Europarecht

Kein Anspruch auf Abänderung des Sofortbeschlusses mangels Vorliegen von Abschiebungsverboten – Ausreichende medizinische Versorgung in Tschechien

Aktenzeichen  W 8 S 17.50492

Datum:
7.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 31
VO (EG) 1560/2003 Art. 8 Abs. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 7
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2c S. 3

 

Leitsatz

1. Die notwendige medizinische Versorgung (hier u.a. einer atherosklerotischen Herzkrankheit mit stenosierten Stents) sowie auch die wesentliche Medikation in Tschechien, wie generell in der EU, ist in ausreichendem Maße verfügbar. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gemäß Art. 31 Dublin III-VO iVm Art. 8 Abs. 3 VO (EG) 1560/2003 und dem für die Übermittlung der Daten verwendeten Standardformblatt (Anhang VI der VO (EG) 1560/2003) ist sichergestellt, dass Tschechien vom Gesundheitszustand des Antragstellers im Zuge der Überstellung erfährt.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. August 2017 (W 8 S 17.50418) wird abgelehnt
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

I.
Das Gericht lehnte den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (W 8 K 17.50417) gegen einen Dublin-Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2017 mit Beschluss vom 4. August 2017 im Verfahren W 8 S. 17.50418 ab. Unter Nr. 3 des Bescheides vom 20. Juli 2017 wurde die Abschiebung der Antragsteller in die Tschechische Republik angeordnet.
Am 5. September 2017 ließen die Antragsteller – neben Prozesskostenhilfe – beantragen,
unter Aufhebung des Beschlusses vom 4. August 2017, W 8 S. 17.50418, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2017, Geschäftszeichen …, anzuordnen.
Zur Begründung ließen die Antragsteller unter Vorlage verschiedener ärztlicher Unterlagen ausführen: Der Antragsteller zu 1) sei insbesondere nicht reisefähig. Der Antragsteller zu 1) habe sich vom 10. bis 22. August 2017 zu einer Stent-OP in der Herz- und Gefäßklinik Bad N. an der S. befunden. Im Zuge dieser OP dürfe der Antragsteller zu 1) aus medizinischen Gründen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Für eine Überführung nach Tschechien müsste der Antragsteller allerdings in irgendeiner Form mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus, Zug oder Flugzeug) reisen. Aktuell befinde sich der Antragsteller im Übrigen in einer medizinisch notwendigen Reha-Maßnahme.
Rein vorsorglich und hilfsweise werde beantragt,
der Antragsgegnerseite eine Überführung der Antragsteller nach Tschechien jedenfalls nur mit der Maßgabe zu gestalten, dass vorab eine schriftliche Bestätigung des Zielstaates eingeholt und vorgelegt werden muss, dass eine Weiterbehandlung sowie hinreichende ärztliche Versorgung des Antragstellers zu 1) in Tschechien erfolgt, sowohl den Bluthochdruck als auch die koronare Herzerkrankung betreffend.
Der Antragsteller zu 1) sei 78 Jahre alt, habe bereits drei Herzoperationen hinter sich und leide außerdem unter extremem Bluthochdruck. Bereits die mit einer Überführung/Abschiebung verbundene Aufregung könne zum Tod des Antragstellers führen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akten der Verfahren W 8 K 17.50417 und W 8 S. 17.50418) und die beigezogene Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Abänderung des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses vom 4. August 2017 (W 8 S. 17.50418) ist zulässig, soweit er sich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides bezieht, aber unbegründet.
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO).
Vorliegend besteht kein Anlass zur Abänderung des Sofortbeschlusses vom 4. August 2017 (W 8 S. 17.50418), weil weiterhin keine Abschiebungsverbote bestehen.
Die nun vorgelegten ärztlichen Atteste rechtfertigen keine andere Beurteilung. Der vorläufige Entlassungsbrief der Klinik für Kardio-Chirurgie, Bad N. an der S. vom 22. August 2017 enthält die Diagnose: Koronare 3-Gefäß-Erkrankung mit Hauptstammbeteiligung bei Zustand nach notfallmäßiger RIVA-RZA-Stentimplantation 06/17; arterielle Hypertonie; Aortenklappensklerose. Am 14. August 2017 habe eine Operation stattgefunden. Weiter vorgelegt wurde eine Medikamentenverordnung der Herz- und Gefäßklinik GmbH Bad N. sowie eine weitere Bescheinigung mit der Diagnose: atherosklerotische Herzkrankheit mit stenosierten Stents. Angefügt ist zudem eine Bestätigung der Herz- und Gefäßklinik GmbH Bad N., dass der Antragsteller zu 1) aus medizinischen Gründen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen könne.
