Aktenzeichen W 8 S 19.50543
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. d
Leitsatz
1 Die Schweiz nimmt – obwohl sie kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist – an den Regelungen der Dublin-Verordnungen teil. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Schweiz sind keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Umstand, dass das Schweizer Recht keinen förmlichen Schutzstatus wie den subsidiären Schutz ausdrücklich kodifiziert enthält, begründet keinen systemischen Mangel. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste am 7. Mai 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch und stellte am 15. Mai 2019 einen förmlichen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 22. Mai 2019 erklärten die schweizerischen Behörden mit Schreiben vom 5. Juni 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 5. Juni 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung in die Schweiz wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 12. Juni 2019 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 19.50542 zu Protokoll der Urkundsbeamtin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und brachte im Wesentlichen weiter vor: Er könne unter keinen Umständen in die Schweiz zurückkehren. Obwohl er alle Unterlagen beigebracht und alles gesagt habe, sei er abgelehnt worden. Er verstehe nicht, warum er wieder dorthin solle. Es würde sich nichts ändern. Es würden wieder dieselben Personen über ihn negativ entscheiden. Er wolle, dass über seinen Antrag im nationalen Verfahren in Deutschland entschieden werde, da er kein Vertrauen mehr in die Schweiz und die dortigen Abläufe habe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 18.50542) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheides vom 5. Juni 2019 begehrt.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 5. Juni 2019 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Die Schweiz ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig (vgl. § 34a, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Die Schweizer Behörden haben ausdrücklich ihre dahingehende Zuständigkeit bejaht.
Die Schweiz nimmt – obwohl sie kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist (insoweit ist die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid unscharf) – an den Regelungen der Dublin-Verordnungen teil (vgl. Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrages sowie Notenaustausch vom 14.8.2013 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Dublin III-VO zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist). Gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 des Abkommens wendet die Schweiz die Dublin-Verordnungen in ihren Beziehungen zu den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union an und umgekehrt. Bezugnahmen auf die Mitgliedsstaaten schließen die Schweiz ein, Art. 1 Abs. 5 des Abkommens (vgl. VG Arnsberg, U.v. 5.10.2018 – 12 K 10049/17.A – juris; VG Greifswald, B.v.6.12.2017 – 6 B 2236/17 As HGW – juris; OVG Berlin-BBG, U.v. 22.1.2016 – OVG 3 B 2.16 – Asylmagazin 2017, 115).
Die Überstellung in die Schweiz ist auch nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34a AsylG). Außergewöhnliche Umstände die möglicherweise für einen Selbsteintritt gemäß § 3 Abs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend weder substanziiert vorgebracht noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. OGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVWZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem der Schweiz an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt wären.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im Asylsystem der Schweiz, zumal der Kläger dahingehend nicht Substanziiertes vorgebracht hat. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in der Schweiz keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung und finanzielle Unterstützung, sofern sie bedürftig sind (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Schweiz, v. 16.11.2017, S. 8 ff.). Die Schweiz beachtet die Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Insofern besteht kein Anlass zu zweifeln, dass die Schweiz die rechtlichen Vorgaben einhält (vgl. m.w.N. VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 44/19 – juris; VG Würzburg, B.v. 1.3.2019 – W 8 S 19.50160 – juris; U.v. 16.1.2018 – W 8 K 17.50655 – juris; B.v. 9.11.2017 – W 4 S 17.50715; VG Düsseldorf, B.v. 21.1.2019 – 22 L 3215/18.A – juris; B.v. 20.3.2018 – 22 L 79/18.A – juris; VG Leipzig, U.v. 19.9.2018 – 6 K 445/18.A – juris; VG München, B.v. 12.7.2018 – M 18 S 18.51044 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 4.1.2018 – 6a L 3589/17.A – juris; B.v. 22.11.2017 – 6a L 3327/17.A – juris; VG Greifswald, B.v. 6.12.2017 – 6 B 2236/17 As HGW – juris). Der Umstand, dass das Schweizer Recht keinen förmlichen Schutzstatus wie den subsidiären Schutz ausdrücklich kodifiziert enthält, führt nach dem Vorstehenden zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass hier beim Antragsteller Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes vorlägen, die nach Schweizer Recht nicht zu einer Schutzgewährung führen würden, obwohl sie nach europäischem Unionsrecht vom subsidiären Schutz erfasst wären (siehe näher VG Düsseldorf, B.v. 21.1.2019 – 22 L 3215/18.A – juris).
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat.
Das Vorbringen des Antragstellers, er habe kein Vertrauen mehr in die Schweiz und die dortigen Abläufe, sein Antrag sei abgelehnt worden, obwohl er alle Unterlagen beigebracht und alles gesagt habe, bei einer Rückkehr würde wieder negativ entschieden werden, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn auch die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers in der Schweiz, verbunden mit einer ihm möglicherweise drohenden Abschiebung in sein Heimatland, führt nicht zu einer Zuständigkeit der Antragsgegnerin verbunden mit einer nochmaligen Prüfung seines Schutzbegehrens in Deutschland (vgl. VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 44/19 – juris m.w.N.). Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zu Recht darauf hingewiesen, dass es dem Antragsteller freistehe, einen Folgeantrag in der Schweiz zu stellen. Nach der Systematik der Dublin-Regelung sei davon auszugehen, dass die Schweiz der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Prüfung des Asylbegehrens nachkomme. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Heimatland zu rechnen hätten, sei kein hier relevanter Mangel des Asylverfahrens und auch im Übrigen nicht menschenrechtswidrig. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in der Schweiz ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird. Der Asylbewerber hat insbesondere kein Wahlrecht, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-VO, nach denen die vom Antragsteller genannten Gründe keine Rolle spielen.
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich.
Im Ergebnis hat der Antragsteller keinen Anspruch, dass die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung vorläufig ausgesetzt wird.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.