter Schutz gestellten Verfahrens entgegen, nicht. Der Annahme des Erstgerichts, dem angesprochenen Fachmann sei es durch die Offenbarung in der Patentschrift nicht möglich, die darin dargestellte allgemein beanspruchte Lehre nachzuarbeiten, insbesondere würden ihm keine allgemein gültigen Grenzwerte oder eine Methodik zur Ermittlung solcher Grenzwerte an die Hand gegeben, die ihn in die Lage versetzten, für alle beliebigen Entzündungen auf deren Ursache zu schließen, begegnet das Bundespatentgericht in seinem Hinweis mit der Feststellung, derartiger verlässlicher Grenzwerte bedürfe es für die Ausführbarkeit der streitpatentgemäßen Lehre nicht.
Die Lehre des Verfahrensschrittes gemäß Merkmal 3 und damit die Lehre des Patentanspruchs 1 lasse sich hinsichtlich ihrer Ausführbarkeit im Kern auf die Erkenntnis reduzieren, dass mittels der Höhe der mit üblichen PCT-Tests erhaltenen Messwerte eine Unterscheidung zwischen infektiösen und nicht-infektiösen Ursachen möglich sei; dem Fachmann seien anhand zahlreicher beschriebener Fallbeispiele die hierzu erforderlichen Arbeitsweisen bekannt und für ihn ohne weiteres ausführbar (Anl. WM 28, S. 3). Durchgreifende Einwände gegen diese Beurteilung sind von Seiten der Antragsgegnerin nicht vorgetragen worden.
bb) Zur Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit ist allerdings nach vorläufiger Auffassung des Bundespatentgerichts eine andere Beurteilung veranlasst (BPatG a. a. O., S. 3 ff.):
„4. Die Neuheit, jedenfalls aber die erfinderische Tätigkeit dürften dem Gegenstand des Patents fehlen. Aus den vorgebrachten Druckschriften sind zumindest Hinweise und Anhaltspunkte, einigen dieser Druckschriften sogar konkrete Ausführungen zur Bedeutung des PCT-Werts für die Diagnose entzündungsassoziierter Krankheitsbilder zu entnehmen.
a) Der Senat sieht bereits die Neuheit von Patentanspruch 1 als fraglich an. Die Erkennung des Schweregrads und die Verlaufsbeurteilung einer Sepsis, eine idR durch pathogene Mikroorganismen bzw. deren Toxine verursachte Entzündungsreaktion anhand des Procalcitonin-Spiegels dürfte bereits in der Druckschrift NK 6 vorbeschrieben sein …
b) Die Frage der Neuheit und damit der unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung einer Differenzierungsmöglichkeit zwischen einer infektiösen oder nicht-infektiösen Entzündung entsprechend dem Wortlaut des Merkmals 3 kann letztlich dahinstehen, denn der Gegenstand von Patentanspruch 1 dürfte jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
…
Der Fachmann bekommt aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik unmittelbar die Anregung, anhand der Höhe des PCT-Testergebnisses auf eine infektiöse oder eine nicht-infektiöse Ursache einer entzündlichen Erkrankung zu schließen (vgl. insbes NK 8, NK 10, NK 13, NK 14, NK 15). Die in diesen Fallstudien bei Patienten mit nicht-infektiösen Entzündungen auftretenden sehr niedrigen PCT-Testwerte … lassen ihn jedenfalls zur Erkenntnis gelangen, dass die im Fall von mikrobiiellen Infektionen und den daraus herrührenden entzündlichen Prozessen zu messenden erhöhten PCT-Testwerte ein Unterscheidungskriterium sein könnten.
Unerheblich für die Bestandsfähigkeit des Patentanspruchs 1. der das gesamte Spektrum entzündlicher Erkrankungen abdeckt, dürfte sein, ob der Fachmann im Stand der Technik bereits ein Vorbild zur Differenzierung anhand des PCT-Werts für jedwede Art einer entzündlichen Erkrankung finden konnte. Denn aufgrund der Gesamtschau der Druckschriften, die sich mit der diagnostischen Bedeutung des PCT-Wertes bei verschiedenen entzündlichen Erkrankungen befassen (vgl. insbes NK 8, NK 10, NK 13, NK 14, NK 15), dürfte es für den Fachmann auf der Hand gelegen haben, dass der PCT-Wert über die in diesen Druckschriften konkret untersuchten entzündlichen Erkrankungen hinaus von Bedeutung sein könnte, so dass er Anlass hatte, den PCT-Wert auf seine differentiaidiagnostische Bedeutung hin auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen zu untersuchen …“
cc) Die von der Antragstellerin gegen diese erteilten Hinweise vorgebrachten Einwände rechtfertigen die Prognose, das Bundespatentgericht werde in Ansehung der antragstellerseits vorgetragenen Argumente von seiner vorläufigen Rechtsauffassung zur Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents – insbesondere im Hinblick auf die Frage der mangelnden erfinderischen Tätigkeit -abweichen, nicht.
