Europarecht

Keine Haftung der Porsche AG für eventuelle unzulässige Abschalteinrichtungen in von Audi geliefertem Dieselmotor (hier: Porsche Macan S Diesel V6 TDI EU6)

Aktenzeichen  10 O 6231/20

Datum:
8.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37979
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Porsche-Fahrzeugs, in das ein von Audi entwickelter Diesel-Motor eingebaut ist, vgl. auch OLG Köln BeckRS 2020, 25732; OLG München BeckRS 2020, 41015; BeckRS 2020, 44392; BeckRS 2021, 7739; OLG Dresden BeckRS 2020, 32522; BeckRS 2021, 6203; OLG Bamberg BeckRS 2021, 2533; BeckRS 2021, 31199; LG Augsburg BeckRS 2021, 8686; LG München I BeckRS 2020, 42410; LG München II BeckRS 2020, 43746; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 43093; BeckRS 2021, 37945; LG Würzburg BeckRS 2020, 44850. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Annahme eines Schädigungsvorsatzes der Verantwortlichen der Porsche AG steht entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Fahrzeugemissionen-VO keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hätte das Kraftfahrtbundesamt hinsichtlich der Zulässigkeit der temperaturabhängig gesteuerten Abgasrückführung Bedenken gehegt, so hätte es die Typgenehmigung nicht oder nicht ohne weiteres erteilt, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb den verantwortlichen Personen auf Seiten von Porsche gleichwohl bewusst gewesen sein soll, dass die Steuerung in dem von ihnen zugekauften Motor unzulässig ist. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist örtlich (§ 32 ZPO) und sachlich (§§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG) ständig.
B.
In der Sache hat die Klage keinen Erfolg.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Zahlung von … € Zug um Zug gegenüber Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
1. Vertragliche Ansprüche sind nicht ersichtlich. Unstreitig wurde der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht zwischen dem Kläger und der Beklagten, sondern zwischen dem Kläger und einem Autohaus geschlossen.
2. Deliktische Ansprüche sind ebenfalls nicht gegeben.
a. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB), sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen, … Abschalteinrichtung, … sind vom Kläger nicht ausreichend dargelegt worden. Über seine Behauptung, das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte unzulässige Abschalteinrichtungen ist kein Beweis doch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18).
(1) Zwar darf ein Kläger im Rechtsstreit auch solche Tatsachen behaupten, über deren Vorliegen er kein sicheres Wissen hat und ein solches nicht erlangen kann. Eine Partei kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (vgl. BGH, NJW-RR 2015, 829). So liegt es auch hier: Der Kläger kann, sofern er keine mutmaßlich aufwändige technische Untersuchung durchführen lässt, kein sicheres Wissen darüber haben, ob die Motorsteuerung seines Pkws so gestaltet ist, dass sie einen Prüfstandbetrieb erkennt und dann den Verbrennungsvorgang im Motor … so steuert, dass die relevanten Emissionsgrenzwerte, hier der EURO-6-Norm, eingehalten werden, während außerhalb des Prüfzyklus, also im gewöhnlichen Fahrbetrieb, der Vorgang anders gesteuert wird und es deshalb insbesondere zu höheren, nicht mehr normgerechten Stickoxid-Emissionen kommt. Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürliche Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt, was nur angenommen werden darf, wenn es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten für die Richtigkeit der betroffenen Behauptung fehlt (BGH, a.a.O., sowie NJW-RR 2004, 337).
(2) Im vorliegenden Fall fehlt es in diesem Sinne an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten. Weder hatte der Kläger solche aufgezeigt noch sind sie sonst für das Gericht in irgendeiner Weise erkennbar.
(a) Offenkundig ist, dass die inzwischen allgemein bekannte Verwendung einer manipulativen Motorsteuerung in Fahrzeugen des … Konzerns, die mit dem Motor der Baureihe EA 189 ausgestattet sind, für den Streitfall keinerlei Aussagekraft haben kann. Denn dieser Motor ist im Fahrzeug des Klägers unstreitig nicht eingebaut.
