Europarecht

Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen Überstellung nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  M 9 S 16.51303

Datum:
7.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29, § 34a Abs. 2 S. 1
VwZG VwZG § 8
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Misslingt die Zustellung eines Bundesamtsbescheids aufgrund der Verwendung einer nicht existierenden Anschrift des Asylbewerbers, geht der Bescheid dem Betroffenen gleichwohl zu und erhebt er dagegen Klage, gilt der Zustellungsmangel nach § 8 VwZG als geheilt (vgl. VG Bayreuth BeckRS 2015, 41667). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Nach aktuellem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nach eigenen Angaben am 1. Januar 1983 geborene Antragsteller (Bl. 3 d. Behördenakts – i.F.: BA -) reiste nach eigenen Angaben am 14. Dezember 2015 von Italien kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 28f. d. BA). Er beantragte am 5. September 2016 Asyl (Bl. 3 d. BA). Der Antragsteller ist laut eigener Aussage Staatsangehöriger Malis (Bl. 3 d. BA).
Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie 1 wurde am 3. November 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 64ff. d. BA); eine Zugangsbestätigung liegt vor (Bl. 70ff. d. BA). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2016, Gesch.-Z.: …, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (i.F.: Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziff. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4).
Der Bescheid sollte dem Antragsteller mit Postzustellungsurkunde vom 20. Dezember 2016 an die Anschrift „…, …“ zugestellt werden und kam als unzustellbar zurück (Bl. 101f. d. BA). Inhaltlich wird auf den Bescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 22. Dezember 2016, bei Gericht eingegangen am 28. Dezember 2016, Klage gegen einen Bescheid des Bundesamts, Aktenzeichen …, vom 3. November 2016 [sic!], erhoben. Vorliegend beantragt er, die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zugunsten des Antragstellers als Angriff auf den Bescheid des Bundesamts vom 2. Dezember 2016, Gesch.-Z.: …, zu werten, § 88, § 86 Abs. 2, § 122 VwGO. Ein Bescheid „vom 3. November 2016, Aktenzeichen 6923610-251“ existiert nach Auskunft des Bundesamts und nach Aktenlage nicht; ein Bescheid war der Antragsschrift nicht beigegeben. Auf Aufforderung gemäß § 81 AsylG im Verfahren M 9 K 16.51302 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Februar 2017 den Bescheid des Bundesamts vom 2. Dezember 2016, Gesch.-Z.: …, vor. Die Nennung des Datums 3. November 2016 in der Antragsschrift beruht nach Aktenlage wohl auf einem Versehen, da der Antragsteller unter diesem Datum darauf hingewiesen wurde, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet werde (Bl. 68 d. BA). Das Geschäftszeichen weist offensichtlich einen Schreibfehler auf (-610 statt -616 am Ende).
Der so verstandene Antrag ist auch zulässig. Das Bundesamt versuchte, den Bescheid am 20. Dezember 2016 unter der Anschrift „…, …“ zuzustellen (Bl. 101f. d. BA). Der Antragsteller selbst hatte aber bereits unter dem 22. November 2016 die Änderung seiner Adresse dahingehend mitgeteilt, dass er aus der „…, …“ in den „…, …“ verlegt wurde (Bl. 84 d. BA). Diese Information deckt sich auch mit einer Mitteilung des Landratsamtes Dachau vom 20. September 2016 an das Bundesamt (Bl. 63 d. BA). Da die Adresse, an die zugestellt werden sollte, als solche nicht existiert, sondern eine versehentliche Vermengung beider Anschriften darstellt, kam der Bescheid als unzustellbar zurück. Ausweislich eines Helferkreisschreibens, „Erläuterung zur Klage/Antrag“ (Bl. 2 d. Gerichtsakts) hat der Antragsteller den Bescheid im Folgenden aber – wenn auch später als zum 20. Dezember 2016 – erhalten, was auch die Tatsache der Klageerhebung bzw. Antragstellung hiergegen belegt. Etwaige Zustellmängel sind damit geheilt, § 8 VwZG (VG Bayreuth, B.v. 2.6.2014 – B 1 S. 14.30240 – juris m.w.N.); es ist aber auch davon auszugehen, dass die Antragsfrist gewahrt ist.
Der Antrag ist aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u.a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, v.a. nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO. Die italienischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 3. November 2016 nicht geantwortet.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (VG München, B.v. 20.2.2017 – M 9 S. 17.50105 – juris; B.v. 3.1.2017 – M 8 S. 16.51189 – juris; BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NRW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Aus diesen Gründen bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden nicht behauptet (Bl. 54 d. BA) bzw. belegt.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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