Europarecht

Nutzung einer Quelle zu Trinkwasserzwecken auch ohne Festsetzung eines Wasserschutzgebiets möglich

Aktenzeichen  RN 8 K 16.1496

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WHG WHG § 12 Abs. 2
WHG § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG

 

Leitsatz

1. Bei dem Begriff der schädlichen Gewässerveränderung (§ 3 Nr. 10 WHG) handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff; ein Beurteilungsspielraum besteht insbesondere wegen der entscheidenden Bedeutung des dem Begriff innewohnenden “Wohles der Allgemeinheit” nicht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn eine andere Möglichkeit des Schutzes des Grundwassers besteht, kann auch von der Festsetzung eines Wasserschutzgebiets abgesehen werden. Die Erteilung einer wasserrechtlichen Gestattung hängt nicht von der Ausweisung eines Wasserschutzgebiets ab. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Um eine Quelle zur Trinkwasserversorgung zu nutzen, ist nicht erforderlich, dass diese Quelle einen bestehenden Trinkwasserbedarf zu 100 Prozent abdeckt; auch ein “zweites Standbein” für die Trinkwasserversorgung kommt in Betracht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts Passau vom 22. August 2016 wird in den Ziffern 1 bis 3 aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet über den Antrag auf wasserrechtliche Gestattung vom 30. Juni 2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) bezüglich des Antrags auf Erteilung einer beschränkten wasserrechtlichen Erlaubnis für die Quelle S… I vom 30. Juni 2015, weil ein zwingender Versagungsgrund nicht besteht (vgl. unten 1.) und eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten nicht vorliegt (vgl. unten 2.).
Vorliegend soll Grundwasser aus der Quelle S… I entnommen und zum Zwecke der Trinkwasserversorgung genutzt werden. Das Entnehmen, Zutagefördern und Ableiten von Grundwasser stellt eine Benutzung im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 5 WHG dar, für die gemäß § 8 Abs. 1 WHG eine Erlaubnis erforderlich ist. Nach § 12 Abs. 1 WHG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn 1. schädliche, auch durch Nebenbestimmungen nicht vermeidbare und nicht ausgleichbare Gewässerveränderungen zu erwarten sind oder 2. andere Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht erfüllt werden. Im Übrigen steht die Erteilung der Erlaubnis gemäß § 12 Abs. 2 WHG im pflichtgemäßen Ermessen (Bewirtschaftungsermessen) der zuständigen Behörde.
1. Zwingende Versagungsgründe, insbesondere schädliche Gewässerveränderungen gemäß § 3 Nr. 10 WHG, sind vorliegend nicht zu erwarten.
Bei dem Begriff der schädlichen Gewässerveränderung handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff; ein Beurteilungsspielraum besteht insbesondere wegen der entscheidenden Bedeutung des dem Begriff innewohnenden „Wohles der Allgemeinheit“ nicht (vgl. Czychowsky/Reinhardt, WHG, 10. Aufl. 2010, Rn. 18 zu § 12 WHG). Die Beeinträchtigung muss „zu erwarten“ sein, eine bloß entfernte Möglichkeit einer Gefährdung genügt nicht, andererseits ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich (vgl. BayVGH, U.v. 31.3.2001 – 15 B 96.1537 – juris Rn. 45, 55). Zu erwarten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 WHG ist die Beeinträchtigung dann, wenn sie nach allgemeiner Lebenserfahrung oder anerkannten fachlichen Regeln wahrscheinlich ist.