(b) Eine unzulässige an die Erkennung des Prüfstandsbetriebes gekoppelte Beeinflussung der zur Reduzierung der Stickoxid-Emissionen dienenden Abgasrückführung wurde im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp vom Kraftfahrtbundesamt nicht festgestellt. …
Nach Ansicht des Gerichts, liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über keine bestandskräftige Typgenehmigung des Kraftfahrtbundesamtes verfügt. Das Fahrzeug der Klagepartei wurde unstreitig im Oktober 2016 mit dem durch das Kraftfahrtbundesamt mit Schreiben vom 12.09.2016 freigegebenen Software-Update „WG22“ bespielt. Des Weiteren ist unstreitig, dass das auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes vom … entwickelte Software-Update „AJ07“ am streitgegenständlichen Fahrzeug der Klagepartei im September 2018 durchgeführt wurde.
Das Gericht verkennt hierbei zwar nicht, dass die Rückrufaktion auch grundsätzlich, ohne Differenzierung durch das Kraftfahrtbundesamt, das streitgegenständliche Fahrzeug umfasst hat. Es kann aus dem Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt mit Bescheid vom … die Nachbesserung für alle Fahrzeuge des streitgegenständlichen Modells verpflichtend erklärt hat, im Vorliegenden jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass das Fahrzeug mit Software-Update nicht zulassungsfähig bzw. einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt ist, weil es den einschlägigen Abgasnormen nicht entspricht. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt, in Abweichung zu weiteren Fahrzeugen des streitgegenständlichen Modells, unstreitig aufgrund einer freiwilligen Servicemaßnahme über das nach dem Kraftfahrtbundesamt erforderliche Software-Update „WG22“ und folglich nicht mehr über die als unzulässig eingestufte Bedatung …
b. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB), sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sog. thermischen Fensters gegeben.
(1) Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB. Nach § 823 Abs. 1 BGB ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum oder ein sonstiges absolutes Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Die gleiche Verpflichtung trifft gemäß § 823 Abs. 2 S. 1 BGB denjenigen, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Bei dem Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein solches Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Betrug im Sinne des § 263 StGB ist die Vermögensschädigung durch Täuschung eines anderen in Bereicherungsabsicht. Er setzt im äußeren Tatbestand eine Täuschungshandlung des Täters, einen Irrtum des Getäuschten, eine Vermögensverfügung des Getäuschten und einen Vermögensschaden des Getäuschten oder eines anderen voraus; im inneren Tatbestand einen erstrebten (nicht notwendig erreichten) rechtswidrigen Vermögensvorteil des Täters oder eines Dritten. Zwischen den Merkmalen des äußeren Tatbestandes muss ein kausaler und funktionaler Zusammenhang und zwischen dem Schaden und dem Vorteil die sogenannte Stoffgleichheit bestehen. Geschütztes Rechtsgut ist dabei ausschließlich das Vermögen; nicht die Redlichkeit im Geschäftsverkehr und auch nicht die Dispositionsfreiheit als solche (vgl. Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Rn. 1, 2 m.w.N.).
Eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB durch die Beklagte vermag das Gericht nicht festzustellen. Die Beklagte müsste zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung oder einer anderen unzulässigen Steuerung gehandelt haben, und zwar zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs (OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19 mit weiteren Nachweisen), hier also im Jahr 2015. Der heutige Meinungsstand – und insbesondere die heutige Auffassung eines Zivilgerichts – ist dagegen nicht maßgeblich (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19 mit weiteren Nachweisen), ebenso wenig die Auffassung der Generalstaatsanwältin in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-693/18 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union am 30.04.2020, wonach die Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eng auszulegen sei.
