Europarecht

Kein Ehegattennachzug wegen fehlender Lebensunterhaltssicherung und Nichteinhaltung des Visumsverfahrens

Aktenzeichen  M 24 K 16.154

Datum:
14.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 1, Abs. 2, § 27, § 29 Abs. 1, § 30 Abs. 1
AufenthV AufenthV § 39

 

Leitsatz

Eine Fallgestaltung, dass eine Ehefrau und ein Kind ihr Aufenthaltsrecht von einem im Bundesgebiet studierenden Ausländer ableiten wollen, ist nicht von einer Atypik gekennzeichnet, die so bedeutsam wäre, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung zur Lebensunterhaltssicherung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beseitigen würde. (red. LS Clemens Kurzidem)
Ein Absehen vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 30 Abs. 3 AufenthG kommt nicht in Betracht, wenn keine Verlängerung, sondern die Ersterteilung eines Aufenthaltstitels in Rede steht. (red. LS Clemens Kurzidem)
Ein Absehen vom Visumverfahren nach § 5 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 AufenthG kommt nicht in Betracht, wenn der Betroffene mangels gesichertem Lebensunterhalt keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besitzt. (red. LS Clemens Kurzidem)
Auf § 39 Nr. 1 AufenthV kann sich derjenige Ausländer nicht berufen, der nicht mit einem nationalen Visum nach § 6 Abs. 3 AufenthG ins Bundesgebiet eingereist ist, sondern mit einem nationalen Visum für Polen nach Art. 18 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ). (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2015 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug als Ehegatte eines Ausländers nach § 30 Abs. 1 i. V. m. § 27, § 29 Abs. 1 AufenthG, da es an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG fehlt.
1.1. Entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert.
Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 17. Dezember 2015 (Seite 5) dargelegt, dass der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert ist, weil sich – selbst unter Berücksichtigung (nicht nachgewiesener) monatlicher Zahlungen in Höhe von 700,00 Euro des Schwiegervaters der Klägerin – ein monatlicher Fehlbetrag in Höhe von 297,40 Euro für die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit ihrem Kind und ihrem Ehemann ergibt.
Dass der Lebensunterhalt der Klägerin davon abweichend gesichert wäre, ergibt sich auch nicht aus ihrem Vorbringen im Klageverfahren unter Berücksichtigung der Angaben in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Den von der Klägerin in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemachten Angaben zufolge hat sie selbst keine eigenen Einkünfte. Soweit in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 eine Verpflichtungserklärung vom 13. April 2016 vorgelegt wurde, wonach der Klägerin monatlich der Betrag von 500,00 EURO in bar gegeben oder auf das Konto des Ehemannes überwiesen werde, fehlen hierzu – außer der bloßen Namensangabe – jegliche Angaben zur Person des sich Verpflichtenden, wie Identitätsnachweis, Aufenthaltsort und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Der Verpflichtungserklärung ist auch nicht zu entnehmen, ab wann der Betrag von 500,00 EURO gegeben bzw. überwiesen werden soll.
Den zu den Einkünften ihres Ehemannes gemachten Angaben, insbesondere im Hinblick auf den am … März 2016 geänderten Arbeitsvertrag mit der Firma …, lässt sich – ungeachtet dessen, dass das dem Gericht vorgelegte Exemplar des Vertrages vom Ehemann der Klägerin nicht unterschrieben wurde – die Höhe des monatlichen Netto-Verdienstes nicht entnehmen. Entsprechende Belege (Gehaltsabrechnungen oder Kontoauszüge, aus denen sich die Überweisung des Netto-Verdienstes ergibt) waren der Erklärung nicht beigefügt. Auch in der mündlichen Verhandlung konnten von der Bevollmächtigten der Klägerin hierzu keine Unterlagen vorgelegt werden, so dass ein den Betrag von monatlich 556,60 EURO übersteigendes höheres Nettoeinkommen nicht nachgewiesen ist.
Zudem wurde die monatliche Unterstützungsleistung der Eltern des Ehemannes der Klägerin mit lediglich 250,00 Euro angegeben, wobei auch insoweit kein Nachweis des tatsächlichen Zahlungsflusses, der in bar erfolgen soll, vorgelegt werden konnte.
Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass der Lebensunterhalt der Klägerin im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht gesichert ist.
Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 17. Dezember 2015 (Seite 6) auch zu Recht das Vorliegen einer Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verneint. Die vorliegende Fallgestaltung, dass eine Ehefrau und ein Kind ihr Aufenthaltsrecht von einem im Bundesgebiet studierenden Ausländer ableiten möchten, ist nicht von einer Atypik gekennzeichnet, die so bedeutsam wäre, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen würde.