Vorliegend ergibt die danach vorzunehmende Prognose über die zu erwartenden Auswirkungen der Nutzung der Quelle S… I zum Zwecke der Trinkwasserversorgung keinen Versagungsgrund. Selbst wenn die Nutzung des Grundwassers aus der Quelle S… I als Trinkwasser mit gesundheitlichen Gefahren verbunden wäre, wie es die Beklagtenseite vorgetragen hat, so würden diese Gefahren durch nutzungsunabhängige Verunreinigungen des genutzten Grundwassers entstehen. Die Benutzung des Grundwassers an sich würde hingegen nicht zu einer schädlichen Grundwasserveränderung führen. Das Vorliegen eines zwingenden Versagungsgrundes wurde von den Beteiligten auch nicht vorgetragen. Insoweit kann auch auf die von den Verfahrensbeteiligten übereinstimmend abgegebene Einschätzung, dass Versagungsgründe im Sinne des § 12 Abs. 1 WHG für die streitgegenständlichen Maßnahmen nicht vorliegen, verwiesen werden.
2. Die demnach im pflichtgemäßen Ermessen (Bewirtschaftungsermessen, § 12 Abs. 2 WHG) des Beklagten stehende Entscheidung wurde auch nicht ermessensfehlerfrei getroffen, § 114 Satz 1 VwGO, und eine Heilung nach § 114 Satz 2 VwGO – soweit eine solche vorliegend überhaupt in Betracht käme – hat nicht stattgefunden.
Die getroffene Ermessensentscheidung des LRA ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Die Kontrolle des Gerichts hat sich nach § 114 Satz 1 VwGO darauf zu beschränken, ob vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist und die rechtlichen Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind. Das Gericht prüft dabei, ob die entscheidungserheblichen Tatsachen zutreffend ermittelt und die rechtlichen Bindungen des Ermessens gewahrt worden sind. Nicht zu prüfen ist, ob eine andere Lösung zweckmäßiger gewesen wäre (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 42; BayVGH, U.v. 22.1.2013 – 10 B 12.2008 – juris Rn. 43).
Vorliegend war die Ermessensentscheidung des LRA fehlerhaft, da das LRA von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist.
a) Unabhängig von der Frage, ob vorliegend ein Wasserschutzgebiet hätte ausgewiesen werden können, ist das LRA fälschlicherweise davon ausgegangen, dass eine wasserrechtliche Gestattung nicht erteilt werden kann, wenn ein entsprechendes Wasserschutzgebiet nicht ausgewiesen werden kann. Diese Annahme trifft jedoch nicht zu. Wenn eine andere Möglichkeit des Schutzes des Grundwassers besteht, kann auch von der Festsetzung eines Wasserschutzgebiets abgesehen werden (BVerwG B.v. 30.9.1996 – 4 NB 31/96, 4 NB 32/96 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 6.10.2015 – 8N 13.1281 u.a. – juris Rn. 21). Das LRA vermengt insoweit die Voraussetzungen für die Festsetzungen eines Wasserschutzgebietes mit den Voraussetzungen für die Erteilung einer wasserrechtlichen Gestattung. Darüber hinaus stützt das LRA seine Ermessensentscheidung auch auf die Stellungnahme des WWA vom 15. Juli 2016 in welcher das WWA ebenfalls die rechtsfehlerhafte Auffassung vertritt, dass die beantragte Gestattung nur erteilt werden kann, wenn das ebenfalls vorgeschlagene Wasserschutzgebiet ausgewiesen werden kann.
b) Des Weiteren stützt das LRA die Ablehnung der beantragten wasserrechtlichen Gestattung in rechtsfehlerhafter Weise auf das Fehlen eines zweiten Standbeins für die Trinkwasserversorgung der Klägerin. Um eine Quelle zur Trinkwasserversorgung zu nutzen, ist es nicht erforderlich, dass diese zu 100% den Wasserbedarf abdeckt (vgl. Fall BayVGH 22 N 08.2749, dort sichert die Quelle nur 50% ab). Zudem ist zu berücksichtigen, dass das LRA selbst nur ein zweites Standbein fordert. Das bereits bestehende erste Standbein kann nach dieser Forderung des LRA damit grundsätzlich weitergenutzt werden. Insoweit verhält sich das LRA widersprüchlich, wenn es einerseits nur ein zweites Standbein neben dem bereits bestehenden ersten Standbein fordert, andererseits aber die Weiternutzung des ersten Standbein durch die Versagung einer entsprechenden wasserrechtlichen Gestattung mit dem Verweis auf ein fehlendes zweites Standbein, verhindert. Will das LRA an seiner Forderung eines zweiten Standbeins nicht mehr festhalten, sondern die Schaffung einer gänzlich alternativen Trinkwasserversorgung anordnen, hat das LRA dies gegenüber der Klägerin klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen.