Der Annahme des Vorsatzes steht hier entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, nämlich Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10, keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Steuerung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte konnte vielmehr durchaus annehmen, dass der von ihr zugekaufte Motor mit Steuerung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei. Denn insbesondere die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen war nicht derart eindeutig, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Beklagte, wie in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben, zur Erlangung der EG-Typgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems, einschließlich seines Funktionierens bei niedrigeren Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emission gemacht hat, so dass dem Kraftfahrbundesamt bei Erteilung der Typgenehmigung u.a. die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm aber – offensichtlich – nicht beanstandet worden ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Dass die EG-Typgenehmigung trotz Fehlens der vorgeschriebenen Angaben erteilt worden ist, kann ausgeschlossen werden (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Hätte das Kraftfahrtbundesamt hinsichtlich der Zulässigkeit der temperaturabhängig gesteuerten Abgasrückführung Bedenken gehegt, so hätte es die Typgenehmigung nicht oder nicht ohne weiteres erteilt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Weshalb den verantwortlichen Personen auf Seiten der Beklagten gleichwohl bewusst gewesen sein sollte, dass der von ihnen zugekaufte Motor mit Steuerung unzulässig sei, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht hinreichend aufgezeigt. War aber insbesondere die Einstufung der temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung aufgrund der damals (2015) geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene, so ist der Schluss nicht gerechtfertigt, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und somit die Typgenehmigungsbehörde und damit auch die Käufer täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19).
Im vorliegenden Fall hat die hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei auch nicht hinreichend konkret Personen mit entsprechenden Handlungen benannt, die als Täter eines Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB im vorliegenden Sachverhalt in Bezug auf den streitgegenständliche Fahrzeugtyp in Betracht kommen, mithin alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Straftatbestandes verwirklicht haben. Die Beklagte selbst kann als juristische Person keine Straftaten begehen (§ 14 StGB). Handlungen ihrer Vorstandsmitglieder oder verfassungsmäßig berufenen Vertreter werden ihr jedoch gemäß § 31 BGB zugerechnet. Die Klagepartei hat nicht vorgetragen, welche Person im Sinne des § 31 BGB wann genau welche Kenntnisse hinsichtlich der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp hatte und welche konkreten Handlungen diese Person vorgenommen hat. Dies ist jedoch grundsätzlich erforderlich (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19, BeckRS 2019, 17247; OLG Brandenburg, Urteil vom 19.02.2019, Az.: 7 U 134/17, zitiert nach juris).
Vorliegend ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte gerade nicht selber Herstellerin des im streitgegendständlichen Fahrzeug verbauten Motors samt Motorsteuerung ist, sondern diese(n) von einer anderen juristischen Person, nämlich der … zukaufte. Die Entwicklungshoheit lag also bei der … und gerade nicht bei der Beklagten. Die Beklagte trug hierzu im Rahmen ihrer sekundären Darlegungs- und Beweislast substanziiert vor, dass sie keine eigene Fachkompetenz für die Entwicklung und Herstellung von Dieselaggregaten hat und die Beauftragung der … nicht nur die Entwicklung eines ordnungsgemäß funktionierenden Motors umfasste, der die vertraglich vereinbarten Anforderungen erfüllt, sondern auch die sog. Applikation, nämlich die sog. Vernetzung der Antriebseinheit mit dem Fahrzeug. Hinsichtlich der Entwicklung und Herstellung von Dieselmotoren verfügt(e) die Beklagte über keine eigene Fachkompetenz.
(2) Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 besteht ebenfalls nicht. Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Zwar können EU-Verordnungen im Einzelfall grundsätzlich Schutzgesetze gemäß § 823 Abs. 2 BGB darstellen, im vorliegenden Fall kommt Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 jedoch bereits keine individualschützende, das heißt insbesondere das Vermögen Privater schützende Funktion zu. Ausweislich der Erwägungsgründe zu der vorzitierten Verordnung dient diese der Verwirklichung des Binnenmarktes (vergleiche Ziffer 1 der Erwägungsgründe) sowie der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere zur Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vergleiche Ziffer 5 und 6 der Erwägungsgründe).
(3) Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht ebenfalls nicht. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Diese Vorschriften der EG-FGV, welche die Richtlinie 2007/46/EG in nationales Recht umsetzen, berücksichtigen nicht den Schutz individueller Interessen, sondern stellen eine (nur) die Allgemeinheit schützende Norm dar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Individualschutz – hier der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs – im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften liegt oder aber aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Richtlinie 2007/46/EG folgt.