Das Gericht hat in seinem Beschluss vom 4. August 2017 (W 8 S. 17.50418) indes bereits ausgeführt, dass die notwendige medizinische Versorgung sowie auch die wesentliche Medikation in Tschechien, wie generell in der EU, in ausreichendem Maße verfügbar ist. Aus den nun vorgelegten ärztlichen Unterlagen ergibt sich nicht, dass die geltend gemachten Erkrankungen des Antragstellers zu 1) in Tschechien nicht behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten.
Dafür bedarf es keiner ausdrücklichen schriftlichen Bestätigungen oder Zusicherung des Zielstaates Tschechien. Vielmehr ist schon von Rechts wegen gemäß Art. 31 Dublin III-VO i.V.m. Art. 8 Abs. 3 der Dublin-DVO (Verordnung [EG] Nr. 1560/2003) und dem für die Übermittlung der Daten verwendeten Standardformblatt (Anhang VI der Dublin-DVO) sichergestellt, dass Tschechien vom Gesundheitszustand des Antragstellers zu 1) im Zuge der Überstellung erfährt. Die Überstellung ist im Regelfall eine staatlich überwachte und organisierte Ausreise des Betroffenen in einen anderen Mitgliedsstaat. Mit der Beachtung dieser Modalitäten ist den rechtlichen Vorgaben hinreichend Rechnung getragen (ebenso VG Freiburg, U.v. 4.2.2016 – A 6 K 1356/15 – juris).
In dem Formular im Anhang VI der Dublin-DVO sind unter anderem Angaben zur Art der Überstellung zu machen, entweder auf freiwilliger Basis oder kontrollierte Ausreise oder in Begleitung. Des Weiteren sind auch die Transportmittel für die Überstellung anzugeben. Neben Pkw, Eisenbahn und Flugzeug kann auch „Sonstiges“ mit der Bitte um genaue Angaben angekreuzt werden. Des Weiteren enthält das Formblatt anzukreuzende Felder über den Gesundheitszustand der überstellten Person, zu der Transportfähigkeit, zu den beigefügten Gesundheitbescheinigungen und insbesondere auch zu den gesundheitlichen Problemen.
Das Gericht hat keine Erkenntnisse, dass die Antragsgegnerin die vorgenannten rechtlichen Angaben nicht erfüllt. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die Antragsgegnerin das genannte Standardformblatt verwendet und die erforderlichen Angaben zur Information des Zielstaates Tschechiens macht, zumal sich die neuen ärztlichen Unterlagen bereits in der Akte der Antragsgegnerin befinden.
De Weiteren kann das Gericht auch keine absolute Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 1) feststellen. Zwar vermerkt die Bestätigung der Herz- und Gefäßklinik GmbH Bad N. – Patientenverwaltung –, dass aus medizinischen Gründen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzt werden können. Jedoch besagt diese Bescheinigung gerade nicht, dass eine generelle Reiseunfähigkeit besteht, sie betrifft vielmehr die Modalitäten der Überstellung. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist indes – wie ausgeführt – nicht zwingend. Das Gericht hat in seinem Beschluss vom 4. August 2017 (W 8 S. 17.50418) nicht nur auf die Vorgaben bei der Überstellung von Personen mit besonderen Bedürfnissen hingewiesen (S. 8 ff.), sondern in dem Zug auch schon angefügt, dass möglichen krankheitsbedingten Gefahren durch geeignete Maßnahmen sowohl bei der Überstellung also auch bei der Ankunft in Tschechien Rechnung getragen werden muss.
Abgesehen davon enthält die kurze ärztliche Bestätigung zur Nichtbenutzbarkeit öffentlicher Verkehrsmitteln aus medizinischen Gründen jegliche nähere Begründung und erfüllt damit nicht die Voraussetzungen einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2 c Satz 3 AufenthG, zumal sie auch nur von der „Patientenverwaltung“ der Klinik stammt. Insbesondere fehlen jegliche substanzielle Aussagen zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich im Falle einer Überstellung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ergeben. Den Aussagen der Bevollmächtigten der Antragsteller, dass der Antragsteller zu 1) reiseunfähig sei, weil er aus medizinischen Gründen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen dürfe, und dass eine Überführung deshalb nicht verantwortet werden könne, weil er 78 Jahre alt sei, drei Herzoperationen hinter sich habe und unter einem extremen Bluthochdruck leide, so dass eine Überführung/Abschiebung aufgrund der damit verbundenen Aufregung zum Tod führen könne, fehlt so die gesetzlich vorgegebene qualifizierte ärztliche Untermauerung.
Auch die ab 1. September 2017 laufende dreiwöchige Reha-Maßnahme begründet für sich kein Abschiebungsverbot.
Nach alledem war der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 4. August 2017 und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Schließlich war – nach den vorstehenden Ausführungen der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 ZPO).

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