Aktenzeichen W 3 K 16.332
Leitsatz
Die Zuständigkeit des bisher zuständigen örtlichen Trägers bleibt nur dann bestehen, wenn die Elternteile nach § 86 Abs. 5 S. 1 SGB VIII verschiedene gewöhnliche Aufenthalte erstmals nach Beginn der Leistung begründen. § 86 Abs. 5 S. 2 Alt. 2 SGB VIII bezieht sich demnach nur noch auf Fälle, in denen auch § 86 Abs. 5 S. 1 BGB tatbestandlich gegeben ist (Abkehr von der bisherigen Rspr. des BVerwG, vgl. BVerwG BeckRS 2014, 45918, aufgrund geänderter Gesetzeslage). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für das Kind L… seit dem 15. Juli 2014 bis zum 31. März 2016 angefallenen Jugendhilfekosten in Höhe von 33.390,25 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2016 zu erstatten.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über die Klage kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten ab dem 15. Juli 2014 bis zum 31. März 2016 einen Anspruch auf Erstattung von Jugendhilfekosten für das Kind L… … in Höhe von 33.390,25 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2016.
Für den Zeitraum vom 15. Juli 2014 bis zum 30. November 2015 ergibt sich dieser Anspruch aus folgenden Erwägungen:
Nach § 89c Abs. 1 Satz 1 des Achten Sozialgesetzbuchs i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3464) bzw. 28. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1802 – SBG VIII -), sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist. Gemäß § 86c Satz 1 SGB VIII bleibt im Falle des Wechsels der örtlichen Zuständigkeit der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich grundsätzlich nach § 86 SGB VIII. Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Haben die Elternteile verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, so ist der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII). Steht die Personensorge keinem Elternteil zu, richtet sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils, bei dem das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Leistung zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 86 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Begründen die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, so wird gemäß § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Solange in diesen Fällen die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen (§ 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII).
Zu Beginn der Leistung am 22. November 2013 war der Kläger für die Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII unstreitig örtlich zuständig gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kindesmutter das alleinige Sorgerecht und wohnte im Bereich des Klägers.
Mit Entzug des Sorgerechts am 26. Februar 2014 änderte sich die örtliche Zuständigkeit nicht. Unabhängig davon, ob sich die örtliche Zuständigkeit nun nach § 86 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII oder § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII richtete, war der Kläger weiter zuständig. Die Kindesmutter wohnte weiterhin in seinem Bereich und er war auch der bisher zuständige örtliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
Eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung ergab sich nach Ansicht des Gerichts jedoch am 15. Juli 2014 aus dem Umstand, dass die Kindesmutter in den Bereich des Beklagten verzog. Da die Eltern bereits zu Beginn der Hilfeleistung im Jahr 2013 verschiedene gewöhnliche Aufenthalte hatten, kommt es vorliegend – unter Anwendung der Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2014 – zur Geltung des § 86 Abs. 3 SGB VIII i.V.m § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII greift in diesen Fällen nicht mehr, er muss der neuen Rechtslage entsprechend ausgelegt werden.
Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz – KJVVG) vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3464) in § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII mit Wirkung zum 1. Januar 2014 drei Worte eingefügt und die Norm nunmehr wie folgt gefasst: „Solange in diesen Fällen die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen.“
§ 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in der Fassung vor der Änderung durch Gesetz vom 29. August 2013 (a.F.) lautete dagegen: „Solange die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen.“
Das Gericht ist der Auffassung, dass § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII nunmehr dahingehend zu verstehen ist, dass die bisherige Zuständigkeit nur dann bestehen bleibt, wenn die Elternteile nach § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII verschiedene gewöhnliche Aufenthalte erstmals nach Beginn der Leistung begründen; § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII bezieht sich demnach nur noch auf Fälle, in denen auch § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII tatbestandlich gegeben ist; die bisher hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist aufgrund des geänderten Gesetzeswortlauts nicht mehr anwendbar.