c) Das LRA handelte außerdem ermessensfehlerhaft, indem es die beantragte wasserrechtliche Gestattung ablehnt und eine weitere Nutzung ohne wasserrechtliche Gestattung erlaubt (vgl. Ziffer 3 des Bescheids vom 22.8.2016). Das LRA ermöglicht so eine formell illegale Gewässernutzung. Eine wasserrechtliche Erlaubnis kann auch nur für einen vorübergehenden Zeitraum erteilt werden, so wie sie das LRA auch im Rahmen des Markierungsversuches für die Quellen S… I und II mit Bescheid vom 3. März 2017 erteilt hat. Es stellt ein rechtswidriges Verhalten seitens des LRA dar, eine beantragte Gestattung zwar förmlich abzulehnen und eine Nutzungsuntersagung auszusprechen, dann aber genau das zunächst beantragte Verhalten ohne wasserrechtliche Gestattung zu ermöglichen bzw. sogar anzuordnen.
II.
Auch hinsichtlich der Ziffern 2 und 3 des Bescheids des LRA vom 22. August 2016 ist die Klage erfolgreich.
Der Bescheid des LRA vom 22. August 2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Rechtsgrundlage für beiden Anordnungen ist § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG. Danach ordnet das LRA nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen oder die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen sicherzustellen, die nach oder aufgrund von Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes, nach auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen oder nach landesrechtlichen Vorschriften bestehen. Sowohl in Bezug auf Ziffer 2 als auch in Bezug auf Ziffer 3 des Bescheids vom 22. August 2016 handelte das LRA ermessensfehlerhaft, da es wiederum von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist.
b) Die Untersagung der Weiternutzung der Quelle S… I zum Zwecke der Trinkwassernutzung mit Wirkung vom 31. Dezember 2018 in Ziffer 2 des Bescheids vom 22. August 2016 ist dabei unmittelbar mit der Versagung der beantragten wasserrechtlichen Gestattung verbunden, da die Untersagung der Weiternutzung auf die fehlende wasserrechtliche Gestattung gestützt wird. Insoweit liegen die gleichen Ermessensfehler des LRA vor, wie in Bezug auf Ziffer 1 des Bescheids vom 22. August 2016 (vgl. oben unter 1.).
c) In Bezug auf Ziffer 3 des Bescheids vom 22. August 2016 handelte das LRA ebenfalls ermessensfehlerhaft, indem es die weitere Nutzung der Quelle S… I zu Trinkwasserzwecken ohne wasserrechtliche Gestattung erlaubt (vgl. Ziffer 3 des Bescheids vom 22. 8.2016). Das LRA ermöglicht so eine formell illegale Gewässernutzung. Eine wasserrechtliche Erlaubnis kann auch nur für einen vorübergehenden Zeitraum erteilt werden, so wie sie das LRA auch im Rahmen des Markierungsversuches für die Quellen S… I und II mit Bescheid vom 3. März 2017 erteilt hat. Es stellt ein rechtswidriges Verhalten seitens des LRA dar, eine beantragte Gestattung zwar förmlich abzulehnen und eine Nutzungsuntersagung auszusprechen, dann aber genau das zunächst beantragte Verhalten ohne wasserrechtliche Gestattung zu ermöglichen bzw. sogar anzuordnen.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Ziffer 13.3.3 der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) bei einer Entnahme von 5.000 m³ bis weniger als 100.000 m³ Grundwasser eine standortbezogene Umweltverträglichkeitsvorprüfung durchzuführen ist, wenn durch die Gewässerbenutzung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf grundwasserabhängige Ökosysteme zu erwarten sind.
Nach allem war der Klage daher stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708ff ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

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