Aus den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) der Richtlinie 2007/46/EG ergibt sich eindeutig, dass das Ziel der Richtlinie in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist. Überdies sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung. Auch sonstige Erwägungsgründe der Richtlinie, insbesondere die unter Nrn. 14 und 17 genannten, betreffen neben den bereits genannten Erwägungsgründen ausschließlich weitere Allgemeingüter, nämlich ein hohes Umweltschutzniveau, den Schutz der Gesundheit und den Schutz der Verbraucher, ohne dass der Vermögensschutz des Einzelnen darin angesprochen wäre.
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Zweck der Art. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG selbst, deren Umsetzung die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen. Soweit nach Art. 26 Abs. 1 die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen gestatten, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind, zielt dies auf die Erleichterung des Binnenmarktes; Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie auf den Schutz des Vermögens des Autokäufers abstellt, ergeben sich nicht.
(4) Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte ergibt sich auch nicht aus § 826 BGB.
§ 826 BGB ist als übergeordnete allgemeine Norm des Schadensrechts grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des BGB anwendbar und ergänzt insoweit die konkreten Tatbestände des § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Teichmann in Jauernig, BGB, 17. Aufl., § 826 Rn. 2). Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen gemäß § 826 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt vor, soweit Kaufinteressenten durch eine bewusste Täuschung zum konkreten Kauf bewegt werden sollen (allgemein: LG Dortmund, Urteil vom 15.01.2019 – 12 O 262/17 – BeckRS 2019, 2183 ff., Rn. 86 f.).
Auch hier gilt, dass die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen trägt. Sie hat aber, wie bereits oben ausgeführt, nicht substanziiert vorgetragen, welche konkrete Person im Sinne des § 31 BGB wann genau welche Kenntnisse hinsichtlich der Abschalteeinrichtung bzw. der weiteren Steuerung im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp hatte und diesen Tatbestand zu ihren Lasten durch Handeln oder Unterlassen verwirklicht haben soll. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB verwiesen.
Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht bereits deshalb gegeben, weil die Beklagte den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) ausgestattet und in Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren, da diese temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Dies gilt selbst dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (zu allem: BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 13, 18). Vielmehr bedarf es dem Hinzutreten weiterer Umstände, wonach die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nehmen. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 13, 19). Hierzu kann auf das oben Ausgeführte verwiesen werden.
Im Übrigen wäre es auch mit der Tatbestandswirkung der vom Kraftfahrtbundesamt bestandskräftig erteilten und unverändert wirksamen Typengenehmigung nicht vereinbar, wenn das erkennende Gericht annehme, die Beklagte habe (auch) dem Kläger gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen sogenannten Abschalteinrichtung versehen sei, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 15.09.2020, 5 U 1331/20, 11.2.1. m.w.N.). Die Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes besagt nämlich, dass dann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt erlassen hat, der eine bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaubt, etwa durch eine Genehmigung, die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte so lange entzogen ist, als der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 15.09.2020, 5 U 1331/20, II.2.1. m.w.N.). Hierbei war das im Hinblick auf die EG-Typengenehmigung unstreitig nicht der Fall.
(5) Ein Anspruch der Klagepartei gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 826 BGB und gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB ist ebenfalls nicht gegeben. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB stellt keine Zurechnungsnorm, sondern einen eigenständigen Haftungstatbestand dar. Der Verrichtungsgehilfen muss den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 826 BGB bzw. des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB erfüllt haben und zwar rechtswidrig (Sprau in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 831, Rn. 8) sowie auch subjektive Elemente der unerlaubten Handlung, nämlich Vorsatz gemäß § 826 BGB und bei vorsätzlicher Straftat wie hier der des Betrugs im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB (Sprau in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 831, Rn. 8). Auch hier gilt das oben Ausgeführte. Ebenso wie zu einem Handeln bzw. einer Kenntnis von Organen der Beklagten fehlt es auch am schlüssigen Vorbringen des Klägers in Bezug auf Verrichtungsgehilfen.
II.
Die Zinsansprüche/Nebenforderung im Klageantrag Ziffer 1. sowie die weiteren Klageanträge teilen das Schicksal der Hauptforderung.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO. § 708 Nr. 11, 2. Alt. ZPO ist hier nicht anwendbar, da die isolierte Kostenvollstreckung € … überschreitet.

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