Europarecht

Nachweispflicht des Antragstellers für ein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem anderen Staat der Europäischen Union

Aktenzeichen  10 CE 17.287

Datum:
16.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 146 Abs. 4 S. 3, S. 6
AufenthG AufenthG § 50 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 59 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Die Erklärung eines Ausländers, zur Abwendung der Abschiebung sei eine Ausreise in einen anderen Unionsstaat geplant, ist unbeachtlich, solange nicht der Nachweis vorliegt, dass insoweit eine entsprechende Erlaubnis des Mitgliedstaats vorliegt. Es obliegt dem Ausländer, den Nachweis hierfür zu erbringen.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 E 17.320 2017-02-08 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Polizeiinspektion Rosenheim vom 4. Januar 2017 weiter, mit der seine Abschiebung nach Algerien angeordnet wird.
Der Antragsteller, ein algerischer Staatsangehöriger, wurde am 4. Januar 2017 im Zug EN 294 Rom-München kontrolliert. Er wies sich mit einem algerischen Reisepass und einer italienischen carta d´identita aus. Einen gültigen Aufenthaltstitel (für Italien) konnte er nicht vorlegen.
Mit Bescheiden vom 4. Januar 2017 stellte die Bundespolizeiinspektion Rosenheim das Bestehen der Ausreisepflicht fest und verfügte die Abschiebung nach Algerien. Das Amtsgericht Rosenheim ordnete mit Beschluss vom 5. Januar 2017 Haft zur Sicherung der Abschiebung an.
Der Antragsteller legte gegen die Abschiebungsanordnung Widerspruch ein. Er habe am 15. Dezember 2016 die Verlängerung seines italienischen Aufenthaltstitels beantragt. Er sei in Eboli gemeldet und gehe dort einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nach. Ihm sei daher eine freiwillige Ausreise nach Italien zu ermöglichen.
Den Antrag des Antragstellers vom 24. Januar 2017, der Antragsgegnerin zu gebieten, von Abschiebemaßnahmen gegen ihn bis zur Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde über die Zulässigkeit der beabsichtigten Abschiebung abzusehen, sowie den Hilfsantrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung der Bundespolizeiinspektion Rosenheim vom 4. Januar 2017 anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 8. Februar 2017 ab. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz habe weder im Hauptnoch im Hilfsantrag Erfolg. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig. Der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach Algerien ohne Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise sei nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 Satz 1 AufenthG für eine Ausreise nach Italien lägen nicht vor, da der Antragsteller nicht hinreichend belegt habe, dass seine Einreise nach und der Aufenthalt in Italien erlaubt seien. Sein italienischer Aufenthaltstitel sei abgelaufen. Die vom Antragsteller dargelegten Bemühungen um eine Verlängerung des Aufenthaltstitels änderten daran nichts. Zum einen seien die Angaben zu seiner Beschäftigung in Italien in hohem Maße ungereimt. Zum anderen müsse er nachweisen, dass die Stellung des Verlängerungsantrags ihm ein (Wieder-)Einreiserecht nach Italien verleihe. Schließlich gehe auch bei einer Interessenabwägung das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin vor. Es gehe lediglich um die Frage, ob der Antragsteller nach Italien oder Algerien abgeschoben werde. Eine Abschiebung nach Algerien treffe ihn nicht unverhältnismäßig. Er habe selbst geltend gemacht, dass er seine Mutter und seinen Vater regelmäßig in Algerien besuche und dort alles gut sei.
Zur Begründung seiner Beschwerde bringt der Antragsteller vor, dass er in der Zwischenzeit eine Kopie seines italienischen Aufenthaltstitels habe beschaffen können. Er sei bei der Neuerteilung des Heimatpasses in der algerischen Botschaft hinterlegt worden. Er sei der Auffassung, dass damit sein berechtigter Aufenthalt für Italien nachgewiesen sei. Die Tatsache, dass die italienischen Behörden nicht auf die Rechercheanfrage der Antragsgegnerin reagiert hätten, lasse nicht den Rückschluss zu, dass die vorgelegten Antragsunterlagen möglicherweise gefälscht seien. Die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis in Italien sei sichergestellt. Seine Abschiebung nach Italien komme als realistische Möglichkeit in Betracht, so dass sein Suspensivinteresse überwiege.
Die Antragsgegnerin verwies im Beschwerdeverfahren auf eine aktuelle Auskunft der italienischen Behörden, wonach der Antragsteller seit dem 4. November 2016 keinen gültigen Aufenthaltstitel mehr besitze und Anträge auf Verlängerung nicht bekannt seien.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht München hat zutreffend entschieden, dass (auch) der hilfsweise gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Abschiebungsanordnung nach Algerien voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird bzw. das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Es erscheint bereits fraglich, ob mit dem Vorbringen im Beschwerdeverfahren dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprochen wurde. Eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung verlangt, dass der Beschwerdeführer unter Aufgreifen dieser Gründe aufzeigt, weshalb die Entscheidung aus seiner Sicht überprüfungsbedürftig ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2016 – 10 CS 16.638 – juris Rn. 5 m.w.N.). Der Antragsteller begnügt sich mit der Feststellung, dass er ein Aufenthaltsrecht in Italien nachgewiesen habe und die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis sichergestellt sei, ohne auf die Begründung des ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts näher einzugehen.