(1) Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit handelt es sich um einen Akt wertender Entscheidung (vgl. BGH GRUR 1995, 330, 331 – Elektrische Steckverbindung) unter Berücksichtigung der Kriterien des Standes der Technik als Ausgangspunkt für die Beurteilung sowie das Fachwissen des Durchschnittsfachmanns in der Frage des Nichtnaheliegens. Eine erfinderische Tätigkeit liegt erst in derjenigen Leistung, die sich über die Norm dessen erhebt, was ein Fachmann mit durchschnittlicher Ausbildung, Kenntnissen und Fähigkeiten bei herkömmlicher Arbeitsweise erreichen kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.11.2013, I-2 U 94/12 – Desogestrei; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.12.2015 2 U 35/15 = Anl. WM 26, dort S. 14).
(2) Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zur Auslegung des Patentanspruchs 1 durch den angesprochenen Durchschnittsfachmann rügt die Antragstellerin ohne Erfolg, das Verfügungspatent sei schon deshalb rechtsbeständig, weil mit Hilfe des unter Schutz gestellten diagnostischen Verfahrens verlässlich die Ätiologie eines jeden, nicht oder noch nicht abschließend diagnostizierten und daher in seiner Art der Krankheit nach unbekannten entzündlichen Prozesses mittels Messung des Gehalts an PCT in einer Probe einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten bestimmt werden könne, wohingegen in vorbekannten Verfahren die Art und die Ätiologie des entzündlichen Prozesses bereits bekannt gewesen sei. Wie die vorstehenden Ausführungen unter 1.c) zeigen, ermöglicht das streitgegenständliche Verfahren die Feststellung der Ätiologie entzündlicher Prozesse unabhängig davon, ob es im konkreten Fall dazu eingesetzt wird, die Ursache einer Entzündung erstmalig zu bestimmen oder eine bereits erstellte Diagnose zu bestätigen. Eine derartige Einschränkung lässt sich dem Offenbarungsgehalt der vom Bundespatentgericht angeführten Entgegenhaltungen (NK 6, NK 8, NK 10, NK 13 = Anl. WM 9, NK 14 = Anl. WM 11, NK 15) auch nicht entnehmen. Der Fachmann wird daher zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit diagnostische Verfahren mit bereits vorliegender Diagnose nicht von der Lehre des Verfügungspatents abgrenzen, sondern im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit als Stand der Technik seinem allgemeinen Fachwissen zugrunde legen.
(3) Das Vorbringen der Antragstellerin, im Unterschied zum Stand der Technik vermittle erstmals die Lehre des Verfügungspatents dem Fachmann die Erkenntnis, dass im Falle eines normalen, d. h. nicht erhöhten Procalcitonin-Gehalts eine infektiöse Entzündung im Körper kategorisch ausscheide, während bei einem erhöhten PCT-Gehalt jedenfalls (irgend-)eine auf einer infektiösen Ursache beruhende Entzündung im Körper vorhanden sei, vermag die vorläufige Erkenntnis des Bundespatentgerichts, die Gesamtschau der sich mit der diagnostischen Bedeutung des PCT-Wertes bei verschiedenen entzündlichen Erkrankungen befassenden vorbekannten Druckschriften, namentlich der NK 8, NK 10, NK 13 = Anl. WM 9, NK 14 = Anl. WM 11 und NK 15, ließen es für den Fachmann naheliegend erscheinen, den Einfluss des PCT-Gehalts auch in Richtung auf andere entzündliche Prozesse zu erstrecken und auf seine allgemeine Bedeutung für derartige Krankheitsbilder hin zu untersuchen, nicht zu erschüttern. Der aus einer Vielzahl von Testergebnissen aus vorbekannten Verfahren gewonnenen Erkenntnis, jeweils durchgeführte Fallstudien hätten ergeben, dass Patienten mit nicht-infektiösen Entzündungen sehr niedrige PCT-Werte aufwiesen (vgl. NK 8, dort Tabelle, letzte Zeile, rechte Spalte, betreffend Untersuchung auf ARDS; NK 10, Figur 1 betreffend Untersuchung auf „sepsis and infection“; NK 13 = Anf. WM 9, Untersuchungsergebnisse sowie Methodik; NK 14 = Ani. WM 11), kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass diesen Verfahren lediglich der Nachweis einer Sepsis oder einer sepsis-ähnlichen Erkrankung zugrunde gelegen habe und hierin eine allgemeine Aussage nicht enthalten sei, dass im Falle eines nicht erhöhten PCT-Wertes eine infektiöse Ursache der Entzündung auszuschließen bzw. bei Vorliegen eines erhöhten PCT-Wertes die Entzündung jedenfalls auch auf einer infektiösen Ursache beruhe.
