Aktenzeichen 27 U 2793/17
RL 2007/46/EG Art. 12, Art. 18
Leitsatz
1 Ist in einem verkauften Euro-5 Fahrzeug werksseitig eine Software installiert, die bewirkt, dass das Fahrzeug bei Messung der Abgaswerte im NEFZ-Testbetrieb (Neuer Europäischer Fahrzyklus) die Voraussetzungen einer Einstufung in die Euro-5-Norm erreicht, während dies unter den Fahrbedingungen im normalen Straßenverkehr praktisch ausgeschlossen ist, so weist das Fahrzeug nicht die Beschaffenheit auf, die bei einem Fahrzeug gleicher Art üblich ist und die der Käufer auch erwarten darf. (Rn. 14 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Beim Neuwagenkauf, der eine Gattungsschuld begründet, ist die Ersatzlieferung so lange möglich, wie es Sachen mit den der Gattung beigelegten Merkmalen und in sonst vertragsgemäßer Beschaffenheit gibt. Unmöglichkeit ist damit erst dann gegeben, wenn die gesamte Gattung untergegangen oder mangelhaft ist. Unmöglichkeit ist zu bejahen, wenn ein fabrikneues Fahrzeug entsprechend dem zwischen den Parteien vereinbarten Modell nicht mehr produziert wird, da ein Modellwechsel stattgefunden hat und das nunmehr hergestellte Nachfolgemodel deutlich verändert ist. (Rn. 20 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
095 O 3800/16 2017-07-07 Endurteil LGAUGSBURG LG Augsburg
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Augsburg vom 07.07.2017, Az.: 095 O 3800/16, durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert.
Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
II. Der Kläger hat Gelegenheit, zu diesem Hinweis des Senats bis 22. März 2018 Stellung zu nehmen.
Gründe
Das Urteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden auch von der Berufung nicht aufgezeigt.
Im Einzelnen ist zu den Berufungsangriffen des Klägers wie folgt Stellung zu nehmen:
A.
Die allgemeinen Ausführungen des Klägers auf Seite 4-10 der Berufungsbegründung zum Abgasskandal sind nicht geeignet, einen entscheidungserheblichen Rechtsfehler des Erstgerichts in Bezug auf den streitgegenständlichen Fall zu begründen. Insbesondere die Auflistung einer Vielzahl von landgerichtlichen Entscheidungen, die nach Vortrag des Klägers die Möglichkeit einer Nachlieferung bestätigt haben, lassen keinerlei Schlüsse darauf zu, wie dies im streitgegenständlichen Fall zu werten ist.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang von der Beklagten zu 2) spricht, ist dies nicht nachvollziehbar, da beklagt im streitgegenständlichen Fall lediglich das Autohaus S. GmbH & Co. KG ist.
Auch der Hinweis des Klägers auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20.02.2017 (Az.: 14 U 199/16 in BeckRS 2017, 102366) verfängt nicht.
Zum einen betrifft der dem Urteil des OLG Nürnberg zugrunde liegende Sachverhalt nicht die streitgegenständliche Diesel-Problematik, sondern bezieht sich auf wiederholt auf dem Display eines Fahrzeugs erscheinende Warnungen wegen angeblicher Kupplungsüberhitzung. Darüber hinaus kann das Oberlandesgericht Nürnberg, im Gegensatz zum streitgegenständlichen Fall, seine Entscheidung darauf stützen, dass die vom dortigen Kläger verlangte Nacherfüllung nicht unmöglich ist.
B.
Der Senat teilt die Rechtsauffassung des Landgerichts, dass dem Kläger kein Anspruch auf Neulieferung des Pkw VW Tiguan Sport und Style, Modell 5N223X, TDI mit 2,0 L/Motor zusteht.
I. Der Kläger kann seinen Anspruch auf Nachlieferung nicht auf die §§ 433, 434, 437 Nr. 1, 439 BGB stützen.
1. Auch der Senat geht davon aus, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB behaftet ist.
Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der Pkw VW Tiguan bereits deshalb mangelhaft ist, weil er bei Gefahrübergang nicht die vereinbarte Beschaffenheit besaß (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB).
