Aktenzeichen 17 C 4963/19
ROM-I-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz
Eine Wahl russischen Rechts liegt nicht vor, wenn eine Fluggesellschaft in ihren AGB ausführt, dass diese „auf der Grundlage des Artikels 102 des Luftfahrgesetztes der Russischen Föderation und der Föderalen Luftfahrtbestimmungen „Allgemeine Regeln für die Luftbeförderung von Passagieren, Gepäck und Fracht sowie Anforderungen an den Service für Passagiere, Absender und Empfänger“ verfasst“ wurden. Gemäß Art. 3 Abs. 1 ROM-I-VO muss die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die vorliegenden AGB genügen nicht diesem Maßstab. Die Klausel suggeriert lediglich, dass die folgenden Klauseln mit dem Luftfahrtgesetzt der Russischen Föderation und der Föderalen Luftfahrtbestimmungen übereinstimmen. Nach Art. 5 Abs. 2 ROM-I-VO ist daher das anzuwendende Recht das Recht des Staates anzuwenden, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.627,15 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 42,97 € seit 13.07.2019, aus 53,37 € seit 13.07.2019, aus 122,96 € seit 16.05.2019, aus 395,52 € seit 29.04.2019, aus 53,07 € seit 21.04.2019, aus 44,17 € seit 25.04.2019, aus 108,54 € seit 17.04.2019, aus 423,10 € seit 12.04.2019, aus 40,53 € seit 30.03.2019, aus 309,46 € seit 08.04.2019, aus 430,66 € seit 13.03.2019, aus 86,76 € seit 13.03.2019, aus 96,92 € seit 22.03.2019, aus 323,54 € seit 23.11.2018, aus 84,61 € seit 06.11.2018, aus 10,97 € seit 20.06.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.627,15 € festgesetzt.
Gründe
I. Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin kann von der Beklagten aus abgetretenem Recht Steuer- und Gebührenrückerstattung nach Flugstornierung in Höhe von insgesamt 2.627,15 € aus §§ 812 Abs. 1 S. 2, 398 BGB verlangen.
1. Hinsichtlich des Zendenten A. B. ist die beklagte Partei passivlegitimiert.
Ausweislich der Buchungsbestätigung hat die beklagte Partei den Flug zwar nicht selbst ausgeführt, ob sie daher das ausführende Luftfahrtunternehmen im Sinne des Art. 2 VO (EG) Nr. 261/2004 ist, kann aber dahinstehen. Vorliegend handelt es sich nicht um Ausgleichsansprüche aus der VO (EG) Nr. 261/2004, sondern um bereicherungsrechtliche Rückerstattungsansprüche nach §§ 648 S. 2, 812 Abs. 1 S. 1. S. 2 Alt. 2 BGB aus dem Beförderungsvertrag. Ausweislich dem Beförderungsvertrag ist die beklagte Partei „carrier“ also das vertragliche Luftfahrtunternehmen (BeckOK Fluggastrechte-VO/Hopperdietzel Fluggastrechte-VO Art. 2 Rn. 9). Wer den Flug tatsächlich durchgeführt hat ist irrelevant, da es lediglich auf die vertragliche Beziehung ankommt, aus welcher sich der Anspruch ergibt.
2. Die im Flugpreis enthaltenen Steuern wie MwSt, Gebühren sind zu erstatten, wenn der Flug nicht angetreten wird, vgl. Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Auflage 2019, Kap. 9, § 35 Rn. 51 (1) m.w.N. Denn diese Flugnebenkosten fallen nur an, wenn der Fluggast den Flugschein tatsächlich in Anspruch nimmt. Dieser bereicherungsrechtliche Rückerstattungsanspruch besteht auch dann, wenn wie vorliegend ein Tarif gewählte wurde, der die Erstattung des Ticketpreises ausschließt (sog. „no refundable“). Ein etwaiger Ausschluss der Erstattung der Steuern und Gebühren, die ausschließlich im Falle des tatsächlichen Antritts der Flugreise anfallen, in den AGB der Beklagten, wäre sowohl als unangemessene Benachteiligung des Fluggastes nach §§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB, als auch nach §§ 308 Nr. 7 lit. b, 309 Nr. 6 BGB unwirksam, vgl. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 14.12.2017, 2-24 O 8/17, RRa 2018, 127.
Dies gilt auch, obwohl es sich bei der beklagten Partei um eine ausländische Fluggesellschaft handelt.
Es lässt sich nicht klar erkennen, dass die beklagte Partei in ihren AGBs eine Rechtswahl zugunsten russischem getroffen hat. Gemäß Art. 3 Abs. 1 ROM-I-VO muss die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die beklagte Partei führt in ihren AGBs aus, dass diese „auf der Grundlage des Artikels 102 des Luftfahrgesetztes der Russischen Föderation und der Föderalen Luftfahrtbestimmungen „Allgemeine Regeln für die Luftbeförderung von Passagieren, Gepäck und Fracht sowie Anforderungen an den Service für Passagiere, Absender und Empfänger“ verfasst“ wurden. Dies lässt nicht klar erkennen, dass für die auf der Basis abgeschlossenen Verträge anhand russischem Recht abgeschlossen werden. Es suggeriert lediglich, dass die folgenden Klauseln mit dem Luftfahrtgesetzt der Russischen Föderation und der Föderalen Luftfahrtbestimmungen übereinstimmen. Es lässt sich auch sonst aus den Bestimmungen oder den Umständen des Falles keine eindeutige Rechtswahl ableiten. Die beklagte Partei führt internationale Flüge durch, sodass sich nicht ausschließlich aus ihrem Sitz in Russland die Rechtswahl treffen lässt.
Nach Art. 5 Abs. 2 ROM-I-VO ist daher das anzuwendende Recht das Recht des Staates, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die ist vorliegend unstreitig Deutschland.
3. Die Kündigungserklärung der Zedenten ist konkludent durch Nichtantritt der gebuchten Flüge erfolgt. Eine Kündigung des Luftbeförderungsvertrags nach § 648 BGB ist bis zum Antritt der Flugreise grundsätzlich jederzeit ohne Angabe von Gründen formfrei möglich. Die Kündigungserklärung ist zwar eine einseitige empfangsbedürftige rechtsgestaltende Willenserklärung. Sie kann dabei aber auch konkludent erfolgen, indem der Fluggast durch sein Verhalten den Wunsch nach Vertragsbeendigung eindeutig zum Ausdruck bringt. Dies ist für den Fall, dass der gebuchte Passagier unentschuldigt nicht zum Check-In oder nicht mehr am Abfluggate erscheint (sog. „no show“), zu bejahen, vgl. zu § 651 h BGB Führich/Staudinger, a.a.O., Kap. 2, § 16, Rn. 7 (2) m.w.N.
II. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
III. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.