Die in Brunkhorst I durchgeführten Untersuchungen betreffend das Vorliegen einer „septischen ARDS“ bzw. einer „nicht-septischen ARDS“ zeigen dem Fachmann auf, dass eine „septische ARDS“ bei nicht erhöhtem PCT-Gehalt nicht vorliegt (Anl. NK8). Der Veröffentlichung NK 10 (Assicot) entnimmt der Fachmann zudem, dem Titel „High serum procalcitonin concentrations in patients with sepsis and infection“ entsprechend, dass nicht nur bei Vorliegen einer Sepsis, sondern auch bei anderen Infektionen ein signifikant erhöhter PCT-Gehalt festgestellt wurde, was auf nicht erhöhte Werte gerade nicht zutraf (vgl. NK 10, Fig. 1 – Schematic représentation of human pro-calcitonin). Der Bohoun-Bericht (NK 13 = Anl. WM 9) bestätigt diese These. Dass die Ermittlung des PCT-Gehalts diesem zufolge auch eingesetzt wird, um eine Sepsis und Infektionen von nicht-infektiösen Entzündungen zu unterscheiden, zeigt auch die den Bericht abschließende .Conclusion“, wenn es dort auszugsweise lautet: „The assay of proCT is promising to detect and to follow-up the patients with sepsis and infections“. In Brunkhorst III (NK 14 = Anl. WM 11) – von dessen Vorveröffentlichung das Bundespatentgericht offensichtlich ausgeht – wurde schließlich festgestellt, dass bei einer toxischen akuten Pankreatitis, die nicht durch eine bakterielle Infektion verursacht wurde (sondern durch übermäßigen Alkoholgenuss), die PCT-Werte nicht erhöht sind, und zeigt dem Fachmann auf, dass auch bei diesem Krankheitsbild der PCT-Wert Aufschluss über die Ursache einer Entzündung gibt.
Die vorbekannten Entgegenhaltungen offenbaren daher für bestimmte Anwendungsfälle, nicht nur bezogen auf eine Sepsis-Erkrankung, den Zusammenhang zwischen dem Vorliegen eines erhöhten bzw. nicht erhöhten PCT-Gehalts in einer Probe und lassen den Fachmann den Schluss auf das Vorliegen einer infektiösen oder nicht-infektiösen Ursache der Entzündung ziehen. Vor diesem Hintergrund ist es, wie das Bundespatentgericht in seinem qualifizierten Hinweis ausgeführt hat, – auch wenn der Stand der Technik noch keine klaren Hinweise für die Annahme lieferte, dass der PCT-Wert Aufschluss über jegliche Art einer entzündlichen Erkrankung biete – naheliegend, den PCT-Wert auf seine differentialdiagnostische Bedeutung hin auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen zu untersuchen (vgl. BGH GRUR 2009, 1039 Tz. 20, 21 – Fischbissanzeiger) und bei einer Gesamtschau der vorgenannten Entgegenhaltungen zu einem diagnostischen Verfahren zur Bestimmung der Ätiologie entzündlicher Prozesse zu gelangen, bei dem in nicht näher definierter Weise ein erhöhter PCT-Gehalt bestimmt und daraus ein Rückschluss auf das Vorliegen einer infektiösen oder nicht nicht-infektiösen Ursache der Entzündung gezogen wird.
dd) Bei dieser Sachlage ist es der Antragstellerin nicht gelungen, die vorstehend dargestellten Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents auszuräumen und das Vorhandensein eines Verfügungsgrundes hinreichend glaubhaft zu machen.
Das Ersturteil war daher mangels Verfügungsgrundes – unbeschadet der weiteren von der Antragsgegnerin hiergegen erhobenen Einwände – zu bestätigen, ob im Streitfall ein Verfügungsanspruch gegeben wäre, kann als nicht entscheidungserheblich dahinstehen.
III. Als unterlegene Partei hat die Antragstellerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).