Durch die Gesetzesänderung regelt § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII daher nicht mehr alle Fälle, in denen die Eltern keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben und keinem Elternteil das Sorgerecht zusteht, unabhängig davon, wann die unterschiedlichen gewöhnlichen Aufenthalte begründet wurden. Vielmehr greift bei einem Wohnortwechsel eines Elternteils, wenn schon zu Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte der Eltern vorlagen, § 86 Abs. 3 SGB VIII und sorgt mit seiner Verweisung nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII dafür, dass die Zuständigkeit grundsätzlich dynamisch an den gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils gebunden ist, bei dem das Kind vor Beginn der Leistung zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war der Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 SGB VIII zunächst insgesamt weit verstanden worden. Die Norm sollte sämtliche Fallgestaltungen erfassen, in denen die Eltern nach Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besitzen, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt erstmals verschiedene Aufenthalte begründet wurden. Die zeitliche Abfolge der zuständigkeitsrelevanten Kriterien hatte nach dieser Rechtsprechung keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit des § 86 Abs. 5 SGB VIII (BVerwG, U.v. 9.12.2010 – 5 C 17/09 – BVerwGE 139, 378/381; BVerwG, U.v. 19.10.2011 – 5 C 25/10 – BVerwGE 141, 77/85; vgl. auch BayVGH, U.v. 22.1.2013 – 12 BV 12.2585 – juris).
Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil aus dem Jahr 2013 teilweise geändert. Danach soll sich § 86 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII nunmehr lediglich auf solche Fallgestaltungen beziehen, in denen die Eltern nach Leistungsbeginn erstmals verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründen und in der Folge beibehalten (BVerwG, U.v. 14.11.2013 – 5 C 34/12 – BverwGE 148, 242/246). Auch § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 SGB VIII a.F. galt nach dieser Rechtsprechung nur in Bezug auf § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII, sollte also nur bei erstmaligem Begründen verschiedener Aufenthalte nach Beginn der Leistung gelten (BVerwG, U.v. 14.11.2013, a.a.O., 242/250).
Dagegen sollte sich § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a.F. weiterhin auf alle Fallkonstellationen verschiedener Aufenthalte der Eltern beziehen. Begründet wurde dies im Wesentlichen mit dem Gedanken, dass es einer räumlichen Nähe des Jugendamtes zu den Eltern regelmäßig nicht bedarf, wenn die Eltern gar nicht sorgeberechtigt für den Hilfeempfänger sind. In diesen Fällen bestehe auch keine Notwendigkeit mehr, die örtliche Zuständigkeit weiter an den gewöhnlichen Aufenthalt eines Elternteils zu binden (BVerwG, U.v. 14.11.2013, a.a.O., 242/248 f.; eine Darstellung der Rechtsprechung findet sich bei Bohnert in Hauck/Noftz, SGB VIII 05/16, § 86 Rn. 68 ff.).
Diese Rechtsprechung ist jedoch aufgrund der neuen Rechtslage nicht mehr anzuwenden. Eine Auslegung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII ergibt nunmehr, dass er sich vollständig auf den Tatbestand des § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII bezieht, mithin auch dessen Voraussetzungen vorliegen müssen.
Dieses Ergebnis ergibt sich zum einen aus dem seit dem 1. Januar 2014 geltenden Wortlaut des Gesetzes. In § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII heißt es nun ausdrücklich, dass „in diesen Fällen“ die bisherige Zuständigkeit bestehen bleibt. Hierdurch wird nunmehr deutlich, dass sich Satz 2 tatbestandlich auf die Fälle des Satzes 1 beziehen soll. Satz 1 regelt ausdrücklich – auch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (s.o.) – die Fälle, bei denen die Elternteile erstmals nach Beginn der Leistung gewöhnliche Aufenthalte begründen. Daher wird schon im Rahmen der grammatikalischen Auslegung deutlich, dass die statische Zuständigkeit in § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII auch nur im Rahmen des erstmaligen Begründens verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte gelten soll. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass sich die Einfügung der Worte „in diesen Fällen“ nicht sinnvollerweise auf etwas anderes beziehen kann. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat erkannt, dass bereits die systematische Stellung des Satzes 2 innerhalb des Absatzes 5 in gewichtiger Weise dafür spricht, dass sich dieser nachfolgende Satz 2 auf sämtliche Tatbestandsmerkmale des vorangegangen Satzes 1 bezieht. Es legte jedoch größeres Gewicht auf eine Auslegung anhand des Zwecks der Norm und kam nach alter Rechtslage in nachvollziehbarer Weise auf das Ergebnis, Satz 2 beziehe nicht immer alle Tatbestandsmerkmale des vorangehenden Satzes 1 mit ein (BVerwG, U.v. 14.11.2013, – 5 C 34/12 – BVerwGE 148, 242/248 f.). Der Gesetzgeber hat durch die Neufassung des Satzes 2 nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedoch durch den geänderten Wortlaut den Bezug von Satz 2 zu Satz 1 verstärkt (vgl. VG Hannover, U.v. 3.2.2016 – 3 A 5991/13 – juris Rn. 39). Aus dem Wortlaut wird nun deutlich, dass der Gesetzgeber nicht weiterhin nur die Fälle der gemeinsamen Personensorge auf § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII beziehen und somit im Rahmen des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII zwischen den beiden Alternativen unterscheiden wollte. Es sollte vielmehr eine umfassende Bezugnahme erfolgen (im Ergebnis auch Häußler, DVBl 2013, 1001/1007; a.A. zu Änderungen durch den neuen Wortlaut wohl Eschelbach, JAmt 2013, 439/440 f.).
Dieses Ergebnis wird im Rahmen der historischen Auslegung durch den geäußerten Willen des Gesetzgebers verstärkt. Nach dessen Ansicht führte das Verständnis der Zuständigkeitsregel des § 86 Abs. 5 SGB VIII durch das Bundesverwaltungsgericht zu unbefriedigenden Ergebnissen (BT-Drs. 17/13531, S. 8). Er legt in seinen Erwägungen selbst dar: „Eine Ausweitung der eng begrenzten Ausnahmefälle läuft daher unmittelbar den Absichten zuwider, die der Gesetzgeber mit der Zuständigkeitsregel des § 86 Abs. 5 SGB VIII verfolgt hat.“ (BT-Drs. 17/13531, S. 8).
Gleichzeitig beschreibt der Gesetzgeber, welche Auswirkungen die Änderung von § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII haben sollte:
„Mit der Ergänzung in Satz 2 soll der Bezug und damit die zeitliche Abfolge klargestellt werden: die Anwendung ist beschränkt auf die Fälle, in denen nach Beginn der Leistung zum Zeitpunkt der Begründung verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte die Personensorge beiden gemeinsam oder keinem Elternteil zugestanden hat. Ziel der Änderung ist es, den mit der Zuständigkeitsregel des Absatzes 5 verfolgten Gesetzeszweck zu wahren und zugleich unerwünschte Auswirkungen der Neuberechnungen von Kostenerstattungen der örtlichen Träger zu vermeiden.“ (BT-Drs. 17/13531, S. 8).
Der Gesetzgeber erklärt somit, dass die Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII auch in den Fällen, in denen keinem Elternteil die Personensorge zugestanden hat, darauf beschränkt ist, dass unterschiedliche gewöhnliche Aufenthalte erstmals nach Beginn der Leistung begründet wurden. Es war daher Wille des Gesetzgebers, der bisherigen Auslegung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII durch das Bundesverwaltungsgericht insgesamt entgegenzutreten und eine Änderung des Anwendungsbereiches der Norm zu erreichen (vgl. Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 86 Rn. 29a; Kunkel/Kepert in LPK-SGB VIII, 6. Auflage 2016, § 86 Rn. 38). Die historische Auslegung führt daher in Verbindung mit der grammatikalischen Auslegung zu einem neuen Verständnis des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII.