Selbst wenn man von einer Erfüllung der Darlegungsanforderungen ausgeht, reichen die dargelegten Umstände nicht aus, die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung nach Algerien oder ein Überwiegen des Suspensivinteresses des Antragstellers zu begründen.
Der Antragsteller ist mit seiner Beschwerdebegründung der Annahme des Verwaltungsgerichts, es bestehe eine vollziehbare Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und es liege der begründete Verdacht vor, der Antragsteller wolle sich der Abschiebung nach Algerien entziehen (§ 59 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG), nicht substantiiert entgegen getreten.
Auch hat er nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen für eine freiwillige Ausreise oder Abschiebung nach Italien vorliegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ihm die Einreise und der Aufenthalt in Italien erlaubt wären (§ 50 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Erklärung eines Ausländers, zur Abwendung der Abschiebung sei eine Ausreise in einen anderen Unionsstaat geplant, ist unbeachtlich, solange nicht der Nachweis vorliegt, dass insoweit eine entsprechende Erlaubnis des Mitgliedstaats vorliegt (Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 50 Rn. 55 f.). Einen solchen Nachweis hat der Antragsteller weder im Ausgangsnoch im Beschwerdeverfahren erbracht. Insbesondere ist eine unlesbare Kopie eines Aufenthaltstitels nicht geeignet, das derzeitige Bestehen eines Aufenthaltsrechts in Italien nachzuweisen. Es ist unstreitig, dass der Antragsteller ursprünglich einen permesso di soggiorno besaß. Dieser Aufenthaltstitel ist jedoch ebenso unstreitig am 4. November 2016 abgelaufen. Dies hat die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren durch die aktuelle Auskunft der italienischen Behörden nachgewiesen. Bei der vorgelegten Kopie eines Aufenthaltstitels, der bei der Neuausstellung des Passes (4.8.2014) bei der algerischen Botschaft hinterlegt worden ist, kann es sich also nur um den bereits abgelaufenen permesso di soggiorno handeln. Dieser Titel kann jedoch nicht als Nachweis dafür dienen, dass dem Antragsteller derzeit ein Recht auf Einreise und Aufenthalt in Italien zusteht. Die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels hat der Antragsteller zwar nach seinen Angaben am 15. Dezember 2016 beantragt, einer neuer Aufenthaltstitel ist jedoch noch nicht erteilt.
Auch die Antragsunterlagen für die Verlängerung des abgelaufenen Aufenthaltstitels und die Einbestellung zur photographischen Fingerabdruckkontrolle belegen nicht, dass dem Antragsteller die Einreise und der Aufenthalt in Italien erlaubt sind. Das Verwaltungsgericht hat in den Gründen des Beschlusses vom 8. Februar 2017 zu Recht darauf hingewiesen, dass es dem Antragsteller obliegt, den Nachweis dafür zu erbringen, dass bereits die Stellung eines Verlängerungsantrags ein Einreise- und Aufenthaltsrecht gewährt. Einen solchen Nachweis z.B. durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung der italienischen Behörden hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht erbracht. Der Verweis auf die Regelung im Aufenthaltsgesetz, wonach der bisherige Aufenthaltstitel als fortbestehend gilt, wenn der Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung beantragt (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) und auf eine vergleichbare Regelung in Italien führt schon deshalb nicht weiter, weil der Antragsteller die Verlängerung seiner permesso di soggiorno erst nach dessen Ablauf beantragt hat.
Selbst wenn unabhängig von der Nachweispflicht des Antragstellers über sein bestehendes Aufenthaltsrecht in Italien als offen anzusehen wäre, ob er derzeit nach Italien einreisen und sich dort aufhalten darf, und daher der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO anhand einer reinen Abwägung des Vollzugs- und des Suspensivinteresses zu entscheiden wäre, wäre der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung vom 4. Januar 2017 abzulehnen. Bei einer Abschiebung in sein Heimatland entstehen dem Antragsteller keine gravierenden Nachteile. Sollte aufgrund der Stellung des Verlängerungsantrags ein Wiedereinreiserecht nach Italien bestehen, so kann er von Algerien aus nach Italien reisen. Angesichts der zahlreichen Alias-Identitäten des Antragstellers und der vom ihm während seiner Voraufenthalte in Deutschland begangenen Straftaten ist sein Interesse, von Deutschland aus zu klären, ob seine Einreise und sein Aufenthalt in Italien erlaubt sind, nachrangig, so dass das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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