Europarecht

Krankheitsfall

Aktenzeichen  L 12 KA 17/16

Datum:
16.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 44811
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BMV-ħ 21 Abs. 1
EBM GOP 11370
EBM GOP 11390
EBM GOP 11391
EBM GOP 11410
EBM Präambel zu Kapitel 11.4
EKV-Ä § 25 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zu den Abrechnungsvoraussetzungen der GOP 11410, 11370, 11390 und 11391 EBM.
2. Der Krankheitsfall ist nicht auf ein eigenständiges Abrechnungssubjekt “Fetus” auszudehnen. Der Vertragsarzt hat für am Nasciturus vorgenommene Leistungen nur dann einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung, soweit dies ausdrücklich im EBM bestimmt ist. Die GOP 11410, 11370, 11390 und 11391 EBM sind nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschriften nur einmal im Krankheitsfall – unabhängig davon, ob Mutter oder Fetus untersucht wurden – abrechenbar. Der Krankheitsfall bezieht sich nur auf die Schwangere selbst. Einen weiteren – eigenständigen – Krankheitsfall für den Nasciturus sieht der EBM nicht vor.

Verfahrensgang

S 21 KA 210/13 2015-12-17 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.12.2015, S 21 KA 210/13, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht München hat die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2013 zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, zurückgewiesen.
Die in der Berufungsinstanz vorgetragenen Argumente führen zu keiner anderen Beurteilung.
Die Klägerin durfte die streitgegenständlichen Ziffern bereits mangels Einhaltung der formalen Kriterien absetzen.
Nach der Präambel zu Kapitel 11.4 EBM setzt die Berechnung dieser GOP unter anderem Folgendes voraus:
– Nr.1: Angabe, ob die Leistung als diagnostischer oder prädiktiver Test, als Untersuchung auf Anlageträgerschaft oder als vorgeburtlicher Test erbracht wurde;
– Nr.2: sofern die Leistung als prädiktiver oder vorgeburtlicher Test erbracht wurde, Angaben zum Indexpatienten oder Begründung, warum keine Angaben erfolgen können.
Eine ausdrückliche Angabe, ob die Leistungen als diagnostischer oder prädiktiver Test, als Untersuchung auf Anlageträgerschaft oder als vorgeburtlicher Test erbracht wurden, fehlte bei allen drei Patientinnen. Dies bestreitet die Klägerin auch nicht. Ihrer Meinung nach sei jedoch eine ausdrückliche Angabe nicht erforderlich, maßgebend sei vielmehr der sachkundige Empfängerhorizont. Dem kann aber nur hinsichtlich einer Untersuchung mit der Angabe „Fet.“ gefolgt werden, denn eine Untersuchung am Fetus ist naturgemäß immer vorgeburtlich. Anders ist die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Angabe der Art des Tests für Untersuchungen bei der Mutter zu sehen. Hier ist allein aus dem Zusammenhang gerade nicht ersichtlich, ob der jeweilige Test als prädiktiver – wie mit Schriftsatz vom 13.10.2014 in erster Instanz von den Klägerbevollmächtigten vorgetragen – oder als diagnostischer Test – wie in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 03.06.2016 ausgeführt – durchgeführt wurde. Angaben zum Indexpatienten fehlen bei allen drei Patientinnen auch unter Einbeziehung der Untersuchung des Fetus. Die fehlende Angabe des Indexpatienten ist aber nur dann unschädlich, wenn ein Fall der Nr. 1 der Präambel zu Kap. 11.4 EBM vorliegt, es sich also um einen diagnostischen Test oder um eine Untersuchung auf Anlageträgerschaft gehandelt hat. Dies lässt sich den Behandlungsausweisen aber nicht entnehmen. Vielmehr wurden hierzu selbst von Klägerseite her unterschiedliche Angaben gemacht. Hinzu kommt, dass auch eine Ergänzung der fehlenden Angaben im laufenden Widerspruchsverfahren – wie das SG mit zutreffender Begründung zutreffend ausgeführt hat – nicht zu einer Korrektur der Abrechnung geführt hätte.
Die Beklagte durfte die streitigen Ziffern daher mangels ausreichender Angaben nach Nr. 1 und Nr. 2 der Präambel zu Kapitel 11.4 EBM bereits aus formalen Gründen absetzen.