In diesem Zusammenhang ist noch zu beachten, dass der Gesetzgeber in § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII geregelt hat, dass sich die örtliche Zuständigkeit erst dann nach dem gewöhnlichen Aufenthalt einer Pflegeperson richtet, wenn das Kind seit zwei Jahren bei dieser Pflegeperson lebt und der Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist. Aus dem Umstand, dass es selbst bei der Vollzeitpflege eines Kindes erst nach einer gewissen Dauer auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson ankommen soll, lassen sich zumindest Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber das Näheverhältnis zwischen Jugendamt und Eltern selbst dann für wichtig erachtet, wenn ein Kind tatsächlich nicht mehr in Vollzeit von den Eltern oder einem Elternteil betreut wird.
Trotz der vom Bundesverwaltungsgericht zur früheren Rechtslage dargestellten, für das Gericht nachvollziehbaren Argumentation, dass die Nähe zwischen Jugendhilfeträgern und Eltern nicht mehr nötig ist, wenn den Eltern ohnehin keine Personensorge mehr zusteht (BVerwG, U.v. 14.11.2013 – 5 C 34/12 – BVerwGE 148, 242/249), führt die Gesamtschau der oben genannten Argumente nach Ansicht des Gerichts zu einer Änderung der Rechtslage. Diese Änderung wird durch den Wortlaut des Gesetzes sowie den klaren Willen des Gesetzgebers deutlich.
Dabei übersieht das Gericht nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil aus dem Jahr 2013 in Kenntnis der kommenden Gesetzesänderung an seiner Auslegung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII festgehalten hat. Zum einen stellte das Bundesverwaltungsgericht selbst klar, dass das seinerzeitige Urteil auf Basis der alten Rechtslage erfolgt (BVerwG, U.v. 14.11.2013, a.a.O., 242/244 f.), zum anderen ist aufgrund der oben beschriebenen Gründe eine geänderte Auslegung nunmehr angezeigt.
In Anwendung dieser neuen Rechtslage ist ab dem 15. Juli 2014 im vorliegenden Fall die örtliche Zuständigkeit des Klägers nun nach § 86 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII zu beurteilen (vgl. Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 86 Rn. 22.). Da die Eltern zu diesem Zeitpunkt verschiedene gewöhnliche Aufenthalte hatten und keinem Elternteil die Personensorge zustand, war der gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter maßgeblich. Dieser befand sich im Bereich des Beklagten. Der Beklagte weigerte sich jedoch, den Fall zu übernehmen. Da der Kläger somit die Leistungen aus einer Verpflichtung nach § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erbracht hat, hat er gemäß § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII diesbezüglich einen Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 15. Juli 2014 bis zum 30. November 2015.
Für den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2015 bis zum 31. März 2016 ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch dagegen aus § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.
Hiernach sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat,von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII richtet sich die örtliche Zuständigkeit abweichend von den Absätzen 1 bis 5 nach dem gewöhnlichen Aufenthalt einer Pflegeperson, wenn das Kind zwei Jahre bei einer Pflegeperson lebt und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist.
Ab dem 1. Dezember 2015 lebte das Kind zwei Jahre bei seinen Pflegeeltern, welche wiederum ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Klägers haben. Daher ist ab diesem Zeitpunkt der Kläger erneut örtlich zuständig. Da jedoch nach den obigen Ausführungen ab dem 15. Juli 2014 der Beklagte zuständig gewesen ist und diese Zuständigkeit auch noch vor Ablauf der zwei Jahre nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII bestand, ist er nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verpflichtet, dem Kläger auch für diesen Zeitraum die Jugendhilfekosten zu erstatten.
Über den Zeitraum nach dem 31. März 2016 hatte das Gericht aufgrund des Klageantrags nicht zu entscheiden. Die Höhe der Kosten für die Jugendhilfeleistungen wurde seitens des Beklagten nicht infrage gestellt; sie wurde im Übrigen vom Kläger im Klagevervahren schlüssig dargelegt.
Der Anspruch des Klägers ist in analoger Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Sein Antrag aus dem Schriftsatz vom 24. April 2017 wurde dahingehend ausgelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO nicht gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.