Europarecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung nach Italien

Aktenzeichen  M 1 S 17.51502

Datum:
4.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25698
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 10 Abs. 2 S. 4, § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2
VwGO § 60, § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3, Art. 29 Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1 Die Antragstellerin kann ihrer Überstellung nach Italien nicht mit dem Einwand entgegentreten, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien wiesen systemische Schwachstellen auf, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung iSd Art. 4 GRCh mit sich bringen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist die Antragstellerin unbekannt verzogen und deshalb als flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO zu betrachten, wird die Regelfrist zur Überstellung nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO von 6 Monaten nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Schutz vor Abschiebung nach Art. 6 Abs. 1 GG ist wegen einer beabsichtigten Eheschließung nur dann gegeben, wenn diese unmittelbar bevorsteht, wobei dies nur dann der Fall ist, wenn ein Termin zur Eheschließung bestimmt ist und sämtliche für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen vorliegen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, deren Identität bislang nicht geklärt ist, ist nach ihren Angaben somalische Staatsangehörige. Sie wurde am …4.2016 von der Bundespolizei in … in einem Fernbus aufgegriffen, wo sie sich mit einem gekauften gefälschten italienischen Fremdenpass, ausgestellt auf den Namen … … …, geb. …, auswies. Sie stellte am …9.2016 Asylantrag.
Nachdem eine EURODAC-Abfrage ergab, dass sich die Antragstellerin zuvor in Italien aufgehalten hatte, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß der Dublin III-VO ein Übernahmeersuchen an Italien, das unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 lehnte das Bundesamt unter Hinweis auf die nach den Bestimmungen der Dublin III-VO gegebene Zuständigkeit Italiens für die Bearbeitung des Asylgesuchs den in Deutschland gestellten Asylantrag als unzulässig ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG und ordnete die Abschiebung nach Italien an.
Am …6.2017 erhob die Antragstellerin dagegen Klage (M 1 K 17.51501) und beantragte gleichzeitig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung wurden von ihr und ihrem Bevollmächtigten auf ärztliche Atteste verwiesen. Es wurden systemische Mängel des Asylwesens in Italien geltend gemacht. Außerdem sei die Überstellungsfrist nach der Dublin III-VO bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abgelaufen gewesen. Weiter wurde auf eine beabsichtigte staatliche Heirat der Antragstellerin mit einem in Deutschland lebenden somalischen Staatsangehörigen hingewiesen sowie darauf, dass die Antragstellerin den Bescheid erst am 13.6.2017 anlässlich einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde gesehen hätte.
Das Gericht hat mit sog. Schiebebeschluss vom 18. Dezember 2017 die aufschiebende Wirkung der Klage vorläufig bis zur Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet, weil ihm in der Enge der Zeit bis zu einem bevorstehenden Abschiebungstermin eine ausreichende Prüfung des Rechtsschutzbegehrens der Antragstellerin nicht möglich erschien.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten verwiesen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist wegen Verfristung bereits unzulässig, da die Wochenfrist für seine Stellung ab Zustellung des Bescheides nicht eingehalten ist. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 18.2.2017 (Bl. 152 ff. der Behördenakte) konnte eine Zustellung des Bescheides nicht erfolgen, weil die Antragstellerin unter der angegebenen und korrekten (siehe Bl. 114 und 116 der Behördenakte) Anschrift nicht zu ermitteln war. Nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG galt der Bescheid damit zum Zeitpunkt seiner Aufgabe zur Post, hier am 16.2.2017 (Bl. 145 der Behördenakte), als zugestellt.
Der von einem Angehörigen eines Helferkreises für Flüchtlinge gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist nach § 60 VwGO hat keinen Erfolg, weil die Antragstellerin nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Der Einwand, den Bescheid nicht erhalten zu haben, geht am Kern der Sache vorbei. Die Antragstellerin war im Rahmen ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflichten nach § 10 AsylG, auf die sie in ihrer Sprache explizit hingewiesen wurde, gehalten, stets für die befassten Behörden auch postalisch erreichbar zu sein, was jedenfalls in Ansehung der Zustellung des Bescheides nicht der Fall war. Der weitere Einwand des Helfers, die Verteilung der Post in der Unterkunft der Antragstellerin klappe „bedauerlicherweise nicht immer“, was dem Betreiber der Unterkunft bekannt sei, genügt in dieser Unsubstantiiertheit bei Weitem nicht dem Erfordernis nach § 60 VwGO, Wiedereinsetzungsgründe in spezifischer, auf den konkreten Fall bezogener und detaillierter Weise darzulegen und vor Allem auch glaubhaft zu machen.
2. Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet, da sich im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO der Bescheid als rechtmäßig erweist und daher dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin Vorrang vor dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zu geben ist.
a. Zu Recht hat das Bundesamt seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin verneint und den Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt.
Italien hat das fristgerecht gestellte Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht beantwortet. Entsprechend der Fiktion des Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO ist damit Italien der zuständige EU-Mitgliedstaat geworden, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person (wieder) aufzunehmen. Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann die Antragstellerin ihrer Überstellung nach Italien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Italien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 Dublin III-VO). Das hat das Bundesamt in Übereinstimmung mit der absolut herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung, auch der des erkennenden Gerichts, zutreffend herausgearbeitet, § 77 Abs. 2 AsylG.
b. Die Zuständigkeit Italiens ist nicht wegen Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 aE Dublin III-VO entfallen.
Entgegen dem Vorbringen des Bevollmächtigten der Antragstellerin war die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides noch nicht abgelaufen. Die Regelfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO von 6 Monaten wurde nämlich nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert, weil die Antragstellerin nach den Feststellungen in den Akten damals unbekannt verzogen war (siehe hierzu Bl. 101 ff., 105 der Behördenakten) und deshalb als flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO zu betrachten war (siehe hierzu VG Dresden, U.v. 9.12.2015 – 1 K 4086/14.A – juris). Die Überstellungsfrist endete deshalb erst am 4.1.2018. Der Fristlauf wurde im Übrigen durch die Stellung des vorliegenden Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO am 16.6.2017 unterbrochen; ab dem Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung wird die Überstellungsfrist neu in Lauf gesetzt (siehe dazu BVerwG, U.v. 26.5.2016 – 1 C 15.15 – juris).
c. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, insbesondere nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, liegen nicht vor. Das hat das Bundesamt zutreffend festgestellt. Auch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Atteste begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach den Attesten hat sich die Antragstellerin im Jahr 2013 eine Fraktur des Oberschenkelhalses rechts zugezogen, welche mittels Schraubenosteosynthese versorgt wurde. Im Juni 2016 wurde in Deutschland eine Metallentfernung und eine valgisierende Osteotomie durchgeführt. Die Antragstellerin klagt weiter über Schmerzen. Nach dem aktuellen Attest vom *.11.2017 wurde eine Schmerzthearpie durchgeführt. Als objektiven Befund stellt das Attest eine verzögerte Konsolidierung fest. Die Antragstellerin konnte in stabilem Allgemeinzustand in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden. Es wurde eine Medikationsempfehlung ausgesprochen (u.a Calcium- und Vitamin-D-Gabe) sowie eine Empfehlung zu einer Schuhsohlenerhöhung von 1 cm zum Ausgleich der Beinlängendifferenz. Die Schmerzsymptomatik erfüllt bei Weitem nicht die hohen gesetzlichen Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen gegen eine Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 5 AufenthG, § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG. Die Beschwerden sind in Italien behandelbar. Auch insoweit ist dem Bundesamt in seinem Schriftsatz vom 26.9.2018 zu folgen.
d. Ebenso bestehen keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse oder Duldungsgründe (zu dieser Prüfungspflicht siehe BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris).
Die von der Antragstellerin beabsichtigte Eheschließung nach staatlichem deutschen Recht mit einem somalischen Staatsangehörigen – mit dem sie am …6.2017 in … nach islamischem Scharia-Recht die Ehe eingegangen ist – stellt kein Abschiebungshindernis dar. Zwar beinhaltet Art. 6 Abs. 1 GG, der auch für Ausländer Gültigkeit besitzt, auch die Eheschließungsfreiheit, also das Recht, die Ehe mit einem selbstgewählten Partner einzugehen. Schutz vor Abschiebung nach Art. 6 Abs. 1 GG ist aber zunächst nur dann gegeben, wenn die beabsichtigte Eheschließung unmittelbar bevorsteht, wobei dies nur dann der Fall ist, wenn ein Termin zur Eheschließung bestimmt ist und sämtliche für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen vorliegen (siehe BayVGH, B.v. 17.6.2005 – 10 CE 05.1593 – juris; VG München, B.v. 7.11.2007 – M 12 E 07.5045 – juris). Nach dem Inhalt des Schreibens des Standesamts … vom …8.2018 sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die von der Antragstellerin und dem somalischen Staatsangehörigen vorgelegten Unterlagen befinden sich nach dem Schreiben zur Überprüfung ihrer Echtheit beim Bayerischen Landeskriminalamt. Die Dauer dieser Überprüfung betrage derzeit zwischen 12 und 16 Monaten. Nach Rückkehr der Urkunden mit positivem Überprüfungsbericht könne die Anmeldung der Eheschließung unterschrieben und an das OLG München zur Befreiung von dem nach § 1309 Abs. 1 BGB vorgeschriebenen Ehefähigkeitszeugnis geschickt werden. Ein Heiratstermin könne erst nach erfolgter Befreiung vereinbart werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG. Der Schiebebeschluss vom 18. Dezember 2017 ist damit gegenstandslos.

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