Aktenzeichen M 1 K 17.52261
AufenthG § 60 Abs. 5,Abs. 7 S. 1
VwGO § 101 Abs. 2
AsylG § 83b
RDGEG § 3, § 5
Leitsatz
Tenor
I. Der Bescheid vom 15. August 2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht de Kläger vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Gründe
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung getroffen worden, da die Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Überstellungsfrist ist vorliegend abgelaufen, so dass die Zuständigkeit auf die Beklagte übergegangen ist.
Die sechsmonatige Frist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO begann mit Eintritt der Zuständigkeitsfiktion am 1. März 2018 zu laufen und ist am 1. September 2018 abgelaufen.
Diese sechsmonatige Überstellungsfrist ist auch nicht nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO verlängert worden. Die Überstellungsfrist kann nach dieser Vorschrift höchstens auf achtzehn Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Der Kläger war jedoch nicht flüchtig im Sinne dieser Vorschrift. Flüchtig ist eine Person dann, wenn sie über einen erheblichen Zeitraum hinweg aus von ihr zu vertretenden Gründen nicht auffindbar ist (vgl. VGH BW, B.v. 6.8.2013 – 12 S 675.13 – juris VG München, U.v. 23.12.2016 – M 1 K 15.50681; U.v. 29.10.2015 – M 2 K 15.50211 – juris Rn. 25;). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, da sich der Kläger lediglich im sogenannten Kirchenasyl befand und sein Aufenthaltsort den Behörden durchgehend bekannt war (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 20 ZB 18.50011; OVG Lüneburg, B.v. 25.7.2019 – 10 LA 155.19 – juris Rn. 9; OVG Schleswig-Holstein, B.v. 23.3.2018 – 1 LA 7.18 – juris Rn. 5. Leitsatz und Rn. 18; VG München, U.v. 2.3.2016 – M 7 K 15.50392 – juris Rn. 21; VG München U.v. 11.11.2015 – M 16 K 15.50306 – juris Rn. 21; VG Würzburg, U.v. 31.8.2015 – W 3 K 14.50040 – juris Rn. 25). Bereits mit Schreiben vom 11. April 2018 hat die Evangelischlutherische Kirchengemeinde St. … dem Bundesamt die Mitteilung übersandt, dass der Kläger sich dort im Kirchenasyl befindet. Mit Schreiben vom 19. November 2018 teilte die katholische Pfarrgemeinde St. … mit, dass der Kläger sich nun dort im Kirchenasyl befinde.
Die Sachlage bei einer sich im Kirchenasyl befindlichen Person ist nicht mit jener vergleichbar, die bei einer inhaftierten oder flüchtigen Person vorliegt. Ist eine Person inhaftiert oder flüchtig, so ist eine Überstellung unmöglich. Die Möglichkeit der Fristverlängerung nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO soll als Ausnahme von dem den Fristen des Dublin-Systems zugrunde liegenden Beschleunigungsgrundsatz ein längeres Zuwarten bei der Rücküberstellung ermöglichen, weil ein tatsächliches oder rechtliches Hindernis die Einhaltung der Frist vereitelt. Ein solches Hindernis, das einen vergleichbaren Ausnahmefall rechtfertigen könnte, besteht beim sogenannten Kirchenasyl nicht. Der Staat ist weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert, die Überstellung durchzuführen. Er verzichtet vielmehr bewusst darauf, das Recht durchzusetzen. Es existiert kein Sonderrecht der Kirchen, aufgrund dessen die Behörden bei Aufnahme einer Person in das Kirchenasyl gehindert wären, eine Überstellung durchzuführen und hierzu gegebenenfalls unmittelbaren Zwang anzuwenden. Der Umstand, dass die für die Aufenthaltsbeendigung zuständigen Behörden wohl davor zurückschrecken, die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bei Personen im Kirchenasyl auszuschöpfen, also insbesondere auch unmittelbaren Zwang in kirchlichen Räumen anzuwenden, macht die Überstellung nicht unmöglich. Der freiwillige Verzicht auf eine Rücküberstellung im Fall des Kirchenasyls ist nicht anders zu bewerten, als die Fälle, in denen eine Rücküberstellung mangels entsprechender Vollzugskapazitäten oder anderer in der Sphäre des Staates liegender Umstände nicht möglich ist. Eine in der Sphäre der Klagepartei liegendes Hindernis für den Vollzug der Rücküberstellung, wie im Fall der Flucht, ist nicht gegeben (vgl. VG München, U.v. 23.12.2016 – M 1 K 15.50681).
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.