In jedem Fall ergibt sich die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs daraus, dass es sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten konnte (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).
Das streitgegenständliche Fahrzeug eignet sich zwar grundsätzlich für den Fahrbetrieb und ist damit auch für die gewöhnliche Verwendung geeignet.
Es weist jedoch nicht die Beschaffenheit auf, die bei einem Fahrzeug gleicher Art üblich ist und die der Kläger auch erwarten durfte.
Das Fahrzeug sollte laut Vertrag über das Abgaskonzept EU 5 verfügen. Es war aufgrund der Typenzulassung in die zum Zeitpunkt der Erstzulassung einzuhaltende Euro-5-Norm nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eingestuft. Um diese Typenzulassung zu erlangen, musste das Fahrzeug bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten.
Unstreitig war in dem Fahrzeug werksseitig eine Software installiert, die unterscheiden konnte, ob sich das Fahrzeug im NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) befand oder im normalen Straßenverkehr. Bei Messung der Abgaswerte im NEFZ erreichte das Fahrzeug die Voraussetzungen einer Einstufung in die Euro-5-Norm, während dies unter den Fahrbedingungen im normalen Straßenverkehr praktisch ausgeschlossen war.
Der Kläger als Käufer eines Neufahrzeuges durfte davon ausgehen, dass die Abgaswerte der Euro-5-Norm nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im normalen Straßenverkehr eingehalten werden. Die Motorsteuerung im Modus 1 mit höherer Abgasrückführung wurde jedoch nur während der NEFZ eingeschaltet, während sich der Motor während des normalen Fahrbetriebs im Straßenverkehr im Modus 0 befunden hat.
Damit entspricht das streitgegenständliche Fahrzeug nicht der Beschaffenheit, die der Kläger erwarten durfte und die bei Fahrzeugen gleicher Art, nämlich Fahrzeugen, bei denen aufgrund der Typenzulassung die Euro-5-Norm einzuhalten ist, üblich ist.
2. Der Anspruch des Klägers auf Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs scheitert jedoch daran, dass diese gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist.
Beim Neuwagenkauf, der eine Gattungsschuld begründet, ist die Ersatzlieferung so lange möglich, wie es Sachen mit den der Gattung beigelegten Merkmalen und in sonst vertragsgemäßer Beschaffenheit gibt. Unmöglichkeit ist damit erst dann gegeben, wenn die gesamte Gattung untergegangen oder mangelhaft ist (vgl. Palandt/Weidenkaff, 77. Aufl., § 439 Rn. 15).
Diese Voraussetzungen sind jedoch vorliegend erfüllt.
a) Unstreitig wird ein fabrikneues Fahrzeug entsprechend dem zwischen den Parteien vereinbarten Modell nicht mehr produziert, vielmehr hat ein Modellwechsel stattgefunden und der vom Kläger gekaufte Neuwagen wird nicht mehr hergestellt. Die kaufvertragliche Vereinbarung bezog sich auf einen Neuwagen VW Tiguan Sport und Style des Modells 5N223X, 2.0 TDI mit 103 kW (140 PS) mit einer bestimmten Mehrausstattung, wobei der Motor des Fahrzeugs der Baureihe EA 189, EU 5-Klasse entstammt.
Demgegenüber ist das nunmehr hergestellte VW Tiguan Nachfolgemodell deutlich verändert.
Das nunmehr hergestellte Nachfolgemodell verfügt, wie auch der Kläger selbst auf Seite 19 der Berufungsbegründung vorträgt, über einen leistungsstärkeren Motor, der der Euro-6-Norm entspricht und auch höhere Leistungsmerkmale aufweist. Die Motoren der zweiten Modellgeneration umfassen insgesamt 8 Varianten, davon 4 Diesel zwischen 85 kW/115 PS und 176 kW/240 PS, die sämtlich leistungsstärker und sparsamer sind als die vergleichbaren EU 5-Vorgängeraggregate der ersten Generation. Zudem verfügen die VW Tiguan-Fahrzeuge der aktuell produzierten Serie über eine EU 6-Typengenehmigung.
