Europarecht

Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Überstellung nach Italien wegen einer psychischen Erkrankung

Aktenzeichen  9 K 17.52777

Datum:
9.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15298
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 29 Abs. 2
AsylG § 34a Abs. 1

 

Leitsatz

In Italien können auch psychische Erkrankungen behandelt werden, so dass eine Überstellung im Dublin-Verfahren möglich ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten damit individuell einverstanden erklärt haben (die Klägerseite, vgl. Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 3. Juli 2018) bzw. ein entsprechendes generelles Einverständnis vorliegt (auf Beklagtenseite sowie von der Vertretung des öffentlichen Interesses), § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auch insoweit zunächst auf den Beschluss des Gerichts vom 16. November 2017 (Az. M 9 S 17.52778), dort Gründe II., Bezug genommen.
Seitdem wurde nichts vorgebracht bzw. gibt es nichts von Amts wegen zu Berücksichtigendes, was das dort gefundene Ergebnis in Frage stellen würde.
Der Vortrag des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 18. Januar 2018, dass der Kläger an einer psychischen Erkrankung leide, ändert am Ergebnis nichts. Denn insofern genügt die entsprechende Behauptung nicht den Anforderungen an den Nachweis einer Erkrankung, unabhängig davon bestehen keine Zweifel daran, dass eine entsprechende Erkrankung in Italien behandelbar wäre und behandelt würde.
Zunächst fehlt es bereits am ausreichenden Nachweis. Es wird nicht einmal gesagt, um welche psychische Erkrankung es sich handeln soll. Als Beleg wird außerdem lediglich ein ärztliches Rezept vom 5. Januar 2018 für Neurexan, dabei handelt es sich um ein nicht rezeptpflichtiges homöopathisches Beruhigungsmittel, vorgelegt. Das genügt auch zusammengenommen nicht als ausreichender Nachweis für das Bestehen einer nicht näher bezeichneten psychischen Erkrankung des Klägers. Unabhängig davon trifft es nicht zu, dass eine medizinische Behandelbarkeit in Italien nicht besteht. Es sind keine Umstände ersichtlich, die einen Anhaltspunkt dafür geben könnten, dass eine erforderliche Behandlung gerade nur in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen kann und nicht auch in Italien möglich ist. Auf die Ausführungen im Beschluss vom 16. November 2017, dort insbesondere auf Seite 11 und 12, wird Bezug genommen. Das bedeutet, dass der Antragsteller, unterstellt, seine (nicht belegte) Behauptung einer gesundheitlichen Einschränkung träfe zu, in Italien ohne weiteres behandelt werden kann. Nach der bestehenden Auskunftslage sind Asylbewerber in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen nicht nur im Rahmen der Notfallversorgung, sondern auch hinsichtlich der Behandlung bei Spezialisten, etc. berechtigt. Die Überweisungen an Spezialisten sind zudem für Asylbewerber kostenfrei. Darüber hinaus besteht gerade für Asylbewerber die Möglichkeit, an Projekten von Nichtregierungsorganisationen oder anderen privaten Trägern, deren Mitarbeiter speziell auf die Behandlung psychischer Krankheiten von Flüchtlingen ausgebildet sind, teilzunehmen (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 25.8.2015 – 13 K 1723/15.A – juris Rn. 98ff.).
Die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylantrags des Klägers ist auch nicht zwischenzeitlich auf die Beklagte übergegangen. Die sog. Überstellungsfrist ist von der Beklagten wirksam verlängert worden, so dass ein Zuständigkeitsübergang auf der Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht eingetreten ist.
Die sechsmonatige Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO wäre mit Ablauf des 24. Mai 2018 (das spätere Datum der Zustellung des Beschlusses vom 16. November 2017 im Antragsverfahren Az. M 9 S 17.52778 an die Beteiligten war der 24. November 2017, vgl. zur Fristberechnung im Einzelnen VG München, B.v. 6.6.2017 – M 9 S 17.50290 – juris Rn. 18 – 20) abgelaufen. Jedoch wurde die sechsmonatige Frist seitens der Antragsgegnerin vor dem Ablauf der Frist (vgl. das Schreiben des Bundeamts vom 17. Mai 2018) wirksam gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO verlängert.
Nach dieser Vorschrift kann die sechsmonatige Frist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
Hier kommt mangels Inhaftierung des Klägers nur die zweite Variante, das Flüchtig-Sein, in Betracht; hierauf wurde die Verlängerungsentscheidung der Antragsgegnerin auch gestützt. Diese Entscheidung ist auch nicht zu beanstanden. Es bestehen keine Zweifel daran, dass der Kläger zum Zeitpunkt der versuchten Überstellung am 14. Mai 2018 flüchtig im Sinne der Vorschrift gewesen ist. Auf das Schreiben der Beklagten vom 17. Mai 2018 samt Anlagen, aus dem das hervorgeht, wird Bezug genommen. Es ist nicht ersichtlich, dass die dort mitgeteilten Erkenntnisse nicht stimmen sollten. Soweit für den Kläger geltend gemacht wird, dass er sich (mittlerweile) wieder unter der bekannten Adresse, unter welcher er seinerzeit zum Zweck der Überstellung nicht angetroffen wurde, aufhält und unter dieser Adresse auch seine Post erhält, bspw. das Schreiben der Staatsanwaltschaft Ingolstadt, ändert das nichts daran, dass er im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung der Beklagten flüchtig im Sinne der Vorschrift war; gegenteiliges, d.h. dass der Kläger zum Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung nicht flüchtig gewesen sei, ist nicht einmal behauptet, es ist auch nicht ersichtlich. Ist der Betroffene jedoch einmal flüchtig, darf eine Verlängerung nach herrschender Meinung, der sich das Gericht anschließt, bis zur Maximalfrist erfolgen (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Art. 29 Anm. K12).
Daher verbleibt es bei der Geltung der verlängerten Frist von 18 Monaten. Diese Frist ist aber ohne weiteres noch nicht abgelaufen, so dass (noch) kein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte eingetreten ist.
Die Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.

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