Aktenzeichen M 12 K 15.2933
Leitsatz
1 Der in § 61 Abs. 2 AsylG geregelte Zustimmungsvorbehalt der Bundesagentur für Arbeit sowie das dort geregelte Ermessen verstoßen nicht gegen Unionsrecht. Die Drei-Monatsfrist des § 61 Abs. 2 AsylG stellt eine Verkürzung gegenüber der in Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU vorgesehenen Frist dar, sodass eine überobligatorische Erfüllung vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Einwanderungspolitische Ziele sind keine sachfremden Erwägungen iRd Ermessensentscheidung nach § 61 Abs. 2 AsylG. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis zur Beschäftigung für eine Ausbildung als … bei der … GmbH in … nach § 61 Abs. 2 AsylG (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 11. März 2016 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG. Danach kann einem Asylbewerber, der sich seit drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhält, abweichend von § 4 Abs. 3 AufenthG die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Einer Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf es vorliegend gem. § 32 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 5 der Verordnung über die Beschäftigung von Ausländern (Beschäftigungsverordnung – BeschV) nicht, da der Kläger die Erlaubnis zur Ausübung einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf (…) begehrt.
§ 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG verstößt nicht gegen Unionsrecht (VG München, U.v. 12.1.2016 – M 4 K 15.3550). Art. 15 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (RL 2013/33/EU) ist durch das deutsche Recht umgesetzt worden. Mit dem Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer vom 31. Oktober 2014 (BGBl I 2014, S. 1649) wurde die Sperrfrist vor Ausübung einer Beschäftigung im Bundesgebiet auf drei Monate verkürzt. Mit dieser gegenüber Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU sogar deutlich kürzeren Frist wurde die Aufnahmerichtlinie insoweit überobligatorisch umgesetzt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Mai 2015, § 61 AsylVfG Rn. 3). Dass § 61 Abs. 2 AsylG grundsätzlich die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit und eine Ermessensentscheidung der Behörde vorsieht, hält sich im Rahmen des von der Richtlinie den Mitgliedstaaten eingeräumten Umsetzungsspielraums. Art. 15 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2013/33/EU regelt zum einen explizit, dass die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres einzelstaatlichen Rechts beschließen, unter welchen Voraussetzungen dem Antragsteller Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren ist, und erlaubt in UAbs. 2 ausdrücklich, den Angehörigen der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen Vorrang einzuräumen. Maßgebliche Grenze für den Gesetzgeber ist insoweit nur die Verpflichtung, für einen effektiven Arbeitsmarktzugang zu sorgen. Zum anderen schafft gerade eine Ermessensentscheidung die Möglichkeit, im Einzelfall vorrangige unionsrechtliche Vorgaben und Rechte bei der Auslegung und Anwendung zu beachten und damit dem Effizienzgebot (effet utile) des Unionsrechts praktisch Gewicht zu verleihen.
Da die Richtlinie 2013/33/EU in deutsches Recht umgesetzt wurde, ist diese nicht unmittelbar anwendbar, so dass sich ein Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nicht direkt aus Art. 16 UAbs. 2 i. V. m. Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU ergeben kann.
2. Das Gericht kann die Entscheidung des Beklagten nur daraufhin überprüfen, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 VwGO). Gemessen hieran erweist sich die Ermessensentscheidung als rechtmäßig.
a) Die Behörde hat sich zu Recht auf die Weisung im IMS vom 31. März 2015 (Az. IA2-2081-1-8) gestützt. Danach sind bei Asylbewerbern und Geduldeten aus sicheren Herkunftsstaaten (Anlage II zu § 29a AsylG) oder deren Asylantrag vom Bundesamt aus sonstigen Gründen als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist (§ 30 AsylG), ab sofort grundsätzlich keine Beschäftigungserlaubnisse auf der Grundlage von § 61 Abs. 2 AsylVfG oder von § 4 Abs. 2 AufenthG (i. V. m. § 32 BeschV) mehr zu erteilen oder zu verlängern. Mit dieser als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift zu qualifizierenden Maßnahme wird das Ermessen im Sinne einer landeseinheitlichen gleichmäßigen am Gesetzeszweck orientierten Anwendung gesteuert.