Würde dem Kläger nunmehr ein Fahrzeug mit EU 6-Typengenehmigung nachgeliefert, erhielte er ein Fahrzeug, das im Vergleich zu dem Fahrzeug mit EU 5-Typengenehmigung eine in Zukunft umfassendere Nutzungsmöglichkeit gewähren würde.
Hinzukommt, dass das Nachfolgemodell bereits von seinen Maßen und auch seiner Innenraumausstattung mit dem streitgegenständlichen Modell nicht gleichzusetzen ist. Das Nachfolgemodell ist sowohl breiter als auch länger als das Vormodell und verfügt auch über einen größeren Kofferraum.
Die Lieferung des Nachfolgemodells würde damit eine über den vertraglichen Erfüllungsanspruch des Klägers hinausgehende Leistung darstellen, der Kläger würde also mehr erhalten, als im Kaufvertrag vereinbart. Hieraus ergibt sich, dass die Lieferung des Nachfolgemodells als „Aliud“ und nicht als gleichartiges und gleichwertiges Fahrzeug, das der gleichen Gattung angehört, zu sehen ist (siehe auch OLG München, 27 U 2827/17, Beschluss vom 15.02.2018; OLG München, 27 U 2274/17, Beschluss vom 09.02.2018).
b) Auch die vom Kläger auszugsweise zitierten Neuwagen-Verkaufsbedingungen, die Inhalt des Kaufvertrages geworden sind, führen zu keiner anderen rechtlichen Wertung im Hinblick auf den Gattungsbegriff.
Unter Ziffer IV.6 dieser Verkaufsbedingungen ist nach dem Vortrag des Klägers (vgl. Seite 38 der Klageschrift) geregelt, dass „Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton sowie Änderungen des Lieferumfangs auf Seiten des Herstellers während der Lieferzeit vorbehalten bleiben, sofern die Änderungen oder Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind. Sofern der Verkäufer oder der Hersteller zur Bezeichnung der Bestellung oder des bestellten Kaufgegenstandes Zeichen oder Nummern gebraucht, können allein daraus kein Rechte hergeleitet werden“.
Nach dieser Regelung bleiben dem Verkäufer nur bestimmte Änderungen während der Lieferzeit unter bestimmten Voraussetzungen vorbehalten. Nach ihrem Wortlaut betrifft diese Regelung nur die Zeitspanne zwischen Kaufvertragsschluss und Auslieferung des Fahrzeugs und bezieht sich damit nur auf den ursprünglichen Vertragserfüllungsanspruch, nicht jedoch auf den in Ausübung der Gewährleistungsrechte geltend gemachten Nacherfüllungsanspruch.
Die Regelung dient dabei eindeutig dem Schutz des Verkäufers, der – im Rahmen des für den Kläger zumutbaren – sich hinsichtlich der Weiterentwicklungen des Herstellers eine gewisse Flexibilität vorbehält. Ein Rechtsanspruch des Käufers auf ein Fahrzeug mit den jeweils neuesten Änderungen insbesondere in Bezug auf ein Nachfolgemodell, kann hieraus keineswegs entnommen werden (vgl. 27 U 2827/17, 27 U 2274/17 a.a.O.).
c) Das Landgericht hat auch rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein Modellwechsel des VW Tiguan unstreitig stattgefunden hat.
Auf Seite 37 bis 39 der Klageschrift trägt der Kläger noch selbst hierzu vor, dass der Hersteller nunmehr ein Fahrzeug, das den Anforderungen der Euro-6-Norm entspricht, anbietet und ein Modellwechsel stattgefunden hat.
Dies stimmt auch mit dem Vortrag der Beklagtenseite in der Klageerwiderung überein, so dass unstreitig von einem Modellwechsel auszugehen ist.
Die Frage, wie dieser Modellwechsel rechtlich zu werten ist und welche Auswirkungen er auf eine mögliche bzw. unmögliche Nachlieferung hat, ist in Bezug auf die Feststellung der der Entscheidung zu Grunde liegenden Tatsachen ohne Relevanz.
