Europarecht

Mangelnde Kausalität der Täuschung bei Kenntnis der Betroffenheit des Fahrzeugs vom „Abgasskandal“

Aktenzeichen  43 O 2705/18

Datum:
28.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40539
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
StGB § 263
BGB § 823 Abs. 2

 

Leitsatz

Unterschreibt der Fahrzeugkäufer eine Erklärung des Verkäufers des Inhalts, dass das Fahrzeug vom „Abgasskandal“ des VW-Konzerns betroffen sei und die sich daraus ergebenden Folgen noch nicht absehbar seien, ist nicht nachvollziehbar, dass der Käufer den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er von der Betroffenheit des Fahrzeugs gewusst hätte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 22.850,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin stehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu.
1. a) Das Gericht ist schon nicht davon überzeugt, dass die Klägerin das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn sie von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten „Abgasskandal“ gewusst hätte. Damit fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal der Kausalität im Rahmen etwaiger deliktischer Ansprüche, für die die Klägerin die Beweislast trägt. Die Klägerin hat das streitgegenständliche Fahrzeug erst im April 2016, das heißt mehrere Monate nach Bekanntwerden des so genannten Abgasskandals, gekauft. Zu diesem Zeitpunkt war die Thematik bereits seit September 2015 ständig eines der Top-Themen in den täglichen Medien, so dass es das Gericht schwer nachvollziehen kann, dass die Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt nichts gewusst haben will. Selbst wenn man aber der Klägerin insoweit Glauben schenkt, dass sie das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn sie von der Betroffenheit gewusst hätte, muss Folgendes berücksichtigt werden: Nach eigenem Vortrag der Klägerin in der informatorischen Anhörung unterschrieb sie nach Kaufvertragsschluss eine Vereinbarung mit der Verkäuferin, die einen Haftungsausschluss aufgrund des Abgasskandals begründet. In dieser schriftlichen Vereinbarung, die als Anlage zu Protokoll genommen wurde (Bl. 238 ff. d.A.) heißt es: „Das Fahrzeug ist vom „Abgasskandal“ des VW-Konzerns betroffen. Die sich daraus ergebenden Folgen (Nachrüstungen, KFZ-Steuerbelastung, Leistungsverlust) sind noch nicht absehbar, aber zu erwarten und werden somit als Vertragsgemäß vereinbart.“ Diese Vereinbarung hat die Klägerin unterschrieben. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin erklärt, dass sie trotz dieser Vereinbarung nicht zum Kaufpreis nachverhandelt habe. Unter diesen Umständen ist nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte, wenn sie von der Betroffenheit des Fahrzeugs gewusst hätte.
b) Die Klägerin kann sich aber jedenfalls nicht mehr darauf berufen, dass zum Zeitpunkt des Kaufs noch eine Täuschungshandlung, geschweige denn ein Vorsatz oder eine Schädigungsabsicht der Beklagten zu einem fortgesetzten Betrug gem. §§ 823 II, 263 StGB oder zu einer sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB vorlag, da die Beklagte – gerichtsbekannt – schon vor Kaufvertragsschluss auf ihrer Internetseite eine Möglichkeit eingerichtet hat, um unter Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer die Betroffenheit des jeweiligen Fahrzeugs abzufragen. Soweit ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten im Raum steht, muss berücksichtigt werden, dass es bezüglich der Voraussetzungen von § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV an der drittschützenden Wirkung der Normen der EG-FGV fehlt, da der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs weder im Aufgabenbereich der Vorschriften liegt, noch sich aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Richtlinie ergibt (OLG München 21 U 1896/19).
2. Mangels Bestehen eines Hauptanspruchs kann der Kläger auch nicht die Feststellung des Annahmeverzugs der Zurücknahme des Fahrzeugs beanspruchen, ebenso wenig den Ersatz vorgerichtlicher Kosten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S.2 ZPO.

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