Da Streitgegenstand vorliegend die Ersterteilung und nicht die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug ist, kommt ein Absehen von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 30 Abs. 3 AufenthG nicht in Betracht.
1.2. Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 i. V. m. § 27, § 29 Abs. 1 AufenthG steht des Weiteren entgegen, dass die Klägerin ohne das erforderliche Visum ins Bundesgebiet eingereist ist.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht hat. Für den von der Klägerin angestrebten Daueraufenthalt im Bundesgebiet wäre ein vor der Einreise erteiltes Visum erforderlich gewesen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
1.2.1. Ein Absehen vom Visumsverfahren nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die Klägerin – aufgrund der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts – keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG kann vom erforderlichen Visumsverfahren abgesehen werden, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen. Dass im vorliegenden Fall solche besonderen Umstände vorliegen, hat die Beklagte zu Recht in der Begründung ihres Bescheides vom 17. Dezember 2015 (Seite 6, fünfter Absatz) verneint. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 wurden keine besonderen Umstände des vorliegenden Falles dargetan.
1.2.2. Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Aufenthaltstitel (ohne vorherige Ausreise) im Bundesgebiet eingeholt oder verlängert werden (Abschnitt 4 der Aufenthaltsverordnung – AufenthV). Da die Voraussetzungen der dort angeführten Vorschriften vorliegend jedoch nicht erfüllt sind, kommt ein Absehen vom Visumsverfahren auch insoweit nicht in Betracht.
Da die Klägerin nicht mit einem nationalen Visum für das Bundesgebiet im Sinne von § 6 Abs. 3 AufenthG am 6. August 2014 ins Bundesgebiet eingereist ist, sondern mit einem vom 20. Februar 2014 bis 30. September 2014 gültigen nationalen Visum für Polen nach Art. 18 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), kann sie sich nicht auf § 39 Nr. 1 AufenthV berufen.
Da Usbekistan nicht im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 (EG-VisaVO) aufgeführt ist, ist für die Klägerin § 39 Nr. 3 Alt. 1 AufenthV nicht einschlägig. Für § 39 Nr. 3 Alt. 2 AufenthV fehlt es bereits daran, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum einen aufgrund der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts nicht vorliegen und zum anderen nicht nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet entstanden sind, da die Eheschließung am … April 2014 bereits vor der letzten Einreise ins Bundesgebiet am 6. August 2014 erfolgte. Im Übrigen ist die Klägerin auch nicht mit einem Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ins Bundesgebiet eingereist, sondern mit einem vom 20. Februar 2014 bis 30. September 2014 gültigen nationalen Visum für einen längerfristigen Aufenthalt in Polen.
Da die Klägerin nicht im Besitz einer Duldung ist und weder aufgrund einer Eheschließung im Bundesgebiet noch aufgrund der Geburt eines Kindes während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat, kommt eine Einholung des Aufenthaltstitels im Bundesgebiet auch nicht über § 39 Nr. 5 AufenthV in Betracht.
Mangels Erfüllung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt vorliegend ein Absehen vom Visumsverfahren auch nicht nach § 39 Nr. 6 AufenthV in Betracht.
2. Da die Klägerin kein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besitzt, ist sie vollziehbar ausreisepflichtig (§§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 2, 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Ihr Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis und der Abschiebungsandrohung anzuordnen, wurde aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14. April 2016 am 14. April 2016 abgelehnt (M 24 S 16.172). Die Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorschriften (§ 59 AufenthG).
Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde im Bescheid vom 17. Dezember 2016 nicht angeordnet; Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides enthält nur einen Hinweis auf die gesetzliche Regelung des § 11 Abs. 6 AufenthG, der keinen Regelungscharakter hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der unterliegende Teil hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung – ZPO).

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