Europarecht

Kein Vorliegen der Berufungszulassungsgründe der Divergenz und der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Asylverfahren

Aktenzeichen  11 ZB 17.31234

Datum:
3.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 508
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2, 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Die Unterlassung einer nach der Rechtsprechung gebotenen Prüfung tatsächlicher Art begründet noch keine Divergenz. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Niederlassung von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus, so auch aus Tschetschenien stammenden ethnischen Tschetschenen, in anderen Teilen der Russischen Föderation ist zwar durch verschiedene Probleme erschwert, aber grundsätzlich möglich. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 9 K 17.32909 2017-08-09 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. nicht gegeben sind.
Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15/03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 78 AsylG Rn. 19; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52/14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ, a.a.O.; Rudisile, a.a.O.).
Hieran gemessen weicht das erstinstanzliche Urteil nicht von einem im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 2016 – 1 C 15/05 – (BVerwGE 126, 243 ff.) aufgestellten Rechtssatz ab. Die Kläger tragen hierzu unter Bezug auf eine Senatsentscheidung vom 17. April 2012 – 11 B 11.30469 – (juris) vor, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Prüfung und Ermittlung einer Gruppenverfolgung nicht berücksichtigt. Dem Kläger zu 1. drohe eine Bestrafung und Inhaftierung wegen Desertion und eine Niederlassung in anderen Landesteilen sei ohnehin erschwert. Außerdem drohten tschetschenischen Volkszugehörigen weitere Verfolgungsmaßnahmen. Im Schriftsatz vom 24. Oktober 2017 werden ergänzende Ausführungen zu den Haftbedingungen in der Russischen Föderation und der Unterbringung von Binnenvertriebenen, den Lebensbedingungen und der Sicherheitslage in Tschetschenien und der Russischen Föderation gemacht. Mit diesem Vortrag ist kein Rechts- oder Tatsachensatz dargelegt, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen ist, sondern wird der Sache nach die gerichtliche Wertung angegriffen, dass der Vortrag der Kläger unglaubhaft sei, dem Kläger zu 1. bereits keine Einberufung gedroht habe und den Klägern eine Rückkehr zumutbar sei. Das Verwaltungsgericht hat sich durch Bezugnahme gemäß § 77 Abs. 2 AsylG die tragenden Gründe des angefochtenen Bescheides zu eigen gemacht und auf Seite 4 f. des Urteils weitere Gründe dargelegt, die aus seiner Sicht gegen die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens sprechen. Hinsichtlich der Lage tschetschenischer Volkszugehöriger in anderen Landesteilen der Russischen Föderation hat es den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts angeführt sowie die Behauptung des Klägers zu 1., jahrelang als Polizist der Russischen Föderation in Tschetschenien tätig gewesen zu sein. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht dessen, dass die Kläger selbst außer der hierfür zu Unrecht zitierten Entscheidung des Senats vom 17. April 2012 keine substantiellen Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung vorgebracht haben, bestand für das Verwaltungsgericht schon kein Anlass, eine Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger in der Russischen Föderation zu prüfen. Im Übrigen würde auch die Unterlassung einer nach der Rechtsprechung gebotenen Prüfung tatsächlicher Art noch keine Divergenz begründen (Bergmann/Dienelt, AuslR, § 78 AsylG Rn. 19).
Ferner droht den Klägern – entgegen der Behauptung ihrer Prozessbevollmächtigten – nach der Rechtsprechung des Senats und im Übrigen auch nicht nach der anderer Obergerichte (vgl. OVG Bremen, U.v. 10.7.2012 – 2 A 483/09.A – juris Rn. 66 ff.; VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris Rn. 42 ff. m. zahlreichen w.N.) bei einer Rückkehr in andere Landesteile der Russischen Föderation als tschetschenische Volkszugehörige keine Gruppenverfolgung, so dass auch nicht konkludent eine Abweichung von einem entsprechenden Tatsachensatz einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs dargelegt ist. Abgesehen davon, dass es sich in dem zitierten Fall (BayVGH, U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.30469 – juris) um aus Tschetschenien stammende russische Volkszugehörige handelte, hat der Senat dort unter Bezug auf seine Rechtsprechung im Gegenteil ausgeführt, dass Übergriffe gegenüber ethnischen Tschetschenen in der Vergangenheit vereinzelt vorgekommen seien, ohne die Grenze der Verfolgungsintensität im Rechtssinn zu erreichen (vgl. juris Rn. 30 a.E.). Eine Niederlassung von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus, so auch aus Tschetschenien stammende ethnische Tschetschenen, in anderen Teilen der Russischen Föderation ist nach der Rechtsprechung des Senats zwar durch verschiedene Probleme erschwert, aber grundsätzlich möglich (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2015 – 11 B 12.30471 – juris Rn. 34).
Mit den Behauptungen, die Kläger hätten entgegen der von ihnen unterzeichneten Bestätigung keine Übersetzung der Niederschrift über die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten und der Kläger zu 1. sei in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgrund der Mitwirkung einer Dolmetscherin für die russische Sprache nicht in der Lage gewesen, alle Asylgründe hinreichend darzulegen, ist ein Verfahrensverstoß gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AslyG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden und inwiefern dies entscheidungserheblich gewesen wäre (stRspr des BVerwG, vgl. B.v. 14.6.2013 – 5 B 41/13 – juris Rn. 3 f.; B.v. 3.2.1998 – 1 B 4/98 – InfAuslR 1998, 219 = juris Rn. 5; B.v. 19.3.1991 – 9 B 56/91 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 S. 12 = juris Rn. 7; ebenso BayVGH, B.v. 8.8.2015 – 15 ZB 17.30494 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 18.4.2005 – 1 ZB 05.30333 – beck-online; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 74). Hieran fehlt es. Im Übrigen setzen sich die Kläger nicht ansatzweise damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht die von der Prozessbevollmächtigten erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Verständigungsschwierigkeiten des Klägers zu 1. in Russisch im Hinblick auf seine Angaben im Asylverfahren zu den von ihm beherrschten Sprachen (Russisch als erste Sprache), seinem Asylvorbringen (Anstellung im Innenministerium der Russischen Föderation und berufsbegleitendes Fachhochschulstudium), den Angaben der russisch sprechenden Prozessbevollmächtigten zu seinen sprachlichen Fähigkeiten und sein Aussageverhalten in der mündlichen Verhandlung für nicht glaubhaft erachtet hat.
Mit den übrigen Ausführungen und Unterlagen zu den Verhältnissen in der Russischen Föderation im Schriftsatz vom 24. Oktober 2017, die bereits nicht die Begründungsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AslyG wahren, machen die Kläger der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG jedoch nicht zur Zulassung der Berufung führen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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