Europarecht

Produktsicherheit: Sofortige Vollziehung einer Allgemeinverfügung für den Vertrieb eines Aufzugs

Aktenzeichen  M 16 S 15.5563

Datum:
18.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 95/16/EG Anh. I Nr. 2.2
RL 2014/33/EU Art. 14, Anh. I Nr. 2.2
ProdSG ProdSG § 4 Abs. 2, § 26 Abs. 2 S. 2 Nr. 6
12. ProdSV (AufzugsVO) § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4
VwGO VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

Vertreibt ein in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässiger Hersteller in Deutschland einen Aufzug, der nicht den harmonisierten Sicherheitsnormen entspricht, deren Fundstellen im Amtsblatt der EU veröffentlicht sind, greift die Vermutung des § 4 Abs. 2 ProdSG bzw. § 4 ProdSV nicht ein und der Hersteller muss nachweisen, dass der Aufzug den wesentlichen Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen des Anhangs I RL 95/16/EG entspricht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Anträge werden abgelehnt.
II.
Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 150.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen, in Spanien ansässige Herstellerinnen von Aufzugsanlagen ohne heutigen oder vormaligen Sitz in Deutschland, wenden sich gegen die sofortige Vollziehung einer Allgemeinverfügung der Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (im Folgenden: ZLS), wonach das Inverkehrbringen von bestimmten Aufzugsanlagen untersagt wurde.
Mit Allgemeinverfügung vom 26. November 2015, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 2. Dezember 2015, ordnete die ZLS an, dass die Aufzugsanlage Typ „M33V3“, die von den Antragstellerinnen hergestellt wird, in der Variante der optionalen Konfiguration mit einer Abweichung des Deckenraums im Vergleich zur Norm EN 81-1:1998+A3:2009 Nummer 5.7.1.1 (statt „1 m“ lediglich „0,5 m“) durch Montagebetriebe innerhalb Deutschlands ab sofort nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürfen, sofern nicht durch zusätzliche Maßnahmen sichergestellt sei, dass trotz der hier vorgenommenen Abweichung von der harmonisierten Norm eine mindestens gleichwertig sichere Lösung erreicht werde und die Anforderungen des Anhangs I Nr. 2.2 der Richtlinie 95/16/EG (Aufzugsrichtlinie) erfüllt seien. Die Anordnung wurde im öffentlichen Interesse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt.
In den Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei bei einer Dokumentenprüfung im Januar und Februar 2015 sowie der Überprüfung einer Aufzugsanlage am 23. März 2015 durch die ZLS festgestellt worden, dass bei dem Aufzugstyp weder die Anforderungen der harmonisierten Norm EN 81-1:1998+A3:2009 noch der EN 81-21:2009 eingehalten würden. Ob die vom Hersteller vorgestellten Ersatzmaßnahmen adäquat und ausreichend seien, um die Anforderungen nach Anhang I Nr. 2.2 Richtlinie 95/16/EG zu erfüllen, habe vor Ort mit dem Hersteller und der eingebundenen notifizierten Stelle nicht abschließend geklärt werden können. Die Anhörung des Herstellers habe ergeben, dass er zwar Ersatzmaßnahmen getroffen habe, um die Wahrscheinlichkeit von den bei seiner technischen Lösung möglichen, schweren Quetschverletzungen gering zu halten. Die Aufzugsrichtlinie fordere jedoch, dass Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs nicht nur minimiert, sondern ausgeschaltet werden müssten. Der erforderliche Nachweis, dass diese Forderung mit den getroffenen Ersatzmaßnahmen zuverlässig erfüllt werde, habe bisher jedoch seitens des Herstellers nicht erbracht werden können. Die Anordnung der Untersagung des Inverkehrbringens beruhe auf Art. 26 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 des Gesetzes über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt – Produktsicherheitsgesetz – ProdSG – i. V. m. der Zwölften Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz – Aufzugsverordnung – 12. ProdSV – i. V. m. der Richtlinie 95/16/EG. Der Aufzug entspreche in der dargestellten Variante nicht den sicherheitstechnischen Anforderungen des § 3 Abs. 1 ProdSG in Verbindung mit der Aufzugsverordnung, so dass von ihm die hohe Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des hochrangigen Rechtsguts von Leben und Gesundheit von Personen ausgehe. Aufzüge dürften nach § 3 Abs. 1 ProdSG i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 12. ProdSV nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen des Anhangs I der Richtlinie 95/16/EG entsprächen und bei sachgemäßem Einbau, sachgemäßer Wartung und bestimmungsgemäßem Betrieb die Sicherheit und Gesundheit von Personen und die Sicherheit von Gütern nicht gefährdeten. Nach Anhang I Nr. 2.2 Richtlinie 95/16/EG seien Aufzüge so auszulegen und zu bauen, dass Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs ausgeschaltet würden. Dieses Ziel sei erreicht, wenn sich jenseits der Endstellungen ein Freiraum oder eine Schutznische befinde. Wenn diese Lösung in Ausnahmefällen, insbesondere in bestehenden Gebäuden, nicht verwirklicht werden könne, könnten andere geeignete Mittel zur Vermeidung dieser Gefahr vorgesehen werden. Die technischen Möglichkeiten des Ausschlusses dieser Quetschgefahren würden in zwei bzw. drei technischen Normen dargestellt, die auf europäischer Ebene gelistet seien (Norm EN 81-1:1998+A3:2009 unter Nr. 5.7.1, Norm EN 81-20:2014 unter Nr. 5.2.5.7 sowie Norm EN 81-21:2009 unter Nr. 5.5, wenn es sich um Aufzüge in bestehenden Gebäuden handle). Zwar lösten diese Normen grundsätzlich nur eine Vermutung aus, dass – soweit die Normen inhaltlich reichten – ihre Einhaltung das Sicherheitsniveau der Aufzugsrichtlinie erreiche. Allerdings definierten diese technischen Normen zugleich das Sicherheitsniveau nach dem Stand der Technik, welches Aufzugsanlagen samt ihrer Sicherheit dienende Maßnahmen erreichen müssten, die sich nicht oder nicht vollständig an der Norm orientierten. Das Niveau des Stands der Technik nach diesen Normen erreiche die Aufzugsanlage in der vorliegenden Variante nicht. Durch die vom Hersteller ergriffenen Ersatzmaßnahmen werde zwar die Wahrscheinlichkeit eines Unfallereignisses (Fahrkorb fährt ungewollt in die oberste Endposition) reduziert, durch den auf die Hälfte verkürzten minimalen vertikalen Abstand erhöhe sich aber deutlich der Schweregrad möglicher Verletzungen. Eine Person auf dem Fahrkorbdach könne sich allenfalls liegend in dem verbleibenden Schutzraum in Sicherheit bringen. Dies erfordere deutlich mehr Zeit, als bei einem Aufzug, der den gelisteten, harmonisierten Normen entspreche. Bei Letzterem genüge aufgrund des höheren Schutzraums ein „in die Hocke gehen“, um sich in Sicherheit zu bringen. Diesen zeitlichen Aspekt hätten weder der Hersteller noch die zuständige notifizierte Stelle im Rahmen der Konformitätsbewertung zur EG-Baumusterprüfung berücksichtigt. Dies ergebe sich insbesondere auch aus deren Aussagen anlässlich der Besichtigung der Aufzugsanlage am 23. März 2015. Aus der Anhörung des Herstellers sowie des für die EG-Baumusterprüfbescheinigung verantwortlichen „notified bodies“ (notifizierte benannte Stelle) aus den Niederlanden hätten sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich eine Person bei der gewählten technischen Lösung ebenso schnell in Sicherheit bringen könne wie bei einer normgerechten Lösung. In diesem Zusammenhang könne auch insbesondere das Argument nicht überzeugen, dass ein Versagen der sonstigen Schutzmaßnahmen so unwahrscheinlich sei, dass für das Sicherheitsniveau aus den einschlägigen Normen überhaupt kein Bedarf bestünde. Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen des Anhangs I der Richtlinie 95/16/EG würden deshalb aufgrund dieser Sicherheitslücke offensichtlich nicht erreicht. Montagebetriebe seien daher verpflichtet, nur eine sichere Variante der Aufzugsanlage in Verkehr zu bringen bzw. die Sicherheitslücke in der vorliegenden Variante durch geeignete Maßnahmen, die das Sicherheitsniveau aus der Norm erreichten, zu kompensieren. Eine Lösungsmöglichkeit wäre hier z. B. die Einrichtung eines temporären Schutzraums nach harmonisierter Norm EN 81-21:2009 mit einer Kombination aus elektrischer und mechanischer Sicherheitseinrichtung. Die ZLS habe nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden. Gründe, von dieser Entscheidung abzusehen oder eine andere Entscheidung zu treffen, seien nicht gegeben. Insbesondere könne sich die ZLS den Ausführungen des Herstellers, dass auch in der Aufzugsvariante mit verkürztem Schachtkopf der nach der Aufzugsverordnung erforderliche Sicherheitsstand stets erreicht werde aus den oben genannten Gründen nicht anschließen: Denn ein „Weniger“ an Sicherheit gegenüber dem Stand der Technik erreiche auch bei der Annahme von nur wenigen Schadensfällen nicht das einzuhaltende Sicherheitsniveau. Die Untersagungsverfügung sei ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel, um die von der Aufzugsanlage ausgehende, dargestellte Gefahr zu beseitigen. Insbesondere sei die Mittel-Zweck-Relation gewahrt. Die für die Montagebetriebe mit der Untersagung des Inverkehrbringens der Aufzugsanlage verbundenen wirtschaftlichen Belastungen würden gegenüber dem Schutz der hochrangigen Rechtsgüter von Leib und Leben von Personen zurücktreten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei insbesondere auch im Hinblick auf die sofortige Untersagung des Inverkehrbringens gewahrt. Es bestünden technische und wirtschaftliche Lösungen, das gesetzlich erforderliche Sicherheitsziel in einem zeitlich überschaubaren Rahmen zu erreichen. Die Anordnung sei nach pflichtgemäßem Ermessen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt worden. Ein Zuwarten bis zur Unanfechtbarkeit der Allgemeinverfügung hätte zur Folge, dass die Aufzugsanlage bis zu diesem Zeitpunkt in der vorliegenden gefährlichen Form weiter in Verkehr gebracht werden könnte und damit eine Gefahrensituation für die außerhalb des Fahrkorbs tätigen Nutzer geschaffen werden würde. Das öffentliche Interesse am Schutz von deren Leben und Gesundheit überwiege die Interessen an der aufschiebenden Wirkung einer Klage.
Am 10. Dezember 2015 erhoben die Antragstellerinnen gegen die Allgemeinverfügung Klage (M 16 K 15.5560) und stellten einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, das Bereitstellungsverbot der ZLS sei in mehreren Hinsichten formell und materiell rechtswidrig. Die materielle Rechtswidrigkeit folge insbesondere daraus, dass die Aufzüge vom Typ M33V3 mit reduziertem vertikalen Abstand im oberen Schutzraum die Anforderungen des § 3 Abs. 1 ProdSG i. V. m. §§ 3 ff. der 12. ProdSV einszueins erfüllten. Die Aufzüge hätten insbesondere erstens einen permanenten Freiraum gemäß Nr. 2.2. des Anhangs I der Richtlinie 95/16/EG in Höhe von mindestens 0,5 m, der in drei absoluten Ausnahmefällen ausreichenden Schutz für die Sicherheit und Gesundheit von Personen biete. Zweitens gingen von den Aufzügen keine produktsicherheitsrechtlich relevanten (Quetsch-)Gefahren aus. Die Sicherheit der Aufzüge folge nicht nur aus der Risikobewertung der Antragstellerinnen, sie sei auch mehrfach von „Liftinstituut B.V.“, einer für die EG-Aufzugsrichtlinie notifizierten Stelle, bestätigt worden. Vor diesem Hintergrund könne die ZLS allein mit ihrem Hinweis auf die fehlende Konformität mit der EN 81-1:1998+A3:2009 und der – ohnehin nicht anwendbaren – EN 81-21: 2009+A1:2012 nicht durchdringen, zumal diese Argumentation nicht mehr auf dem Boden des europäischen Produktsicherheitsrechts stehe. Die Sichtweise verkenne die Freiwilligkeit der Anwendung harmonisierter Normen und folgere aus der fehlenden Konformität mit harmonisierten Normen eine fehlende Rechtskonformität. Dieser Schluss sei produktsicherheitsrechtlich falsch, entscheidend sei allein die Konformität mit der Richtlinie 95/16/EG bzw. der 12. ProdSV. Der insoweit gebotene Sicherheitsmaßstab werde von den Aufzügen erfüllt. Diese seien im Ergebnis nicht nur innovativer als solche Aufzüge, die sich am durch die harmonisierten Normen abgebildeten Stand der Technik orientierten, sie entwickelten den Sicherheitsstandard der Aufzüge mit reduziertem vertikalen Abstand im oberen Schutzraum fort, die bis 2012 hergestellt worden seien und sich am Maßstab der EN 81-21:2009+A1:2012 orientiert hätten. Wenn und soweit die aufzugsrechtlichen Anforderungen eingehalten würden, gelte der freie Warenverkehr innerhalb der EU als eine der europäischen Grundfreiheiten (Art. 28 ff. AEUV). Im Übrigen sei die Allgemeinverfügung wegen fehlender Anhörung der Antragstellerin zu 2) gemäß Art. 28 BayVwVfG auch formell rechtswidrig. Selbst wenn man annähme, dass die Allgemeinverfügung nach summarischer Prüfung weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig sei, führe die wertende Abwägung zum Ergebnis, dass den Interessen der Antragstellerinnen für die voraussichtliche Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebühre. Bei einem Vergleich der Nachteile einer verspäteten Verwirklichung der Allgemeinverfügung, sofern sich diese als rechtmäßig erweise, mit den Nachteilen für die Betroffenen durch die sofortige Vollziehung der Allgemeinverfügung bei unterstellter Rechtswidrigkeit würden die Nachteile für die Antragstellerinnen überwiegen. Sie wären im Ergebnis nicht nur über einen erheblichen Zeitraum daran gehindert, den innerhalb der Europäischen Union wichtigen deutschen Markt zu bedienen. Sie wären darüber hinaus auch auf absehbare Zeit am geplanten Marktangriff in Deutschland gehindert. Die unmittelbaren und mittelbaren wirtschaftlichen Nachteile seien damit überaus groß. Dem stehe eine Gefahrenprognose der ZLS entgegen, der sich bislang keine belastbaren Anhaltspunkte für den drohenden Eintritt von Personenschäden entnehmen ließe, zumal die Einschätzung der notifizierten Stelle, die Risikobewertung der Antragstellerinnen und die Auswertung des Reklamationsmanagements der Einschätzung der ZLS entgegenstünden. Die strategischen Ziele – insbesondere der Antragstellerin zu 1) – könnten im Falle eines sofort vollziehbaren Bereitstellungsverbots auf absehbare Zeit nicht verfolgt werden. Es stehe zu befürchten, dass die Händler und Endkunden mit Blick auf die Sicherheit sämtlicher Aufzüge der Antragstellerinnen besorgt seien und vom Erwerb der Aufzüge Abstand nehmen würden. Darüber hinaus erlitten die Antragstellerinnen einen enormen Reputationsschaden. Schließlich sei die Allgemeinverfügung unter dem Aspekt des formellen Begründungserfordernisses aus § 80 Abs. 3 VwGO erfolgreich angreifbar. Aus der Begründung sei nicht zu entnehmen, dass sich die ZLS den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung hinreichend vor Augen geführt habe. Darüber hinaus fehle es an einer schlüssigen konkreten Auseinandersetzung im Einzelfall unter substantiierter Darlegung der wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen, die zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung geführt hätten.
Die Antragstellerinnen beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung der ZLS vom 26. November 2015 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, unmittelbarer Adressat der Allgemeinverfügung seien Montagebetriebe, die in Deutschland Aufzüge „in Verkehr bringen“ würden. Die Antragstellerinnen würden als Herstellerinnen nur mittelbare Betroffenheit aufweisen. Die Allgemeinverfügung habe insbesondere auch gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG keiner vorherigen Anhörung bedurft. Da die Antragstellerinnen zudem beide innerhalb der „… Gruppe“ eng miteinander verbunden seien, wäre nach der intensiven Anhörung der Antragstellerin zu 1) die gesonderte Anhörung der Antragstellerin zu 2) pure Förmelei. Die Behauptung, es gebe „ungeheure betriebswirtschaftliche Wirkungen“, sei offensichtlich unzutreffend, denn es handle sich bei der Allgemeinverfügung nicht um ein unabdingbares „Totalverbot“. Vielmehr ließen sich mit wenigen zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen die technisch erforderlichen Vorgaben erreichen. Für die „… Gruppe“ habe die Antragstellerin zu 1) in ihrer E-Mail vom 2. Dezember 2015 gegenüber der ZLS selbst erklärt, einen einfachen sog. „EN 81-21 Bausatz“ in Deutschland nachrüsten zu wollen. Die Kosten dafür lägen nach Erkenntnissen der ZLS pro Aufzug im unteren dreistelligen Bereich. Die Einschränkung der Bereitstellung auf dem Markt sei durch die Tatsache begründet, dass der Aufzug in der streitgegenständlichen Variante nicht die Anforderungen nach Nr. 2.2 des Anhangs I der Aufzugsrichtlinie erfülle, nicht hingegen durch die Abweichung der Konstruktion von den einschlägigen gelisteten harmonisierten Normen. Von diesen Normen könne abgewichen werden. Gleichwohl definierten sie aber zweifellos das vergleichbar zu erreichende Sicherheitsniveau nach dem Stand der Technik. Die streitgegenständliche Aufzugsvariante erfülle unbestritten nicht die genannten harmonisierten Normen. Entscheidend sei dabei, dass sie aufgrund dieser Abweichungen die spezifische Quetschgefahr nicht in der in der Aufzugsrichtlinie geforderten Art und Weise sicher vermeide. Die in den gelisteten harmonisierten Normen beispielhaft vorgegebene Lösung für eine richtlinienkonforme Vermeidung der Quetsch-Gefahr sehe eine Kombination von Maßnahmen vor. Neben einem quaderförmigen, permanenten Schutzraum sei dabei insbesondere auch ein senkrechter Abstand zwischen Fahrkorbdach und Schachtkopfdecke von mindestens 1 m vorgesehen, der – bedingt durch die konstruktiven Abmessungen – in jedem Fall erhalten bleibe, auch bei einem Ausfall der Steuerung oder einem Ausfall der Energieversorgung. Fahre der Aufzug ungewollt in die höchste Position, könne sich eine Person auf dem Fahrkorbdach somit durch einfaches „Indie-Hockegehen“ rasch in eine sichere Position bringen. Die Konstruktion der Antragstellerinnen sehe zwar auch einen senkrechten Abstand zum Schutz von auf dem Fahrkorbdach befindlichen Personen vor. Dieser Abstand werde jedoch nicht zwangsläufig eingehalten, sondern über die Aufzugssteuerung. Im Falle einer Störung fahre der Aufzug demnach weiter, bis nur noch ein Abstand von 0,5 m zwischen Fahrkorbdach und Schachtkopfdecke verbleibe. In diesem Fall könne sich eine Person jedoch nicht schnell genug in dem verbleibenden liegenden Schutzraum in Sicherheit bringen, um einem Aufprall auf der Schachtkopfdecke zu entgehen. Die normgerechte Lösung vermeide mit ihrer Kombination mehrerer Maßnahmen tatsächlich das Quetsch-Risiko, wie in der Aufzugsrichtlinie gefordert, durch Wegnahme der Gefährdung. Bei der Lösung der Antragstellerinnen bleibe jedoch die Gefährdung bestehen. Es werde lediglich die Eintrittswahrscheinlichkeit für das Anfahren der Endposition reduziert. Selbst nach den Ergebnissen der von den Antragstellerinnen vorgelegten Untersuchungen benötige man bei der streitgegenständlichen Aufzugsvariante signifikant länger, um eine sichere Position zu erreichen. Die Argumentation, dass das Risiko nicht beachtlich sei, solange sich ein Produktrisiko noch nicht verwirklich habe, werde nicht geteilt. Dies gelte gerade bei langlebigen Produkten mit intensivem Wartungsbedarf wie Aufzügen. Die notifizierte Stelle, welche die EG-Baumusterprüfbescheinigung für den Aufzug ausgestellt habe, habe zur Zeitkomponente fehlerhafter Weise überhaupt keine Überlegung oder Untersuchungen angestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren (M 16 K 15.5560) sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Anträge bleiben ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht München ist als zuständiges Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 52 Nr. 3 Satz 2 und Satz 3 i. V. m. Nr. 5 VwGO örtlich zuständig. Bei der durch den Freistaat Bayern errichteten ZLS handelt es sich um eine Organisationseinheit des für den technischen Arbeits- und Verbraucherschutz zuständigen Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (vgl. Art. 1 Satz 1 des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik vom 6. August 1994 (GVBl. S. 875) i. d. F. d. Bek. des Abkommens zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik und über die Akkreditierungsstelle der Länder für Mess- und Prüfstellen zum Vollzug des Gefahrstoffrechts vom 10. Mai 2012 (GVBl. S. 186). Die ZLS vollzieht u. a. die Länderaufgaben nach § 26 Abs. 2 des Produktsicherheitsgesetz (vormals § 8 Abs. 4 Geräte und Produktsicherheitsgesetz), so dass es sich um eine gemeinsame Behörde aller Länder i. S. v. § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO handelt. Maßgeblich zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts ist daher der Sitz der ZLS in München, da die Antragstellerinnen ausschließlich in Spanien ansässig sind.
Die Antragstellerinnen sind auch antragsbefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO analog, da sie geltend machen können, durch die angegriffene Allgemeinverfügung, die an das Inverkehrbringen der betroffenen Aufzugsvariante in Deutschland zusätzliche Anforderungen stellt, in ihrer unionsrechtlich gewährleisteten Warenverkehrsfreiheit (vgl. Art. 34 AEUV) verletzt zu sein, auch wenn sich die Allgemeinverfügung unmittelbar nur an die Montagebetriebe richtet (vgl. auch Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 95/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 1995 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aufzüge (ABl EG Nr. L 213 S.1) bzw. Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2014/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aufzüge und Sicherheitsbauteile für Aufzüge (ABl EU Nr. L 96 S. 251 – Neufassung).
Richtiger Antragsgegner ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 VwGO analog als Rechtsträger der Freistaat Bayern, da es sich bei der anordnenden ZLS nicht um eine eigenständige Körperschaft handelt, sondern um eine Organisationseinheit und damit Teil eines Bayerischen Staatsministeriums. Dem Formerfordernis der Bezeichnung des Antragsgegners genügte dabei die Angabe der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, hier der ZLS (vgl. § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 VwGO).
Die hier gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung durch die ZLS entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Dem dort geregelten Begründungserfordernis für das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung ist – auch in der erfolgten sehr knappen Form – noch hinreichend Genüge getan.
An den Inhalt der Begründung sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Die Behörde muss die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angeben, die sie bewogen haben, den Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs gegen den Verwaltungsakt auszuschließen. Die Frage, ob die Gründe – sofern sie nicht offensichtlich unrichtig sind – wirklich vorliegen und so schwer wiegen, dass sie die Aufhebung des Suspensiveffekts rechtfertigen, tritt bei der Prüfung, ob der Begründungspflicht formell genüge getan worden ist, in den Hintergrund. Sie spielt vielmehr bei der auf einer Interessenabwägung beruhenden Entscheidung eine Rolle, ob die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs auf Antrag des Adressaten des Verwaltungsakts wieder herzustellen ist (vgl. BayVGH, B. v. 17.11.2014 – 7 CS 14.275 – juris Rn. 21). Die Behörde kann sich auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Gründe stützen, wenn die den Erlass des Verwaltungsakts rechtfertigenden Gründe zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung belegen (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Es genügt, wenn aus den Umständen des Einzelfalls die Dringlichkeit hervorgeht und die Behörde darauf verweist (vgl. VG Berlin, B. v. 9.2.2012 – 1 L 422.11 – juris Rn. 10).
Die ZLS hat das Interesse an einer sofortigen Vollziehung ihrer Verfügung zur effektiven Gefahrenabwehr (anderenfalls weiterhin Schaffung einer Gefahrensituation für die außerhalb des Fahrkorbs tätigen Personen) hinreichend erläutert. Sie hat damit dargelegt, welche Gründe aus ihrer Sicht im konkreten Einzelfall das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung und dessen Überwiegen gegenüber dem Interesse der Antragstellerinnen an der aufschiebenden Wirkung einer Klage rechtfertigen.
Die aufschiebende Wirkung wäre auch nicht allein deswegen anzuordnen, weil die Antragstellerin zu 2) möglicherweise vor Erlass der Allgemeinverfügung nicht hinreichend angehört worden wäre (vgl. BayVGH, B. v. 17.11.2014 – 7 CS 14.275 – juris Rn. 23). Insoweit wäre auch noch eine Nachholung der Anhörung möglich (vgl. Art. 46 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG).
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Die summarische Prüfung ergibt hier, dass die Aussichten der Klagen der Antragstellerinnen derzeit als offen anzusehen sind. Die danach erforderliche Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung und dem privaten Interesse der Antragstellerinnen an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen ergibt ein Überwiegen des öffentlichen Interesses zum Schutz der gefährdeten hochrangigen Rechtsgüter Leib und Leben des betroffenen Montage- und Wartungspersonals.
Im Kern geht es um die Frage, ob die streitgegenständliche Aufzugsvariante die Anforderungen des Anhangs I Nr. 2.2 der Richtlinie 95/16/EG bzw. der Richtlinie 2014/33/EU (nach den englischsprachigen Fassungen der Richtlinien insoweit wortgleiche Neufassung) erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten streitig und bedarf noch weiterer Aufklärung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens.
Die ZLS hat die Allgemeinverfügung auf Grundlage des § 26 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 ProdSG mit der Begründung erlassen, dass die Aufzugsvariante nicht den sicherheitstechnischen Anforderungen des § 3 Abs. 1 ProdSG i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der (zum damaligen Zeitpunkt geltenden) Zwölften Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Aufzugsverordnung) i. d. F. vom 17. Juni 1998 (BGBl I S. 1393), zuletzt geändert durch Artikel 22 des Gesetzes vom 8. November 2011 (BGBl I S. 2178), entspreche. Danach durften Aufzüge nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen des Anhangs I der Richtlinie 95/16/EG entsprachen und bei sachgemäßem Einbau, sachgemäßer Wartung und bestimmungsgemäßem Betrieb die Sicherheit und Gesundheit von Personen und die Sicherheit von Gütern nicht gefährdeten. Nach Anhang I Nr. 2.2 Richtlinie 95/16/EG waren Aufzüge so auszulegen und zu bauen, dass Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs ausgeschaltet wurden. Dieses Ziel war erreicht, wenn sich jenseits der Endstellungen ein Freiraum oder eine Schutznische befand. Wenn diese Lösung in Ausnahmefällen, insbesondere in bestehenden Gebäuden, nicht verwirklicht werden konnte, konnten andere geeignete Mittel zur Vermeidung dieser Gefahr vorgesehen werden. Bei einem Produkt, das harmonisierten Normen oder Teilen dieser Normen entsprach, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlich worden waren, wurde vermutet, dass es den Anforderungen nach § 3 Abs. 1 ProdSG entsprach (vgl. § 4 Abs. 2 ProdSG). Für die Anordnung nach § 26 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 ProdSG (Bereitstellungsverbot) war es ausreichend, dass die Marktüberwachungsbehörde den begründeten Verdacht hatte, dass die Aufzugsvariante nicht den Anforderungen entsprachen, die sich aus der Richtlinie 95/16/EG ergaben (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 ProdSG).
Die bis zum 19. April 2016 vorzunehmende Umsetzung der Richtlinie 2014/33/EU in nationales Recht erfolgte mit der Neufassung der Zwölften Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz – Aufzugsverordnung – 12.ProdSV – vom 6. April 2016 (BGBl I S. 605), die am 20. April 2016 in Kraft getreten ist. Aus Abschnitt 4 (§§ 17 ff.) dieser aktuellen Aufzugsverordnung ergeben sich in Umsetzung der Art. 38 ff. Richtlinie 2014/33/EU nunmehr eigenständige Regelungen für die Marktüberwachung, die den Regeln nach dem Produktsicherheitsgesetz vorgehen dürften. Gelangt die Marktüberwachungsbehörde bei ihrer Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Aufzug die Anforderungen der Aufzugsverordnung nicht erfüllt, fordert sie unverzüglich den Montagebetrieb auf, innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist, alle geeigneten Korrekturmaßnahmen zu ergreifen (vgl. § 17 Abs. 2 12. ProdSV). Kommt der Montagebetrieb dem nicht nach, so trifft die Marktüberwachungsbehörde alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen, um das Inverkehrbringen oder die Verwendung des Aufzugs einzuschränken, oder sie untersagt das Inverkehrbringen oder die Verwendung des Aufzugs oder sorgt dafür, dass der Aufzug zurückgerufen wird (vgl. § 18 Abs. 1 12. ProdSV). Erheben weder ein Mitgliedstaat noch die Europäische Kommission innerhalb von drei Monaten nach Erhalt der diesbezüglichen Information einen Einwand gegen eine derartige vorläufige Maßnahme, gilt diese Maßnahme als gerechtfertigt (vgl. Art. 38 Abs. 7 Richtlinie 2014/33/EU, § 18 Abs. 6 Satz 1 12.ProdSV). In diesem Fall ist die Marktüberwachungsbehörde verpflichtet, endgültige Maßnahmen zu ergreifen (vgl. § 18 Abs. 6 Satz 2 12.ProdSV). Auch in Bezug auf die Konformitätsvermutung enthält die aktuelle Aufzugsverordnung in ihrem § 4 (in Umsetzung von Art. 14 Richtlinie 2014/33/EU) eine eigenständige Regelung. Die Vorschrift bildet die Vermutungswirkung im Fall der Anwendung harmonisierter Normen ab, deren Fundstellen im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden sind. Entspricht ein Aufzug einer solchen Norm oder Teilen einer solchen Norm, so wird davon ausgegangen, dass er den wesentlichen Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen des Anhangs I der Richtlinie 2014/33/EU genügt. In diesen Fällen obliegt es der Marktüberwachungsbehörde nachzuweisen, dass der Aufzug dennoch nicht den wesentlichen Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen entspricht, d. h. die Marktüberwachungsbehörde muss die Vermutung widerlegen. Damit wird die Beweislast zugunsten des Herstellers umgekehrt (vgl. Begründung, BR-Drs. 53/16, S. 23).
Im Amtsblatt der EU vom 20. April 2014 zuletzt veröffentlichte (vgl. ABl EU Nr. C 138 S. 4) harmonisierte Normen waren diesbezüglich die EN 81-20:2014 (Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Aufzüge für den Personen- und Gütertransport – Teil 20: Personen- und Lastenaufzüge), durch die u. a. die Norm EN 81-1:1998+A3:2009 ersetzt wurde, wobei die Konformitätsvermutung dieser ersetzten Norm noch bis zum 31. August 2017 fortgilt, sowie die EN 81-21:2009+A1:2012 (Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Aufzüge für den Personen- und Gütertransport – Teil 21: Neue Personen- und Lastenaufzüge in bestehenden Gebäuden).
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die streitgegenständlichen Aufzüge vom Typ M33V3 mit reduziertem vertikalen Abstand nicht im Einklang mit den technischen Normen EN 81-1:1998+A3:2009 bzw. EN 81-20:2014 stehen weil sie keinen permanenten Freiraum im oberen Schutzraum in Höhe von 1 m, sondern lediglich von 0,5 m oberhalb des Fahrkorbdachs aufweisen. Demnach besteht vorliegend keine Beweislastumkehr zugunsten der Antragstellerinnen. Vielmehr müssen diese nachweisen, dass die Aufzugsvariante trotz dieser Abweichung von den harmonisierten Normen den wesentlichen Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen der Aufzugsrichtlinie entspricht.
Nach der fortbestehenden Auffassung des Antragsgegners, für die er sachliche Gründe dargelegt hat, reichen die von den Antragstellerinnen hierzu bislang vorgelegten Darlegungen, Zertifizierungen bzw. Prüfbescheinigungen, Stellungnahmen und durchgeführten Untersuchungen nicht aus, um den erforderlichen Nachweis zu erbringen, dass die Aufzüge der streitgegenständliche Aufzugsvariante die Sicherheitsanforderungen der Aufzugsrichtlinie bezüglich der Ausschaltung von Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs erfüllen. Dabei ist unter den Beteiligten strittig, ob die Anforderungen aus Nr. 2.2 des Anhangs I der Aufzugsrichtlinie auch dann hinreichend erfüllt sein können, wenn infolge der bei der Aufzugsvariante gegebenen sonstigen Sicherheitsvorkehrungen zwar ein geringes, aber letztlich doch vorhandenes Restrisiko besteht, weil bei Ausfall dieser Sicherheitsmaßnahmen ein hinreichend hoher permanenter Schutzraum oberhalb des Fahrkorbdachs nicht zur Verfügung steht. Die ZLS forderte insoweit, dass mindestens eine zusätzlich mechanische Sicherung vorhanden sein muss, um beim Ausfall der Triebwerksbremse einen ausreichenden Schutzraum für die betreffende Person zu gewährleisten (vgl. Bl. 76 d. Behördenakte). Eine Beantwortung der komplexen Frage, ob die Anforderungen aus Nr. 2.2 des Anhangs I der Aufzugsrichtlinie erfüllt werden, für die ggf. auch noch eine weitere tatsächliche Aufklärung erforderlich ist, ist im Rahmen der im Eilverfahren nur summarisch vorzunehmenden Prüfung nicht abschließend möglich und muss daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Zudem stellt sich die Frage, ob und ggf. welche Folgerungen sich für das konkrete Verfahren aus der Neuregelung des Marktüberwachungsverfahrens durch die Richtlinie 2014/33/EU bzw. deren Umsetzung ergeben.
Das Gericht kommt bei der demnach veranlassten eigenen Abwägung der betroffenen Interessen zu dem Ergebnis, dass das öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung das Interesse der Antragstellerinnen an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen überwiegt.
Es handelt sich bei der Allgemeinverfügung um eine Maßnahme zum Schutz der sehr hochrangigen Rechtsgüter Leib und Leben von Menschen. Die Quetschgefahren, die durch die Anordnung der Allgemeinverfügung abgewendet werden sollen, sind im Falle ihrer Verwirklichung geeignet, sehr massive Körperverletzungen hervorzurufen und häufig auch zu Todesfällen zu führen. In Anbetracht dessen genügt bereits eine geringe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, um eine relevante Gefährdung anzunehmen.
Durch die Regelungen der Aufzugsrichtlinie wird die Wahrung eines hohen Sicherheitsniveaus der von ihr erfassten Produkte angestrebt (vgl. Begründung zur aktuellen 12. ProdSV, BR-Drs. 53/16, S. 16). Zudem enthält die neuere harmonisierte Norm EN 81-20:2040 in Bezug auf den Schutzraum ausdrücklich die Anforderung, dass nur noch eine hockende oder stehende Position auf dem Fahrkorbdach zulässig ist, da im Notfall für den Betroffenen möglicherweise keine ausreichende Zeit verbleibt, um eine liegende Position einzunehmen. Dies war die Konsequenz aus einer Studie eines Teams des CEN – Europäisches Komitee für Normung – (CEN/TC10/WG1), die alle verfügbaren Daten berücksichtigt hat, auch eine einschlägige Studie der britischen Behörden (Technical assessment of means of preventing crushing risks on lifts subject to directive 95/16/EG – Report Number ME707/07 von den Health and Safety Laboratories; vgl. Auskunft des CEN, Bl. 112 d. Behördenakte). Im Rahmen dieser Studie wurden auch zur Häufigkeit von Unfällen Aussagen getroffen, wonach die Zahl der Unfälle im Zusammenhang mit Quetschungen als gering angesehen wurde. Aufgrund der dort verfügbaren Daten waren 18 Unfälle im Zeitraum 1987 bis 2007 bekannt geworden, d. h. ungefähr ein Unfall pro Jahr. Allerdings wurde auch festgestellt, dass „Quetschunfälle“ zumeist tödlich verlaufen. Gleichwohl wurde es als erforderlich angesehen, die diesbezüglichen Sicherheitsanforderungen in den harmonisierten Normen zu überarbeiten, was ebenfalls verdeutlicht, welcher Stellenwert dem erstrebten hohen Sicherheitsniveau beigemessen wird.
Auch wenn das verbleibende Unfallrisiko von Seiten der Antragstellerinnen als äußerst gering dargestellt wird, besteht ein solches. Insbesondere kann ein Unfallrisiko durch die von der Antragstellerin ergriffenen Sicherungsmaßnahmen nicht wirksam ausgeschlossen werden, wenn die Steuerung oder die Energieversorgung ausfallen, worauf der Antragsgegner nachvollziehbar hingewiesen hat. Weiterhin besteht auch die Gefahr menschlichen Versagens, wenn der Inspektionsmodus nicht angeschaltet wird, auch wenn es sich bei den betroffenen Personen grundsätzlich um professionelles und geschultes Personal handelt. Auch dies wurde in der o.g. britischen Studie als häufige Unfallursache festgestellt (vgl. o.g. „Report Number ME707/07“, S. 14).
Demgegenüber wurden von Seiten der Antragstellerinnen als aus ihrer Sicht überwiegend ausschließlich wirtschaftliche Interessen angeführt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Untersagung des Inverkehrbringens nicht vollständig, sondern nur insoweit verfügt wurde, als nicht durch zusätzliche Maßnahmen sichergestellt wird, dass trotz der Abweichung von der harmonisierten Norm eine mindestens gleichwertige sichere Lösung erreicht wird und die Anforderungen des Anhangs I Nr. 2.2 Richtlinie 95/16/EG erfüllt sind. Ein Beispiel hierfür wurde von der ZLS genannt und hierzu ausgeführt, dass die Kosten dafür pro Aufzug im unteren dreistelligen Bereich lägen. Ein Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Aufzugsanlagen bleibt damit weiterhin mit einer technisch möglichen Maßgabe erlaubt. Von Seiten der Antragstellerinnen war im Verwaltungsverfahren sogar selbst angeboten worden, einen sog. „EN 81-21 Bausatz“ in Deutschland nachrüsten zu wollen. Gründe, weshalb dies zur Abwendung von Nachteilen für die Dauer des Klageverfahrens nicht möglich oder unzumutbar sein sollte, wurden nicht dargelegt.
Daher überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung das private wirtschaftliche Interesse der Antragstellerinnen an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
Die Anträge waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Nr. 1.5 und Nrn. 25 bzw. 54 analog – Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen bzw. Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns). Als jährlicher Umsatz der Antragstellerinnen mit den streitgegenständlichen Aufzügen für Deutschland wurde von diesen ein Betrag in Höhe von 300.000,- Euro angegeben.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen