Europarecht

Keine Aufhebung der Ausweisungsverfügung

Aktenzeichen  AN 5 K 18.02444

Datum:
4.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2384
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 9
VO (EG) 539/2001 Art. 1 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Anfechtungsklage ist unzulässig, wenn sie nicht gem. § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben wird, wobei die Klagefrist mit der Zustellung beginnt.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor, da der Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht wurde. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Klage konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandelt und entschieden werden, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäßen Ladung vom 22. November 2019 hingewiesen worden war, § 102 Abs. 2 VwGO. Die Ladung wurde dem damaligen Klägerbevollmächtigten mittels Empfangsbekenntnis am 25. November 2019 zugestellt.
Die Klage ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht erhoben wurde. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben werden, wobei die Klagefrist mit der Zustellung beginnt. Die Beklagte hat den streitgegenständlichen Verwaltungsakt gemäß Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG zu Recht öffentlich zugestellt, denn zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides war der Kläger unbekannten Aufenthalts. Der am 29. Oktober 2018 bekannt gemachte Verwaltungsakt galt gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 6 BayVwZVG am 12. November 2018 mit Ablauf von zwei Wochen als zugestellt (Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB entsprechend). Die Klagefrist endete damit mit Ablauf des 12. Dezember 2018. Die Klageschrift ging jedoch erst am 14. Dezember 2018, und damit verspätet, beim Verwaltungsgericht Ansbach ein.
Gründe für die Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO sind nicht ersichtlich; insbesondere begründet die vom ehemaligen Klägerbevollmächtigten vorgebrachte Ausreise des Klägers keinen Wiedereinsetzungsgrund, zumal die Ausreise erst nach Bestandskraft der streitgegen-ständlichen Verfügung erfolgte.
Im Übrigen ist die Klage aber auch vollumfänglich unbegründet. Die von der Beklagten verfügte Ausweisung, die verfügte Befristung der Wirkung der Ausweisung auf die Dauer von vier Jahren ab Ausreise/Abschiebung und die Androhung der Abschiebung für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Die in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids vom 26. Oktober 2018 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 37).
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Im Fall des Klägers liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Nach dieser Norm wiegt das Ausweisungsinteresse unter anderem dann schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen begangen hat. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzung, da er den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht hat, indem er sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhielt, obwohl er vollziehbar ausreisepflichtig und seine Abschiebung nicht ausgesetzt war.
Grundsätzlich ist gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Aufenthalt eines Ausländers nur rechtmäßig, wenn er von einem Aufenthaltstitel getragen wird. Demnach ist für die Einreise eines Ausländers ohne bestehende Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich ein Visum erforderlich. Eine Ausnahme zu dieser Regelung bildete der zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verfügung noch gültige, mittlerweile mit Art. 4 der VO (EU) 2018/1806 fortgeschriebene Art. 1 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) 539/2001. Nach dieser Norm waren Staatsangehörige der in Anhang II der VO (EG) 539/2001 aufgeführten Drittländer von der Visumpflicht befreit, wenn deren Aufenthalt 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschritt.
Der Herkunftsstaat des Klägers („Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“) war zwar in Anhang II der VO (EG) 539/2001 genannt. Der Kläger hat aber dennoch gegen § 4 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verstoßen, indem er am 7. März 2018 einreiste und die EU erst wieder am 25. Dezember 2018 verließ. Einen Nachweis dafür, dass er seit März 2018 einmalig oder gar mehrmals aus der EU ausgereist war, hat der Kläger nicht erbracht. Die Nichterweislichkeit behaupteter Ausreisen geht zu Lasten des Klägers, der nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verpflichtet ist, seine Belange und für ihn günstige Umstände unverzüglich geltend zu machen und nachzuweisen. Da der Kläger entsprechende Nachweise trotz Aufforderung nicht erbracht hat, ist davon auszugehen, dass er sich unter Verstoß gegen die Visumspflicht länger als 90 Tage ununterbrochen in den EU-Mitgliedsstaaten aufgehalten hat. Ob und ggf. wie der Verstoß strafrechtlich geahndet wurde ist für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses unerheblich (vgl. Bergmann/Dienelt/Bauer/Dollinger, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 54 Rn. 81).
Die Beklagte hat die Ausweisung auf generalpräventive Gründe gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (BVerwG, U.v.12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16). Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass – über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus – ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegende Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24).
Die konkreten generalpräventiven Erwägungen der Beklagten sind vorliegend nicht zu beanstanden. Es erscheint sachgerecht, kontinuierliche Rechtsverstöße auch ausländerrechtlich zu würdigen. Der illegale Aufenthalt stellt einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen die Rechtsvorschriften dar, da diesen Bestimmungen nicht nur formale Bedeutung zukommt. Es soll anderen Ausländern deutlich vor Augen geführt werden, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen wird, und zur unverzüglichen Aufenthaltsbeendigung mit allen rechtlichen Konsequenzen führt. Es sollen bei anderen Ausländern Hemmungen verstärkt werden, unter Umgehung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland einzureisen und sich hier aufzuhalten.
Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles, wie sie § 53 Abs. 1 AufenthG erfordert, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
Dem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse des Klägers steht im vorliegenden Fall kein typisiertes Bleibeinteresse entgegen.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger bis zu seiner Einreise in Nordmazedonien gelebt hat und mittlerweile auch wieder dort lebt, ist davon auszugehen, dass er sich dort wieder integrieren wird bzw. integriert hat. Im Rahmen einer Gesamtabwägung kommt die Kammer damit unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Keinen Bedenken begegnet auch die von der Beklagten getroffene Entscheidung, die Wirkung der Ausweisung und Abschiebung des Klägers auf vier Jahre, gerechnet vom Tag seiner Ausreise oder Abschiebung an, zu befristen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der seit 21. August 2019 geltenden Fassung ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreiseund Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentlichen Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die persönlichen Verhältnisse, die zur Ausweisung führenden Gründe und die diesbezüglich gemachten Ausführungen das Einreise- und Aufenthaltsverbot ermessensfehlerfrei auf vier Jahre befristet.
Im Übrigen folgt das Gericht den Gründen der angefochtenen Verfügung und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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