Die Weisung ist rechtmäßig. Das ausländerbehördliche Ermessen darf entgegen der Auffassung des Klägers durch Verwaltungsvorschriften gelenkt und gebunden werden (siehe BVerwG, B.v. 27.12.1990 – 1 B 162/90 – juris Rn. 5 m. w. N.). Die Weisung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden, weil sie sich im Rahmen von § 61 Abs. 2 AsylG hält und nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Unionsrecht, verstößt:
aa) Die Weisung hält sich im Rahmen des § 61 Abs. 2 AsylG, da sie nicht auf sachfremden Erwägungen beruht, sondern entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsnorm aufenthalts- und asylrechtliche Zwecke verfolgt (vgl. Grünewald in: Vormeier, GK-AsylVfG, § 61, Stand: Januar 2005, Rn. 24; Neundorf in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition Stand: Mai 2015, § 61 Rn. 12; Hailbronner, Ausländerrecht, 90. Lfg. Mai 2015, § 61 AsylVfG Rn. 17). Einwanderungspolitische Ziele dürfen zulässigerweise bei der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 61 Abs. 2 AsylG berücksichtigt werden (Grünewald in: Vormeier, GK-AsylVfG, § 61, Stand: Januar 2005, Rn. 25 m. w. N. aus der Rspr.; Neundorf in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition Stand: Mai 2015, § 61 Rn. 12).
bb) Einem Asylbewerber aus einem sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich keine Arbeitserlaubnis zu erteilen, ist inhaltlich auch von Art. 15 RL 2013/33/EU gedeckt. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist in Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU von zwei unionsrechtlich bestimmten Tatbestandsmerkmalen und in Abs. 2 von mitgliedstaatlichen Voraussetzungen abhängig. Art. 15 Abs. 2 Satz 1 RL 2013/33/EU regelt explizit, dass die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres einzelstaatlichen Rechts beschließen, unter welchen Voraussetzungen dem Antragsteller Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren ist. Dadurch wird den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum eingeräumt, der der Richtlinie als unionsrechtliche Regelungstechnik (Art. 288 Abs. 3 AEUV) immanent ist und dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV), vor allem im hier tangierten Bereich der Beschäftigung(spolitik) (Art. 5 Abs. 2, Art. 145 ff. AEUV), Rechnung trägt. Dabei erlaubt Art. 15 Abs. 2 Satz 2 RL 2013/33/EU ausdrücklich, den Angehörigen der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftraum und rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen Vorrang einzuräumen. Dass dies keine abschließende Grenze für den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten ist, zeigt sich daran, dass Art. 15 Abs. 2 Satz 1 a.E. RL 2013/33/EU die insoweit maßgebliche Grenze auf Tatbestandsseite errichtet, nämlich die Sorge für einen effektiven Arbeitsmarktzugang. Insoweit ist durch die Verwendung des Plurals („für Antragssteller“; englische Sprachfassung: „that applicants“) klargestellt, dass das Gebot des effizienten Arbeitsmarktzugangs sich auf den generell-abstrakten Umsetzungsakt der Mitgliedstaaten bezieht, nicht aber auf die konkret-individuelle Anwendungsentscheidung des gesetzlichen Umsetzungsakts. Die unionsrechtlich in Art. 15 Abs. 2 Satz 1 RL 2013/33/EU gesetzte Grenze eines effektiven Arbeitsmarktzugangs ist nicht überschritten. Erstens bezieht sich die Grenze – wie dargelegt – nicht auf den konkret-individuellen Umsetzungsakt. Zweitens ist bei Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten das Recht auf einen effektiven Zugang zum Arbeitsmarkt zwangsläufig schwächer, da bei diesen die gesetzliche Vermutung besteht, dass ihr Schutzgesuch ohne Erfolg bleiben wird und kein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt im Bundesgebiet erfolgen wird (vgl. auch BT-Drs. 18/6185, S. 29 sub b, S. 49 sub 7). Dabei ist hervorzuheben, dass das Unionsrecht die vorgenannte Unterscheidung bei Asylbewerbern kennt und das Konzept des sichereren Herkunftsstaats legitimiert (vgl. Art. 36 ff. der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes).
cc) Die Weisung verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Mit dem grundsätzlichen Verbot der Erwerbstätigkeit für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten werden auch einwanderungspolitische Ziele verfolgt. Die Verfestigung des Aufenthalts soll bei Asylbewerbern verhindert werden, solange ihr endgültiges Bleiberecht nicht feststeht, und einem Zustrom von Asylbewerbern soll entgegengewirkt werden, die lediglich aus wirtschaftlichen Gründen an einem Aufenthalt im Bundesgebiet interessiert sind. Diese sachlichen Erwägungen verstoßen nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG und rechtfertigen insbesondere eine Ungleichbehandlung von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten gegenüber solchen aus anderen Staaten (vgl. auch BVerwG, B.v. 23.9.1981 – 1 B 90/81 – juris Rn. 3; Neundorf in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition Stand: Mai 2015, § 61 Rn. 2).