Zudem ist die Leistung nach den streitigen GOP nur einmal im Krankheitsfall abrechenbar. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist für die Auslegung der vertragsärztlichen Gebührenordnung in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgeblich (vgl. zuletzt Urteil vom 26.06.2002 – B 6 KA 5/02 R – SozR 3-5533 Nr. 505 Nr. 1, mwN). Das vertragliche Regelwerk dient nämlich dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zwischen Ärzten und Krankenkassen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 5 S. 22 ff sowie SozR 3-5555 § 10 Nr. 1 S. 4 ), und es ist vorrangig Aufgabe des Bewertungsausschusses selbst, darin auftretende Ungleichheiten zu beseitigen. Ergänzend ist es statthaft, zur Klarstellung des Wortlauts der Leistungslegende eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen vorzunehmen (vgl. BSG SozR 3-5533 Nr. 115 Nr. 1 S. 3; vgl. auch SozR aaO Nr.2145 Nr. 1 S. 3). Im eingeschränkten Maße kommt auch eine entstehungsgeschichtliche Auslegung unklarer oder mehrdeutiger Regelungen in Betracht (BSG SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1 S. 6). Leistungsbeschreibungen dürfen indessen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewandt werden (vgl. BSG SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1 S. 5; SozR 3-5555 § 10 Nr. 1 S. 4; SozR 3-5533 Nr.2449 Nr. 2 S. 7).
Der Wortlaut des Abrechnungsausschlusses „einmal im Krankheitsfall“ ist eindeutig und einer teleologischen Reduktion – wie der Klägerbevollmächtigte meint – nicht zugänglich. Es handelt sich zwar um eine von der Rechtsprechung anerkannte Auslegungsmethode, die eine vom Wortlaut abweichende Auslegung zulässig machen kann. Voraussetzung ist jedoch, dass „die in den Gesetzesmaterialien oder der Gesetzessystematik zum Ausdruck kommende Regelungsabsicht eine analoge oder eingeschränkte Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfasste Sachverhalte gebietet und deswegen sowie wegen der Gleichheit der zu Grunde liegenden Interessenlage auch der nicht geregelte Fall hätte einbezogen werden müssen“ (BSG, Urteil vom 24.10.1984, Az. 6 RKa 36/83; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.11.2014, Az. L 20 AY 29/13). Wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 25.03.2014, Az. 5 C 13/13) ausführt, muss eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegen, die nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen ist, der dem Gesetz zu Grunde liegt. Nur wenn eine solche Lücke gegeben ist, ist sie durch Hinzufügung einer dem gesetzgeberischen Plan entsprechenden Einschränkung zu schließen. Für eine solche teleologische Reduktion gibt es jedoch hier keinen Raum. Denn für eine dem beschriebenen Wortlaut entgegenstehende Regelungsabsicht bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Insbesondere zeigen gerade die vom Klägerbevollmächtigten genannten Abrechnungsmöglichkeiten von am Fetus bzw. dem Fruchtwasser vorgenommenen Untersuchungen neben Untersuchungen an der Schwangeren, dass der Normgeber diese Möglichkeiten der „Nebeneinanderabrechnung“ von Leistungen im Rahmen der Schwangerschaft bzw. Mutterschaftsvorsorge sehr wohl gesehen hat. Für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke bestehen daher keine Anhaltspunkte.
Der Krankheitsfall ist auch nicht auf ein eigenständiges Abrechnungssubjekt „Fetus“ auszudehnen. Versicherte ist die Schwangere, familienversichert nach § 10 SGB V kann ein Kind frühestens mit der Geburt werden. Denn erst ab der Geburt ist es rechtsfähig im Sinne von § 1 BGB. Soweit der Prozessbevollmächtigte auf die – zweifelsohne in bestimmten Bereichen bestehenden – Rechte des Nasciturus abstellt, trifft dies aber nicht auf eigene Leistungsansprüche des Nasciturus gegenüber der GKV zu. Daraus folgt, dass auch der Vertragsarzt bei am Nasciturus vorgenommenen Leistungen nur dann einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung hat, soweit dies ausdrücklich im EBM bestimmt ist. Für die hier abgerechneten Leistungen trifft dies aber gerade nicht zu, da sie nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschriften nur einmal im Krankheitsfall – unabhängig davon, ob Mutter oder Fetus untersucht wurden – abrechenbar sind. Der Krankheitsfall bezieht sich nur auf die Schwangere selbst. Einen weiteren – eigenständigen – Krankheitsfall für den Nasciturus sieht der EBM nicht vor.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG iVm. § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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