Soweit die Klagepartei im Laufe des Verfahrens von einem „Facelift“ spricht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis.
Zum einen handelt es sich bei dem Begriff „Facelift“ nicht um einen konkreten Sachvortrag, sondern eine wertende Äußerung der Klageseite. Darüber hinaus wird damit der detaillierte und umfangreiche Sachvortrag der Beklagten, insbesondere in der Klageerwiderung, im Hinblick auf die Ausstattung des Nachfolgemodells nicht ausdrücklich und konkret bestritten.
Die pauschale Behauptung des Klägers im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens, es habe lediglich ein „Facelift“ und kein Modellwechsel stattgefunden, hat das Landgericht daher zu Recht als unbeachtlich behandelt (§ 138 Abs. 3 ZPO).
3. Die Ausführungen der Berufung zu § 439 Abs. 3 1. Alternative BGB sind nicht nachvollziehbar und finden auch im Ersturteil keinen Niederschlag.
Ein Rechtsfehler der landgerichtlichen Entscheidung ist hier nicht ersichtlich.
II. Der Kläger kann sein Begehren auch nicht auf die §§ 311, 241 Abs. 2 BGB stützen (Prospekthaftung im weiteren Sinne).
Eine Haftung gemäß der sogenannten „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei dem einem Pkw-Kauf zugrunde liegenden Verkaufsprospekt nicht um einen „Prospekt“ im Sinne der kapitalmarktrechtlichen Rechtsprechung handelt. Ein Pkw ist auch nicht mit einem Kapitalanlageprodukt vergleichbar. Im Übrigen wird hierzu auf die ausführlichen Darlegungen auf Seite 15 und 16 des Ersturteils Bezug genommen, denen der Senat in vollem Umfang zustimmt.
Zudem würde auch eine Haftung der Beklagten gemäß den §§ 311, 241 BGB dem Kläger nicht zu einem Anspruch auf Lieferung eines fabrikneuen typengleichen Ersatzfahrzeuges aus der aktuellen Serie und Produktion verhelfen (vgl. oben I. 2.).
III. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht aus europarechtlichen Vorschriften mit drittschützender Wirkung herleiten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte als Verkäuferin für den klägerseits begehrten Anspruch überhaupt passivlegitimiert ist. Entscheidend ist, dass die vom Kläger zitierten europarechtlichen Vorschriften der Art. 12, 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG, §§ 4, 6, 25 EG Fahrzeuggenehmigungsverordnung nicht der Schaffung eines Individualanspruches dienen.
Zu Recht merkt das Ersturteil hierzu an, dass die genannten europarechtlichen Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Auf die Ausführungen auf Seite 16 und 17 des Ersturteils hierzu wird Bezug genommen.
Auch der Kläger selbst führt hierzu aus, dass die Richtlinie 2007/46/EG dem Umwelt- und Gesundheitsschutz dient, also gerade keine Schutzwirkung zugunsten des Einzelnen entfaltet.
Im Übrigen würde mangels Unmöglichkeit einer Ersatzlieferung auch ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB den vom Kläger gewünschten Anspruch nicht begründen.
C.
Vergeblich rügt die Berufung des weiteren die Verletzung formellen Rechts gemäß § 139 ZPO.
1. Hinsichtlich des Vortrags zum „Modellwechsel“ ist auf B. I. 2. c) hinzuweisen.
Das Landgericht hat, wie bereits ausgeführt, zu Recht den erfolgten Modellwechsel als unstreitig seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Das Landgericht war in diesem Zusammenhang nicht gehalten, einen Hinweis zu geben. Auch die Berufung selbst verhält sich nicht dazu, welche Art von Hinweis dies sein sollte.
2. Im Übrigen greift die Rüge des § 139 ZPO bereits deshalb nicht, weil der Berufungsbegründung nicht zu entnehmen ist, was der Kläger denn im Falle eines Hinweises des Landgerichts (welchen Hinweises ?) vorgetragen hätte (vgl. BGH NJW-RR 1988, 477).
Nach alledem erweist sich das Ersturteil in vollem Umfang als zutreffend.
Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.