dd) Auch das in Art. 6 Abs. 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) genannte Recht auf Arbeit wird nicht verletzt, da der Pakt im Wesentlichen nur Programmsätze enthält, ohne jedoch subjektive Rechte zu vermitteln (vgl. VGH BW, U.v. 16.2.2009 – 2 S 1855/07 – juris Rn. 39 ff.; OVG NRW U.v. 9.10.2007 – 15 A 1596/07 – juris Rn. 37 ff.; Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. X, 3. Aufl. 2012, § 208 Rn. 14; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 192 Rn. 44 f., 49).
Art. 166 Abs. 2 BV formuliert zwar ein (sog. „Jedermann“-) Recht auf Arbeit; dieses wird jedoch ebenfalls nur als Programmsatz angesehen (BayVerfGH, E.v. 5.3.2013 – Vf. 123-VI-11 – juris Rn. 20 m. w. N.).
Das Grundgesetz gewährt gerade kein solches „Recht auf Arbeit“, da dieses in (wirtschaftlichen) Notzeiten ein weitgehendes staatliches Verfügungsrecht über Arbeitsplätze, staatliche Wirtschaftslenkung und eine entsprechende Arbeitspflicht erfordern würde und deshalb mit den Grundrechten der Berufsfreiheit und des Eigentums und mit einer mehr privat- und marktwirtschaftlichen Ordnung nicht vereinbar wäre (vgl. Duden Recht – Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf, 3. Aufl. Berlin 2015).
b) Das Landratsamt hat die Weisung im vorliegenden Fall korrekt angewendet. Der Kläger unterfällt der Weisung vom 31. März 2015, da er aus dem Senegal und damit aus einem sicheren Herkunftsstaat gem. Anlage II zu § 29a AsylG stammt. Im Einzelfall lässt die Weisung allerdings Abweichungen zu. Mit der Formulierung „grundsätzlich“ wird klargestellt, dass die angewiesenen Behörden trotz der Weisung weiterhin im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen haben. Ferner wird dies auch weiter daran deutlich, dass in der Weisung klargestellt wird, dass „im Einzelfall aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Ausnahme zugelassen werden“ kann. Im Übrigen entspricht das Recht und die Pflicht der Behörde, bei Vorliegen atypischer Umstände vom Entscheidungsprogramm der Verwaltungsvorschrift im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung abzuweichen, dem Wesen und der Funktion der Verwaltungsvorschrift, da durch Verwaltungsvorschriften das gesetzlich eingeräumte Ermessen nur abstrakt wahrgenommen und der Ausländerbehörde eine Orientierung zur Einzelfallentscheidung gegeben wird, so dass der Behörde die Befugnis zu Ausnahmeregelungen verbleibt (BVerwG, B.v. 27.12.1990 – 1 B 162/90 – juris Rn. 6; vgl. auch Erichsen/Ehlers, Allg. VwR, 13. Auf. 2006, S. 573).
Wie der Begründung des Bescheids zu entnehmen ist, hat das Landratsamt die Möglichkeit gesehen, in begründeten Einzelfällen von der Weisung abzuweichen. Dass es dies im vorliegenden Fall nicht getan hat, sondern die persönlichen Belange des Klägers den migrationspolitischen öffentlichen Belangen der Verhinderung einer Verwurzelung bei Personen ohne Bleibeperspektive aus sicheren Herkunftsstaaten hintangestellt hat, ist nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat bei seiner Entscheidung alle relevanten privaten Belange des Klägers berücksichtigt. Der in der Weisung vorgesehene Fall, dass bereits eine Beschäftigungserlaubnis erteilt wurde und der Ausländer daraufhin eine Ausbildung begonnen hat, liegt gerade nicht vor. Sonstige Gründe für eine von der ermessenslenkenden Weisung abweichende Entscheidung sind nicht ersichtlich, insbesondere ergeben sich solche auch nicht aus der Erkrankung des Klägers, da diese allenfalls zu einer Duldung, d. h. zu einer vorübergehenden Aussetzung von Abschiebemaßnahmen, nicht jedoch zu einem Bleiberecht führen könnte.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 83b AsylG handelt (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 – 10 CE 15.2038 – juris Rn. 9).
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO.